Читать книгу Napoleons Sohn - Günter Müchler - Страница 15

Kaiser der Republik

Оглавление

Napoleon ist nach der Verfassung Erster Konsul, seine Amtszeit ist auf zehn Jahre begrenzt. Konsuln waren die Spitzenbeamten in der von den Jakobinern für besonders tugendhaft gehaltenen und deshalb idealisierten römischen Republik. In Notzeiten übertrugen die Römer einem Einzelnen für beschränkte Zeit außerordentliche Vollmachten, dem Diktator. In dieser Rolle sieht sich der Konsul Bonaparte. Seinen Amtseid leistet er auf die „eine und unteilbare Republik, die auf der Souveränität des Volkes, der Repräsentativverfassung, der Aufrechterhaltung der Gleichheit, auf der Freiheit und der Sicherheit der Person und des Eigentums beruht“. Von Anfang an zerrt der Konsul an den Ketten. Seine Wesensart verträgt sich schwer mit dem Geist der Machtteilung. Alles, was seinen Gestaltungswillen bremst, ist ihm lästig. Seine beiden Mit-Konsuln finden sich schon bald auf dem Abstellgleis wieder. Kritik ist nicht verboten, aber die Zahl der Kritiker ist überschaubar, aus Opportunismus oder weil man die Überlegenheit des jungen Korsen neidlos anerkennt. 1802 wird Napoleon zum Konsul auf Lebenszeit ernannt. Auch in diesem Fall kann von einer Vergewaltigung nicht die Rede sein. Ein Plebiszit bestätigt, dass die Nation in ihrer überwältigenden Mehrheit mit ihrem Diktator einverstanden ist. Zufrieden sind vor allem die Notabeln und die „Königsmörder“. Sie nehmen den Konsul gegen den Vorwurf in Schutz, er verrate die Revolution. Ist Bonaparte nicht der beste Beweis dafür, dass im neuen Frankreich Ämter nur noch nach Verdienst und Leistung verliehen werden statt nach Herkunft? Ja, repliziert die scharfzüngige Madame de Staël. Napoleon sei ein Kind der Revolution, das lasse sich nicht bestreiten. Aber dieses Kind sei muttermörderisch. Ohne Frage ist das Verhältnis des Konsuls zur revolutionären Vergangenheit undurchsichtig. Nach dem Brumaire-Putsch erklärt er die Revolution für beendet. Die Kühnheit, mit welcher der junge Mann – wer ist er denn schon! – das weltgeschichtliche Stück aus dem Programm nimmt, verschlägt die Sprache. Allerdings setzt er vieldeutig hinzu, die Revolution sei „zu den Grundsätzen zurückgekehrt“. Was bedeutet das? Die Zukunft wird zeigen, dass der Konsul immer stärker zur Alleinherrschaft drängt. Andererseits lässt er wesentliche Errungenschaften, die im Kampf gegen das Ancien Régime durchgesetzt wurden, unangetastet. Es bleibt bei der Gleichheit vor dem Gesetz. Wer herrschen soll, bestimmt nicht mehr die Abstammung, sondern die Nation. Ihre Entscheidungen sind zu respektieren. Die Nation hat entschieden, dass die Kirche nicht mehr Grundbesitzerin sein soll und dass Aristokraten, die im Ausland gegen Frankreich kämpfen, ihr Vermögen verlieren. Also bleibt es dabei. Die Neubesitzer atmen auf. Allem Anschein nach ist auf den Ersten Konsul Verlass. Er bringt es sogar fertig, dass der Papst mit seiner Unterschrift die Enteignung der französischen Kirche bestätigt. Als am Pfingsttag des Jahres 1802 in der Kathedrale Notre Dame de Paris, in der die Jakobiner in ihrem Entchristlichungseifer dem obskuren „Höchsten Wesen“ gehuldigt hatten, das Konkordat mit dem Heiligen Stuhl gefeiert wird, hat der Pontifex einen hohen Preis gezahlt: Die Kirche erkennt den Verlust ihres Grundbesitzes an.

