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Joséphines Opferung

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Mit der Verleihung der erblichen Kaiserwürde ist „das Staatsschiff, wenn es seinen Lotsen verlieren sollte“, allerdings noch nicht gerettet. Noch fehlt der „Notanker“, der Kaiser hat keinen Erben. Seine 1796 mit Joséphine Beauharnais geschlossene Ehe ist kinderlos geblieben. Das tut weh, Napoleon ist ein Familienmensch. Der Korse hat vier Brüder und drei Schwestern. Er macht sie zu Königen und Prinzessinnen und hält in Clansmanier auch dann noch an ihnen fest, wenn sie sich als unfähig oder unwürdig erwiesen haben. Josephines Kinder, Hortense und Eugène, adoptiert er. Er hängt an ihnen, vor allem an Hortense. Er verheiratet sie mit seinem Bruder Louis, dem neuen König von Holland. Louis ist ein schwieriger Charakter, und die Verbindung wird für Hortense zur Hölle. Aber immerhin entspringt ihr ein Sohn.

Napoleon-Charles ist der erste männliche Spross des Bonaparte-Clans. Er hat viel Ähnlichkeit mit seinem Onkel, und es fällt dem Kaiser nicht schwer, in dem reizenden Kind den Thronerben zu sehen. Er hat Napoleon-Charles im Hinterkopf, als er im Familienstatut, das 1806 erlassen wird, die Erziehung der Prinzen und Prinzessinnen des Hauses Bonaparte für sich reklamiert. Man müsse verhindern, erklärt er in einer Botschaft an den Senat, dass sie unter den Einfluss von Schmeichlern gerieten und zu korrumpierten Souveränen würden. Deshalb solle „die Wahl der Erzieher der Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses Aufgabe des Kaisers sein“.17 Dem kaiserlichen Onkel wächst Napoleon-Charles ans Herz. Es entzückt ihn, wenn ihn der Kleine „Nonon“ nennt, und er ist amüsiert, wenn er seine ersten Brieflein mit „Napoleon“ unterschreibt. Aber das Glück währt nicht lange. Am 5. Mai 1807 stirbt Napoleon-Charles, vier Jahre und sieben Monate alt. Er stirbt am Krupp, einer Krankheit, die man noch nicht lange kennt und gegen die die Mediziner kein Heilmittel haben.

Die Todesnachricht erreicht Napoleon fernab von Frankreich, in Westpreußen. Er hat sein Hauptquartier in Schloss Finckenstein aufgeschlagen und ist damit beschäftigt, den Krieg gegen Russland und Preußen, der sich in die Länge zieht, siegreich zum Abschluss zu bringen. Daneben genießt er galante Gesellschaft. Maria Walewska ist in Finckenstein. Der Kaiser hat die schöne polnische Gräfin, seine neue Geliebte, erst vor Kurzem in Warschau kennengelernt.6

Nach der Schlacht von Friedland (Juni 1808) ist der Weg frei für den Frieden von Tilsit. Preußen wird von Napoleon mit brutaler Härte bestraft. Es verliert die Hälfte seines Territoriums. Der schwache König Friedrich Wilhelm III. bewahrt die Hohenzollernkrone nur dank der Fürsprache des Zaren. Demgegenüber wird Russland äußerst nachsichtig behandelt. Es muss lediglich der Kontinentalsperre beitreten und den Wirtschaftskrieg gegen England unterstützen. Dafür darf es sich sogar Finnland einverleiben. Nie war Napoleon großmütiger gegen einen besiegten Feind. Er bietet dem jungen Zaren Alexander, der ihm sympathisch ist, sogar eine Art Machtteilung an.

Der „Geist von Tilsit“ wird schon bald verwehen, doch im Moment hat Napoleon alles erreicht. „Ich hatte Wechselfälle des Glücks kennengelernt, hatte Sorgen gehabt … Nun sah ich mich siegreich. Ich diktierte Gesetze, und Kaiser und Könige machten mir den Hof“, kann er später ohne Übertreibung sagen.18 Ein Jahr nach Tilsit präsentiert sich das Grand Empire in seiner ganzen Macht und Herrlichkeit. Beim Fürstentag in der kaiserlich-französischen Domäne Erfurt stehen die Könige Schlange. Sie müssen zugeben, dass es ein Fehler war, in dem korsischen Aufsteiger nur einen vom Glück begünstigten Condottiere zu sehen.

