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Kapitel 7

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Wir kamen am späten Nachmittag in Kanas an. Die Hauptstadt war überfüllt mit Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen strömten. Die Straßen waren geschmückt mit Fahnen unserer Landesfarben, Königsblau und Gelb. Alle waren in heller Aufregung, da sie die Gesandten erwarteten. Wenn wir nicht gewusst hätten, dass der Krieg bevorstünde, hätte man denken können, dass in der Stadt ein riesiges Fest vorbereitet wurde. Bei genauerem Hinsehen bemerkte ich jedoch die Unruhe, die die Menschen beherrschte. Ich schaute beim Vorbeifahren in die mir entgegenkommenden Gesichter und sah kein einziges Lächeln. Ihre Mienen spiegelten Furcht und Anspannung wider.

In der Mitte des Marktplatzes war ein riesiges Podest aufgestellt, auf dem die Gesandten ihre Ansprache halten würden. Um den Marktplatz herum befanden sich provisorische Hütten; davor warteten Neuankömmlinge, die sich als Rekruten registrieren lassen wollten. Junge Männer unterhielten sich mit alten erfahrenen Kriegern; andere trainierten bereits Kampfübungen. Wir fuhren weiter und hielten kurz darauf vor dem Haus meiner Tante Lana.

Als wir ausstiegen, kam sie schon aus der Haustür geeilt. Überrascht schaute sie uns an, sie hatte nur Jazem erwartet. Stürmisch umarmte sie erst meinen Vater und dann meine Mutter. Tante Lana ähnelte meinem Vater sehr; sie war jünger als er, eine Frau im mittleren Alter, an ihren Schläfen hatte sie schon silberne Strähnchen. Ihr dunkles Haar trug sie offen. Eine sehr imposante Frau und im Herzen jung geblieben. Sie trug ein Kleid in königsblau und gelb, die Farben von Kalander, es reichte ihr bis zu den Waden, mit darüber gebundener Küchenschürze. Wahrscheinlich hatte sie wieder den halben Tag in der Küche gestanden. Sie kochte leidenschaftlich gerne und gut, so war halt meine Tante.

Nachdem sie meine Brüder herzlich umarmt hatte, trat sie vor mich. Sie schaute mich von oben bis unten an. „Das ist ja eine Überraschung, Isma! Du bist so schön geworden, eine richtige Frau bist du nun. Ich habe dich seit Jahren nicht mehr gesehen. Richtig bezaubernd.“ Dann umarmte auch sie mich.

Während wir das Haus betraten, erläuterte Keleb seiner Schwester Lana, was es mit unserem Besuch auf sich hatte.

Lanas Haus war freundlich eingerichtet, große Fenster ließen viel Licht in die Räume und die Inneneinrichtung bestand aus hellen Holzmöbeln. Überall standen Vasen mit frischen Wiesenblumen. Das Haus spiegelte die Seele meiner Tante wider. Wir durchquerten den engen, mit Familiengemälden behangenen Flur. Auf einigen Bildern waren auch mein Vater und meine Tante als kleine Kinder zu sehen. Ich erinnerte mich an die Geschichten, die mir Vater aus seiner Kindheit erzählt hatte. Tante Lana und Vater hingen sehr aneinander.

Der sonnendurchflutete Wohnbereich war gefüllt mit Bücherregalen. Lanas stolze Büchersammlung hatte sie von ihrem Vater geerbt. Immer wenn ich zu Besuch kam, ließ mich meine Tante darin lesen. Ich beneidete sie um diese Bücher. Leider hatte ich diesmal keine Zeit, um zu schmökern.

Es gab Dinge, die für mich jetzt wichtiger waren.

Ich wollte Jeremia sehen und leibhaftig treffen.

Während wir uns in die bequemen Sessel und auf die Couch im Wohnzimmer lümmelten, reichte uns Tante Lana Erfrischungsgetränke. Wie in alten Zeiten, dachte ich kurz. Was man sich in Kindertagen angewöhnt hatte, konnten wir uns nicht mehr abgewöhnen. Lana verschwand durch die Küchentür und wir wussten, gleich würde sie uns ein Schlemmermenü auftischen. Liebe Tante Lana. Trotzdem war diesmal alles anders. Den Anderen war die Anspannung anzusehen, denn sie blickten entgeistert ins Leere und plapperten nicht wie bei früheren Besuchen drauf los. Ich konnte die Spannung nicht mehr ertragen und folgte meiner Tante in die Küche. Sie würde Hilfe benötigen, denn sie hatte nicht mit uns allen gerechnet. Nach weniger als einer Stunde, erwartete uns ein festlich gedeckter Tisch mit den köstlichsten Leckereien.

