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Kapitel 3 »Dieses Weltuntergangs-Wetter« Die Ungeheuer von Genf

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Vor Beginn des berüchtigten Nicht-Sommers 1816 trat die achtzehnjährige Mary Godwin zusammen mit ihrem Geliebten Percy Bysshe Shelley und ihrem gemeinsamen Baby die Flucht in die Schweiz an, um der frostigen Atmosphäre im Haus ihres Vaters in London zu entkommen. Marys jüngere Stiefschwester Claire Clairmont begleitete sie, nur zu begierig, sich mit ihrem Liebhaber, dem Dichter Lord Byron, wiederzuvereinen, der eine Woche zuvor von England nach Genf abgereist war. Marys andere Schwester, die stets entbehrliche Fanny, wurde zu Hause gelassen. Das triste, oftmals entsetzliche Wetter im Sommer des Jahres 1816 ist ein Probestein in der anschließenden Korrespondenz der Schwestern. In einem Brief an Fanny, den sie nach ihrer Ankunft in Genf verfasste, beschreibt Mary – in einer haarsträubenden Sprache, die bald Eingang in ihren Roman Frankenstein finden sollte – ihren Alpenaufstieg »inmitten eines heftigen Unwetters aus Sturm und Regen«. Es war »äußerst kalt« und die Dorfbewohner klagten über das verspätete Eintreffen des Frühlings. Bei ihrem Abstieg aus den Alpen Tage später ruinierte ihnen ein Schneesturm den Blick auf Genf und dessen berühmten See. In ihrem Antwortbrief drückt Fanny ihr Mitgefühl für Marys Pech aus und berichtet, auch in London sei es »schrecklich schauderhaft und regnerisch«, und obendrein sehr kalt.1

Stürmische Nordostwinde sind im Sommer für das Wetter in Genf normal, wo sie aus den Bergen herabpfeifen und das Wasser des Sees zu einem Schaum-Scirocco aufpeitschen. Ab Anfang Juni 1816 nahmen diese alljährlichen Stürme allerdings eine wilde Intensität an, wie man sie davor und danach nicht erlebt hat. Marys berühmter zweiter Brief an Fanny ist eines der anschaulichsten Dokumente, die wir über das heftige vulkanische Wetter im Sommer 1816 in der Schweiz besitzen: »Beinahe unablässiger Regen bringt uns dazu, hauptsächlich zu Hause zu bleiben«, schreibt sie am 1. Juni aus dem Maison Chappuis, das sie am Ufer des Genfer Sees gemietet hatten. »Eines Nachts kamen wir in den Genuss eines Sturms, großartiger, als ich es je zuvor gesehen habe. Der See stand in Flammen – die Kiefern des Jura wurden sichtbar gemacht, und die ganze Landschaft war für einen Augenblick erleuchtet, als pechschwarze Finsternis obsiegte und der Donner in furchtbaren Schlägen über unsere Köpfe hinweg in die Dunkelheit fuhr.«2 Ein Tagebuchschreiber im nahegelegenen Montreux verglich die körperliche Reaktion auf diese ohrenbetäubenden Donnerschläge mit einem Herzinfarkt.3

Das Jahr 1816 bleibt der kälteste und nasseste Sommer in Genf seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1753. Dieses unvergessliche Jahr, 130 Tage Regen zwischen April und September, ließ den Genfer See so stark anschwellen, dass er die Stadt überflutete. Oben in den Bergen wollte der Schnee einfach nicht schmelzen.4 Die Wolken hingen schwer am Himmel, und es wehte ein schneidend kalter Wind. In einigen Teilen der überschwemmten Stadt blieb als einziges Fortbewegungsmittel das Boot. Ein kalter Nordwestwind aus dem Jura – von den Einheimischen joran genannt – fegte erbarmungslos über den See. Der Tagebuchschreiber in Montreux bezeichnete die anhaltenden Schneefälle und le joran als »die zwei bösen Geister von 1816«.5 Touristen klagten, sie würden wegen des fortwährenden Windes und der Lawinen, die in den Ebenen weite Flächen unter Schnee begruben, die berühmte pittoreske Landschaft nicht wiedererkennen.

