Читать книгу Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach - Страница 26
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ОглавлениеHochbetrieb in der Kantine. Der lichte Pavillonkasten im ersten Innenhof des Polizeipräsidiums summt von Gesprächen und Essensgeräuschen. Nur wenige der Anwesenden tragen Anzug und Krawatte, die meisten Alltagsklamotten mit Freizeithauch. Die Uniformierten zwischendrin sitzen in Gruppen zusammen.
Frau Conrad hat mich vom Eingangsbereich an der Adickes-Allee zu einem kleinen Ecktisch gelotst. Corinna sitzt bereits dort. Als wir näher kommen, erfasst mich ein milder Schreck. Eine von Monas rauflustigen Spitzen klingt mir im Ohr. ,Mammi,’ erklärte sie eines Samstagmittags am Küchentisch ihrer entgeisterten Mutter, ,wahre Schönheit kommt von innen. Wenn Du nicht aus dir heraus strahlen willst, ist das schönste Make-up für den Arsch.’
Worauf Corinna gereizt entgegnete: ,Vielleicht weiß meine neunmalkluge Tochter auch, was man tut, wenn einem die Arbeit die Lust am inneren Strahlen raubt?!’ Worauf die, ohne eine Sekunde zu überlegen, meinte: ,Ganz einfach; dann arbeitest Du falsch. Oder machst die falsche Arbeit.’
Meine „dienstliche“ Corinna, kaum geschminkt, in schwarzem Rollkragenpulli, Bluejeans und gedeckt grünbraun kariertem Jackett, sieht angegriffen aus, überarbeitet oder übermüdet. Ihre oft strahlenden, grünbraunen Augen wirken glanzlos. Mona hat gut Reden.
„Hey, Corinna, Schatz.“
Sie nickt mit mattem Lächeln zu uns auf. Immerhin, kaum hängt meine Jacke über der Stuhllehne und Frau Conrad und ich nehmen einander gegenüber Platz, beugt Corinna sich seitlich zu mir und drückt mir ein spitzes Küsschen auf die Wange. Ich lege meinen Arm um ihr Schulter, ziehe sie zu mir, flüstere ihr ins Ohr:
„Und ich liebe dich auch.“
Sie errötet, schaut verlegen um sich, sagt in normaler Lautstärke:
„Aber nur, weil Du es bist.“
Corinna begnügt sich mit Erbsensuppe und Rindswurst. Ich gönne mir Kartoffelknödel mit Roulade und Rotkraut, mit Lust und Appetit auf Frau Conrads Kosten. Die, wieder in jeansgemäßem, rehbraunen Wildlederanzug, stochert in einem großen griechischen Salat herum.
„Na, Herzblatt, hast Du deine Personalsorgen begraben?“
Corinna zieht verärgert die Augen zusammen.
„Mann, Robert, lass uns lieber über ’s Wetter reden.“
Dann ändert sie die Tonlage.
„Und dir, meine liebe Vera, erteile ich einen privaten Verweis. Hinter meinem Rücken mit meinem ...“
Die geht vergnügt dazwischen.
„Hi, hi, das gefällt mir. Kennst Du die Steigerung von Freundin?“
Corinna, unbehaglich: „Nun sag schon!“
„Ganz einfach: Freundin, Chefin, Corinna.“
Der erstarrt die Hand mit dem Löffel über der Erbsensuppe. Corinna versucht es mit einem verlegenen Lächeln, streckt jedoch ihrer Kollegin kurzentschlossen die Zunge raus. Sie löffelt etwas Suppe, kaut bedächtig, fragt schließlich gönnerhaft:
„Also Robert; Vera sagt, Du hast rumgeschnüffelt. Hoffentlich rechtfertigt das Ergebnis deinen Besuch in unserem Gefechtsstand?“
Für mich ist dies die erste Gelegenheit, die zwei Kolleginnen gemeinsam zu erleben. Unser Treffen bietet ihnen bestenfalls eine kurze Unterbrechung der selten erheiternden Arbeit, einen willkommenen Anlass für kleine Sticheleien; Sympathiebekundungen, die im Normalbetrieb eher unterblieben. Von meiner Freizeitstimmung möchte ich ihnen gern ein wenig abgegeben. Wenigstens jetzt.
Warum also gleich über Arbeit sprechen?!
