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1.Kapitel

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Vorwort

Gloria Fröhlich schildert in ihrem Roman eine mit allen Sinnen intensiv erlebte Kindheit in einer ländlichen Umgebung, die geprägt ist von Einfachheit und Ursprünglichkeit.

Die Hauptperson Line, nimmt alles, was sich in ihrem Leben ereignet, ganz bewusst wahr und setzt sich auf eine originell kindliche Weise damit auseinander. Das sind sowohl die alltäglichen Probleme des Lebens, als auch die Menschen, die ihr Leben mit bestimmen. Sie hinterfragt auf phantasievolle Weise die Ereignisse im Dorf und bringt sie in ihrer ideenreichen Nachdenklichkeit in neue, ungeahnte Zusammenhänge.

Das Leben mit ihrer allein erziehenden Mutter und den sich daraus ergebenden Einschränkungen, wird auf unsentimentale Weise und mit manchmal komischen Effekten erzählt. Weitere wichtige Personen, wie z.B. die Großeltern, die Freundinnen und vor allem ihr Freund Lüder, sind erstaunlich authentisch dargestellte Figuren.

Durch den Unfalltod von Lüder im Alter von 11 Jahren, erfährt Line auf erschreckend erbarmungslose Weise die Allgegenwart und Endgültigkeit von Tod und Abschied.

Eine weitere schmerzliche Erfahrung ist die des abwesenden Vaters, mit dem Line erst im Alter von 14 Jahren eine gemeinsame Zeit in einem anderen Ort mit seiner neuen, sehr dominanten Ehefrau verbringt. Diese Zeit wird dauerhaft überschattet vom Nichtwahrhabenwollen der Vaterschaft vor der Dorfgemeinschaft, speziell vor dem befreundeten Pastor.

Der Roman von Gloria Fröhlich ist meisterhaft geschrieben, sowohl was den Aufbau und den Fortlauf der Erzählung und Charakterisierung der Figuren, als auch die treffsichere und oft hintergründige Sprache der Autorin betrifft.

Eine faszinierende Lektüre, in der viele ihre eigenen Erfahrungen widergespiegelt sehen.

Prof. Dr. Annamaria Rucktäschel

Universitätsprofessorin em. für Kommunikationswissenschaft

Gloria Fröhlich

KUCKUCKSSPUCKE

Der große Obst- und Gemüsegarten von Frau Mu grenzte an den riesigen Gemüsegarten, der zu dem gewaltigen Backsteinhaus nebenan gehörte.

Line wohnte erst seit kurzem in dem Haus von Frau Mu und hatte erfahren, dass das Nachbarhaus ein Altersheim, aber für viele Menschen aus der Umgebung das Armenhaus oder schlichtweg das Verrücktenheim war.

Das lang gestreckte Gebäude hatte auffällig viele Fenster, ganz anders als die umliegenden Häuser und tanzte nicht nur deshalb aus der Reihe.

Es waren auch seine Bewohner.

Eine merkwürdige Mischung alter Menschen, sowie geistig verwirrter Sonderlinge jeden Alters, die Line magisch anzogen und in ihr ein rätselhaftes Unbehagen auslösten, bis hin zur neugierig kribbelnden Furcht.

Dort wohnte auch Ome.

Ein halbwüchsiger Junge mit geringem Wortschatz, kleinkindhaftem Verhalten und so gar keiner Aussicht, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

Auf seinen Ellenbogen und Knien wucherte ein bleicher Ausschlag, der in Line eine Mischung aus Ekel und Appetit wachrief, weil er sie einerseits an Krankheit und andererseits an Zuckerstreusel auf duftenden Kuchenplatten erinnerte.

Line verhielt sich jedes Mal abwartend neugierig, wenn Ome sie beim Spielen entdeckte und zappelnd, erregt ihre Gesellschaft suchte.

Dann saßen sie manchmal dicht nebeneinander auf den verwitterten Brettern der schmalen Holzbrücke, die von einem Ufer zum anderen über das breite Fleet vor dem Verrücktenheim führte.