Am Abend des 13. Juni 1816 stand Lord Byron, der prachtvoll residierende Nachbar der Shelleys, auf dem Balkon der Villa Diodati direkt am See und erlebte »den mächtigsten Sturm«, den er – als der weitgereiste Adlige, der er war – jemals gesehen hatte. Er verewigte diese tumulthafte Nacht in seinem weithin populären Epos Childe Harolds Pilgerfahrt:

Der Himmel wechselt. Welch ein Wechsel! Kühn

Und furchtbar seid ihr, Nacht und Sturmesdrang, entlang

Die krachenden Felsen, hüpft von Hang zu Hang

Der Donner. Doch nicht ein Gewölk nur dräut,

Nein, jeder Fels fand seiner Sprache Klang,

Wie dort phosphorisch glänzt das Seerevier!

Wie dicht der Regen tanzend niederfällt!

Und nun ist’s wieder schwarz, nun für und für

Ertönt der Hügel Lust, es kracht und gellt

Und jauchzt, als ob ein jung Erdbeben käm’ zur Welt!6

In Byrons Fantasie nehmen die vom Tambora verursachten Stürme des Jahres 1816 vulkanische Dimensionen an – »als ob ein jung Erdbeben käm’ zur Welt« – und finden Gefallen an ihrer Zerstörungskraft.

Was war die Ursache für das fürchterliche Wetter in Großbritannien und Westeuropa in den Jahren 1816 und 1817? Warum so viel Regen und so viele verheerende Orkane?

Die Beziehung zwischen Vulkanismus und Klima ist abhängig vom Explosivitätsgrad. Auswurfmaterial und Gase einer Eruption müssen weit genug nach oben in den Himmel gelangen, sodass sie die Stratosphäre erreichen, wo sich dann, in deren kälteren unteren Schichten, Sulfat-Aerosole bilden. Diese dringen sodann in die meridionalen Strömungen des globalen Klimasystems ein und verändern die normalen Muster von Temperatur und Niederschlag auf beiden Hemisphären. Beim Ausbruch das Tambora im April 1815 wurden ungeheuer große Volumen an lange aufgestautem Gestein und Gasen mehr als 40 Kilometer hoch in die Stratosphäre geschleudert. Diese vulkanische Wolke – die aus bis zu 50 Kubikkilometer Material bestand – verteilte sich schließlich in der Erdatmosphäre über eine Million Quadratkilometer weit, ein Aerosolschirm, der sechs Mal größer als 1991 die Wolke des Pinatubo war.


Abbildung 15 und 16 Links eine Porträtskizze von Mary Shelley mit achtzehn Jahren, als sie sich in Genf aufhielt. In jener Zeit wurden mehrere Porträts von ihr angefertigt, doch diese faszinierende Skizze ist das einzige Bild, das die Zeit überdauert hat (auch wenn Zweifel an seiner Authentizität bestehen). Es erinnert uns daran, wie jung die Autorin des Frankenstein im Sommer 1816 noch war. Rechts Percy Bysshe Shelley, wie er 1819 mit achtundzwanzig Jahren aussah.

In den ersten Wochen nach der Eruption des Tambora fiel eine Unmenge gröberer Aschepartikel – vulkanischer »Staub« – vermischt mit Regen zurück auf die Erde. Doch das Material geringerer Größe – Wasserdampf, Schwefel- und Fluorgasmoleküle sowie feine Ascheteilchen – blieb weiter in der Stratosphäre gelöst, wo eine Abfolge an chemischen Reaktionen zur Bildung einer 100 Megatonnen schweren Schicht aus Sulfat-Aerosolen führte. Im Laufe der folgenden Monate dehnte sich diese dynamische bandartige Aerosolwolke – in der Größe viel kleiner als das anfängliche vulkanische Auswurfmaterial – allmählich aus und formte einen Molekülschirm, der die ganze Erde umhüllte und mit den Höhenwinden und den meridionalen Strömungen global verteilt wurde. Im Laufe einer achtzehn Monate dauernden Reise trieb diese Wolke über den Süd- wie den Nordpol und hinterließ dabei einen verräterischen Sulfatabdruck auf dem Eis, den die Paläoklimatologen eineinhalb Jahrhunderte später nachweisen konnten.

