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Wirtschaftliche Betrachtungen Julius von Minutoli, preußischer Generalkonsul

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Im Sommer 1851 sorgte Freiherr Julius von Minutoli sich um sein Äußeres mehr als gewohnt. Der Siebenundvierzigjährige hatte ein Rendezvous mit einer Einundzwanzigjährigen. Es war kein gewöhnliches Treffen. Es war eine Audienz von Isabella II. Königin von Spanien für den neuernannten preußischen Generalkonsul für Spanien - und auch für Portugal. „Ihre Majestät war in ihren Bewegungen sehr verbindlich und höflich, aber unruhig, scheu und verlegen. Die Unterhaltung währte, wie stets bei solchen Gelegenheiten, nur kurze Zeit; ich bin außer Stande anzugeben, ob sie spanisch, französisch oder italienisch geführt wurde“, schrieb Minutoli einige Tage später an den preußischen König. (Dieses Zitat ist aus Dorothea Minkels 1848 GEZEICHNET. DER BERLINER POLIZEIPRÄSIDENT JULIUS VON MINUTOLI; einem sehr dichten, ausführlichen Werk, aus dem auch Angaben zu Minutolis Leben entnommen sind.)


Julius von Minutoli 1804- 1860 Polizeipräsident Generalkonsul

Julius von Minutoli war bestimmt nicht scheu und verlegen vor einer Königin zu stehen. Er war mit gekrönten Häuptern aufgewachsen. Sein Vater Johann Heinrich Carl von Menu - der Name Menu wurde später in Minutoli geändert - war zur Geburt seines zweiten Sohnes Julius Rudolf Ottomar, am 30. August 1804 -nach der von D. Minkels erstmals veröffentlichten Geburtsurkunde -Lehrer am Adeligen Kadettenkorps in Berlin. Nachdem die in Preußen hochverehrte und geliebte Königin Luise 1810 starb, gab König Friedrich Wilhelm III. seinen neunjährigen Sohn Carl dem Major Menu zur Erziehung. Vater Menu zog - dem Adressenregister nach - ins königliche Palais Unter den Linden.

Frau Minkels nimmt in ihrem Werk an, dass Major Menu zahlreiche Exkursionen mit den Prinzen und seinen Söhnen in die Umgebung von Berlin zur Betrachtung der vaterländischen Altertümer und ihrer über Jahrhunderte veränderten Baustile durchführte. Sie werden die privaten und auch die königlichen Sammlungen italienischer Gemälde, römischer Skulpturen und antiker Vasen in den Schlössern gesehen haben, das eigene Antikenkabinett des Major Menu, über 1000 Stück, von ihm erklärt bekommen haben und Skizzen von Einzelheiten angefertigt haben.

Nach dem Abitur immatrikulierte sich Julius von Minutoli im Oktober 1822 an der Berliner Universität in den Fächern Jura und Kameralwissenschaften, 1824 wechselte er an die Universität Heidelberg und studierte dann wohl ab 1825 in Halle und legte das Staatsexamen ab. Er wurde 1828 in den preußischen Staatsdienst als wie üblich unbezahlter Referendar aufgenommen und nach der höheren amtlichen Staatsprüfung als Kammergerichtsassessor beim Regierungskolleg in Koblenz angestellt.

Neben dieser Tätigkeit sammelte Minutoli Material zur historischen Entwicklung des römischen Rechts auf dem linken Rheinufer, das 1831 im renommierten Jahrbuch für die preußische Gesetzgebung als Aufsatz veröffentlicht wurde. Der Oberpräsident der Provinz Posen, Eduard von Flottwell, war von dieser sorgfältigen Arbeit beeindruckt und bat das preußische Innenministerium den talentierten Regierungsassessor nach Posen zu versetzen. Zum Oktober 1832 erfolgte seine Ernennung zum Regierungsrat in der Provinz Posen zur Bearbeitung von Polizei- und Militär-Angelegenheiten.

