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Die Situation von schwangeren Frauen in Auschwitz-Birkenau

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Unter den nach Auschwitz-Birkenau Deportierten waren schwangere Frauen besonders gefährdet. In den ersten Jahren der Lagerexistenz wurden sie ausnahmslos ermordet. Später modifizierte die SS aufgrund des gestiegenen Arbeitskräftebedarfs das Verfahren. Frauen, die bereits als Häftlinge registriert waren und im Arbeitseinsatz standen, sollten gebären und nach der Entbindung sofort wieder an ihren Arbeitsstellen erscheinen. Die Neugeborenen wurden ermordet. Ab Mitte 1943 wurden nichtjüdische Neugeborene am Leben gelassen und als Häftlinge registriert, auch wenn viele aufgrund der Lebensumstände starben. Im Frauenlager B I a richtete die SS eine Entbindungsstation mit 30 dreistöckigen Pritschen ein, die von der Hebamme Stanisława Leszczyńska geführt wurde.24

Anders war der Umgang mit den jüdischen Frauen, die im Sommer 1944 vor allem aus Ungarn und den von Ungarn besetzten Gebieten nach Birkenau gebracht wurden. Wenn sie erkennbar schwanger waren, wurden sie bereits bei der Eingangsselektion der Gruppe der Arbeitsunfähigen zugeteilt und in der Gaskammer ermordet. Wenn eine Schwangerschaft erst später auffiel, waren die Blockälteste, aber auch die Häftlingsärztinnen verpflichtet, diese zu melden. Außerdem forderte die SS nach jeder Ankunft eines Transports beim Appell Schwangere auf, vorzutreten. Sie würden in ein Lager gebracht, wo bessere Bedingungen herrschten und ihnen eine bessere Ernährung zuteilwürde. Tatsächlich erhielten einige Frauen, die erklärten, schwanger zu sein, in den folgenden Tagen Milch und etwas mehr Suppe. Viele Schwangere ahnten jedoch bereits, dass es sich um eine Täuschung handelte oder waren gewarnt worden. Anna Sussmann, die im Sommer 1944 aus Drancy nach Birkenau deportiert wurde, hatte beispielsweise bei der Eingangsrasur der rasierenden polnischen Häftlingsfrau gesagt, »Du musst aufpassen, ich bekomm’ ein Baby!« Darauf hätte diese geantwortet »Das vergiss! Und sprich unter keinen Umständen darüber. Wenn sie dich zwanzigmal fragen: Das ist aufgedunsen von der Suppe.«25

Gisella Perl schrieb, dass auch sie in der Anfangszeit naiv genug war, den Deutschen zu glauben, bis sie eines Tages zufällig Zeugin wurde, wie Schwangere getreten und von Hunden gehetzt ins Krematorium gebracht wurden. Dieses Erlebnis habe ihr die Kraft gegeben, ihre Aufgabe in Zukunft darin zu sehen, zumindest das Leben der Mütter zu retten, wenn es schon nicht möglich war, dass sie ihre Kinder gesund zur Welt brachten. Solange die SS nichts von der Schwangerschaft erfuhr, hatten die Frauen eine Chance aufs Überleben.

Von nun führte sie nachts heimlich Abtreibungen in den Häftlingsbaracken durch – ohne Licht und sterile Instrumente. Ausführlich schreibt Perl über die Qualen, die diese Tätigkeit für sie bedeutete. Manche Schwangerschaften waren schon sehr fortgeschritten – einige Kinder, deren Geburten sie einleitete, waren lebensfähig. Jedoch konnte sie sich auf das ärztliche Reglement berufen, dass das Leben der Mutter an erster Stelle zu retten ist, wenn Mutter und Kind in Gefahr sind.26

Gisella Perl war nicht die einzige Häftlingsärztin in Birkenau, die Abtreibungen an schwangeren Frauen vornahm. In verschiedenen Abteilungen des Lagers entschlossen sich Ärztinnen zu dieser Maßnahme, um Leben zu retten – zunächst heimlich. Viele Schwangere baten selbst darum, für andere war es eine Katastrophe, als ihnen Mithäftlinge einen Schwangerschaftsabbruch nahelegten. Die Häftlingspflegerin Lujza Salamon schrieb später: »Sie nahmen uns übel, dass wir ihnen damit möglicherweise reichhaltigere Lebensmittelrationen und andere Vorteile vorenthielten. Immer wieder mussten wir ihnen erklären, dass sie nur auf diese Weise überleben würden, und mit der Zeit verstanden sie es.«27

Zu einem nicht geklärten Zeitpunkt, vermutlich im September 1944, gab die SS offiziell den Befehl aus, dass Schwangerschaften abgebrochen werden sollten. Im ehemaligen Schonungsblock im Lagerbereich B I b wurden ab diesem Zeitpunkt Abtreibungen auch gegen den Willen der werdenden Mütter durchgeführt, wie zum Beispiel die überlebenden ungarischen Jüdinnen Ilona Pal und Aranka Schiffer berichten.28 Für Gisella Perl bedeutete es eine Erleichterung, als Mengele anwies, dass Schwangere nicht länger ermordet würden, sondern die Schwangerschaft abgebrochen werden sollte. Von nun an konnte sie unter besseren Bedingungen, im Revier, die Abtreibungen vornehmen und musste nicht mehr »auf dem schmutzigen Boden der dunklen Baracken die Leben der schwangeren Frauen retten«.

Wenn es Frauen doch gelang, ihre Schwangerschaft zu verbergen und im Lager ihr Kind zur Welt zu bringen wie Anna Sussmann im August 1944, wurden die Neugeborenen unmittelbar ermordet – bis zur Einstellung der Gaskammermorde Ende Oktober 1944. Einige Ausnahmen gab es in den Herbstmonaten 1944, als Josef Mengele Experimente an entbundenen Frauen und Neugeborenen vornahm. Er band beispielsweise frisch entbundenen Frauen mit Gips die Brüste ab, um festzustellen, wie lange ein Säugling ohne Nahrung auskommen könne. Frauen wurden mit Typhus infiziert, um zu überprüfen, ob das Kind angesteckt wird. Mengele träufelte Neugeborenen chemische Flüssigkeiten ins Auge, die Augenentzündungen hervorriefen und bis zur Erblindung führen konnten.29 Auch Gisella Perl erlebte solch einen Versuch bei einer ihrer Schützlinge. Eva Benedek aus Budapest brachte im November 1944 einen Jungen zur Welt. Danach sei ihr die Nahrung entzogen worden, sodass sie ihn nicht ausreichend stillen konnte und er nach acht Tagen verhungert war.

Ich war eine Ärztin in Auschwitz

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