Читать книгу Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach - Страница 31

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Der Samstagmorgen fängt gut an.

Das Bett neben mir ist leer.

Aus der Küche dringt der gedämpfte Klang munterer Frauenstimmen. Ich nehme mir Zeit für Streck- und Kraftübungen sowie die Morgentoilette. Als ich, wie üblich in Jeans, Oberhemd und Sweatshirt, die Küche betrete, würdigen mich meine zur Zeit liebsten aller Frauen kaum eines Blicks. Von einem Morgengruß ganz zu schweigen. Immerhin hat eine von ihnen mir die Müslischüssel bereitet.

Corinna, schräg auf den Tisch gestützt mit dem Rücken zu mir sitzend, bespricht mit Mona den bevorstehenden Einkaufsbummel, gießt mir beiläufig Orangensaft über das Müsli. Unsere alltäglichen Umgangsformen.

Die Welt ist wieder in Ordnung.

Ich setze mich, beginne wortlos, Müsli zu löffeln.

Corinna, bereits in Jeans und hellbrauner Bluse, hält sich an ihrem Teepott fest. Sie schaut flüchtig über den Tisch zu mir, zieht die Lippen zu einem angedeuteten Küsschen zusammen.

Mona löffelt, wieder im dunkelgrünen Hausanzug, zufrieden die Reste ihres Müslis, grinst schelmisch in meine Richtung, deutet mit dem Kinn in Richtung Corinna.

„Hör zu, Berkamp. Meine dumme Mutter und ich haben zwei weitreichende Beschlüsse gefasst. Am nächsten Mittwoch komme ich mit zum Schießtraining. Du bringst uns bei, was Du von Black Buffalo Carey gelernt hast. Bitte, sag ,Ja!’“

„Mein kluges Töchterchen weiß manchmal besser als ich selbst, was uns gut tut,“ ergänzt Corinna gelassen.

Sie ist bereits geschminkt, sieht ausgeschlafen und gut aus.

Mona steht auf, trinkt ihren Teepott leer und erklärt:

„Leute, ich mache mich stadtfein, dann touren wir los. Nach dem Essen darf Berkamp seinen beiden Frauen ein Geschenk unserer Wahl kaufen. Anderenfalls drohen wir mit Liebesentzug. Auf geht ’s.“

*

Wir fahren mit meinem X-3. Während wir gemächlich durch Weißkirchen in Richtung Frankfurter Nordweststadt rollen, meldet sich Mona von der Mitte der Rücksitzbank.

„Ach ja, ich muss noch den zweiten Beschluss verkünden. Angenommen, Berkamp, Mammi würde dich bitten, sie zu coachen ... kleine Dinge, wie gestern Abend ... na ja, wo wir ... Du weißt schon ... der Zoff gestern. Was hältst Du davon?“

„Ich halte mich lieber an die Wirklichkeit.“

Mona versetzt mir einen Klaps auf die Schulter.

„Mann, Du weißt genau, was ich meine. Würdest Du das machen?“

„Ich übernehme keine hoffnungslosen Fälle.“

„Dafür gehört dir der Hintern verhaut,“ mischt sich Corinna ein.

„Aber nicht, während ich fahre.“

Mona kichert, lässt nicht locker.

„Was ist, wenn sie dich ganz lieb bittet?“

„Dann schicke ich sie weg. ... Wegen erwiesenem Mangel an Veränderungswillen.“

Worauf Corinna „anmaßender Klugscheißer“ befindet. Ein augenzwinkernder Blick zur Seite bestätigt: Sie verfolgt den Wortwechsel zwischen Mona und mir mit erheiterter Gleichgültigkeit.

Mona überlegt mehr zu sich selbst:

„Hm, erwiesener Mangel ... genau das kann man doch ändern, oder?“

„Tun wir andauernd, Mona-Schatz. Unser alltägliches Zusammenleben ist Coachen genug ... für alle drei.“

„Wie wahr,“ bestätigt Corinna, „dafür sorgst Du unermüdlich.“ Und an Mona gerichtet: „Weil selten ein Typ so anstrengend ist wie Robert, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte.“

„Nach diesem Lob aus berufenem Munde bekenne ich mich schuldig im Sinne der Anklage,“ gebe ich zu verstehen.