Als er es sich einmal im trockenen Firmament der Stratosphäre gemütlich gemacht hatte, zirkulierte der globale Schleier des Tambora über den Wetterdynamiken der Atmosphäre, also in angenehmer Distanz zu den Regenwolken, die ihn hätten zerstäuben können. Von da aus warf der den Planeten umspannende Aerosolfüm bis Anfang 1818 die kurzwellige Sonnenstrahlung zurück ins All und ließ gleichzeitig einen Großteil der langwelligen Strahlungswärme von der Erde in den Weltraum entweichen. Die daraus resultierende dreijährige Abkühlung, die durch die Strömungen der weltweiten großen Wettersysteme ungleich verteilt wurde, beeinträchtigte manche Regionen auf dem Globus (Russland zum Beispiel und die Vereinigten Staaten jenseits der Appalachen) nur wenig, bewirkte jedoch in anderen Gegenden, darunter Europa, einen wirklich drastischen jahreszeitlichen Temperaturrückgang von 2,8 bis 3,3 °C.


Abbildung 17 Die Grafik zeigt, wie die leichteren vulkanischen Partikel in die Stratosphäre vordringen. Dort bildet sich, da vulkanisches Schwefeldioxid chemisch in Schwefelsäure umgewandelt wird, eine Aerosolschicht, die die ankommende Strahlung der Sonne abschirmt und die Oberfläche der Erde abkühlt, auch wenn die Stratosphäre selbst aufgeheizt wird.

Die erste extreme Auswirkung eines großen Ausbruches in den Tropen ist die raue Temperatur. Doch in Westeuropa verursachte 1816 eine Überschwemmung biblischen Ausmaßes in der sommerlichen Wachstumsphase die schlimmste Verwüstung. Um diese veränderten Niederschlagsmuster, die vom vulkanischen Wetter herrühren, verstehen zu können, müssen wir zunächst die Prinzipien der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre kennen. Aufgrund der Neigung der Erde in ihrer Position zur Sonne und der unterschiedlich hohen Wärmeabsorption von Land und Meer schwankt die Sonneneinstrahlung rund um den Globus. Die ungleichmäßige Erwärmung wiederum sorgt für ein Gefälle bei Luftdruck und Temperatur, das sich über alle Breitengrade zieht. Die Temperatur- und Luftdruckgegensätze werden beim Wetter in Form von Winden greifbar. Diese transportieren die Wärme aus den Tropen zu den Polen, mildern Temperaturextreme ab und treiben verdunstetes Wasser von den Ozeanen über das Land, wo es das Wachstum von Pflanzen und Tieren fördert. Die Hauptströmungen der meridionalen Zirkulation, die Tausende von Kilometern breit sind, befördern Energie und Feuchtigkeit horizontal über den Globus und schaffen so die Kontinente umfassenden Wettermuster. Gleichzeitig führt, in geringerem Maße, die Umverteilung von Wärme und Feuchtigkeit in der vertikalen Säule der Atmosphäre zu den lokal begrenzten »Wetter«-Phänomenen wie etwa Gewittern.

Im Sommer nach dem Tambora-Ausbruch allerdings heizte die Aerosolladung der Stratosphäre die obere Schicht auf, die auf die Atmosphäre niederdrückte. Die »Tropopause«, welche die Decke der Erdatmosphäre bezeichnet, sank tiefer, kühlte die Lufttemperaturen ab und drängte die Jetstreams, Orkanbahnen und meridionalen Strömungen von ihrem ursprünglichen Kurs ab. Bis Anfang 1816 hatte die fröstelnde Umhüllung des Tambora über dem Nordatlantik zu einem Strahlungsdefizit geführt und so die Dynamik der entscheidend wichtigen Nordatlantischen Oszillation verändert. Langsamer umwälzendes warmes Wasser nördlich der Azoren pumpte eine Überlast an Feuchtigkeit in die Atmosphäre und sättigte den Himmel, während es auch den Temperaturgradient verstärkte, der die Winde antreibt. Zur gleichen Zeit sank der Luftdruck in Höhe des Meeresspiegels auf den mittleren Breiten des Nordatlantiks, wodurch die Bahnen der Zyklone nach Süden geschoben wurden. Hubert Lamb, der britische Pionier der Klimageschichte, hat berechnet, dass das einflussreiche isländische Tiefdrucksystem sich in den kalten Sommern der 1810er Jahre, verglichen mit den Standards des zwanzigsten Jahrhunderts, um mehrere Breitengrade nach Süden verlagerte und sich im ungewohnten Gebiet der Britischen Inseln festsetzte, was überall in Westeuropa eine kältere und nassere Witterung zur Folge hatte.7


Abbildung 18 Weymouth Bay, 1816 (Öl auf Leinwand), von John Constable (1776–1837).

