Читать книгу Napoleons Sohn - Günter Müchler - Страница 17
Eine Schmierenkomödie
ОглавлениеAm 17. Dezember teilt das Regierungsorgan „Moniteur“ die Trennung des Kaiserpaares mit. Erwartungsgemäß kommt die Nachricht nicht gut an, aber die Neugier ist geweckt: Wie wird die nächste Kaiserin heißen? Napoleon plagen zunächst andere Sorgen. Die Kirche bereitet unerwartete Schwierigkeiten. Die Ehescheidung ist im katholischen Kirchenrecht nicht vorgesehen. Bei Napoleon liegt der Fall kompliziert. Am 9. März 1796 waren der junge Revolutionsgeneral Napoleon Bonaparte und die Witwe Joséphine Beauharnais, geborene Tascher de Pagerie, im Rathaus des 2. Pariser Arrondissements von einem Zivilbeamten getraut worden. Eine kirchliche Trauung fand nicht statt. Zu diesem Zeitpunkt war es im republikanischen Milieu üblich, Priester für Agenten des Königtums zu halten, und wer ehrgeizig war, was auf Napoleon zweifellos zutraf, überlegte es sich dreimal, bevor er offen kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nahm. Acht Jahre später hatten sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Papst Paul VII. war Napoleon dankbar für die Beendigung des Kirchenkampfes. Als den Pontifex aus Paris die Aufforderung erreichte, am „Sacre“, der feierlichen Kaiserkrönung, teilzunehmen, sah er keinen Grund, die Einladung abzulehnen. Nervös wurde er erst, als er wenige Tage vor dem Festakt in Notre Dame erfuhr, dass auch Joséphine gekrönt werden solle. Durfte er als Papst die heilige Handlung an einem Paar vollziehen, das nach kirchlicher Auffassung gar nicht rechtmäßig verheiratet war? Um einen Eklat zu vermeiden und um Joséphine einen Gefallen zu tun, ließ sich Napoleon überreden, am 1. Dezember, dem Vorabend des „Sacre“, in aller Eile und Heimlichkeit eine zweite Trauung vornehmen zu lassen, diesmal eine kirchliche. Die Regie führte Kardinal Fesch, sein Onkel. Womöglich handelte es sich um eine Intrige Joséphines. Man munkelte, sie habe sich vor dem improvisierten Akt einige Male mit dem Papst vertraulich getroffen. Schon damals sah sie in ihrer Kinderlosigkeit eine Gefahr, und es ist nicht auszuschließen, dass sie den Segen der Kirche als eine Art Versicherungsschutz erbat.
Wie dem auch sei, die Trauung von 1804 droht zum Hemmschuh zu werden, doch so leicht lässt sich der Kaiser nicht entmutigen. Zögernde Herzen pflegt er zu belehren, das Wort „unmöglich“ fehle im französischen Sprachschatz. Bedauerlicherweise kann er die Kirche nicht kommandieren wie seine Vasallenkönige. Aber bestimmt lassen sich willige Prälaten finden, die mit den Juristen des Hofs kooperieren. Es beginnt eine Schmierenkomödie. Das Pariser Diözesan-Offizialat wird aufgefordert, die Scheidung zu billigen. Diese Kirchenbehörde stammt aus dem 12. Jahrhundert. Sie war geschaffen worden, um schwierige Heiratsangelegenheiten, außereheliche Geburten und dergleichen im Sinne der Kirche zu regeln.22 Das Offizialat gerät in größte Verlegenheit; es beeilt sich, auf die Alleinzuständigkeit des Papstes zu verweisen. Tatsächlich war in der Vergangenheit in ehepolitischen Angelegenheiten gekrönter Häupter immer der Vatikan die richtige Adresse. Für Napoleon scheidet ein Ersuchen an den Papst allerdings kategorisch aus. Die Annexion des Kirchenstaats ist noch frisch. Pius VII. lebt zürnend im Exil von Savona. Ihn jetzt zu bitten, bei der Auflösung seiner Ehe behilflich zu sein, würde einem Canossagang gleichkommen und außerdem zu viel Zeit kosten. Besser, die eigenen Juristen lassen sich etwas einfallen. Diese treten nun in Aktion. Sie behaupten, bereits die Ziviltrauung von 1796 sei ungültig gewesen. Begründung: Napoleon habe die Zustimmung seiner Mutter nicht eingeholt! Das ist an den Haaren herbeigezogen. Sodann hätten bei der Einsegnung von 1804 die Trauzeugen gefehlt! Das ist zumindest zweifelhaft. Wahrscheinlich waren Berthier und Talleyrand anwesend, eventuell auch Cambacérès und Duroc.23 So genau weiß das niemand. Die Betroffenen geben sich 1810 große Mühe, ihre Beteiligung zu kaschieren. Weiter wird argumentiert, der kirchliche Akt von 1804 hätte nicht von Kardinal Fesch vorgenommen werden dürfen, sondern vom zuständigen Gemeindepfarrer. Die Beweisführung, die luftiger nicht sein könnte, wird einem Kollegium von sieben zufällig in Paris befindlichen Kardinälen vorgelegt, das sich einspannen lässt und den Ball an die erste Instanz zurückrollt. Darauf sieht das unglückliche Offizialat keine andere Möglichkeit, als am 9. Januar die Ehe für null und nichtig zu erklären. Die Farce ist vorläufig beendet.