Das Jahr 1802 markiert den ersten Höhepunkt der Napoleon-Zeit. Die Dauerfehde mit dem Erzfeind England scheint durch den Frieden von Amiens ad acta gelegt. Auch in Frankreich selbst kehrt Ruhe ein. Die Vendée ist befriedet, der Kirchenkampf beendet. Der Konsul hat vorgeführt, dass er die alten Bürgerkriegsparteien gleichermaßen auf Distanz zu halten versteht. Den Jakobinern sind die Flügel gestutzt. Die Royalisten, die sich schon eingebildet hatten, der Konsul spiele ihnen in die Karten, werden unsanft aus ihren Träumen gerissen. Der Bruder des hingerichteten Ludwigs XVI., der als „Comte de Lille“ im englischen Asyl lebt und der Napoleon einen werbenden Brief geschickt hat, erhält zur Antwort: „Sie sollten sich nicht wünschen, nach Paris zurückzukommen. Sie müßten über Hunderttausende von Leichen gehen“.12 Die Propagandawalze prägt das Bild vom Ersten Konsul, dem „Sieger und Friedensbringer“ (vainqueur et pacificateur).

Aber der Frieden von Amiens hält nicht. Das Misstrauen sitzt zu tief. Frankreich hat, zum zweiten Mal seit Ludwig XIV., das kontinentale Kräftegleichgewicht außer Kraft gesetzt. Auf die Dauer wird das nicht hingenommen. England fühlt sich von der Machtstellung des Rivalen auf der anderen Kanalseite beunruhigt. Die Niederlande – sie heißen jetzt „Batavische Republik“ – stehen unter der Vormundschaft Frankreichs. Belgien, also die ehemaligen habsburgischen Niederlande, wurde von der französischen Republik 1795 annektiert. In England herrscht Invasionsangst. Österreich leidet unter seiner Zurücksetzung. Es hat seine Stellung im Norden Italiens eingebüßt und sieht sich mehr und mehr auch aus Deutschland herausgedrängt. Schon bald werden die Spannungen in neuen Krieg umschlagen. Im Innern ist jederzeit mit monarchistischen Komplotten zu rechnen. Nein, die Republik ist weit davon entfernt, gefestigt zu sein. Sie wird die sich ankündigenden Stürme nur dann überstehen, wenn man dem Hoffnungsträger noch mehr freie Hand lässt.

Napoleons Unterstützer treten in einen Überbietungswettbewerb ein. Zunächst wird der Erste Konsul zum Konsul auf Lebenszeit befördert. Das Volk stimmt in einem Plebiszit zu. Das war zu erwarten. Napoleon ist der Mann der Stunde. Schon überraschender ist, dass die Abgeordneten mit der zeitlichen Entgrenzung der Diktatur offenbar kein Problem haben. In den gesetzgebenden Körperschaften sitzen noch viele alte Jakobiner und ihnen müssten sich eigentlich die Haare sträuben. Schließlich wird der Konsul sogar ermächtigt, dem Senat seinen Nachfolger vorzuschlagen. Was ist das anderes als der Einstieg in die Erblichkeit? Hat man das Königtum beseitigt, um es durch eine Dynastie von Militärdiktatoren zu ersetzen? Aber die antiautoritären Reflexe sind abgeschlafft. Außerdem muss man ja zugeben: Über alles hatten sich die Vordenker der Revolution den Kopf zerbrochen, über die beste Art, Gesetze zu machen, über einen neuen Kalender, über einen Staat ohne König. Bloß darüber, dass auch die Republik ohne eine Regierung nicht auskommt, und wie sie beschaffen sein soll, hatte man nicht nachgedacht. Zum Dank bekam man einen Wohlfahrtsausschuss, der mit seinem Tugend-Terror derart wütete, dass man nun erst recht keine starke Regierung mehr wollte. Inzwischen hat man dazugelernt. Ein Großstaat, der zudem von vielen Seiten in seiner Existenz bedroht wird, braucht eine kräftige Führung. Mag sein, dass man jetzt zu viel davon hat. Aber die Zeiten sind nun einmal schwierig. So denken viele der alten Revolutionäre. Und so, wie sie früher in ihrem Furor die Heiligenfiguren an den Portalen der Kathedralen enthaupteten, rasieren sie jetzt ihre geheiligten Ideale ab. Sie geben sich der Schwerkraft hin. Niemand will zurück, will zur Anarchie, geschweige denn zu den Bourbonen. Also ebnen sie Napoleons Weg zur Alleinherrschaft.

1804 setzt sich Napoleon die Kaiserkrone auf. Auch dieser Schritt wird durch Volksabstimmung beglaubigt. Einen Kaiser hatte Frankreich noch nicht. Aber das Wort klingt weniger fremd als Konsul, und König wäre angesichts der Vergangenheit denn doch zu provokant. Im Tribunat, einer der gesetzgebenden Körperschaften, widerspricht als Einziger Lazare Carnot. Das Nein des Schöpfers der Volksbewaffnung fährt wie ein scharfer Blitz aus dem veruntreuten republikanischen Himmel herab und erhellt für einen kurzen Augenblick, wie radikal anders die politische Landschaft geworden ist. Vor wenig mehr als einem Jahrzehnt hatten die Jakobiner der Monarchie ewigen Hass geschworen. Jetzt ist es der Ex-Jakobiner Jean François Curée, der den Antrag stellt, „Napoleon Bonaparte, den derzeitigen Ersten Konsul zum Kaiser der Franzosen und die kaiserliche Würde in seiner Familie für erblich zu erklären“13.

