Читать книгу Sklavin am Ohio - Gerwalt Richardson - Страница 8
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DIE LEUTE starrten sie an, wie sie rothaarig, verdreckt und in grobe Wolle gehüllt die Landstraße entlang wanderte, aber niemand sprach sie an oder versuchte, sie aufzuhalten. Caitlin konnte immerhin leidlich Französisch – schließlich waren die Ó Neills weder Dummköpfe noch ungebildet –, und so gelang es ihr, den Weg nach Saint Malo zu erfragen. Sie schlief in Heuschobern; hier in Frankreich war es auch etwas wärmer als in Irland, und sie trank Milch von den Kühen auf der Weide, die sie in der Nacht heimlich in ihren hölzernen Becher molk. So blieb sie am Leben, bis sie die Hafenstadt erreichte. In Saint Malo brauchte sie nicht lange zu suchen, bis sie den Richtigen gefunden hatte.
»Du möchtest also nach Neufrankreich?«
Der Werber schien nicht ganz abgeneigt.
»Kannst du die Überfahrt denn bezahlen?«
Caitlin schüttelte den Kopf.
»Habt ihr denn genügend Frauen, die bereit sind, nach Neufrankreich zu gehen?«, fragte sie.
Der Werber wiegte den Kopf hin und her.
»Eigentlich nicht. Du bist nicht dumm, Mädchen, auch wenn du nicht aus der Gegend bist.«
Caitlin bemerkte, dass sein Blick über ihren Körper glitt wie eine liebkosende Hand. Sie schüttelte sich innerlich.
»Wovon willst du dort überhaupt leben? Willst du dich als Hure durchschlagen?«
Caitlin knirschte mit den Zähnen, aber sie sagte nichts.
Der Werber lachte gutmütig.
»Mädchen, der Mann, der dich da drüben kriegt, der hat nichts zu lachen. Und trotzdem ist er ein Glückspilz.«
»Kann ich jetzt auf das Schiff oder nicht?«
»Ja, meinetwegen. Ich spreche mit dem Reeder. Nein, nein« – er machte eine übertrieben gespielt abwehrende Geste – »du brauchst mir aus Dank keinen zu blasen; ich wäre deinem rothaarigen Temperament sowieso nicht gewachsen.«
Zu gerne wäre Caitlin jetzt zornentbrannt davon gestoben, doch sie hätte nicht gewusst, wohin. So zwang sie sich zu einem Lächeln, welches allerdings etwas verbissen ausfiel.
Die Neptune, das Schiff, welches in diesem Jahr die Überfahrt nach Neufrankreich wagen sollte, war eine Fleute, ein bauchiges Handelsschiff mit Rahsegeln. Die Neptune war kein wirklich schönes Schiff; die Heckaufbauten ragten zwar hoch empor, waren aber an den Seiten weit eingezogen. Insgesamt ähnelte das Schiff nach Caitlins Wahrnehmung ein wenig einem im Wasser treibenden Fass. Andererseits zweifelte sie nicht daran, dass die Neptune sie sicher in die neue Welt zu bringen im Stande wäre.
Bis zur Abfahrt würde es noch einige Wochen dauern; der Werber – er hatte offensichtlich wirklich einen Narren an Caitlin gefressen – hatte ihr eine Unterkunft im Hafen besorgt, einen Verschlag, den sie mit zwei mürrischen alten Frauen teilen musste. Wie sie flickte Caitlin nun für etwas Brot, Fisch und Wein die Netze der Fischer. Keine sehr reichhaltige Verpflegung, aber Caitlin besserte in dieser Zeit immerhin ihr Französisch auf.
Je näher der Tag der Abfahrt rückte, desto mehr Menschen kamen in San Malo an, welche die Reise nach Neufrankreich wagen wollten. Es handelte sich vorwiegend um Männer; die wenigen Frauen, die Caitlin sehen konnte, waren wohl bereits mit Auswanderungswilligen verheiratet. Kinder konnte Caitlin keine entdecken.
Eines verwunderte Caitlin allerdings: die Tatsache, dass sie in Saint Malo, welches sich schließlich rühmte, der berühmte Hafen der Entdecker und Korsaren zu sein, so erstaunlich wenig über Neufrankreich in Erfahrung bringen konnte.
Ein riesiges, bewaldetes Land an einem großen Fluss, zumeist freundliche Eingeborene und strenge Winter, so hieß es, nichts weiter.
Aber letzten Endes hatte sie kaum eine Wahl: In Irland wäre sie getötet oder versklavt worden, in Frankreich selbst konnte sie nicht bleiben. So blieb ihr nur die neue Welt.