In der Provinz Posen lebten auf 29 000 km2 im Jahr 1831 1 040 712 Einwohner (Kanarische Inseln etwa 7 500 km2, 250 000 Einwohner). Posen war bis ins 18. Jahrhundert größtenteils fester Bestandteil des Königreichs Polen. Auf dem Wiener Kongress 1815 erhielt Preußen dieses Gebiet. Knapp zwei Drittel der Einwohner waren Polnischsprachige, über ein Drittel Deutschsprachige. Nach dem gescheiterten Novemberaufstand in Kongresspolen 1830 förderte Flottwell die Entwicklung der Provinz Posen und wollte die Bauern und das schwache polnische Bürgertum durch materielle Vorteile und Bildungsmöglichkeiten gewinnen und gleichzeitig den Einfluss des polnischen Adels und der katholischen Geistlichkeit eindämmen. Dabei sollte ihm Minutoli helfen.

Und er tat es. Er gründete einen Verein nach dem anderen. 1834 einen Verschönerungsverein, um Baumschulen zu gründen, auf denen Alleebäume gezogen werden konnten. 1836 den Posener Kunstverein, 1840 einen Philharmonischen Verein, Mäßigkeitsvereine, eine Beschäftigungsanstalt für Arbeitslose. Er organisierte 1839 das erste Pferderennen in Posen, veranstaltete Kunstausstellungen, Wohltätigkeitsfeste, organisierte 1845 eine Aussprache über wirtschaftliche Fragen.

Das waren die angenehmen Seiten seines Lebens in Posen. Angenehm war auch ein Reiseauftrag des preußischen Innenministerium zum Studium der Gefängnisse, der Besserungsanstalten und ihrer Verwaltung, der ihn 1842 nach Frankreich und Algier, auch zum ersten Male nach Spanien, dann nach Portugal, England und Holland führte.

Aber noch angenehmer war ihm die Heirat mit dem 22-jährigen Fräulein Mathilde Henriette Wilhelmine Karoline Marie Auguste Freiin von Rotenhan am 22. November 1834 in Berlin, Kochstraße 60; sie hatten einen Sohn und drei Töchter.

Unangenehme Probleme kamen 1845 auf ihn zu, die er behutsam, doch mit Nachdruck löste: die Entdeckung des großen polnischen Aufstandsversuches in Posen.

Antriebe für einen Aufstand gab es genug: deutscher Nationalismus wirkte gegen polnischen, statt christlicher Nächstenliebe entzweite man sich in katholisch-protestantischer Feindschaft, Liberte und Egalite statt arm und reich war immer noch eine gut zu gebrauchende Losung und es gab Revolutionäre aus Berufung mit internationalen Verbindungen. Als Dank für die Verhinderung des Aufstandes und der Vermeidung von Blutvergießen wurde Julius von Minutoli in den Johanniter-Orden aufgenommen.

Als die Phytophthora infestans, der Erreger der Kartoffelfäule, auch in Posen einen hungrigen Winter 1846 ankündigte, gründete er noch einen Suppenverein, einen Kranken- und einen Wöchnerinnenpflegeverein. Im März darauf wurde er auf ausdrücklichen Wunsch König Friedrich Wilhelm IV. zum Polizeipräsidenten in Berlin ernannt. In Posen bedauerte man den Weggang des sozial denkenden und sozial handelnden Mannes. Er hatte Belebungen in die Provinz gebracht.

Seiner Präsidentschaft in Berlin unterstanden unmittelbar die Abteilungen der Orts-, Feuer-, Bau-, Schul-, Kriminal- und Sittenpolizei, die Gewerbeaufsicht und das Gesundheits- und Sozialwesen. Dazu hatte er etwa im Haus 30 Untergebene, 20 Polizeiräte und -kommissare in den 27 Kommissarien, 40 Sergeanten und 110 Gendarmen im Außendienst mit einer Fläche von acht Quadratmeilen und einer Bevölkerung von 400 000 Seelen. Dazu kam ein immenser Fremdenverkehr, wie es sich für eine europäische Hauptstadt gehörte.

Der Polizeipräsident unterstand nicht der Stadt Berlin, sondern dem preußischen Innenminister, darüber kam schon Friedrich Wilhelm IV., der, selbst entscheidungsschwach, den zu entschlossenen Handeln befähigten Minutoli als Sicherheit für sich, seine Familie und das preußische Königtum nach Berlin geholt hatte.

Bis zum 18. März 1848 war es nicht mehr weit.

