Читать книгу Ich war eine Ärztin in Auschwitz - Gisella Perl - Страница 8
Assistenz von Mengele?
ОглавлениеEin drittes Aufgabenfeld von Häftlingsärztinnen und -ärzten in Auschwitz war die Mitwirkung an medizinischen Experimenten. Der Begriff »Pseudomedizin«, der zur Beschreibung dieser Menschenversuche häufig benutzt wurde, um sich von den verbrecherischen Praktiken abzugrenzen, ist in letzter Zeit kritisiert worden, weil er diese vorschnell auf individuelle Grenzüberschreitungen einzelner sadistischer SS-Ärzte reduziert und suggeriert, dass die »seriöse« Wissenschaft damit nichts zu tun gehabt hätte. Etliche in Konzentrationslagern durchgeführte Experimente gingen jedoch von namhaften zivilen Forschungseinrichtungen aus, die damals ganz »seriös« Rasseforschung betrieben. Aufgrund der großen Verfügbarkeit über Menschen unterschiedlicher Herkunft wurde Auschwitz-Birkenau zu einem Zentrum dieser Forschung, bei der sämtliche ethische und ärztliche Gebote außer Kraft gesetzt waren und die für die als Versuchsobjekte eingesetzten Menschen starke Schmerzen und oftmals dauerhafte körperliche Schäden mit sich brachte, in vielen Fällen auch zum Tod führte.30
Ein Schwerpunkt der Experimente an jüdischen Häftlingen in Auschwitz stand im Zusammenhang mit Bemühungen, im Sinn der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik möglichst wirksame und schnelle Sterilisationsmethoden von rassisch oder anders unerwünschten Menschen zu testen. Dr. Horst Schumann erprobte die Massensterilisierung mittels Röntgenstrahlen an mehr als 400 Männern, Dr. Carl Clauberg injizierte Frauen ein Präparat, das die Eileiter entzündete und verklebte, um sie unfruchtbar zu machen.31 Die Versuchsstation von Schumann und Clauberg, die sich anfangs in Birkenau befand, wurde im Frühjahr 1943 aus Angst vor Epidemien in den Block 10 des Stammlagers verlegt. Gisella Perl erfuhr von diesen Experimenten nur vom Hörensagen. Sie berichtete von einer Bekannten, Ibi Hillman, die in einem erschreckenden Zustand von diesen Experimenten zurückkam. Diese selbst habe jedoch nicht gewusst, was genau mit ihr geschehen war.
Stärker konfrontiert war Gisella Perl mit den Experimenten von Josef Mengele, der als 1. Lagerarzt von Birkenau auch für das Häftlingsrevier in B II c zuständig war. Mengele, der seit Mai 1943 in Auschwitz war, nutzte neben seinen Aufgaben als Lagerarzt die Gelegenheit, persönliche wissenschaftliche Obsessionen in Menschenversuchen umzusetzen. Er untersuchte eine Vielzahl von Männern, Frauen und Kindern unterschiedlicher Herkunft nach genetischen Gesichtspunkten, wobei sein Schwerpunkt auf der vergleichenden Zwillingsforschung und der Untersuchung der Kleinwüchsigkeit lag. Mengele hielt sich oft an der Rampe auf, um Versuchsobjekte auszuwählen. Sein Forschungslabor befand sich zunächst im Bereich B II e, danach im Block 15 des Lagers B II f. Mengele versorgte auch seinen ehemaligen akademischen Lehrer, Professor Otmar von Verschuer vom Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin mit Blutproben von Auschwitz-Häftlingen verschiedener geographischer Herkunft. Verschuer beschäftigte sich mit der Feststellung der Rassespezifität von Eiweißkörpern im Blut und wollte davon ausgehend eine naturwissenschaftlich exakte Methode zur Rassenidentifikation entwickeln.32
Gisella Perl hatte aufgrund ihrer Arbeit im Revier täglich Kontakt zu Mengele, der das Revier zu Kontrollen und Selektionen aufsuchte. Sie war jedoch nicht, wie teilweise zu lesen ist, seine Assistentin. In seinen Versuchslaboren arbeitete sie nicht. Eine Zuarbeit zu seinen Experimenten erfolgte insofern, als sie ihm, nachdem die Abtreibungen auf offizielle Anweisung geschahen, Föten zu experimentellen Zwecken zur Verfügung stellen musste.
Nach ihrer Überführung in den Lagerbereich B II e kam sie auch in Kontakt mit speziellen Opfergruppen von Mengele, Zwillingspaaren und Kleinwüchsigen, die sie als »Mengeles Lieblinge« beschrieb.