Line nahm jedes Mal mit versteckter Neugier wahr, dass der Ausschlag auf Omes Knien unaufhaltsam weiter gekrochen war. Vielleicht ein Grund dafür, weil er ständig daran herum pulte, aber nie erkennen ließ, ob seine Hautkrankheit juckte oder wehtat.

Und während er die kleinen Stücke, die sich unter seine Fingernägel gesetzt hatten, ins Fleet schnippte, hörte Line ihm belustigt zu, und beide ließen ihre Beine baumeln.

Ome war viel älter und deshalb auch erheblich größer als Line, die noch nicht einmal in die Schule ging. Deshalb waren seine Beine auch länger, und seine großen Füße in den abgetragenen, braunen Lederstiefeln berührten beinahe das Wasser unter ihnen, während ihre noch nicht einmal in dessen Nähe und die der kleinen Wellen kamen, die sich bei leichtem Wind kräuselten.

Ome redete ununterbrochen und immer mit viel schaumiger Spucke in den Mundwinkeln. Und nach einer Weile wurde der Aufenthalt auf der Brücke wieder der Auftakt für eine immer gleiche Abfolge eines dramatischen Vorganges für Ome und eine inzwischen zur Gewohnheit gewordene und immer wieder faszinierende Absonderlichkeit für Line.

Omes Kinn begann dann zu zittern, seine flatternden Augen verrieten Panik, er sprang gehetzt auf, und unter seinem Gewicht begann die Brücke zu schwanken.

Auch Line war aufgestanden, jedoch wesentlich langsamer und hatte Ome dabei nicht aus den Augen gelassen.

Es war mal wieder „soweit“, wusste sie.

Ome geriet innerhalb weniger Sekunden in eine Welt, zu der Line keinen Zutritt hatte.

Die schwankende Brücke wurde für ihn zu einem Schiff, das zunehmend in Seenot geriet.

Mit vor Angst geweiteten Augen, und aus voller Kehle schrie er: „Ässoäss, Ässoäss!“

Und nun brachte er die Brücke durch die Kraft seiner Beine heftig zum Auf- und Niederschwingen, während er mit den Händen das Brückengeländer, das aus zwei überlangen, aneinander genagelten dicken Ästen bestand, fest umklammerte, um nicht „über Bord zu gehen“. In dem breiten Schilfgürtel am Ufer des Fleetes und auch auf seinem schwankenden Schiff witterte er große Gefahren, und er zitterte bald am ganzen Körper aus Angst vor einem Überfall der Piraten.

Die eigentliche Attacke fand dann Sekunden später statt.

Mit fuchtelnden Armen vor seinem Gesicht und lautem, Nicht, Nein, Nicht, Neiiiin wehrte Ome etwas ab, das Line auch diesmal nicht zu Gesicht bekam.

Nach dem Überfall, dem Ome jedes Mal kreidebleich und in der Hocke kauernd entkam, wich die Angst langsam aus seinem Gesicht, das Zittern erstarb, und er wirkte erlöst.

Auch diesmal beobachtete Line ihn wieder aufmerksam.

Er wandte ihr den Rücken zu und klagte mit weinerlicher Stimme: „Alles kaputt, alle tot gemacht.“

Seine Bewegungen wurden langsam.

Er bückte sich und nahm nacheinander einige lose Bretter von der Brücke, an denen krumme, rostige Nagelstummel an einen einst ordentlichen Zustand erinnerten. Er besah die Hölzer von allen Seiten und legte eins nach dem anderen wieder zurück in die Lücken, wo von ihnen nun auch weiterhin eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausging, wenn man an der falschen Stelle auf sie trat. Vorher beklopfte er die Kanten noch kräftig mit der flachen Hand wie beim letzten Mal, während er dieses Mal jedoch markerschütternd aufschrie, als das Brett an seiner Hand zu kleben schien und eine Menge hellrotes Blut auf die grauen Bretter der Brücke tropfte.

Ome wurde weiß wie die bauschigen Wolken hoch oben am Himmel über dem Fleet.

Das Brett löste sich von seiner zitternden Hand, streifte nur wenig die Brücke und fiel ins Wasser. Er starrte einen Augenaufschlag lang entsetzt auf die Wunde, die ein rostiger Nagelstummel in seinen Handballen gerissen hatte und dann auf das, was unaufhaltsam hellrot und warm aus ihm heraus floss.