Worauf Corinna mir grinsend die Zunge rausstreckt.

Die Regenwolken des frühen Morgens haben sich verzogen. Die Luft ist mild und die Sonne am hellblauen Himmel verspricht einen freundlichen Samstag. Wir parken am Gerhart-Hauptmann-Ring vor dem Häuserblock, in dem Corinnas Wohnung liegt. Von hier schlendern wir einige hundert Meter hinüber zum Nordwest-Zentrum. Ein weitläufiger, von außen grauer, innen lebhafter, mehrstöckiger Betonklotz mit Boutiquen, Kaufhäusern und Restaurants in großer Auswahl unter einem riesigen Gewölbe aus silbrigen Stahlstreben und viel Glas.

„Mir ist heute stark nach Fisch zu Mute,“ bekennt Corinna auf der Rolltreppe ins erste Obergeschoss.

„Gute Idee, mir auch,“ erklärt Mona.

„Schön. Gegen Halbeins, schafft ihr das? Corinna, Mona? Da drüben am Eingang des Fischrestaurants?“

„Okey-dokey, hoffentlich reicht unser Geld bis dahin,“ verkündet Corinna, hakt sich bei ihrer Tochter ein und zieht sie beschwingt mit sich.

*

Kurz nach halbeins gegenüber dem Eingang zum Fischrestaurant.

Zu den Aufgaben des wohlerzogenen Ehemanns, in unserem Fall auch Lebenspartners, gehört, ergeben zu warten, bis seine Angebetete aus ihrem Konsumrausch erwacht. Wenn sie schließlich mit der selbstverständlichen Verspätung am verabredeten Treffpunkt erscheint, hat er gefälligst seine Freude überzeugend zum Ausdruck zu bringen. Wobei die Freude mit der Dauer des Wartens unweigerlich abnimmt.

Fünfzehn Minuten später. Von Corinna ist weit und breit nichts zu sehen. Wenige Minuten vor ein Uhr entdecke ich Monas Gesicht im Strom der vorbeibummelnden Menschen. Wer sie nicht kennt und zufällig genauer hinschaut, mag Langeweile in ihren Augen lesen. Für mich ist die Mischung aus Enttäuschung und Verärgerung sogleich erkennbar.

Als sie mich sichtet, hebt und senkt Mona ratlos beide Schultern. Neben ihrer zerknautschten Lederhandtasche trägt sie den Stoffbeutel eines Buchladens.

„Mangel an Veränderungswillen! Mann, Berkamp,“ ruft sie, noch in gut fünf Meter Entfernung, „Echt hoffnungslos. Mammi kommt nicht.“

Aha! Sind wir jetzt überrascht? Zumindest leicht verstimmt. Mona lehnt sich neben mich mit dem Rücken an das Edelstahlgeländer, das den breiten Weg entlang der Läden begrenzt.

„Mammi ist weg, dienstlich, was sonst. Wir waren gerade in der Wäscheboutique eine Etage höher. Ich wollte ihr ein paar heiße Dessous schmackhaft machen. Da plärrt ihr Handy. Ich hasse das.“

Natürlich ... das Ding hat kaum losgetönt, schon hängt Corinna dran. Bla-bla-blah, wie leid es ihr tut; Mona kennt das alles zur Genüge. Und sie soll mir bitte bescheid sagen.

„Weißt Du, wie das ist, Berkamp? Ruckzuck einfach stehen gelassen werden, so kam ich mir vor, mal wieder.“

Mit jedem Satz klingt sie mehr verärgert.

„Stimmt, das ist doof, Mona!“

Was blieb ihr anderes übrig?! Sie hat ihren Frust in einem Pott Kaffee ertränkt, sich anschließend in den Buchladen am Seitenflügel „Nidacorso“ verkrochen und dabei die Zeit vergessen.

„Hier, schau mal, ich habe etwas über chinesischen Kampfsport und Tao-Energie gefunden. Musst Du unbedingt lesen. Auch für den Umgang mit Mammi. Aber erst gehen wir essen, okay?“

Kriminalhauptkommissarin und freies Wochenende vertragen sich wohl nur gelegentlich.

