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Elvira war eine sportliche Fahrerin. Sie blickte durch eine überdimensionierte Sonnenbrille auf den Straßenverkehr. Ein um den Hals geschwungenes Tuch flatterte im Fahrtwind ihres rot lackierten Cabrios. Angelika saß neben ihr:

„Das ist ja ein toller Flitzer. Hast Du den schon lange?“

Elvira schmunzelte:

„Ernst Friedrich hat mir den Wagen vor einem Jahr geschenkt. Wir hatten eine längere Auseinandersetzung, weil er so sehr mit der Firma verheiratet ist. Das Cabrio war dann das Trostpflaster. Besser so etwas als gar nichts.“

„Und ist er jetzt weniger mit der Firma verheiratet?“

„Er verbringt immer noch viel Zeit in der Firma. Er hat eben Ehrgeiz. Ich verstehe Ehrgeiz nicht gut. Ernst Friedrich kann sich dem nicht entziehen. Es ist wie eine Sucht. Er möchte gerne weiter nach oben kommen. Was immer das bedeutet. Das aber kostet Energie und Zeit. Auch meine Zeit.“

„Richard ist auch ehrgeizig. Das siehst Du ja daran, dass er hier nach Berlin will. Er liebt seine Familie und möchte uns, vor allem den Kindern, beste Chancen für ihr Leben bieten.“

„Zeit ist eine Einbahnstraße. Du denkst, dass Du die Geschwindigkeit bestimmen kannst, mit der Du auf dieser Straße fährst. Das ist ein Irrtum! Ich werde mich nicht von seiner Sucht abgängig machen. Wir haben keine Kinder und ich werde ihm das nicht nachtragen. Aber ich lebe jetzt und bin noch einigermaßen jung. Und“ - Elvira hielt inne – „es gibt durchaus ernst zu nehmende Verehrer.“

„Möchtest Du mehr dazu sagen?“

„Angelika, sei mir nicht böse, aber ich möchte das jetzt nicht vertiefen. Vielleicht ein anderes Mal.“

„Okay, ich akzeptiere, was Du sagst. Ich weiß, dass Richard sehr viel Wert auf die Familie legt. Er möchte sich so ein Reich aufbauen, ein Reich, in dem er mich und die Kinder lieben und beschützen kann. Sein Ehrgeiz dient auch diesem Ziel.“

„Ich wünsche Dir, dass das für euch in Erfüllung geht.“

„Richard ist ein Flüchtlingskind und er musste sich alles allein erarbeiten. Er hat eigentlich keine Heimat und will uns diese hier geben. Das liegt an der Flucht seiner Eltern am Ende des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Enteignung. Viele Umzüge seiner Eltern haben dazu beigetragen, dass er kein gewachsenes Heimatgefühl entwickeln konnte. Das ist so, als wenn man an einem Fluss steht, dessen Quelle versiegt ist. Wenn man gegen die Strömung, also zurück geht, wird der Fluss immer schmaler. Schließlich verbleibt ein trockenes, kieseliges Flussbett, welches mehr und mehr von Gras überwuchert wird. Da lohnt es sich nicht mehr, nach der Quelle zu fragen. Und Richard hat keine richtige Familie. Familie, das bedeutet Heimat, Geburt, Hochzeit, Ehe, Tod, Muttererde. Heimat ist Zugehörigkeit, Gefühl der Geborgenheit, Wohlfühlen, Ort der immer wieder kehrenden Sehnsucht. Heimat ist aber auch bedrückend, weil sie einengend sein kann. Sie gibt in einem gewissen Maße Verhaltensmuster vor. Diese bestimmen, ob man dazu gehört. Dieses Phänomen gilt dann wohl auch für die Familie. Familiäre Tradition übt eine gewisse Gewalt auf die Familienmitglieder aus. Man muss in der Spur bleiben. Die Kontakte zwischen den Angehörigen sind in der Regel heutzutage nicht mehr so zahlreich wie früher. Weihnachten ist da ein Höhepunkt. Und Geburtstage, Beerdigungen. Mehr ist nicht übrig geblieben.“

„Das kannst Du alles vergessen, Angelika. Du musst Dein Leben selbst in die Hand nehmen. Du kannst Dich auf nichts verlassen.“

„Mir fällt das schwer. Ich hätte Angst.“

„Angst ist das ungeheure Nichts der Unwissenheit. Du weißt nie, was mit den Menschen und in den Menschen geschieht.“

„Wir sind jetzt am Ziel. Lass uns später weiter sprechen.“

Angelika nickte und schwieg.

Der rasierte Fisch

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