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Richard Benn stand vor einem der Badezimmerspiegel im Hotelzimmer des Intercontinental in der Budapester Straße in Berlin und strich sich seinen blonden Schnauzbart mit Daumen und Zeigefinger. In seinem Kopf surrten noch die jüngsten Informationen der zuletzt gehörten Nachrichten aus der Wirtschaft über Steuerhinterziehungen, Leergeschäfte mit Derivaten, weit verteilter Gier und Verschiebungen von Verantwortlichkeiten. Richard gab sich kurz kritischen Gedanken hin. Fast jeder ist ein möglicher Steuerhinterzieher, Feind des Systems der so genannten Sozialen Marktwirtschaft und nutzt es doch für sich selbst. Ob arm oder reich. Der Mensch ist eine Gefahr für sich. Es gibt ja so viel Gier und Korruption. Sie gefährden das gesamte Wirtschaftssystem. Ich will da nicht mitmachen. Ich werde nicht so sein wie die anderen Manager.

Im Spiegel sah Richard sich, den zukünftigen Marketing Manager der SignaTec AG, einem international arbeitenden Technologieunternehmen im IT-Bereich. Gegen eine ganze Schar von Mitbewerbern um diese Position hatte er sich durchgesetzt. Er hatte gewonnen. Er fühlte sich wohl wie ein Fisch im Wasser. Sein fachliches Wissen hatte er sich ohne jegliche Protektion und nur durch besondere Leistungen angeeignet und war stolz auf seine bisherigen Erfolge. Kein stützendes Netzwerk, dem er etwas schulden müsste. Er wollte seinen eigenen Stil beibehalten. Sollten doch die anderen Manager sein und handeln wie immer sie wollten! Er wollte dem aktuellen durch die Finanzkrise geschädigten Klischee von Managern nicht entsprechen.

Als vor wenigen Tagen der Anruf aus Berlin gekommen war, hatte er gerade seiner Frau Angelika und den Kindern, Andrea und Julian, erklärt, dass sie vielleicht von zu Hause in Bielefeld nach Berlin umziehen würden. Dort habe er studiert und würde die Stadt kennen. Das sei vor über zehn Jahren gewesen. Nach diesem Anruf ging alles sehr schnell. Richard stimmte sich mit dem Chef der Personalberatungsgesellschaft, Dr. Willy Bladade, wegen der Flugverbindungen und eines letzten vorbereitenden Gespräches ab. Er rief seinen ehemaligen Studienkollegen Ernst Friedrich Peters, der auch seine Frau Angelika seit einem gemeinsamen Urlaub kannte, an und teilte ihm mit, dass er zu einem entscheidenden Vorstellungsgespräch nach Berlin müsse. Ernst Friedrich erkundigte sich nach dem genauen Zeitplan.

„Das würde ja prima passen. Wir haben gerade an dem Tag Deines geplanten Besuches in Berlin eine Party geplant. Wenn es klappt, dann kommst Du mit Angelika zu uns und wir feiern zusammen.“

„Ich wollte eigentlich alleine fliegen.“

„Es ist besser, wenn Angelika mitkommt.“

„Das hat der Personalberater auch gesagt. Manchmal wollen sie die Frau des Kandidaten sehen.“

„Also, abgemacht! Wenn Du willst, seid Ihr mit auf der Party. Ihr könntet auch hier schlafen. Und – es wird einen Überraschungsgast geben.“

Richard erinnerte sich gerne an die gemeinsame Studienzeit. Ernst Friedrich und er waren damals gemeinsam auf vielen der Studentenfeste gewesen. Da würde es sicher viel zu erzählen geben. Würde. Zunächst musste das entscheidende Vorstellungsgespräch stattfinden. Erfolgreich. Dr. Willy Bladade, Geschäftsführer der Personalagentur, traf sich mit Richard vor dem Gespräch bei der SignaTec AG im Foyer des Hotels Intercontinental. Richard hatte sich entschieden, nicht bei Ernst Friedrich zu übernachten, sondern mit Angelika in ein Hotel zu gehen. Sie würden im Erfolgsfalle noch über das Wochenende in Berlin bleiben. Dafür hatte Angelika ihre Freundin Gisela zu Hause als Babysitter eingeladen. Dr. Bladade gab Richard Benn noch einige letzte Hinweise vor dem entscheidenden Gespräch mit dem Vorstand.

„Es ist gut, dass Ihre Frau mitgekommen ist. Ein separates Gespräch mit ihr wird wahrscheinlich nicht stattfinden. Trotzdem ist es gut, wenn der zuständige Vorstand weiß, dass Ihre Frau sich mit Ihrer beruflichen Entwicklung identifiziert. Diesen Vorstand, Ihren zukünftigen Chef, kenne ich schon seit einigen Jahren. Er orientiert sich in aller Regel nach meinen Empfehlungen. Prägen Sie sich bitte seinen Namen ein: Dr. Ferdinand Hartweich. Er ist ein alter Hase und seit einigen Jahren als Vorstand im Konzern. Technologisch ist er nicht unbedingt an vorderster Front, aber dafür hat er ja seine Leute.

Und hier sollen Sie mit Ihren speziellen Kenntnissen über Fernüberwachungssysteme wirksam werden. Es gab bereits früher ein Projekt zu diesem Thema. Das war augenscheinlich nicht sehr erfolgreich. Jetzt wird es neu aufgelegt. Sie können dieses Projekt als Fachmann leiten. Und das ist oder wird kurzfristig eine Schlüsselfunktion im Konzern. Es passt zu Ihrer bisherigen beruflichen Entwicklung. Es gehört zu den strategischen Projekten des Konzerns und wird im Erfolgsfalle Ihrer Karriere gut tun.“

Richard hatte während seines Studiums eine besondere Zusatzausbildung für Fernüberwachungssysteme erfahren und kannte sich in dieser Welt besonders gut aus. Er war Spezialist auf diesem Gebiet.

„Sie sind unser Mann.“

Das war der entscheidende Satz aus dem Munde des Vorstandes, den sich Richard hier im Badezimmer des luxuriösen Hotels in der Budapester Straße wieder und wieder vorsagte. Er konnte stolz auf sich sein. Er ist als Marketing Manager bei der SignaTec eingestellt worden. Er strich sich mit den Fingern durchs Haar und kehrte in das großräumige Hotelzimmer zu seiner Frau Angelika zurück.

„Wenn Du willst, können wir jetzt zu der Party gehen.“

„Gut, gehen wir!“

Der rasierte Fisch

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