„Hat sie den Grund genannt? Sie hat keine Bereitschaft heute, oder?“

„Quatsch. Bei der spielt das eh keine Rolle.“

Von Entführung war die Rede. Aber wer, wo, wie hat Mona nicht mitbekommen. Es wird nicht lange dauern, hat Corinna gemeint, höchstens zwei Stunden. Wer es glaubt, wird selig. Sie hat sich ein Taxi genommen und ist entfleucht.

„Wirklich schade, Mona. Schwacher Trost, ich erlebe das auch nicht zu ersten Mal. Komm, lass uns Fische fangen. Anschließend verwöhnen wir uns mit Torte und Kaffee.“

Das Fischmenü schmeckt bestimmt köstlich. An anderen Tagen.

Mona kaut wortkarg, schaut missmutig vor sich hin.

„Entführung,“ erklärt sie zwischendurch abfällig. „Damit müsstest Du dich doch auskennen? Von San Francisco mit der kleinen Janey? Hast Du danach die polizeilichen Maßnahmen mitbekommen?“

„Ja, leider. Die haben nur halbherzig ermittelt. Dem Mädchen war ja nicht viel geschehen.“

Mona kaut im Verzögerungsgang.

„Schau mal in deinem FBI-Handbuch nach, was die zu Entführungen schreiben. Ich denke, entweder das Opfer ist bereits tot. Oder es läuft auf eine Lösegeldforderung hinaus. Jedenfalls bestimmen die Erpresser den Gang der Dinge.“

„Soll uns das den Appetit am Essen endgültig verderben?“

„Davon rede ich doch, Berkamp. Zappeln lassen gehört zur Vorgehensweise von Entführern. Kein Grund also, dass Mammi wie eine Verrückte losrennt. Sie hätte wenigstens mit uns essen können. Außerdem gibt es jede Menge Kollegen, die in solchen Fällen ...“

„Sag mal, Mona, kennst Du Oberkommissarin Conrad.“

Sie stutzt, eine Spur Misstrauen im Blick.

„Oh, hallo, Berkamp! Du kennst die Conrad?! Näher? Dienstlich oder privat? Von ihrem Volkstheater? Hast Du mit der was vor?“

Die Vorstellung hellt meine Stimmung ein wenig auf.

„Vielleicht, wenn Corinna so weitermacht und sich ihr Drang zum diensthabenden Beziehungsflüchtling ...“

„Ne, ne, ne, mein Lieber, ich bin auch noch da,“ unterbricht Mona entschieden. „Schön bei der Wahrheit bleiben! Oder war deine Liebeserklärung gestern nur leeres Gerede? Wenn Corinna verduftet, was wird dann aus mir?“

Monas Sinn für das Praktische verblüfft mich immer wieder. In solchen Augenblicken fühle ich mich darin bestätigt. Ihr bedeutet unsere Wochenendfamilie sehr viel, möglicherweise mehr als Corinna.

„Mona, meine Liebe liegt dir unverändert zu Füßen. Ich betrachte dich nicht als Corinnas Anhängsel. Um das klar zu sagen, ich mag unser Leben zu dritt und hoffe, dass es eine Weile erhalten bleibt. Aber sei ehrlich, irgendwann suchst Du dir selbst etwas anderes.“

„Ja, schon. Trotzdem; Du weißt doch, ich will mir damit Zeit lassen. Ich finde, ich brauche das. Und Du warst damit einverstanden. Aber wenn Mammi so weitermacht ... soll ich darunter leiden?“

„Vera Conrad ist mir in der Hautklinik in Königstein über den Weg gelaufen. Sie ist federführend im Fall Neskovaja. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt und Corinna und der Conrad am Mittwoch im Präsidium davon berichtet.“

„Weißt Du noch, Berkamp, wie Du mich kennen gelernt hast? Nach der Schießerei mit Schuster? Bei unserem ersten Telefongespräch habe ich dich gefragt, wie lange Du es noch aushältst. Dass Mammi eigentlich immer abwesend ist. Selbst wenn sie neben dir sitzt, sogar an Wochenenden ... immer bei ihrer Polizeiarbeit. Freiwillig macht das keiner ewig mit. Damals hast Du mir nicht geglaubt. Obwohl ich weiß, wovon ich spreche.“

„Stimmt, Du hast mich gewarnt.“

In mancher Hinsicht ist Mona wie ein offenes Buch.

