Читать книгу Galan - Giovanna Lombardo - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеIch wusste nicht, was mich geweckt hatte. Erschrocken erhob ich mich. Wie lange mochte ich geschlafen haben? Aus dem Fenster blickend sah ich eine zarte Morgenröte, die über den Horizont gewandert war und eine feuchte Nebeldecke mitgebracht hatte, die den Boden unter sich bedeckte.
Mist, schon Morgen! Keiner hatte mich geweckt. Ich quälte mich aus dem Bett, fühlte mich kraftlos durch die Schrecken der Nacht. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Der Blick in den Spiegel zeigte mir ein verquollenes Etwas. Es sah schrecklich aus. Dunkle Augenringe und ein kreidebleiches Gesicht ließen mich wie ein Gespenst aussehen.
Wie sollte ich diesen Tag überstehen?
Ich bürstete mir die Haare und zog mich an. Langsam trottete ich in die leere Küche, wo Mutter mir einen Teller mit Brot, Butter und Marmelade hingestellt hatte. Tut mir leid, mir ist der Appetit abhandengekommen. Ich setzte mich an den Tisch und starrte ins Leere.
Plötzlich schreckte ich aus meiner Apartheid wegen eines knarrenden Geräusches auf. Sekunden später stand Aaron vor mir, setzte sich neben mich und nahm meine Hand zwischen seine Hände. „Isma, wir machen uns Sorgen um dich. Was ist mit dir los?“
„Je-Jeremia“, begann ich mit brüchiger Stimme, „Jeremia hat sich verlobt. Und ich habe den Beweis, dass ich eine Seelenwanderin bin“, stammelte ich verzweifelt.
Aaron streichelte sanft meinen Handrücken. „Was redest du da bloß? Hast du dir vielleicht mal überlegt, dass das alles Hirngespinste sein könnten? Wie kommst du darauf, dass du wirklich eine Seelenwanderin bist?“
„In dem Buch stand, dass Seelenwanderer nur an eine bestimmte Person oder an einen bestimmten Ort zu denken brauchen und schwupp − ist ihre Seele dort. Früher habe ich seltsamerweise nur von der Stadt Castar geträumt, in der Jeremia lebt, und natürlich von Jeremia selbst. Deshalb habe ich gestern ein Experiment gewagt und an jemanden anderes gedacht, bevor ich eingeschlafen bin. Prompt landete ich in meinem Traum wirklich bei dieser Person. Das ist der Beweis, verstehst du?“
„Wen wolltest du denn sehen?“
„Na...Narissa“, stotterte ich zögernd.
„Sprechen wir von Narissa, der Tochter des Herrschers Verson, der über das Territorium Nalada herrscht? Die Narissa, die ein Auge auf Jeremia geworfen haben soll?“
„Ja“, bestätigte ich.
„Ach, kleine Isma, denkst du nicht, dass das alles deiner Fantasie entsprungen ist?“
Wütend schnaubte ich ihn an. Warum verstand er nicht, wie real das alles war? „Aaron, diese Personen existieren wirklich …äh, oder nicht? Und die Seherin hat auch Unheil und den Krieg vorhergesehen. Alles passt zusammen, warum willst du das nicht erkennen?“ In meiner Stimme und in meinem Inneren machte sich eine fürchterliche Verzweiflung breit.
Aaron spürte meinen Frust. Er kannte mich gut. Warum wollte er mich nicht verstehen? „Isma, diese Personen existieren wirklich, aber hast du jemals in Betracht gezogen, dass du solche Sachen träumst, weil du dir ständig Geschichten von ihnen und ihren Territorien anhörst und du dir irgendwelche Wünsche zusammenträumst. Und was die Seherin, die Alte Frau aus Salin, angeht, sie hat wirklich Visionen, und wir ahnen beide, dass es vielleicht morgen schon einen Krieg geben könnte oder vielleicht erst in zehn oder zwanzig Jahren“, kommentierte er gelangweilt.
