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Elvira blieb zu Hause, weil sie ein gemeinsames Mittagessen vorbereiten wollte. Kurz nach der Abfahrt erhielt sie einen Anruf.

„Rico, Du hast Dich seit unserer Party nicht mehr gemeldet. Hat sie Dir nicht gefallen?“

„Du hast mir sehr gefallen, meine liebe Elvira.“

„Dass ihr Künstler immer so eigen seid, fällt mir immer wieder auf. Was bewegt Dich?“

„Ich möchte Dich sehen. Alleine.“

„Rico, was denkst Du Dir? Das geht doch nicht. Wir haben doch noch Besuch, auch wenn ein Teil davon jetzt abfliegt.“

„Du musst gar nicht argumentieren. Ich sehe immer noch Deine Augen. Sie flackerten. Ich spüre dich.“

„Was sagst Du da? Flackernde Augen. Spüren?“

„Elfchen, ich darf Dich doch so nennen. Wir sind uns nahe gekommen...“

Rico wurde scharf unterbrochen.

„Rico, wir haben uns kennen gelernt, weil mein Mann über seine Firma nach einer Deiner letzten Vernissagen ein paar Bilder gekauft hat. Wir haben das gefeiert. Und dann warst Du auf unserer Party. Das ist es. Also, was möchtest Du jetzt?“

„Ihr könntet ja noch ein Bild kaufen, ich habe da etwas in Blau, eine Komposition, das passt sehr gut zu unserer Verfassung. Du liebst doch Blau. Du kannst es in der Galerie Poll anschauen. Blau, das hat eine solche Bedeutung! Das muss ich Dir einmal ausführlich erklären. Also mache einfach mit mir blau!“

„Rico, Du bist verrückt. Hast Du wirklich ein neues Werk in Blau bei Poll?“

„Für Dich nicht nur eines. Also, wann können wir uns endlich sehen?“

Elvira machte eine Pause und dachte an das Gespräch, welches sie mit Angelika am Morgen gehabt hatte.

„Also gut, heute kann ich überhaupt nicht, weil ich noch einen Gast zu bewirten habe. Morgen, morgen um elf Uhr. Du kannst mir im KaDeWe einen Champagner ausgeben. Ich werde ein wenig bummeln. Der Zufall wird uns zusammenführen.“

„Ich freue mich. Du hast eine gute Entscheidung getroffen und wirst das blaue Werk sehen.“

„Ich weiß nicht, ob ich mit Dir alleine in Dein Atelier gehen werde.“

„Du wirst keine Angst mehr haben, Elvira.“

Rico bedankte sich für das Gespräch, und Elvira glaubte nun, dass er Recht hatte. Sie hatte keine Angst mehr. Sie würde sich anhören, was Rico ihr über die Farbe Blau erzählen würde. Sie setzte sich für einen kurzen Moment in die Küche und suchte mit ihren Sinnen draußen auf der Gartenwiese das Blau.

Auf dem Rückweg vom Flughafen knüpfte Ernst Friedrich an das Gespräch über die Beziehung zwischen Jeannette und Richard an.

„Sei mir nicht böse, Richard aber ich bin einfach zu neugierig. Schließlich war Jeannette diejenige zu unserer Zeit, die jeder, den ich kenne, haben wollte. Keiner hatte sie bekommen. Bis heute. Und viele von den Ehemaligen glauben zu wissen, dass Du derjenige gewesen bist, der ihr – sagen wir mal – am nächsten gekommen war. Und ich würde gerne wissen, wie sich eure Beziehung entwickelt hat.“

„Ernst Friedrich, Du wirst es nicht glauben, ich bin ihr nicht so nahe gekommen, wie Du denkst. Im Gegenteil. Sie ist mir nahe gekommen. Aber nicht in dem platten Sinne, welche sich im Zweifel auf Sex bezieht, sondern in einer ganz anderen Weise.“

„Das glaube ich jetzt nicht! Obwohl ich zugestehen muss, dass sie sehr anders war als die anderen Mädchen. Aber wir haben - glaube ich – alle nur nach der Verfügbarkeit der Damen geschaut.“

„Was meinst Du mit Verfügbarkeit?“

„Na, ob man sie kriegen konnte.“

„Du meinst Sex?“

„Na ja, schon so. Da ist ja fast unser aller Thema gewesen. Die Kollegen, die Erfolg bei den Mädels hatten, wurden eben beneidet und als erfolgreich betrachtet. Das hat sich ja denn im Lauf der Jahre auch mächtig gewandelt. Aber darum geht es ja jetzt nicht mehr.“

„Darum ging es damals auch nicht mit Jeannette. Sie hat mich geführt.“

„Du meinst nicht verführt?“

„Quatsch, Ernst Friedrich. Wenn Du Dich an den ersten Teil unserer Gespräches über die Beziehung zu Jeannette erinnerst, dann wirst Du behalten haben, dass sie die wichtigsten Fragen und Antworten gestellt und gegeben hat, die mein Leben seitdem beeinflusst haben.“