„Corinna-Schatz, die Gesellschaft zweier liebreizender Damen und ein wunderbares Mittagessen sind für mich Gründe genug. Was gäbe ich darum, dies öfter zu erleben?!“
„Ich trete dir gleich vors Wadenbein,“ kommt umgehend als Antwort.
Frau Conrad hält inne, als hätte sie sich verschluckt.
„Sag mal, wenn das euer gewöhnlich herzlicher Umgang ist, wundert es mich nicht, wenn ihr während der Woche ...“
„Vera, noch ein Wort, und es gibt keinen privaten, sondern einen dienstlichen Verweis!“
Corinna zieht die zwei Steilfalten zwischen den Augenbrauen zusammen; ein sicheres Zeichen für einsetzendes Missvergnügen. OK Conrad errötet leicht, sieht ihre Chefin verwundert an. Dann lächelt sie in meine Richtung:
„Wie gesagt: Freundin, Chefin, Corinna.“
Die schaut angestrengt auf ihre Rindswurst, schneidet schließlich eine Scheibe davon ab. Na schön, mein Herzblatt bastelt noch an ihrer Einstellung zu meinem Betreten ihres Herrschaftsbereichs.
„Hochverehrte Damen, ich lausche euren Freundschaftsbekundungen mit Vergnügen. Ansonsten schlage ich vor, wir essen in Ruhe und sprechen anschließend ein paar Minuten über das, was ich zum Fall „Dr. Neskovaja“ herausgefunden habe. Wie wäre das?“
*
„Beneidenswert. Kriminalistisch seid ihr zwei ein verblüffendes Gespann,“ erklärt Frau Conrad, nachdem ich meine Erkenntnisse vom Besuch der Ärztin und der Fahrt zu ihrem Wohnhaus mitgeteilt habe.
Der Hinweis ist deutlich genug.
Für Vera steht fest, Corinna spricht regelwidrig mit mir über Einzelheiten des Falls. Unklar bleibt nur, ob darin eine vorsichtige Warnung an die Chefin oder ein Funke Neid über unser Vertrauensverhältnis steckt.
„Jedenfalls ergänzt ihr euch gut in der Art, wie ihr die Einzelheiten des Angriffs zerpflückt und beurteilt. Ich stimme dafür, wir gehen öfter miteinander Essen. Wer stimmt dagegen?“
Sie hebt winkend ihre linke Hand, schaut mich auffordernd an.
Ich warte ab, wie Corinna sich äußert. Die begnügt sich mit einem matten Lächeln und der Feststellung:
„Kann sein. Uns beflügeln Nähe und Abstand gleichermaßen.“
Ein wenig leiser ergänzt sie hintersinnig: „Solange jeder die Zuständigkeiten und Zwänge des Anderen achtet.“
Na denn, mein Schatz, auf weiterhin gute Zusammenarbeit.
Wir hocken in Corinnas Arbeitszimmer, trinken Tee; Corinna genüsslich schlürfend hinter ihrem Schreibtisch, Frau Conrad halb stehend, halb sitzend auf einer flachen Bürokommode links daneben, ich in einem Besucherstuhl beiden Frauen zugewandt. Corinna schreibt hin und wieder Stichwörter auf ein Blatt Papier. Ihr Computerbildschirm bleibt – durchaus bemerkenswert – während des ganzen Gesprächs unbeachtet.
„Ich finde Ihre Hinweise sehr hilfreich, Herr Berkamp,“ meint Frau Conrad. „Nach der Sachlage erscheint es mir ebenfalls schlüssig, von zwei Tätern auszugehen. Aber wieso hat die Neskovaja mir den Einstich verschwiegen?“
„Nicht verschwiegen, Frau Conrad,“ verbessere ich. „Sie war sich dessen nicht bewusst bei Ihrem Gespräch.“
„Ach so! Und Sie, sim-sala-bim, fördern die tiefsten Tiefen ihres Gedächtnisses zutage, kaum dass Sie vor der Frau stehen. Dann sollte ich mich vor Ihnen in Acht nehmen oder nur im Beisein ...“
„Tja, mit etwas Geduld und ...“
„Geduld?!“ Frau Conrad verdreht die Augen in gespielter Entrüstung. „Ich war die Gelassenheit in Person, habe null Druck gemacht ...“
„Vera, wahrscheinlich hat Robert die Frau hypnotisiert und damit ...“
„Wie bitte?!,“ fährt die Kollegin hoch.
Hypnose? Das sei unzulässig, Herr Berkamp!