In ganz Britannien ließ eine radikale Spitze der Westwinde in Orkanstärke Kolonnen regengeschwängerter Wolken Monat für Monat vom Atlantik heranmarschieren – eine stürmische graue Armee, die überall auf den Britischen Inseln und im Westen des Kontinents Leid über die Bauern brachte. Auf einem Gemälde Constables aus dem Oktober 1816 liegt Weymouth Bay – eine hübsche geschützte Bucht an der Südküste Englands, wo der Künstler seine Flitterwochen verbrachte – im fragilen Sonnenschein unter einem aufgewühlten grau-schwarzen Himmel. Zwei optimistische Strandbesucher – möglicherweise Constable und seine frisch angetraute Ehefrau – werden mit Sicherheit gleich klatschnass. Überall wehten die vulkanischen Winde heftig. Die größere Nordatlantische Oszillation, der Hauptmotor für das europäische Wettergeschehen, hatte auf eine anomale positive Phase umgeschaltet, als sei sie auf Steroiden.

Sowohl Computermodelle wie auch historisches Datenmaterial zeichnen ein dramatisches Bild der durch den Tambora-Ausbruch verursachten Stürme, die auf Großbritannien und Westeuropa einhämmerten. Kürzlich zeigte eine Computersimulation, die das National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder erstellte, im Anschluss an eine große Eruption in den Tropen starke Westwinde im Nordatlantik, während eine parallel laufende Analyse auf der Basis der Multi-Proxy-Rekonstruktionen von Vulkanfolgen für das europäische Klima seit 1500 zu dem Schluss kam, dass vulkanisches Wetter eine erhöhte »Verfrachtung maritimer Luft vom Nordatlantik« auslöst, was »stärkere Westwinde« und »anomal nasse Bedingungen über Nordeuropa« bedeutet.8

Doch zurück zu den auf dem Boden beobachteten Wetterphänomenen. Hier wurde in einer archivalischen Analyse des schottischen Wetters festgestellt, dass in der Zeit von 1816 bis 1818 Winde in Orkanstärke Edinburgh in einer Häufigkeit und Intensität trafen, denen in den mehr als zweihundert Jahren der Wetteraufzeichnungen nichts gleichkommt.9 Im Januar 1818 zerstörte ein besonders heftiger Sturm die beliebte St. John’s Chapel im Herzen der Stadt. Die Verlangsamung der Meeresströmungen infolge der verringerten Sonneneinstrahlung nach der Tambora-Eruption hatte dazu geführt, dass sich anomale Mengen aufgeheizten Wassers durch das kritische Gebiet zwischen Island und den Azoren (Motor der Nordatlantischen Oszillation) wälzten, den Luftdruck abschwächten, die Westwinde verstärkten und gigantische Stürme entstehen ließen.

Genau in dieser buchstäblich elektrischen Atmosphäre kam der Shelley-Kreis in Genf, gemeinsam mit dem gefeierten Dichter Lord Byron, auf die Idee, einen Schauergeschichten-Wettbewerb zu veranstalten, um sich in diesem kalten ungestümen Sommer im Haus die Zeit zu vertreiben. Am Abend des 18. Juni 1816 – einem wichtigen Datum der Literaturgeschichte –, als draußen wieder ein vulkanischer Sommersturm tobte, lasen in der von Kerzen erleuchteten Finsternis der Villa Diodati Mary und Percy Shelley, Claire Clairmont, Byron und dessen Leibarzt und Freund John Polidori einander den neuesten Band mit Schauergedichten des Dichters Coleridge vor. In seinem Kinofilm aus dem Jahr 1986 über den Shelley-Kreis in jenem Sommer stellt sich der umstrittene britische Filmregisseur Ken Russell vor, wie Shelley Opiumtinktur schluckt, während Claire Clairmont Byron, der in einem Sessel liegt, mit Fellatio beglückt. Gruppensex im Wohnzimmer mag, selbst für den Shelley-Kreis, wenig plausibel wirken, doch der Konsum von Drogen, inspiriert durch Coleridge, den obersten Dichter-Junkie, ist sehr wahrscheinlich. Wie sonst wäre zu erklären, dass Shelley bei Byrons Rezitation von Coleridge’s psychosexuellem Thriller »Christabel« schreiend aus dem Zimmer rennt, gequält von der Vision einer barbusigen Mary Shelley, die anstelle der Nippel Augen hat?10