Ich stutzte. Könnte er möglicherweise Recht haben? Ich war zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen.
Das sah auch mein großer Bruder und Beschützer Aaron. „Isma, geh zurück ins Bett! In deinem Zimmer hast du Ruhe. Ich übernehme deine Arbeit. Denke noch mal über alles gründlich nach.“ Mit diesen Worten stand er auf und stellte sich hinter mich, um mir sanft über die Schultern zu streicheln. Kurz drauf war er weg.
Mühsam rappelte ich mich auf und schleppte mich zurück in mein Zimmer. Mir tat alles weh. Mein Kopf fühlte sich irgendwie leer an. Ich zog die Vorhänge vors Fenster. Im Halbdunkeln streckte ich mich lang aufs Bett aus, und begann erneut, zu grübeln, über Jeremia und seine Verlobung mit Narissa. Wieder musste ich heulen. Nein, das durfte einfach nicht sein. In meinem Hals entstand ein riesiger Kloß. Übelkeit überkam mich. Ich musste aufhören, darüber nachzudenken. Fest entschlossen, nicht zu träumen, wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. In meinem Kopf hörte ich immer wieder den inneren Wunsch, nicht zu träumen. Mit diesem Gedanken schlief ich endlich erschöpft ein.
Irgendwann wachte ich auf. Es musste schon spät sein, denn in meinem Zimmer war es diesmal stockdunkel. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Was war passiert?
Nach mehreren Wochen hatte ich erstmals nicht geträumt. Der Schlaf war so erholsam. Hatte ich Jeremia verloren? Schnell verdrängte ich diesen Gedanken.
Warum hatte ich nicht geträumt?
Dann kam mir ein Gedanke. In dem Buch über Seelenwanderer stand, dass die Frau, wenn sie nicht wollte, dass ihre Seele ihren Körper verließ, sich dies einfach nur wünschte. Dann konnte sie auch durchschlafen.
Ich erinnerte mich, dass dies auch mein Wunsch gewesen war, bevor ich einschlief.
Ich war also eine Seelenwanderin … oder doch nicht?
Ich war so verwirrt und fühlte mich so einsam.
Sobald ich etwas im Dunkeln sehen konnte, schwang ich mich aus dem Bett, trat ans Fenster und öffnete die Vorhänge. Draußen herrschte Nacht, es regnete. Morgen Abend würden wir Neumond bekommen. Dunkelgraue, dicke Regenwolken verdeckten den Himmel, sodass weder Mond noch Sterne zu sehen waren. Der Wind pfiff um das Haus. Die Fichten vor meinem Fenster wogen hin und her, als würden sie einem Wiegenlied lauschen. Doch plötzlich überfiel mich ein seltsames Gefühl, als würde ich beobachtet werden. Zu meinem Erstaunen beunruhigte es mich nicht. Der Wald der Schleier lag dunkel und geheimnisvoll vor mir. Ich drehte mich zu meinem Bett um und zündete die Kerze auf dem Nachttisch an. Der Raum wurde in ein warmes Licht getaucht. Ein Klopfen an der Tür unterbrach die leere Stille.
„Isma, Liebes, bist du endlich wach?“, fragte meine Mutter leise von der anderen Seite der Tür.
„Ja, komm rein, Mama!“
Mutter öffnete die Tür und betrat das Zimmer. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen.
„Mir geht es besser. Es tut mir leid, dass ich euch solche Sorgen gemacht habe.“
„Aaron hat mir alles erzählt, deswegen wollte ich mit dir alleine sprechen.“
Überrascht schaute ich sie an.