Dann verdrehte er die Augen hinter halb geschlossenen Lidern, schrumpfte auf seinen kraftlos nachgebenden Beinen auf halbe Größe, trat an falscher Stelle auf eines der losen Bretter und verlor das Gleichgewicht.

Und dann stürzte er rücklings und völlig kampflos ins Fleet.

Die glatte Wasseroberfläche hatte sich zu einem dunklen Schlund geöffnet und Ome verschlungen.

Line stand da und schaute mit fragendem Blick auf die schaumig gurgelnde Unordnung.

Dann war es still.

Im Wasser spiegelten sich langsam wieder der Schilfgürtel, die Lindenbäume und die dicken, weißen Wolken über Lines Gesicht, das im Wasser etwas verwackelte, und in das sie zunächst von der Brücke aus lächelte und dann leise und besorgt bettelte:

„Ome, siehst du mich, komm doch wieder hoch, komm doch!“

Der schwarz gekleidete Pastor mit großem Hut auf dem ebenso schwarzen Fahrrad, der Line allein auf der Holzbrücke sah und das ohnehin gefährlich fand, und erst recht, wie weit sie sich über das Astgeländer beugte, stoppte seine Fahrt und rief: „Line, komm von der Brücke, wenn du ins Wasser fällst, merkt es niemand und du ertrinkst!“

„So wie Ome“, rief Line fragend.

„Ja, ja, so wie Ome und alle anderen auch, wenn sie leichtsinnig sind“, rief der Pastor und glaubte, seine Mission erfüllt zu haben.

Dann trat er wieder kräftiger in die Pedale, um seine Fahrt fortzusetzen.

Er sah sich noch einmal um und war zufrieden, dass Line die Brücke verließ.

Sie schaute dabei unablässig auf das Wasser und freute sich über die winzigen, silbrigen Perlen, die nun in regelmäßigen Abständen aus der dunkelbraunen Tiefe des Fleetes aufstiegen und zerplatzten.

Line stand inzwischen auf dem Sommerweg, sah dem Pastor hinterher, öffnete kurz den Mund und schloss ihn wieder, weil der Pastor nur noch so groß wie ein Streichholz war und sowieso nicht hören würde, was sie ihm noch wegen Ome sagen wollte.

Der Pastor war ihr sehr vertraut, und Line lief ihm noch ein Stück hinterher.

Hin und wieder kam es vor, dass keines der Nachbarskinder draußen war. Dann spielte Line allein zwischen dem großen Gemüse- und Obstgarten oder saß auf dem Holzsteg am Fleetufer. War sie mal nicht aufzufinden, gab es bestimmt eine Beerdigung.

Line liebte Beerdigungen. Sie war dann auf dem Friedhof und nahm mit gefalteten Händen und wachsender Lebensfreude zwischen weinenden Angehörigen an einem offenen Grab von irgendeinem Leichnam Abschied.

Unbemerkt hatte sie sich bei diesen kurzfristig anberaumten fremden Familienzusammenkünften oft bis dicht an das tiefe, mit Immergrün ausgeschlagene Erdloch zwischen den anderen Ruhestätten gemogelt.

Wie gemütlich es darin sein musste, dachte sie jedes Mal, wenn der Sarg mit großer Anstrengung von den schwarz verkleideten Totengräbern an dicken Seilen gehalten, so gemächlich wackelnd, für immer in der kühlen Tiefe verschwand.

Sie hatte sich rechtzeitig an dunkel gekleideten Männer- und Frauenhintern vorbeigedrängelt, um auf Tuchfühlung mit dem Pastor zu sein, wenn er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete und strenger Wortwahl um das Verständnis der Trauernden für Gottes Willen sorgte. Sie hörte, dass der Pastor dem Herrgott das uneingeschränkte Recht einräumte, unter den Menschen Leid und Trauer als Prüfung verbreiten zu dürfen, damit sie seine unerschöpfliche, göttliche Liebe erfahren konnten.

Wie komisch, dachte Line jedes Mal.