„Für Sie vielleicht. Bei mir gehört sie zum Handwerkszeug, als Coach mit einer entsprechenden Ausbildung ... ich tue es einfach.“
„Ohne ihre Zustimmung?“
„Die Dame war einverstanden. Abgesehen davon; vieles in der Werbung und fast jede Musik wirkt wie Hypnose, ohne dass Sie es merken und ohne Ihre Zustimmung. Was erschreckt Sie daran?“
Frau Conrad schaut mich verblüfft an, geht aber nicht näher darauf ein.
„Na schön. Sie sind sicher, der Buchstabe auf dem Briefkasten wurde kürzlich dorthin geschmiert und war ein „H“?! Wozu ein „H“?“
Mit Blick auf die „Geräte“ im Schlafzimmer des Angriffsopfers fällt ihr dazu nur das Wort Hure ein. Will sagen, der Buchstabe könnte eine Bedeutung für den Fall haben, selbst wenn wir seinen Sinn noch nicht kennen. Demnach, überlegt die Conrad laut, hätte der Täter Pinsel und Farbtopf bei sich gehabt. Ob das die Kapuzenfrau war? Ein Phantombild von ihr dürfte nichts bringen.
„Sehe ich auch so,“ hakt Corinna ein. „Abgesehen davon; die Brille wird Tarnung gewesen sein. Was diesen Buchstaben „H“ angeht, kein Wort dazu nach außen. Das halten wird strikt unter der Decke.“
„Finde ich gut. Und wir sind uns einig: Der Angriff war geplant, keine Gelegenheitstat,“ ergänze ich. Das nährt meine Befürchtung, es steckt mehr dahinter; eine weitergehende Absicht.
Corinna tippt den Druckknopf ihres Kugelschreibers gegen die Lippen und nickt versonnen.
„Möglich, ein „H“ als Symbol, das zum Tatort gehört. Insgesamt hat das Verhalten einen Ankündigungscharakter.“
„Also, Corinna,“ bietet Vera an; „schauen wir nach, ob es andere Taten ähnlicher Machart gibt. Wie weit? Raum Frankfurt?“
Die schaut immer noch gedankenversunken vor sich hin.
„Einverstanden, nimm West- und Mittelhessen dazu. Ankündigung und zwei Täter? Sollen wir von zwei Tätern ausgehen? Dann liegt der Gedanke an Überzeugungstäter nahe. Erfahrungsgemäß folgen die einer Art Plan, berufen sich auf einen höheren Auftrag; zum Beispiel religiöse Fanatiker ... oder andere Spinner.“
„Erklär mal genauer,“ bitte ich.
„Meist sind es Männer; und meist finden sich bei ihnen schwere Sexualstörungen. Sinn der Übung: Frauen bestrafen, die es in ihren Augen verdient haben. Jemand hält die Neskovaja aufgrund einer Fehlinformation für eine Prostituierte oder will sie entsprechend abstempeln; was weiß ich. Falls wir mit der Annahme richtig liegen, wären jedenfalls weitere Frauen in Gefahr.“
Corinna kritzelt erneut Stichwörter auf ihr Papier, sagt halblaut:
„Was mir Schwierigkeiten bereitet: Zwei Täter, ja. Aber einer davon eine Frau? Nee! Zumindest wäre das ungewöhnlich. Obwohl ich unsicher bin, wie diese Kapuzenfrau ins Bild passt. Die könnte rein zufällig nach der Wohnung der Ärztin gesucht haben. ... Andererseits, ich glaube nicht an einen Zufall.“
„Also, was tun, Boss?,“ fragt OK Conrad nach einer Weile allseitigen Schweigens.
„Geduld, mehr Befragungen. Wir müssen den Blickwinkel erweitern.“
Die Injektion zu Beginn des Überfalls beunruhigt sie. Der sollte dringend nachgegangen werden. Darf aber auf keinen Fall öffentlich erwähnt werden. Sie betrachtet die Spritze als Teil des Vorgehensmusters. Womöglich finden sich ähnlich gelagerte Fälle. Dann hätte einer der Täter zumindest medizinisches Grundwissen. Womit die Spur ins Arbeitsumfeld der Ärztin führen könnte.
„Okay, ich spreche mit Neskovajas Chef im Nordwest-Krankenhaus, ob es dort Auffälligkeiten gab. Und wie leicht oder schwer verwendete Medikamente zugänglich ist.“
„Schön, mach das. Aber offiziell sprechen wir wie bisher nur von einem Täter. Verstanden?!“