Am Abend vor der Abreise breitete Caitlin ihre Habseligkeiten auf dem Mantel aus. Viel war es nicht. Ihr Messer, ein hölzerner Löffel, ein Becher, ebenfalls aus Holz. Ein beinerner Kamm. Ein Beutel, um alles darin zu verstauen. Die Kleider, welche sie am Leib trug. Der Mantel, mit dem sie sich in der Nacht auch zudeckte.
Ziemlich wenig für einen Neuanfang in einer anderen Welt, dachte sie, dann legte sie sich zum letzten Mal zu den mürrischen beiden Alten in den Verschlag. Am anderen Morgen stand sie auf und ging, ohne sich zu verabschieden.
Die Abfahrt der Neptune gestaltete sich zum Spektakel. Als sie alle, die Auswanderer, die Matrosen und Offiziere und schließlich auch der Kapitän, an Bord gegangen waren, hielten der Reeder und der Bürgermeister je eine ergreifende Rede, denen Caitlin inzwischen immerhin leidlich folgen konnte. Sie verstand sogar so gut, dass sie zwischen den Zeilen zu hören glaubte, dass der französische König einerseits nur mäßiges Interesse an dem neuen Land entwickelt zu haben schien, andererseits dem Regenten ein nicht abreißender Strom wohlfeiler Biberfelle gleichwohl hochwillkommen sein würden. Mit anderen Worten, und dieses dachte Caitlin natürlich auf Gälisch, die Kolonisten würden in der neuen Welt weitgehend auf sich selbst gestellt sein. Sie hoffte nur, die auf Französisch gehaltenen Reden nicht richtig verstanden zu haben.
An der Kaimauer von Saint Malo hatten sich inzwischen wohl nahezu alle Einwohner der Stadt versammelt, jubelnd und ihre Hüte schwenkend. Mehrere große Ruderboote wurden jetzt vor das Schiff gespannt, um es hinter der Mole hervor auf das offene Meer hinaus zu ziehen. Dann verließen Bürgermeister und Reeder das Schiff mit den zurückrudernden Booten, die Segel der Neptune füllten sich, und die Reise begann.
Es war sehr eng unter Deck, und oben wurden sie nur kurzzeitig geduldet, damit sie der Schiffsmannschaft nicht im Weg waren. Caitlin zählte etwa siebzig Personen, die sich auf dem Zwischendeck drängten. Jeder hatte es sich zwischen seinen Habseligkeiten so bequem wie möglich gemacht. Nach einigen Tagen waren verschiedene Grüppchen entstanden, Notgemeinschaften, welche das Gepäck einzelner bewachten, damit der Besitzer unbesorgt an Deck gehen konnte, um seine Notdurft zu verrichten und frische Luft zu schnappen. Der Gestank, welcher in dem schlecht belüfteten Zwischendeck herrschte, war unbeschreiblich, doch Caitlin gewöhnte sich erstaunlich rasch an ihn. An die Blicke der Männer dagegen nicht. Caitlin wurde schmerzlich bewusst, dass sie nicht nur die einzige Frau auf dem Schiff war, die keinen Partner oder Beschützer aufweisen konnte, sondern dass sie auch insgesamt zwischen allen Gruppierungen stand. Schon bei einem der ersten Aufenthalte an Deck hatte sie daher einen Belegnagel gestohlen, einen etwa einen Fuß langen Eichenknüppel von gut anderthalb Zoll Durchmesser, mit dem an Deck die Seile der Takelage gesichert wurden. Caitlin sollte ihn bald brauchen.
In der Nacht war es nie ganz dunkel auf dem Zwischendeck, eine einzelne Laterne erzeugte ein Zwielicht, in dem die Menschen immerhin schemenhaft zu erkennen waren. Caitlin wachte jetzt auf, weil sich jemand an ihrem Kleid zu schaffen machte; eine tastende Hand war bereits unter ihren Röcken. Sie brauchte einige Augenblicke, bis sie realisiert hatte, was gerade vorging, dann packte sie den Belegnagel und schlug zu. Ein dumpfer Schmerzenslaut zeigte an, dass sie getroffen hatte, und der Mann trollte sich.
Dieses Spiel wiederholte sich von nun an mehrmals in jeder Nacht, und auch tagsüber war es ihr nicht vergönnt, die Augen zu schließen, ohne belästigt zu werden. Schon nach einigen Tagen war Caitlin am Ende ihrer Kräfte. Zum einen begannen die Kerle, sich zusammenzurotten, zum anderen schenkte niemand der anderen Passagiere den Vorgängen um sie Aufmerksamkeit, obwohl Caitlin mehrfach laut gefordert hatte, man möge sie in Ruhe lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr in der Lage sein würde, den zudringlichen Kerlen Widerstand zu leisten. Die Männer waren nicht gewalttätig, aber die andauernde und beharrliche Zudringlichkeit zermürbte Caitlin. In ihrer Not sprach sie schließlich den Quartiermeister an.