Die Vormachtstellung des Empire scheint unerschütterlich zu sein. Aber kann ein Reich auf Dauer bestehen, das kein anderes Recht für sich hat als das Recht des Stärkeren? Das Empire ist durch sein rasantes Wachstum nicht stabiler geworden. Im Gegenteil: Je größer die Ausdehnung, desto deutlicher treten die Schwachstellen hervor. Was die hochmütigen Souveräne betrifft, die ihre Throne haben bewahren können: Sie fürchten Napoleon, werden aber keinen Augenblick zögern, über ihn herzufallen, wenn er die Zügel lockert. Für sie bleibt er ein Emporkömmling. Daran hat auch sein Kaisertum nichts geändert, das sie heimlich verhöhnen. Wie kann er sie dazu bringen, ihn als Ihresgleichen anzusehen? Was verleiht dem Empire Halt? Die Familienverbindung mit einem alten Herrscherhaus? Der Bedarf eines legitimen Thronerben wird immer dringlicher.

Lange Zeit hat Napoleon geglaubt, er selbst sei die Ursache für die Kinderlosigkeit seiner Ehe. Der Gedanke ist nicht abwegig, schließlich hat Joséphine aus der früheren Verbindung mit dem General Beauharnais zwei Kinder. Im Dezember 1806 erfährt der Kaiser jedoch, dass eine Affäre, die er mit einer Vorleserin seiner Schwester Caroline Murat hatte, nicht folgenlos geblieben ist. Die Geburt des Sohnes Léon wird vor der Öffentlichkeit geheim gehalten.7 Politisch aber hat sie eine große Tragweite. Napoleon weiß jetzt, dass er Vater werden kann. Von nun an steht die Scheidung von Joséphine und eine Neuverheiratung auf der Tagesordnung.

Trotzdem dauert es bis zur Trennung noch drei lange Jahre. Entscheidungsschwäche gehört nun wahrlich nicht zu den Eigenschaften Napoleons. Aber in diesem Fall zaudert er. Einerseits hat sich der Gedanke, dass sein Lebenswerk nur durch einen legitimen Sohn gesichert werden könne, in seinem Kopf festgesetzt. Andererseits hängt er an Joséphine. Er hat nicht vergessen, was er ihr verdankt. Sie, die um sechs Jahre Ältere, hat ihn die Liebe gelehrt und ihn in die Politik eingeführt.8 Als Kaiserin entspricht sie ganz dem Geschmack der Franzosen. Sie ist charmant, besitzt natürliche Eleganz, ihre Großzügigkeit ist notorisch. Joséphine ist eine Ikone der Revolutionszeit. Napoleon muss damit rechnen, dass eine Trennung ihm von vielen verübelt werden wird.

Ein Ereignis treibt die Entscheidung voran. Am 12. Oktober 1809 versucht ein junger Mann aus dem sächsischen Naumburg ein Attentat auf den Kaiser. Napoleon befindet sich in Wien. Er hat den neuerlichen Präventivkrieg Habsburgs siegreich beendet; die Friedensverhandlungen sind im Gang. Bei einer Truppenparade vor Schloss Schönbrunn nähert sich ihm der 17-jährige Friedrich Staps unter dem Vorwand, eine Petition abgeben zu wollen. Weil der junge Mann durch seine Erregtheit auffällt, wird er festgenommen. Man findet ein Messer bei ihm. Im Verhör, das Napoleon persönlich führt, gesteht er die Absicht des Tyrannenmords. Das Angebot, ihn zu begnadigen, lehnt er ab, und so stirbt er wenige Tage später im Kugelhagel eines württembergischen Erschießungskommandos. Der Kaiser veranlasst, dass der Zwischenfall nach außen als Tat eines geistig Verwirrten hingestellt wird, ist aber grüblerisch. Staps hat ihn nachdrücklich daran erinnert, dass sein Leben und damit sein Werk jederzeit zerstört werden kann.

In Wien erfährt Napoleon, dass Maria Walewska von ihm schwanger ist, der zweite Beweis seiner Zeugungsfähigkeit.9 Napoleon hat es nun eilig, nach Paris zurückzukehren. Er bringt den Friedensvertrag mit Österreich unter Dach und Fach. Im Frieden von Schönbrunn wird der Habsburgerstaat zu einer Macht zweiten Ranges herabgestuft. Er verliert ein Sechstel des Territoriums und muss die Armee auf 150.000 Soldaten verkleinern. Reparationen in Höhe von 815 Millionen Franken treffen den Staat, der auch ohne die Strafsteuer nahezu bankrott ist, hart. Wie Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1807, muss Kaiser Franz froh sein, dass er wenigstens seine Krone behält. Ende Oktober trifft Napoleon in Paris ein. Während die Stadt ausgelassen die neue Ruhmestat des Empereur feiert, nimmt in der Stille des Tuilerien-Palastes eine private Tragödie ihren Lauf.