„Kommen noch Gäste, denn ich bezweifle, dass das alles für uns sein soll“, kommentierte mein Vater grinsend mit seinem üblichen Standardsatz das Buffet.

Wie immer hatte Tante Lana mehr als genug vorbereitet. Es gab Brathähnchen, Maisküchlein, Kartoffelbrei, Rosenkohl, eine riesige Schüssel Salat und dazu selbstgebackenes Brot. Zum krönenden Abschluss stand Apfelpfannkuchen und Pudding bereit. „Ich war so aufgeregt, dass ich nicht aufhören konnte, zu kochen. Es war mir wichtig, dass ihr euch bei mir wohl fühlt“, setzte sie zu ihrer Verteidigung an. Aber auch den Satz kannte ich schon von ihr.

„Das weiß ich doch.“ Keleb gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Wir sind immer gerne bei dir, Schwesterherz.“

Kurz drauf saßen wir am Tisch und begannen zu speisen. Während des Essens sprachen wir über Belangloses. Jeder hatte Hemmungen, die jüngsten Geschehnisse zu erwähnen. Ich glaubte, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch die Hoffnung hegten, dass das alles nicht wirklich geschah. Wir wollten die uns noch verbliebene gemeinsame Zeit genießen. Heute Abend, würde sich alles ändern.

Irgendwann ergriff, zum ersten Mal seit wir angekommen waren, Casper das Wort. „Tante Lana, hast du gehört, ob Gesandte aus anderen Territorien angekommen sind?“

„Ja, sie sind schon heute früh eingetroffen. Hier unten in der Stadt wurden sie noch nicht gesehen, aber ein Beauftragter von Fisius kam vor ein paar Stunden und teilte den Bewohnern mit, dass sie da sind, und dass wir sie zum Abend am Marktplatz erwarten sollen“, antwortete Tante Lana auskunftsfreudig.

Stille legte sich über uns, und es kam mir vor, als ob jeder wild mit dem Besteck hantierte und sich schnell weitere Bissen in den Mund schob, um ja nicht reden zu müssen. Plötzlich fühlte ich eine Schwere um mein Herz. Nur noch zwei oder drei Stunden. Dann hieß es, Abschied nehmen. Mutter kämpfte schon wieder mit den Tränen. Sie neigte tief ihren Kopf, um ihre Gefühle zu verbergen. Aber wir kannten sie zu gut. Sie konnte sich nicht zurückhalten.

Es würde nicht mehr lange dauern, bis ich Jeremia leibhaftig gegenüber stehen würde. Wie lange hatte ich diesen Augenblick erwartet, wie lange gehofft, ihm endlich zu begegnen. Er war hier, in dieser Stadt und nur eine kurze Wegstrecke trennte uns voneinander. Ich schluckte einen Seufzer herunter. Das Essen lag plötzlich wie Blei in meinem Magen.

„Ich hole den Nachtisch“, verkündete meine Tante freudestrahlend und erhob sich vom Tisch.

„Ich glaube, ich komme mit, um dir zu helfen, denn so wie wir dich kennen, hast du viele verschiedene Süßwaren zubereitet“, stöhnte Jazem fröhlich und folgte Tante Lana, die ihm verschmitzt zuzwinkerte, als ob sie ein Geheimnis teilten.

„So gut kennt ihr mich also. Tja, da habt ihr wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Dann komm und hilf mir, Jazem.“

Wir anderen konnten uns ein Schmunzeln kaum verkneifen. Also grinsten wir um die Wette. Sogar meine Mutter bekam ein Lächeln zustande. Als wir den Pfannkuchen und den Pudding ihn uns reinschaufelten, erzählte Tante Lana, welche derben Streiche mein Vater als Kind ausgeheckt hatte. Wie er einmal die Türklinke mit Ruß beschmiert hatte, seine Mutter unachtsam reingegriffen, und wie er dann keck zu ihr sagte, sie hätte einen Krümel im Gesicht und sie sich dann mit dem Ruß unabsichtlich das Gesicht bemalte. Die Angeschmierte wunderte sich sehr über die lachenden Gesichter und schaute später äußerst verdrießlich drein, als sie in den Spiegel blickte.