„Komm, wir setzen uns.“
Wir nahmen auf der Bettkante Platz. Sie strich mir mit ihrer linken Hand liebevoll über das Haar und schaute mich traurig an. „Ich hatte gehofft, dass es dir erspart bleiben würde, aber jetzt, da Aaron mir von deiner Vermutung erzählt hat, weiß ich, dass es nicht sein wird. Dein Vater und ich hüten ein Geheimnis, mit dem wir euch nicht belasten wollten.“
Verwundert und mit einem Fragezeichen auf der Stirn blickte ich sie an. Was meinte sie damit?
Aber sie sprach schon weiter. „Ich habe die Gabe von meiner Mutter und sie hat es von ihrer Mutter. Da es manchmal Generationen überspringt, hielten wir es nicht für nötig, dich damit zu belasten. Wir haben gehofft, es würde dich nicht treffen. Nun weiß ich, dass es nur Wunschdenken war. Wir mussten es geheim halten, weil viele Menschen es nicht verstehen und wir ihnen Angst machen.“
Was wollte sie mir sagen? Langsam überkam mich der Verdacht, aber ich ließ sie weitersprechen.
„Schatz, ich bin eine Seelenwanderin, genau wie du eine bist!“
Nun spielte in mir alles verrückt. Hatte ich sie richtig verstanden? Meine Mutter sah die Panik, die mich überkam. Schnell nahm sie mich in den Arm und drückte mich, wie es nur eine Mutter mit ihrem Kind konnte. Sie wiegte mich in ihren Armen und hauchte mir beruhigende Worte ins Ohr. Ihre Worte klangen gedämpft, als wäre mein Kopf in Watte gepackt worden.
Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag. „Ist das wahr? Ich wusste, dass es nicht nur Träume waren. Es war alles so echt. Jeremia war echt. Die Rede vom Krieg war echt.“ Plötzlich erkannte ich die Grausamkeit in dieser Wahrheit. „Mama, es wird Krieg geben. Menschen werden sterben“, sagte ich geschockt.
Meine Mutter nickte nur. Tränen standen in ihren Augen. „Ich weiß, aber es gibt einen Grund, warum du diese Gabe besitzt. Habe keine Angst davor, egal was die Leute sagen werden. Es ist etwas Besonderes, du bist etwas Besonderes. Ich werde dir helfen, alles zu verstehen und dir beibringen, wie du damit umgehen kannst“, versprach sie mir.
„Aber ich verstehe nicht, warum ich immer wieder zu Jeremia gelange, wenn ich einschlafe. Ich kannte ihn vorher nicht und wusste nicht einmal, dass er existierte.“
„Alles hat seinen Sinn. Achte auf die Zeichen, dann wirst du es irgendwann verstehen“, erklärte sie mir verschwörerisch.
Jetzt stieg mir die Röte ins Gesicht. Die peinliche Erkenntnis, dass Aaron ihr von Jeremia und mir erzählt hatte, war mir recht unangenehm. „Hat er dir wirklich alles erzählt?“, fragte ich beschämt.
Meine Mutter lächelte. Sie schien zu wissen, was ich dachte. „Liebes, deine Gefühle sind ganz normal. In deinem Alter ist es nun mal so, dass man sich zu Männern hingezogen fühlt. Es ist in Ordnung.“ Mutter drückte mich noch einmal ganz fest. Dann löste sie sich von mir. „Isma, wir sprechen später noch mal darüber. Ich muss nun das Essen vorbereiten. Die Männer werden bald mit Bärenhunger von der Arbeit kommen. Mach dich bitte frisch und komm dann runter, um mir zu helfen!“
Sie verließ mein Zimmer.
Mutter war also eine Seelenwanderin, und ich hatte ihr Gen geerbt. Es gab noch so vieles, über das ich nachdenken musste, aber dafür blieb jetzt keine Zeit. Mein Leben wurde langsam interessant, aber auch gefährlicher.
Was stand meinem Volk, meiner Familie und mir bevor?
Was würde Jeremia tun?
Und was hatte Netan, der Herrscher von Capan, vor?
So viele Fragen, die nach Antworten suchten.
Und nicht alle würden mir gefallen.