„Du willst also sagen, dass ihr nur miteinander geredet habt und sonst nichts?“

„Doch, wir haben schon gut gekocht und ein paar gute Tropfen zusammen trinken können.“

„Dann seid ihr doch einfach fertig miteinander, oder? Wozu brauchst Du denn da noch ihre Adresse?“

„Ich möchte ihr einfach danken und ihr noch eine Antwort geben.“

„Eine Antwort? Auf welche Frage?“

„Auf eine nicht konkret gestellte.“

Ernst Friedrich stellte keine Fragen mehr. Sie erreichten sein Zuhause.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen machten Ernst Friedrich und Richard einen Ausflug zum Wannsee. Elvira besuchte die Kunstgalerie Poll in der Gipsstraße. Schließlich war die Firma von Ernst Friedrich dort einer der Förderer. Und dort hing ein neues Bild von Rico.

Ernst Friedrich brachte Richard nach dem Ausflug noch zum Hotel. Sie nahmen dort gemeinsam einen Drink. Als Ernst Friedrich nach Hause kam, hatte sich Elvira schon zurückgezogen.

Das Bild Komposition in Blau in der Galerie Poll hatte sie besonders fasziniert. Sie schloss die Augen, um sich das Bild im Geiste noch einmal anschauen zu können. Eva spürte beim Vorstellen der Farbe Blau eine sehnsüchtige, träumerische Stimmung. Sie entwickelte dabei eine Sehnsucht nach Geborgenheit und Ruhe. Sie hatte einen Traum. Einen Traum in Blau. Und sie erspürte die himmlischen Elemente der Ruhe. Sie geriet in einen Zustand des Fliegens. Im Fluge begegneten ihr Bilder. Blaue Bilder:

Der Lärm der Stadt versteckte sich hinter einer Wand aus leichter nebliger Durchsichtigkeit. Die hin- und wieder aufkreischenden Sirenen der Kranken- und Rettungswagen, welche ins nahe gelegene Krankenhaus fuhren, wurden zu einem nicht mehr zuzuordnenden Murmeln. Von den Türmen der Kirchen fielen die Schläge der Glocken wie das reife Summen einer Hummel in die Bilder. Sie wurde von den Bildern mehr und mehr mitgenommen. Horus, der falkenähnliche Sohn des Osiris, dessen Bedeutung Eva in einem Kunstkurs erfahren hatte, erhob sich aus dem üblen Grau einer Müllhalde und schob seinen blauen Oberkörper wie eine Erlösung von dem Übel in das langsam vorbeiziehende Bild. Sein Falkengesicht blieb starr. Nilpferde aus dem blauen Fluss unter dem dahin schwindenden Horus nahmen seinen Platz ein und wurden von aufsteigendem Wasser des fruchtbaren Flusses Nil umflossen. Aus den Rücken der glänzenden Tiere erwuchsen unbekleidete, mit blauer Lasur überzogene Frauenfiguren. Aus dem Gesamtbild erhoben sich neu und neu unbekannt Geschöpfe und Pflanzen, bis das Bild wie eine riesengroße Blase platzte.

Eine Blume mit großem Blütenkranz wie eine Sonnenblume neigte sich über die Schlafende und stärkte den süßen Schlummer. Unter reinem Himmelslicht spendete diese Blume blaues behütendes Licht, nahm allmählich in ihrem Inneren die Gestalt eines freundlichem stimmlosen Gesichtes an und hüllte alsdann das Spürbare mehr und mehr in diesem Lichte ein. Das Licht wurde milder und milder, In dem werdenden Dunkel wuchs die Struktur von Stoffen unter blau gefärbten Händen neben hölzernen Bottichen. Die Bottiche atmeten schwere übel riechende Dämpfe aus und übergaben sich in Bäche, welche eine kleine Stadt durchquerten. An den Seiten der Bäche liefen Menschen eingehüllt in blaue Gewänder. Sie schwiegen. Wie die Häuser, die sich mit ihren grauweißen Wänden hinter den Laufenden versteckten.

Das Traumbild folgte den bewegten Bächen. Die laufenden Figuren wurden kleiner und fielen an den Rändern aus dem Bild. Mit dem fließenden Blau aller vereinten Bäche strömte der Träumenden die Vielgestalt der Halme, Gräser, Büsche und Bäume entgegen. Alles beschützt von einem blauen Himmel, dessen Wolken nach eben diesem Blau strebten. Der Traum flog mit der Träumerin in nicht gezählte Stunden nach oben in diesen Himmel. Und sie schaute in die Tiefe, als sei die Welt aus blauem Glase….

Sie wird sich das Bild kaufen. Morgen. Komposition in Blau. Und sie wird ihre Sehnsucht annehmen. Sie wird sich zu ihrer Leidenschaft bekennen und bereit sein, sich ihren Gefühlen hinzugeben.

Der blaue Traum nahm Elvira zu sich und saugte sie in sich auf wie ein Wirbelsturm, bis sie in dessen windstille Mitte gelangte.

Der rasierte Fisch

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