„Vergiss die Conrad.“

Du musst nur Geduld haben und zwischen den Zeilen lesen.

„Sie ist nett, Berkamp, offener. Aber als Frau würde die keinen großen Unterschied machen. Die ist genauso mit Leib und Seele Polizistin wie Mammi. Also, was hättest Du davon?“

„Mona, Du denkst sehr viel weiter als ich. Besten Dank für die Warnung. Komm, lass uns rübergehen ins Café.“

*

Die Wohlgerüche in Kaffeehäusern wie Starbucks stellen meine Teeleidenschaft immer auf eine harte Probe. Na schön, wenn ich schon nur mit meinem Schwarm Mona ausgehe.

„Und, was machen wir jetzt mit Mammi? Wenn Coachen sinnlos ist, Tränen und Schimpfen nichts bewirken ...? Verstehst Du, wir können nicht dauernd blöd dasitzen und Schokolade fressen, oder?,“ grollt Mona vor sich hin.

Ich versuche es mit aufmunternder Ablenkung.

„Können schon; aber wollen wir? Zum Glück kommen die richtigen Antworten gelegentlich von selbst. Wie wenn Du zufällig ein Buch über Tao im Kampfsport findest.“

„Was hat das mit uns Zurückgelassenen zu tun?“

„Vielleicht steht darin etwas über „Ba-Gua“, eine sanfte, aber sehr wirkungsvolle Kampfform. Meine Trainerin in San Francisco ... die war unglaublich gut darin. Bloß mit einer schnellen Handbewegung hat die Frau mich auf die Matte geschmissen .... Ihre Grundregel: Nichts ist persönlich. Tao vom Feinsten.“

„Nichts ist ... Wie meint sie das?“

„Strikt zwischen deiner Person und deinen Erlebnissen trennen.“

Du sollst lernen, innerlich alles auf Abstand zu halten, was andere dir antun. Das bildet die Grundlage jeder Selbstverteidigung.

„Klingt gut; aber Mammi ist abgehauen, obwohl sie heute Morgen fest versprochen hat ... Das soll ich nicht persönlich nehmen?“

„Überleg mal, Mona. Ihr Verhalten ist eine Sache, selbst wenn es uns berührt. Aber wie wir damit umgehen, entscheiden allein wir.“

„Hört sich an wie eine deiner Regeln beim Coachen.“

„Ist trotzdem hilfreich. Niemand kann dich beleidigen, außer Du gestattest es ihm in deinem Denken. Letzten Endes beleidigst Du dich selbst dabei. Wozu solltest Du dir das antun?!“

„So gesehen – das gefällt mir, Berkamp. “

„Ging mir genauso. Aber es richtig zu verstehen und zu beherzigen kostet Zeit und Mühe. Und Üben bei jeder Gelegenheit.“

„Aha!“

Monas Augen bekommen ein kleines Leuchten.

„Also, wenn Mammi verduftet – das kann uns missfallen. Oder wir sagen: „Klasse!“ und freuen uns darüber?!“

Erst sieht sie mich nur ruhig an. Länger. Dann werden die Augen größer, die Wangen straffen sich in kleinsten Bewegungen zur einem unverkennbaren Flirtblick.

Mir läuft es heiß über den Rücken.

„Hey, wie süß, Du wirst ja rot, Berkamp.“

Ertappt.

„Wenn Du mich so anschaust, Mona.“

„Mann, wir üben nur. Nichts ist persönlich, nichts ist ...“

Sie trinkt zügig ihre Tasse leer, klopft sich mit beiden Hände auf die Oberschenkel, verkündet im Aufstehen:

„Kapiert! Das war das letzte Mal, dass Mammi mich damit angekratzt hat. Von mir aus kann sie bleiben, wo der Pfeffer wächst.“

Die Hexe zum Abschied

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