Nach derartigen Faxen dachte sich Byron die Grundzüge einer modernen Vampirgeschichte aus, die der verbitterte Polidori sich später krallte und unter Byrons Namen als Satire über den grausamen aristokratischen Hochmut und die unersättliche sexuelle Gier seines Arbeitgebers veröffentlichte. Für Mary bildeten die gespenstischen Ereignisse dieser stürmischen Nacht den literarischen Grundstock für ihre noch wirren Überlegungen zu dem Wettbewerb, der zwei Abende zuvor ausgerufen worden war. Sie sollte eine eigene Horrorgeschichte über ein zum Untergang verurteiltes Ungeheuer verfassen, das während eines Sturms unbeabsichtigt zum Leben erweckt wird. Wie Percy Shelley später schrieb, schien der Roman gezeugt zu sein von »der grandiosen Energie und Schnelligkeit eines Sturms«.11 Und so geschah es, dass die einzigartigen kreativen Synergien dieser bemerkenswerten Touristenschar im Studentenalter – im Laufe ein paar weniger Wochen mit biblisch schlechtem Wetter – zwei singulare Ikonen der modernen populären Kultur hervorbrachten: Frankensteins Ungeheuer und den Byron’schen Dracula.12


Abbildung 19 Die Anzahl an Tagen mit extremen Höhenwinden, die in Edinburgh gemessen wurden, ging nach der Tambora-Eruption steil nach oben, wie die Grafik deutlich zeigt. Die zweite Spitze korrespondiert mit der meteorologischen Störung nach dem Ausbruch des Krakatau 1883.

Eine Woche nach dem denkwürdigen Abend des 18. Juni gingen Byron und Shelley beim Segeln auf dem Genfer See beinahe unter, da sie nicht merkten, wie aus dem Osten erneut ein starker Sturm aufzog. »Der Wind nahm stetig an Heftigkeit zu«, erinnerte sich Shelley, »bis es fürchterlich stürmte; und da er aus der entferntesten Ecke des Sees kam, erzeugte er Wellen von erschreckender Höhe und bedeckte die gesamte Oberfläche mit einem Chaos aus Gischt.« Wie durch ein Wunder fanden sie einen geschützten Hafen, wo selbst die sturmerprobten Einheimischen »verwunderte Blicke« wechselten. An Land waren Bäume entwurzelt oder durch Blitzschläge zerstört worden.13

Die pyrotechnischen Blitz-Shows im Juni 1816 befeuerten die literarische Fantasie von Mary Shelley und Lord Byron. In der vielleicht berühmtesten Strophe von Childe Harolds Pilgerfahrt –»Könnt’ ich verkörpern und dann von mir geben,/Was in mir webt« (3. Gesang, 97. Strophe; übertragen von Adolf Seubert) –definiert Byron den emotionalen »Ausdruck« selbst mit dem einen Wort »Blitz«. Ähnlich verwendet Mary Shelley im Frankenstein das Erlebnis eines heftigen Unwetters als Kulisse einer schicksalhaften Eingebung für ihren jungen, dem Untergang geweihten Wissenschaftler:

Als ich fünfzehn Jahre alt war, wurde ich … Zuschauer bei einem heftigen, schrecklichen Unwetter. Es kam von den Bergriesen des Jura herangebraust und der Donner brüllte furchtbar aus allen Himmelsrichtungen. Mit Neugierde und Entzücken verfolgte ich die verschiedenen Phasen des Gewitters. Ich stand am Tor, als plötzlich eine helle Feuersäule aus der alten, herrlichen Eiche emporschoss, die etwa zwanzig Meter vom Hause entfernt stand. Und als dann das Auge wieder ungeblendet blicken konnte, war die Eiche nicht mehr da und an ihrer Stelle stand ein kurzer, verbrannter Stumpf.14

Frankensteins Leben ist in diesem Moment ein anderes geworden. Von nun an widmet er sich, mit manischer Energie, nur noch dem Studium der Elektrizität und des Galvanismus. In der grimmigen Schmiede jenes Tambora-Sturms wird Frankenstein geboren als der Anti-Superheld der Moderne – als der »Moderne Prometheus« –, der den Göttern das Feuer raubt.

Vulkanwinter 1816

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