Joséphine ahnt seit Langem, dass ihre Ehe mit Napoleon an einem seidenen Faden hängt. Die Marschällin Junot (Herzogin von Abrantès, verheiratet mit Andoche Junot, einem der Marschälle Napoleons) erwähnt in ihren Aufzeichnungen ein Gespräch aus dem Jahr 1805. Joséphine habe ihr damals gestanden, beim Anblick glücklicher Mütter werde ihr jedes Mal schwer ums Herz. „Mich Unglückliche, mit Unfruchtbarkeit geschlagen, wird man mit Schimpf und Schande aus dem Bett meines Gatten jagen“.19 Ende 1807 wird Joséphine von einem Besuch Fouchés überrascht. Fouché deutet an, eine Scheidung könne im Interesse des Staates liegen. Was den Polizeiminister zu dem ungewöhnlichen Schritt bewogen hat, ist unklar.10 Handelt er im Einvernehmen mit Napoleon? Will er für ihn das Eis brechen? Als Joséphine den Kaiser zur Rede stellt, bestreitet er die Mitwisserschaft und droht, Fouché zu bestrafen – was er dann aber unterlässt. Ein Motiv des ewig Ränke schmiedenden Polizeiministers könnte sein, dass er den zögernden Kaiser in Zugzwang bringen will. Fouché hat sich in der Schreckensherrschaft mit Blut besudelt wie kaum ein anderer.11 Das Motiv des „Schlächters von Lyon“ könnte so lauten: Gelänge es Napoleon, durch einen legitimen Sohn eine neue Dynastie zu schaffen, könnte das den Bourbonen die Hoffnung auf Rückkehr endgültig austreiben.

Am 30. November fasst sich Napoleon ein Herz. Er eröffnet seiner Frau, dass die Trennung unumgänglich sei. Joséphine bricht zusammen. Der Palastpräfekt Bausset muss sie aus dem Zimmer tragen. Eine Komödie?12 Der Kaiser ist deprimiert. Er hat gehofft, sie würde gefasster reagieren. Die kommenden Tage sind wie ein Fegefeuer. Am 3. Dezember wird der Sieg über Österreich in Notre Dame gefeiert. Es ist der letzte öffentliche Auftritt Joséphines als Kaiserin. Sie übersteht die Tortur mit Mühe. Am 10. Dezember sucht Eugène seine Mutter auf. Für einen Moment hat er erwogen, vom Kaiser den Abschied zu erbitten. Aber dann hat er sich vom Adoptivvater in die Pflicht nehmen lassen. Jetzt redet er beruhigend auf die Mutter ein und bereitet sie auf die nächsten Verfahrensschritte vor, die in ihrer Förmlichkeit unerbittlich sind. Am Abend des 15. Dezember tritt in den Tuilerien der kaiserliche Familienrat zusammen. Anwesend ist auch Cambacérès, als Erzkanzler protokollarisch der zweite Mann in der Hierarchie des Empire. Die Stimmung ist gedrückt wie bei einer Totenfeier. Joséphine und Hortense sind in schwarz gekleidet.20 Joséphine soll eine vorbereitete Verzichtserklärung verlesen. Sie bricht in Tränen aus. Eugène verliest den Rest der Erklärung. Am nächsten Tag, vor dem Senat, ist es wieder an ihm, gleichsam als Sprecher der geschädigten Partei, die Entscheidung des Kaisers zu begründen. Frankreichs Glück verlange, dass der Kaiser als Gründer einer vierten Dynastie ein langes Leben erreiche, „umgeben von einer unmittelbaren Nachkommenschaft als Schutz und Bürgschaft für uns alle, als Unterpfand des Ruhmes unseres Vaterlandes“. Wie nicht anders zu erwarten, äußert der Senatssprecher Lacepède Verständnis. Er hat, gewiss nicht zufällig, in den Geschichtsbüchern nach Analogien geforscht, und siehe da: Nicht weniger als 13 Könige Frankreichs, trägt er vor, hätten sich fordernder Umstände wegen von ihren Gemahlinnen getrennt, darunter der große Karl und Heinrich IV., „le bon roi“. Bessere Referenzen kann es nicht geben. Der Senat beschließt, Joséphine dürfe den Titel einer Kaiserin behalten. Ihr stehe eine Apanage von zwei Millionen Franken pro Jahr zu. Alles läuft nach Drehbuch ab.

Noch am selben Tag verlassen Napoleon und Joséphine das Schloss. Ihre Wege trennen sich. Napoleon zieht sich für einige Zeit in den Trianon zurück; Joséphine siedelt nach Malmaison über, dem Schlösschen vor den Toren von Paris, das sie in besseren Tagen von ihrem Mann geschenkt bekommen hat. Bei der Verabschiedung kommt es noch einmal zu einem emotionalen Ausbruch, als Joséphine ohnmächtig zusammenbricht. Napoleon bittet seinen Privatsekretär Méneval, sich um sie zu kümmern, dann steigt er in den Wagen. Sein Schmerz ist echt. Joséphine ist Teil seines Lebensromans. Noch tagelang zieht sich das Kommen und Gehen zwischen dem Trianon und Schloss Malmaison hin.21

Napoleons Sohn

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