Am 28. Januar geht der Kaiser mit seinen engsten Beratern und einigen Familienmitgliedern in Klausur. Die Sitzung findet in den Tuilerien statt, die Tagesordnung enthält nur einen einzigen Punkt: Auswahl der künftigen Kaiserin. Napoleon stellt zunächst fest, dass er die Verbindung mit einer französischen Adligen nicht in Erwägung ziehe. Nach dieser Klarstellung verbleiben als Kandidatinnen die Großfürstin Anna, Schwester des Zaren Alexander, die Erzherzogin Marie Louise, älteste Tochter des österreichischen Kaisers Franz, und Prinzessin Auguste, Tochter des sächsischen Königs Friedrich August. Auguste hat Napoleon erst kürzlich in Paris gesehen. Sie gefällt ihm nicht und scheidet somit aus. Cambacérès, Fouché und Murat, der Schwager des Kaisers, plädieren für die russische Lösung. Murat glaubt aus der Geschichte zu wissen, dass Österreichs Frauen Frankreich immer nur Unglück gebracht haben, Marie-Antoinette sei ein abschreckendes Beispiel. Dagegen sprechen sich Eugène und der Herzog von Bassano, Leiter der Staatskanzlei, für Österreich aus. Sie führen ins Feld, Marie Louise sei katholisch und passe zu Frankreich, während die Zugehörigkeit der Zarentochter zum orthodoxen Glauben Komplikationen aufwerfen werde. Am Ende sind die Österreich-Befürworter in der Überzahl, und da in der Regel die Mehrheit antizipiert, was Napoleon denkt, kann er sich bedeckt halten. Noch sind die Romanows nicht endgültig aus dem Rennen. An sich würde der Kaiser der Zarenschwester den Vorzug geben. Es liegt ihm viel daran, der in Tilsit beschworenen, aber inzwischen ins Wanken geratenen Partnerschaft mit Alexander ein neues Fundament zu geben. Aber der Zar zaudert und zaudert. Es heißt, die Zarin-Mutter sei gegen die Verbindung; vielleicht will Alexander auch nur den Preis für seine Schwester hochtreiben. Er wird gar nichts bekommen! Überhaupt sind die Habsburger, die seit dem 13. Jahrhundert, seit Rudolf von Habsburg, den deutschen Kaiserthron praktisch abonniert haben, den Romanows an Ehrwürdigkeit klar überlegen. Auch die legendäre Gebärfreudigkeit der Töchter Habsburgs spricht für die Österreicherin. „Ich habe einen Bauch geheiratet“, erklärt Napoleon ein Jahr später. Und es ist ja wahr: Da die ganze schwierige Operation auf die Produktion eines Erben zielt, fallen die reproduktiven Anlagen der Mutter stark ins Gewicht.