„Dem Bonaparte, der ein Washington von Europa werden konnte und nur dessen Napoleon ward, ihm ist nie wohl geworden in seinem kaiserlichen Purpurmantel.“ Über dieses Diktum Heinrich Heines lässt sich streiten.14 Richtig ist, dass Napoleon selbst bei der Anbahnung des Kaisertums kaum Fingerabdrücke hinterlassen hat. Er muss sich nach der Krone nicht recken – das erledigen die Verhältnisse. Die Idee, die Republik gleichsam zu purpurisieren, ist wohl erstmals nach der Schlacht von Marengo aufgekommen. Bei Marengo in Piemont schrammt Napoleon im Juni 1800 haarscharf an einer Niederlage vorbei. Nur das beherzte Eingreifen des Generals Desaix bewahrt ihn davor. Die tödliche Kugel, die Desaix traf, hätte genauso gut ihn treffen können – nicht auszudenken die Folgen! Napoleon ist Frankreich. Er ist nicht bloß der oberste Feldherr, er ist auch Regierungschef. Das Sterblichkeitsrisiko ist gleich hoch in beiden Funktionen. Ein paar Monate nach Marengo, am Heiligen Abend des Jahres 1800, explodiert in der rue Saint-Nicaise eine „Höllenmaschine“, als sich Napoleon auf der Fahrt in die Oper befindet. Nur knapp entgeht er dem Anschlag, dessen Urheberschaft nie wirklich geklärt wird. Der Polizeiminister Fouché ist überzeugt von einer royalistischen Verschwörung. Dagegen beharrt Napoleon auf der Version, Jakobiner hätten ihm nach dem Leben getrachtet. Zur Abschreckung lässt er 130 radikale Vertreter dieser Partei in die überseeischen Territorien schicken. Anfang 1804 wird ein Komplott der Generäle Moreau und Pichegru aufgedeckt, das diesmal zweifelsfrei einen royalistischen Hintergrund hat. Der Vorfall gibt der Frage, was bei einem gewaltsamen Tod des Konsuls aus Frankreich werden soll, neue Aktualität. Napoleon erklärt mehrdeutig: „Die vielen Anschläge auf mein Leben erwecken keine Furcht in mir. Aber ich kann den schrecklichen Gedanken nicht loswerden, wie es heute um unser großes Volks stünde, wenn das letzte Attentat erfolgreich gewesen wäre.“ Das ist Heuchelei und trifft dennoch ins Schwarze. Denn so, wie die Dinge liegen, ist die Stabilität des Staates von der Unversehrtheit des Konsuls nicht zu trennen. Der Vizepräsident des Senats, Le Couteulx de Canteleu, fasst die Mehrheitsmeinung so zusammen: „Es ist unerläßlich, daß das Staatsschiff, wenn es seinen Lotsen verlieren sollte, einen Notanker habe, der, im Fall eines so großen Unglücks, es vor dem Schiffbruch rette“.15 Der Notanker ist die Vererbung der Herrschaft vom Vater auf den Sohn. War diese Methode der „translatio imperii“ nicht schon von den Capetingern praktiziert worden? Ein Schuft, wer Böses dabei denkt!

Indessen steht die abgeschaffte Monarchie 1804 nicht einfach wieder auf. Nach Artikel 1 des Gesetzes, das die Kaiserwürde einführt, ist der Monarch „Kaiser der Republik“. Napoleon nennt sich nicht „Kaiser von Frankreich“, sondern „Kaiser der Franzosen“, was mehr als eine Nuance ist: Das Volk bleibt die Quelle der Legitimität. Am 2. Dezember, dem Krönungstag, schwört Napoleon, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubensfreiheit sowie die bürgerliche und politische Freiheit zu bewahren, Steuern nur aufgrund von Gesetzen zu erheben und – nicht zuletzt – „die Unwiderrufbarkeit des Verkaufs der Nationalgüter“ zu garantieren. Auf Münzen, die 1804 geschlagen werden, liest man „République Française, Empereur Napoléon“. Die Frage, ob überhaupt die Staatsform wechselt, wird empfindsam in der Schwebe gehalten.16

Napoleons Sohn

Подняться наверх