Wir lachten und für kurze Zeit vergaßen wir, was uns erwartete, bis sich Talon erhob. „Ich möchte mich noch eine Weile zurückziehen, wenn es euch nichts ausmacht. Ich bin ein wenig erschöpft von der Reise. Tante Lana, kannst du mir ein Zimmer zuweisen?“

„Natürlich.“ Lana begleitete Talon zu einem ihrer Gästezimmer. Theran, Casper und Jazem folgten ihr. Auch wir erhoben uns langsam vom Tisch. Meine Eltern zogen sich ebenfalls zurück, während ich den Tisch abräumte.

Als Lana zurückkam, war ich fast mit dem Abwasch fertig. „Was machst du da? Das hätte doch nicht sein müssen“, empörte sie sich.

„Lass mich dir helfen. Ich möchte mich nicht ausruhen, dafür bin ich viel zu aufgeregt“, gab ich ihr zu verstehen.

„Du hast Sorge um deine Brüder und um uns. Das habe ich auch. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt und dieses Nichtwissen bereitet mir Kopfschmerzen. Möchtest du darüber sprechen?“

„Gerne!“ Ich war sehr froh, über dieses Angebot.

Nach dem Abwasch bereitete uns meine Tante den Kräutertee zu, den sie immer zu machen pflegte, und wir setzten uns an den Tisch. Zu Beginn saßen wir nur so da und genossen den wohltuenden Tee.

„Tante Lana?“, fragte ich leise.

„Ja.“

Tante Lana war immer eine gute Zuhörerin gewesen. Wenn es um Herzensangelegenheiten ging, gab sie immer gute Ratschläge. Ich war bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nie wirklich verliebt gewesen, aber ich konnte mit ihr über alles reden. Schon oft hatte ich ihr mein Herz ausgeschüttet, wenn wir zu Besuch kamen, wie schlimm ich es fand, dass man mir keinen Freiraum gab. Sie hatte mir so oft geholfen, indem sie mir Hoffnung machte, dass sich irgendwann alles ändern würde.

Nun war der Tag nahe, an dem Jeremia in mein Leben treten wird, und das wollte ich ihr erzählen und natürlich auch von meiner Gabe. „Hast du schon einmal etwas von den Seelenwanderern gehört?“, fragte ich sie.

Interessiert beugte sie sich nach vorne und stütze sich mit ihren Ellenbogen auf den Tisch, um näher an mich heranzukommen. „Warum fragst du? Von diesen Begabten hört man schon lange nichts mehr. Ich denke, dass es sie noch geben muss, denn schließlich wird die Fähigkeit vererbt. Aber sie hüten sicherlich ihr Geheimnis, um nicht entdeckt zu werden, gerade bei dieser momentanen Lage. Der Krieg betrifft alle Territorien. Jeder Herrscher würde alles dafür tun, um eine Seelenwanderin an seiner Seite zu haben. Und stelle dir mal vor, der Feind hätte eine, dann gäbe es keine Möglichkeit mehr, die Invasion aufzuhalten“, erzählte sie beunruhigt.

„Ich bin so eine“, erwähnte ich knapp.

Ihre Augen weiteten sich. Die Verblüffung stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Meinst du das im Ernst? Es ist wirklich keine Zeit, darüber Scherze zu machen. Und wissen das deine Eltern?“, wollte sie aufgeregt wissen.

„Ja und meine Mutter ist auch eine. Und wie du schon sagtest, sie hält sich bedeckt. Sie hat erst vor kurzem bemerkt, dass ich auch diese Gabe besitze und hat natürlich meinen Vater eingeweiht. Das Problem liegt darin, dass ich schon seit längerem über diesen bevorstehenden Krieg Bescheid weiß. Zuerst dachte ich, es wären nur Träume, aber jetzt ist mir bewusst, dass es einen Grund gibt, warum ich das alles sehen konnte und deswegen bin ich hier. Ich muss jemanden treffen, der heute in Kanas sein wird.“

„Und wer sollte das sein?“, fragte sie interessiert.

Danach offenbarte ich ihr alles über Jeremia. Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus, wie ich ihm begegnet war, bis dahin, wo ich mein Herz an ihn verloren hatte. Meine Tante hörte aufmerksam zu. Zwischendurch nickte sie aufmunternd, dann wiederum sah ich Sorgenfalten bei ihr, da ich ihr von den Zwistigkeiten mit den Capitanern berichtete. Als ich ihr dann von Narissa vorschwärmte, ergriff sie vorsichtig meine Hand.

