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Nach der Befreiung

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Wenige Wochen vor der Räumung von Auschwitz-Birkenau wurde Gisella Perl in das Außenlager Hamburg-Wandsbek überstellt, wo sie zwei Monate lang im Krankenrevier arbeitete. Anfang März 1945 wurde sie von dort nach Bergen-Belsen gebracht und erlebte die apokalyptischen Zustände kurz vor der Befreiung des Lagers am 15. April 1945 durch die britischen Truppen. Im Anschluss arbeitete sie mehrere Monate im Nothospital von Bergen-Belsen. Nachdem sie in Erfahrung gebracht hatte, dass ihr Mann und ihr Sohn nicht überlebt hatten, unternahm sie einen Suizidversuch und wurde daraufhin durch den französischen Gesandten des Vatikans, Charles Amarin Brand, der als Seelsorger in Bergen-Belsen tätig war, in ein Kloster nach Frankreich vermittelt, wo sie sich erholen konnte. Ihren Bericht schrieb sie in der ersten Jahreshälfte 1946. Im März 1947 lud sie die United Jewish Appeal, eine Hilfsorganisation, die überlebende Juden unterstützte, mit einem Stipendium und einem zeitlich begrenzten Visum in die USA ein, um dort Vorträge über Auschwitz zu halten, insbesondere vor Medizinern. »Ich fuhr von Stadt zu Stadt, als Botschafterin der sechs Millionen«, erklärte sie später.40 Laut ihren eigenen Angaben war es Eleanor Roosevelt, die sie ermutigte, wieder als Ärztin zu praktizieren. Ihre Versuche, einen dauerhaften Aufenthalt in den USA zu erhalten, erwiesen sich als schwierig. Zwar hatte Präsident Harry S. Truman im Dezember 1945 die »Truman Directive« erlassen, die es »Displaced Persons« aus Europa ermöglichen sollte, unabhängig von den strengen Einwanderungsquoten eine Aufenthaltserlaubnis für die USA zu erhalten. Sie erwies sich jedoch als wenig wirksam, und erst der Displaced Persons Act vom 25. Juni 1948 und seine Nachbesserung 1950 sorgten dafür, dass sich die Zuzugsmöglichkeiten für Holocaust-Überlebende besserten. Gisela Perls Bemühen um die US-Staatsbürgerschaft lag vor dieser Zeit.

Der Immigration and Naturalization Service der USA hatte die Aufgabe, zu überprüfen, dass Einwanderungswillige keine Nazisympathisanten oder Kollaborateure waren. In dem an Gisella Perls Geschichte angelegten Film Out of the Ashes (Regie: Joseph Sargent, 2003) wird suggeriert, die Behörde sei von Auschwitz-Überlebenden informiert worden, dass Gisella Perl Tausende von jüdischen Babys getötet habe. Im Film muss sie in mehreren Vernehmungen den als ignorant dargestellten Männern der Behörde die Situation in Birkenau erklären und rechtfertigen, wieso sie dort Abtreibungen vorgenommen hat. Es wird die Aufgabe künftiger Forschung sein, anhand der Vernehmungsprotokolle festzustellen, wer genau welche Vorwürfe erhob, und einzuordnen, inwieweit sich Perls Fall von anderen unterschied. Aus der zeitgenössischen Presse erfahren wir lediglich, dass sich der New Yorker Abgeordnete der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, Sol Bloom, sehr dafür einsetzte, Perl einen ständigen Aufenthalt in den USA zu ermöglichen. Nach einem Jahr ermüdenden Kampfes bewilligte Präsident Truman schließlich im März 1948 ihre Einbürgerung in die USA. Die New York Times berichtete, dass Perl ansonsten eine Zwangsrückkehr nach Rumänien und dort möglicherweise eine Verfolgung gedroht hätte.41 Welche Beschuldigungen gegen sie erhoben wurden, blieb unerwähnt. Dass es um die Abtreibungen in Auschwitz-Birkenau ging, geht lediglich aus einer kleinen Debatte in den Feuilletons amerikanischer Zeitschriften im September 1948 hervor. So veröffentlichte der Partisan Review, eine kommunistisch orientierte Vierteljahresschrift zu Politik und Literatur, einen Artikel des deutsch-jüdischen Philosophen Hans Meyerhoff, der nach 1933 in die USA ausgewandert war. Er bezieht darin die Position, dass Perl aus einfacher Humanität gehandelt habe und ihre nächtlichen Abtreibungen ein Akt von Zivilcourage waren, die in dieser Situation lebensrettend und daher richtig waren.42 Im Time Magazine wurde unter der Überschrift »Not so simple« widersprochen. Der New Yorker Arzt Dr. David Deutschman wird dort mit den Worten zitiert: »Es kann keine rationale oder moralische Rechtfertigung für die Massenabschlachtung von Kindern geben – egal ob sie von brutalen Nazis oder von einer sentimentalen und gutmeinenden Medizinerin vorgenommen wird.«43

Im Jahr 1948 erschien ihr Buch in New York. Sie begann auf der Entbindungsstation des Mount Sinai Hospitals zu arbeiten und eröffnete 1951 eine Praxis in der Park Avenue in Manhattan. Als Geburtshelferin, Spezialistin für Familienplanung und die Behandlung von Unfruchtbarkeit brachte sie Tausende von Kindern auf den Weg ins Leben. Im Rentenalter ging sie nach Israel, um bei ihrer Tochter zu leben und arbeitete ehrenamtlich in der Frauenabteilung des Shaare Zedek Medical Center in Jerusalem.44 Sie starb 1988.

Ich war eine Ärztin in Auschwitz

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