Bis heute lässt sich nicht genau sagen, wer den ersten Anstoß für die „Österreichische Heirat“ gibt. Fest steht, dass ein gewisser Alexandre Laborde seine Finger im Spiel hat. Der französische Graf hatte ursprünglich als Emigrant in österreichischer Uniform gegen Frankreich gekämpft, sich dann aber wieder seinem Heimatland zugewandt. Beim 1809er-Feldzug gehört Laborde zu Napoleons Gefolge. Im Herbst fängt er an, mal österreichische, mal französische Diplomaten auf die Seite zu ziehen und die Vorteile zu preisen, die beide Seiten von einer familiären Verbindung hätten. In wessen Auftrag er handelt und ob es überhaupt einen Auftrag gibt, weiß man nicht. Jedenfalls hat der windige Graf nicht die Kragenweite, die eine solche Operation braucht. Metternich? In seinen Erinnerungen äußert sich der Minister über die Causa Heirat mit seltener Bescheidenheit. Aber als er die Erinnerungen schrieb, war Napoleon ein Mann von gestern, und Metternich, dem Geschichtsklitterung nie ein Problem war, hatte Gründe, seine Fußspuren in der Ehe-Anbahnung zu verwischen. Tatsache ist, dass Metternich, solange Napoleon politisch bei Kräften war, die Heirat stets als überlegenen Schachzug dargestellt hat. Nebenbei: Auch Napoleon hat sich in der Rückschau viel Freiheit genommen. Bei Las Cases, dem Evangelisten des Verbannten von Sankt Helena, kann man nachlesen, Kaiser Franz habe Napoleon, „auf den Knien“ angefleht, seine Tochter zur Frau zu nehmen.24 Da urteilte der enttäuschte und zornige Schwiegersohn.
Wahrscheinlich wird das Eheprojekt „occasionell“ angebahnt. Als Metternich erfährt, der Kaiser der Franzosen sei zur Scheidung entschlossen und komme bei der Suche in Sankt Petersburg nicht voran, ergreift er die Gelegenheit beim Schopf. Nach der jüngsten Kriegsniederlage muss die österreichische Politik umgesteuert werden. Zwar ist und bleibt Frankreich für Metternich eine „Macht, die außerhalb der Natur und der Zivilisation“ steht.25 Irgendwann wird es vorbei sein mit der französischen Suprematie. Aber bis dahin muss man sich, wie Metternich seinem Souverän rät, „anschmiegen“, und sei es durch Verstellung. Außerdem kann es nur vorteilhaft sein, die Schlinge zu durchschneiden, die Russland und Frankreich mit dem Vertrag von Tilsit um die Mitte Europas gelegt haben, und die durch eine Heirat Napoleons mit der Zarenschwester Österreich vollends die Luft abdrücken könnte. Wäre es Verrat an der gegenrevolutionären Sache, gäbe man die Erzherzogin dem Sohn der Revolution? Kühl hält Metternich seinen Kritikern entgegen, nur der wahre Staatsmann erkenne, „daß sich gegen die Notwendigkeit nicht streiten läßt“.26 So geht er auf die Signale ein, die ihn aus dem Umfeld Napoleons erreichen, und sendet eigene aus. In den Wochen um den Jahreswechsel werden diverse Gespräche geführt, alle noch in einem tastenden, suboffiziellen Modus. Niemand will sich aus der Deckung wagen, die Angelegenheit könnte ja noch scheitern. Es dauert bis Ende Januar, erst da ist Napoleon davon überzeugt, dass das Geschäft zustande kommt.
Aber noch einmal bereitet die Kirche Schwierigkeiten. Die Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Scheidung haben sich bis Wien herumgesprochen. Der greise Wiener Erzbischof Graf Sigismund Hohenwart macht sich zu ihrem Sprecher. Das ist nicht ungefährlich. Der kirchenfromme Kaiser Franz will sein Seelenheil nicht in Gefahr bringen. Wie ist die Annullierung der Ehe in Paris vor sich gegangen? Die Akten des trüben Examens werden nach Österreich übersandt. Der französische Botschafter Otto ist angewiesen, sie auszuhändigen, allerdings nur bei Anforderung durch das Ministerium. Aber Metternich fordert nicht an, und als der Erzbischof nach den Akten fragt, sind sie schon wieder auf dem Rückweg nach Paris. Es ist eine Rosstäuscherei, die gelingt, weil die österreichische und die französische Diplomatie komplizenhaft zusammenarbeiten. Noch eine Weile beharrt der Erzbischof tapfer auf seinen Zweifeln. Er gibt zu bedenken, unter Umständen könne „das H. Sacrament der Gefahr der Nullität ausgesetzt“ sein.27 Aber schließlich sieht auch er ein, „daß sich gegen die Notwendigkeit nicht streiten läßt“, und tritt den Rückzug an.