Sie schaute mich lange an, wie wenn ein Mensch vor ihr sitzen würde, den sie bis dato nicht gekannt hatte. „Ich überlege gerade, wie ich dir helfen kann. Zu Beginn möchte ich aber, dass du weißt, dass ich dich sehr lieb habe. Ich weiß, dass du eine harte Aufgabe erhalten hast. Dein Schicksal hat etwas Bestimmtes mit dir vor. Ich komme nicht umhin dir zu sagen, dass ich Angst um dich habe. Es war schon schwer zu akzeptieren, dass deine Brüder in den Krieg ziehen werden, aber was wird mit dir geschehen? Was wird heute Abend passieren? Dieser Jeremia kennt dich nicht einmal. Wer sagt, dass du heute Abend die Möglichkeit hast, ihm zu begegnen? So große Menschenmassen werden da sein. Vielleicht wirst du gar nicht zu ihm durchgelassen. Bedenke, du bist nur ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen, die nichts bei den Kriegern verloren hat.“

„Tante Lana, beruhige dich bitte. Du musst Luft holen.“ Ich lächelte sie an.

Meine Tante war auf einmal sehr aufgebracht. Es war vielleicht etwas zu viel für sie.

„Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll. Vielleicht wird auch nichts passieren. Ich bin hier, um es herauszufinden. Mir ist auch bewusst, dass er mich noch nie gesehen hat, aber er konnte mich immer spüren und ich hoffe, dass das etwas zu bedeuten hat. Und was meine Gefühle für Jeremia angeht ... Ich kenne meinen Stand und weiß, dass eine solche Liebe keine Zukunft hat.“

Lana ergriff erneut meine Hand und drückte sie fest. Sie wusste, dass ich an mir zweifelte. Wie wahrscheinlich viele Jugendliche strotzte ich nicht vor Selbstbewusstsein.

„Ich möchte ihn einmal richtig sehen, leibhaftig. Wenn das alles ist, dann reise ich mit meinen Eltern zurück nach Salin und versuche, ihn zu vergessen, aber ich kann mich nicht diesem Gefühl widersetzen, heute hier sein zu müssen“, erklärte ich trotzig.

Meine Tante neigte ihren Kopf zur Seite und betrachtete mich nachdenklich.

„Was tust du da?“, wollte ich von ihr wissen.

„Ich werde dir jetzt helfen. So kannst du nicht dort hingehen. Du willst, dass er dich sieht, dann müssen wir dir etwas Schickes anziehen. Ich helfe dir auch beim Schminken. Du bist sehr hübsch, aber wir müssen das Ganze ein wenig unterstreichen.“

„Ich habe aber nichts Schickes dabei“, entgegnete ich.

„Lass das meine Sorge sein. Geh du dich jetzt frisch machen und komme dann in mein Schlafzimmer.“ Sie war voller Vorfreude und Tatendrang.

Ich tat, worum sie mich gebeten hatte und ging in das für mich hergerichtete Zimmer, um mich zu waschen. Dann marschierte ich schnurstracks zu ihrem. Ich klopfte und öffnete die Tür. Das Zimmer war genauso eingerichtet wie die übrigen Räume des Hauses. Die Wände waren in Gelb gehalten, und die Vorhänge hatten das gleiche Blumenmuster wie die Tagesdecke auf ihrem Bett. An der gegenüberliegenden Wand stand ein wunderschönes Himmelbett. Weißer, durchsichtiger Organza Stoff fiel an verschnörkelten Messingstangen ringsherum herunter. Dieses Bett hatte sie schon, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war. Schon damals schlich ich heimlich mit einem Buch in der Hand in ihr Zimmer und legte mich dort auf ihre Schlafstätte. Dann stellte ich mir jedes Mal vor, dass ich eine kleine Prinzessin wäre, die in einem Schloss lebte. Dort verbrachte ich träumend und lesend viele Stunden.

Jetzt lagen auf dem Bett ein Dutzend Kleider. Ich näherte mich und betrachtete sie.

Tante Lana stand daneben und beobachtete mich. Ich war überrascht, weil ich nicht wusste, dass sie solche wunderschönen Kleider besaß. Sanft strich ich mit der Hand über die Stickereien und schaute sie an.

„Die habe ich alle selbst gemacht. Sind sie nicht schön?“ Sie strich ebenfalls über die glänzenden Stoffe.

„Sie sind wunderschön, aber ich habe sie nie an dir gesehen“, staunte ich.