Die Predigt, die von der letzten und vorletzten und der davor und all den anderen kaum zu unterscheiden war, ging bei Line in ein Ohr hinein und aus dem anderen hinaus. Es war immer das gleiche, der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, Asche zu Asche und Staub zu Staub. Dann hatte Line für kurze Zeit das Gefühl, dass es eine dunkle Stelle im Himmel gab.

Und während sie unablässig und ohne Rührung in die verbitterten, tränennassen Gesichter schaute, studierte sie die Steigerung der Zusammenbrüche der ganz nahen Angehörigen, die sich durch schwanken auf wackligen Beinen, schluchzen mit bebenden Schultern oder ins Grab stürzen wollen, äußerten.

So war der Friedhof für Line auch ein Freilichttheater, in dem hin und wieder Dramen aufgeführt wurden, die ohne Beifall endeten.

Beinahe täglich inspizierte sie den Gottesacker.

Und wenn dann wieder und wieder der kahle Kopf des Totengräbers zwischen den Gräbern auftauchte und viel schwarze Erde auf den kleinen Hügel daneben flog, freute sie sich schon auf die Trauerfeier am nächsten Tag.

Im Sommer mangelte es zu Lines Kummer an diesen Veranstaltungen ganz erheblich.

Dann verhalf sie zu Tode gekommenen halben und ganzen Regenwürmern, Vogelgerippen, von Ackerwagen breit gefahrenen und von der Sonne gedörrten Fröschen mit erstaunlich gut erhaltener Farbgebung, zu einem blütenreichen Abgang in dunkler, feuchter Erde unter dem großen Rhododendron auf dem Rondell vor dem Haus von Frau Mu.

Der Frühling und der Herbst waren als Jahreszeiten dafür bekannt, dass sie unter den Dorfbewohnern immer für reichliche Todesfälle sorgten.

Es geschah aber auch, dass Line von einem Leichenzug auf der Landstraße überrascht wurde.

Mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen stand sie dann am Straßenrand und studierte mit ungebrochenem Interesse jedes Mal wieder durch halb geschlossene Lider die versteinerten und verheulten Gesichter, die in der ersten Reihe dem Sarg folgten.

Das Szenario des Trauerzuges verwandelte sich vor ihren Augen dann mehr und mehr in ein wunderschönes Gemälde.

Die tänzelnden Rappen, die vom Kutscher wegen des geringen Tempos streng gezügelt werden mussten, trugen an ihren schwarzen Halftern silberne Scheuklappen.

Aus den samtenen Mäulern tropfte weißer Schaum wie Schlagsahne, während sie ahnungslos verloschenes Leben über die dunkelblauen Basaltsteine der Landstraße zogen.

Aber das Schönste war für Line der schwarz gelackte Leichenwagen.

Vier dicke gedrechselte Säulen, an denen oben je eine lange schwarze Quaste schaukelte, trugen den Baldachin wie einen schwarzen Himmel, um den herum lange, schwarze Fransen wippten. Die üppige, bunte Blumenpracht auf dem Sarg war ein überwältigender Farbkontrast, der Line verzauberte.

Dieses großartige Gemälde, das an ihr vorüber zog, wurde zum Schluss von einem Streifen bleicher Gesichter gerahmt, die miteinander flüsterten, aber absolut nichts von Trauer hatten.

Line lauschte auf die gleichmäßig klackenden Pferdehufe und auf das leise und leiser werdende Konzert der vielen Schuhsohlen auf den Basaltsteinen.

Und der letzte dunkle Rücken eines guten Freundes oder Nachbarn des Leichnams, signierte am Ende des Trauerzuges ahnungslos Lines soeben erlebtes Gemälde.

Es verflüchtigte sich mit zunehmender Entfernung mehr und mehr, bis es schließlich ganz verschwunden, aber für immer und ewig in Lines Erinnerung bleiben würde.

Dann entfaltete sie ihre Hände und war unendlich zufrieden mit dem Gedanken, dass sie noch lebte.

Schon früh war für sie der Friedhof ein stiller, angenehmer Ort, an dem nicht nur die Toten Ruhe fanden. Es war auch ein Ort, an dem unzählige wilde Erdbeeren in Ruhe wachsen und reifen konnten, deren Entdeckung Line aus gutem Grund für sich behielt.