Der schüttelte nur den Kopf.
»Lass mir bloß meine Matrosen in Ruhe, du Dirne, sonst lasse ich dich in Eisen legen.«
»Wenn dort keine geilen Hurenböcke sind, die mir den Schlaf rauben, dann könnten wir da ohne weiteres ins Geschäft kommen.«
Der Quartiermeister, ein vierschrötiger Kerl mit einem ordentlichen Wanst, lachte gutmütig.
»Tut mir leid, Rotschopf, ich kann dir wirklich nicht helfen. Das Schiff ist voll beladen mit Vorräten für die Siedler, es gibt leider kein freies Fleckchen für dich, wo du geschützt wärst.
Ich kann dir nur einen Rat geben: Nimm dir den größten Rabauken und mach ihn zu deinem Liebhaber, dann hast du wenigstens vor den anderen Ruhe.«
»Danke, darauf wäre ich selbst nie gekommen!«, fauchte Caitlin ungnädig und stob davon. Sie blieb an Deck; hier unter den Augen der Mannschaft war sie sicherer als unten im Laderaum. Sie kauerte sich im Windschatten der Bordwand zusammen und schlief sofort ein.
Ein leichter Tritt in die Seite weckte sie wieder. Der Quartiermeister stand über ihr.
»Marsch, nach unten mit dir, deine Zeit ist längst um.«
Er lächelte, und Caitlin registrierte, dass sie tatsächlich einige Stunden geschlafen haben musste, es wurde bereits dunkel. Sie fühlte sich nun etwas besser, doch diese Nacht sollte die bisher schlimmste ihrer Reise werden. Gleich mehrere Kerle versuchten zur selben Zeit, sich ihrer zu bemächtigen. Caitlin drosch wild mit dem Belegnagel um sich, was die Bemühungen ihrer Verehrer jedoch nicht wesentlich zu schmälern schien. Schließlich wusste Caitlin sich nicht mehr zu helfen und schrie lauthals um Hilfe.
»Halt’s Maul, du Hure!«
»Rechtschaffene Leute wollen schlafen!«
»Bring sie endlich einer zum Schweigen, diese geile Dirne!«
Caitlin war schockiert über die Gleichgültigkeit ihrer Mitreisenden, und dann kam eine heiße Wut über sie. Hasserfüllt schlug sie jetzt mit aller Kraft nach den Köpfen der Kerle, die sie bedrängten. Es krachte schrecklich, und der eine oder andere ging zu Boden. Die Meute löste sich schließlich auf. Schwer atmend drückte sich Caitlin in eine Ecke an der Schiffswand und rollte sich zusammen.
In dieser Nacht wurde sie tatsächlich nicht mehr belästigt, doch am nächsten Morgen stand einer der Männer nicht mehr auf.
Offensichtlich hatte jedoch niemand wirkliches Interesse daran, den Vorfall aufzuklären, und gegen Abend wurde ein großes Stoffbündel ohne weitere Zeremonie über Bord geworfen.
In der nächsten Nacht schlief Caitlin immerhin weitgehend unbehelligt. Doch in der darauf folgenden nahm wieder alles seinen alten Gang, und Caitlin verzweifelte. Sie war jetzt gerade erst vierzehn Tage auf dem Schiff, und die Reise würde noch etliche Wochen dauern.
Sie fühlte sich am Ende ihrer Kräfte und wusste nicht mehr weiter.
Als sie dann wieder einmal an Deck war, kam eine der wenigen anderen Frauen auf sie zu.
»Ich bin Madeleine Renard, meine Liebe, und ich reise zusammen mit meinem Mann Albert und meinem Schwager Jean. Wir kommen aus der Stadt Amiens. Wollt Ihr Euch nicht zu uns gesellen? Ich denke, die Reise würde für Euch sicherlich angenehmer verlaufen, als wenn Ihr alleinstehend seid.«
Caitlin musterte die Frau einen Augenblick lang. Madeleine war groß und grobknochig, sie hatte ein rundes Gesicht und blondes, glattes Haar, und sie schien von einem offenen geradlinigen Wesen zu sein.
Der Schwager ist unverheiratet, dachte Caitlin; ich werde bezahlen müssen. Aber sie hatte keine Kraft mehr, sich gegen das Unvermeidliche aufzulehnen, und die Möglichkeit, die sich ihr hier bot, war sicherlich nicht schlechter als andere. Sie nickte.
»Es würde mich freuen, Eure Bekanntschaft zu machen«, sagte sie.
Madeleine nahm sie am Arm, und sie spazierten zusammen auf dem Deck auf und ab.