Weder in Paris noch in Wien ist man gesonnen, der Kirche in dieser wichtigen Staatsangelegenheit ein Mitspracherecht einzuräumen. Im Kern ist man jetzt handelseinig, nicht allerdings im Vorgehen. Napoleon setzt zu einem jener Überrumpelungsmanöver an, mit denen er im Feld schon so oft erfolgreich war. Er verschärft das Tempo in einer Weise, dass man in Wien schwindelig wird. Metternich braucht Zeit, er muss so viele Rücksichten nehmen: auf den Kaiser, der zwar für den Ehehandel eingenommen ist, aber wie gewöhnlich streng auf die Form achtet. Auf die Napoleon-Hasser bei Hofe und in den Salons, die in der Kaiserin Maria Ludovica eine hochrangige Fürsprecherin besitzen. Jahrelang hatten die Österreicher die „Bestie“ Napoleon für all ihr Unglück verantwortlich gemacht, für die verlorenen Kriege, für die zerrütteten Finanzen. Ihnen jetzt Napoleon als idealen Gatten einer zarten Erzherzogin zu präsentieren, ist keine Kleinigkeit. Umso wichtiger wäre es, ließe sich die „Occasion“ politisch versilbern. Ansatzpunkte gibt es reichlich. Der Friedensvertrag, den man hat schließen müssen, ist drakonisch. Wahrscheinlich wird Napoleon an den zentralen Bestimmungen festhalten, obwohl man es natürlich begrüßen würde, könnte die Abtretung Tirols oder der Verlust des dalmatinischen Küstenstrichs rückgängig gemacht werden. Metternich entschließt sich, beim noch auszuhandelnden Ehekontrakt den Hebel anzusetzen. In diesem Sinne schreibt er dem österreichischen Botschafter in Paris, dem Fürsten Schwarzenberg, am 14. Februar: „Durch das Opfer der Erzherzogin so viel wie möglich zu erlangen, das muß vor allem für uns in Rechnung kommen“.28 Die Depesche ist noch unterwegs, da erfährt Metternich, dass seine Bemühungen zu spät kommen.
Denn das ist in der Zwischenzeit passiert: Am 7. Februar abends um 6 Uhr wird unangemeldet Eugène Beauharnais im Palais des österreichischen Botschafters vorstellig. Schwarzenberg befindet sich auf der Jagd und muss geholt werden. Eugène erklärt ohne Umschweife, er sei im Auftrag des Kaisers da, die Angelegenheit sei dringlich. Dann legt er ein mehrseitiges Dokument auf den Tisch. Schwarzenberg traut seinen Augen nicht. Vor ihm liegt ein ausformulierter Heiratsvertrag. Außenminister Champagny hat bereits unterschrieben. Es fehlt nur die österreichische Gegenzeichnung. Der Botschafter ist bestürzt. Er brauche Bedenkzeit und dürfe bei einem Gegenstand, der Seine Majestät, den Kaiser Franz, persönlich betreffe, nicht ohne Rücksprache handeln. Vergeblich: Eugène wiederholt die Forderung dermaßen humorlos, dass der Botschafter einknickt und das Dokument mit seiner Unterschrift versieht. Metternichs Kalkül ist nicht aufgegangen. Napoleon hat Österreich ausgetrickst, wie Irmgard Schiel richtig bemerkt: „Die Braut war verkauft, ehe man über den Preis gefeilscht hatte“.29
Übrigens ist der Kontrakt für sich genommen nicht unfair, nur peinlich ist er. Denn, um nur ja nicht unnötig Zeit zu verlieren, hat Napoleon ganz einfach die Vereinbarung abschreiben lassen, die seinerzeit für die unglückliche Marie-Antoinette getroffen worden war. Man kann nicht sagen, dass Napoleon auf die Empfindlichkeiten seiner Familie in spe viel Rücksicht nehmen würde. Kaiser Franz ist unangenehm berührt, doch was soll er machen? Allein der Gedanke, aus dem Heiratshandel auszusteigen, verbietet sich. Noch stehen Teile der französischen Armee im Land. Metternich hat den Spielraum für Verhandlungen bei Weitem überschätzt. Schwarzenberg rechtfertigt die ihm abgepresste Unterschrift mit dem politischen Ausnahmezustand: „Sie werden sich bald überzeugen, daß ich nicht anders handeln konnte, wollte ich nicht alles verderben; wenn ich auf dem Standpunkt verharrt wäre, nicht zu unterzeichnen, hätte er abgebrochen, um mit der Russin oder der Sächsin abzuschließen“.30