Zwischen den vielen Gräbern, die sie wegen der Bepflanzungen, der Kreuze und unterschiedlichen Grabsteine in schön oder hässlich einteilte, fühlte sie sich ausgesprochen lebendig.

Am liebsten ging sie an ein frisches Grab, das schon von weitem zu sehen war.

Wie ein bunt bezogenes, dickes Federbett bauschten sich die Kränze und Blumensträuße auf dem unlängst aufgeworfenen Grabhügel, der nach modriger Erde roch.

Sie saß dann in der Hocke davor, glättete die breiten, weißen Schleifen, die schwarz beschriftet und befranst waren und schaute voller Mitleid auf die vielen tot geweihten und welkenden Blumen.

Als die Sonne eines späten Nachmittags lange Schatten auf den breiten, sorgsam geharkten Kiesweg warf, leuchtete neben einem frischen Grab etwas, nach dem Line sich schnell bückte. Sekunden später hielt sie einen kleinen, bleichen Knochen zwischen ihren Fingern, den sie mit einem Gefühl von gruseliger Gewissheit, aber ohne Berührungsangst, in der kleinen Tasche ihres Kleides verschwinden ließ.

Zu dem Respekt, den sie dem Knochen entgegenbrachte, gesellte sich rasch eine große Begeisterung. Der Fund war so einmalig, dass sie beschloss, niemandem davon zu erzählen. Aber Line suchte sich dann doch einen verschwiegenen Mitwisser und ließ ihr Lieblingsschwein, das im Stall des Verrücktenheims im goldenen Stroh zuhause war, an dem kleinen bleichen Knochen riechen.

Von da an teilte sie mit ihm ihr erstes, dunkles Geheimnis.

Line fürchtete sich nicht auf dem Friedhof.

Ome hatte sich immer gefürchtet und vom schwarzen Sensenmann gesprochen, der unter einer tief nach vorn gezogenen Kapuze seinen Totenkopf versteckt und auf dem Friedhof spuckt.

Und Line hatte ihm widersprochen: „Spuuuuken, Ome, es heißt er spuuukt auf dem Friedhof, tut es aber nicht wirklich.“

„Die tot geblieben sind jawohl“, hatte Ome behauptet und mit dem Fuß aufgestampft.

Auf dem Friedhof gab es keine alten Bäume, die für Düsternis gesorgt hätten.

Aber eine weiße Gruft, befriedet von einem schwarz gelackten Eisenzaun und zu der es ein paar Stufen nach unten vor eine schmale Tür ging.

Dort hätte Line gern gewohnt.

Lines Freund Lüder hatte kopfschüttelnd gesagt: „Ne, Line, das kann man nicht, und außerdem liegt da doch schon einer drin.“

Und ihre Mutter hatte eine Gänsehaut bekommen und geflüstert: „Oh, mein Gott, Line, was sagst du da!“

Line hätte es trotzdem gern gewollt, auch schon deshalb, weil am Eingang ein wunderschöner, großer, weißer Marmorengel in einem langen, faltenreichen Gewand mit hoch erhobenen, segnenden Händen stand.

Die Schönheit des Engels beeindruckte und beruhigte Line, wenn sie nach oben in das ebenmäßige Gesicht und auf die geschlossenen Augen sah.

Die großen Flügel waren hoch aufgerichtet, und Line versuchte immer vergeblich, nicht an den schmutzigen Gänseflügel zu denken, mit dem Frau Mu die Brotkrumen vom Tisch fegte, und dem schon einige Federn fehlten.

Sie wollte diesen Vergleich einfach nicht.

Die Flügel des Friedhofengels waren unversehrt und so weiß wie Gänseblümchen.

Line hatte den Wunsch, sie wenigstens einmal zu berühren.

Auf Zehenspitzen, und mit ganz nach oben ausgestreckten Händen, reichte sie gerade an die Flügelspitzen heran und fühlte mit ihren Fingern die Federn aus Stein – und wie eiskalt sie waren.

Kuckucksspucke

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