„Bei bestimmten Anlässen habe ich das eine oder andere getragen, aber in erster Linie macht es mir Freude, Kleider selber zu kreieren. Auf dem Markt suche ich nach schönen Stoffen, und dann lasse ich meiner Fantasie freien Lauf. Da ich sehr oft allein bin, beschäftige ich mich mit Nähen. Es macht mir Spaß und nun bin ich froh, dass ich dir eines geben kann. Du weißt, deine Brüder und du, ihr seid wie meine eigenen Kinder. Also, lass uns mal sehen, welches dir am besten steht.“

Wir inspizierten jedes einzelne. Das Erste war aus fließender, dunkelblauer Seide mit Glasperlen bestickt.

Ich stellte mich vor ihren Wandspiegel neben die Tür. So etwas hatte ich noch nie getragen.

Schon kam Tante Lana mit einem anderen Kleid. Dieses war in dunklem Rot gehalten und die Ärmel und der runde Ausschnitt waren mit schwarzer Spitze besetzt. Sie hielt es mir an und schüttelte den Kopf. „Nein, das macht dich zu blass. Wir brauchen etwas anderes.“ Während sie sprach, lief sie immer hin und her, immer mit einem anderen Kleid in der Hand.

Mein Mut, Jeremia gegenüber zu treten, wurde immer größer, denn in diesen Kleidern repräsentierte ich einen viel höheren gesellschaftlichen Stand.

Nach einer guten Stunde hatten wir uns für ein Kleid entschieden. Tante Lana scheuchte mich ins Nebenzimmer, damit ich es anziehen konnte. Als ich aus dem Zimmer kam, gab sie mir ein paar Pumps, die dieselbe Farbe hatten wie das Kleid. Ich setzte mich und zog die feinen Schuhe an.

„Dein Haar, Liebes, trag es offen“, schlug sie vor. „Das macht dich weiblicher.“

Sie kämmte mich und klemmte mir eine mit glitzernden Steinchen überzogene Spange in die Haare. Dann trug sie mir etwas roten Lippenstift und Makeup auf und begutachtete ihr Werk. Ich fühlte mich jetzt schon viel selbstsicherer, obwohl ich gar nicht wusste, wie ich aussah. Ich bewegte mich ganz vorsichtig in dem Kleid und trat vor den Spiegel. Die Person, die mir aus dem Spiegel entgegen blickte, konnte unmöglich ich sein. Fassungslos konnte ich den Blick vom Spiegelbild nicht abwenden und drehte mich dann doch ganz langsam zu meiner Tante um.

Sie nickte nur grinsend. „Du bist wunderschön und so bezaubernd“, gestand sie mir.

„Tante Lana, nie hätte ich es für möglich gehalten, was ein schönes Kleid und ein bisschen Lippenstift ausmachen. Niemals. Bin ich das wirklich?“ Ich konnte es einfach nicht fassen.

„Ja, Liebes, das bist du. Du bist nun eine erwachsene Frau und, dass du so schön sein kannst, das wusste ich schon immer. Du hattest einfach auf dem Lande nie die Möglichkeiten, dich so herzurichten“, sagte sie voller Stolz.

Ich wandte mich wieder meinem Spiegelbild zu und betrachtete mich mit dem smaragdgrünen Seidenkleid. Es betonte meine schlanke Taille und fiel nach der Hüfte gradlinig bis zu meinen Fußknöcheln. Die enganliegenden Ärmel bestanden aus reiner Spitze, Ton in Ton mit dem Kleid, und wurden bis zu meinen Handrücken etwas breiter. Überall zierten kleine, verspielte Stickereien in Form von Blüten den Stoff, so dass es nicht nur elegant sondern auch märchenhaft romantisch wirkte.

„Siehst du, das Kleid bringt deine schönen grünen Augen zur Geltung“, fügte sie noch überzeugend hinzu.

Ja, tatsächlich. Mein Gesicht strahlte und ich sah aus wie ein Star, erkannte mich kaum wieder. Auch wenn meine Tante nur wenig Schminke verwendet hatte, sah ich verändert aus. Das Rouge betonte meine Wangen. Und die Lippen glänzten jetzt in einem zarten Rosa. Der grüne Lidschatten hob meine Augen hervor. Aus einem hässlichen Entlein ist ein Schwan geworden.

Würde Jeremia mich sehen und würde ich ihm gefallen?

Glücklich umarmte ich Lana innig. „Danke, danke, danke. Ich erkenne mich kaum wieder und es gefällt mir, mich so zu sehen.“

„Das freut mich für dich. Aber jetzt müssen wir uns sputen, es ist schon dunkel. Die anderen sind mit Sicherheit unten und vermissen uns schon. Lass uns mal sehen, was deine Familie zu der neuen Isma sagt.“

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war. Meine Tante hatte in der Zeit, in der ich im Bad war, überall Kerzen angezündet, und durch meine Aufregung war mir das entgangen.

Sie öffnete die Tür und gemeinsam kehrten wir zurück in den Wohnraum, wo alle schon versammelt auf uns warteten. Lana schritt voraus, und als ich den Raum betrat, hörten urplötzlich alle auf, zu sprechen. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Meine Brüder starrten mich mit offenem Mund an.

Plötzlich klatschte Tante Lana heftig in die Hände. Sie grinste über beide Ohren. „Und was sagt ihr?“

Sprachlos blickten sie immer noch wie erstarrt.

Langsam fühlte ich mich unbehaglich und peinlich berührt.

„Soll das bedeuten es gefällt euch nicht?“ Mein Gesicht war schon leuchtend rot.

Jazem ergriff endlich das Wort. „Wer ist das?“

„Hör auf mit dem Blödsinn. Es ist mir schon peinlich genug. Gefällt es euch nicht? Ich kann mich noch schnell umziehen, bevor wir gehen.“ Ich drehte mich um und wollte aus dem Zimmer stürzen, aber Tante Lana hielt mich fest.

„Blödsinn, natürlich gefällt es ihnen. Sie haben dich nur noch nie so gesehen“, meinte sie.

Alle nickten gleichzeitig, sagten aber immer noch nichts.

„Dann sagt doch bitte etwas“, bat ich flehend.

„Du bist ja eine wunderschöne Frau. Mein Gott, wann bist du denn erwachsen geworden?“, fragte mich mein Vater, erhob sich vom Sessel und kam auf mich zu. Mit beiden Händen packte er meine Schultern. Er schaute mich intensiv an, bevor er mich in den Arm nahm. Ich beobachtete dabei die anderen, die langsam aus ihrer Erstarrung erwachten. Sie standen einer nach dem anderen auf und kamen zu mir.

„Wahnsinn, unsere kleine Isma ist erwachsen geworden“, riefen Theran und Talon gleichzeitig, dabei zwickten sie mich in den Arm. Langsam löste sich mein Vater von mir.

Meine Mutter nahm mich in ihre Arme. „Jeremia wird dich nicht mehr gehen lassen, wenn er dich zu Gesicht bekommt“, flüsterte sie mir stolz ins Ohr.

Mein Herz hüpfte vor Glück.

Plötzlich sagte Casper zu mir: „Warum machst du dich eigentlich so schick? Wir gehen doch zu keiner Hochzeit. Ich bezweifle, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um sich so elegant zu kleiden. Das ist mehr als ungünstig.“

„Und wenn es nur dafür sein sollte, damit ihr eure Schwester so in Erinnerung behaltet“, konterte meine Mutter.

Wir standen noch eine Weile so da und sprachen über meine Verwandlung. Sie begutachteten mein Kleid und machten mir viele nette Komplimente. Ich war ganz aufgeregt.

Das war noch mal gut gegangen. Nur meine Eltern, Aaron und meine Tante wussten Bescheid und für weitere Erklärungen hatten wir sowieso keine Zeit mehr.

„Wir müssen jetzt los“, ermahnte Vater uns.

Ich hatte nur meinen Reiseumhang dabei, der nicht wirklich zu meinem Kleid passte.

Aber meine Tante hatte schon mitgedacht. Sie eilte in ihr Zimmer und holte mir einen eleganten, cremefarbenen Mantel, den sie mir umlegte. „Nun bist du bereit“, sagte sie und drückte mich noch einmal.

Gemeinsam verließen wir das Haus und machten uns auf den Weg zum Marktplatz.

Je näher wir kamen, desto gedrückter wurde die Stimmung. Die Gassen waren mit Leuten überfüllt, die in die gleiche Richtung strömten wie wir. Auf dem großen Platz standen die Menschen so dicht aneinander gedrückt, dass ein Vorbeikommen kaum noch möglich war. Alle redeten durcheinander. Lautes Stimmengewirr hing in der Luft. Ich konnte von unserem Platz aus noch nicht einmal das Podest sehen, auf dem die Gesandten, Krieger und natürlich Jeremia stehen sollten.

Meine Hoffnung schwand dahin. Langsam senkte ich meinen Kopf und meine Verzweiflung wuchs. Ich würde ihn gar nicht sehen können. Und er würde mich auch nicht sehen, bei der Masse an Menschen.

Sollte das alles gewesen sein?

Galan

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