Nachdem am 18. März vor dem Hohenzollern-Schloss in Berlin auf des Königs Untertanen geschossen wurde, waren diese nicht mehr zu beruhigen. Das Militär war auf Einsätze gegen die Bevölkerung nicht vorbereitet, was den Thronfolger Prinz Wilhelm nicht störte, sich später als Kartätschenprinz bei den Berlinern unbeliebt zu machen, später aber als König Wilhelm I. beim Volke sehr populär wurde und nach seinem Tode wollte das Volke sogar seinen ,alten Kaiser Wilhelm wieder haben’. Aber am 18. war die Lage der Truppen mehr als bedenklich, der König zog sie aus Berlin ab. Die Ordnung in Berlin war aufgelöst. Die Bürger mussten sie wieder herstellen. Bürgerbewaffnung! Durch sein besonnenes und versöhnliches Verhalten im März hatte sich Minutoli Anerkennung in weiten Kreisen der Bevölkerung erworben. Der Polizeipräsident wurde am 19. zum Führer der Bürgerwehr gewählt. Als Anfang April das Militär wieder nach Berlin zurückkehrte, wurde es von den Berlinern und ihrer Bürgerwehr festlich empfangen. Minutoli hatte einen Teil seiner schwierigen Aufgabe, zwischen Königtum und den Aufständischen zu vermitteln, erfüllt und legte am 4. April sein Kommando der Bürgerwehr nieder.

In Berlin sammelten sich immer mehr Menschen, die den Aufruhr von einem berlinischen zu einer preußischen und deutschen Revolution machten wollten. In Berlin wurde das preußische Königtum angegriffen und verteidigt. Die sozialen Missstände wollten weder das Militär mit Prinz Wilhelm an der Spitze noch die von der Königin unterstützte konservative Hofpartei beenden. Man wollte wieder scharf durchgreifen. Der sozial handelnde Vermittler sollte weg.

Man ließ ihn wissen, sein Vertrauen nicht mehr zu haben. Auf seinen wiederholten Antrag entband ihn König Friedrich Wilhelm IV. am 27. Juni 1848 von seinem Amte als Polizeipräsident von Berlin.

Das war die merkwürdige Karriere eines Polizeipräsidenten, der von der Revolution nicht gehenkt wurde, sondern durch seine Vermittlung sowohl dem Volke als auch dem Könige diente und sich allseitig Achtung verschaffte. Dann aber wurde er außer Landes geschickt und zurückkehrend blieb er ohne Anstellung. Wer die Gründe dafür suchen will, wird sie bei dem missgünstigem preußischen Generalsadel finden.

Erst am 3. März 1851 geruhte seine Majestät König Friedrich Wilhelm ihn wieder anzustellen, weit weg, als Generalkonsul in Spanien und Portugal. Minutoli hatte in diesen Ländern die Konsuln zu betreuen, weitere Kaufleute für dieses Ehrenamt gewinnen und sie mit den erforderlichen Informationen über den Handel in Spanien, Portugal und im Gebiet des Deutschen Zollvereins versorgen. Dazu musste er viel herum reisen, um Land und Leute kennen zu lernen. Was er sehr gerne tat.

Seine Erfahrungen hielt er in SPANIEN UND SEINE FORTSCHREITENDE ENTWICKLUNG MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DES JAHRES 1851 fest, das schon 1852 in Berlin erschien, der Königin Isabell II. gewidmet. Dieses Werk enthält eine statistische Übersicht, die spanische Verfassung von 1845, Beschreibungen der Ministerien - ein Nachschlagwerk für deutsche Kaufleute.

Seine nicht amtlichen Eindrücke und archivalische Funde hielt er in ALTES UND NEUES AUS SPANIEN, 1854 in Berlin in zwei Bänden, fest - ohne Widmung. Darin über Wirtshäuser in Spanien, Markgraf Johann von Brandenburg, den Königsmörder Merino und eine namentliche Auflistung der über 30 spanischen Ministerpräsidenten von 1833 bis 1853.

Über die Kanarischen Inseln erschien in Berlin 1854 ein gesondertes Werk: DIE CANARISCHEN INSELN, IHRE VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT.

Im Vorwort legt der ehemalige Polizeipräsident seine Grundhaltung zu den gesellschaftlichen Fragen seiner Zeit dar: „Möge nur eine wohlwollende und weise Regierung sich niemals über die in den obwaltenden Verhältnissen liegenden Übelstände täuschen. Möge sie nie vergessen, daß zu den Fragen des Jahrhunderts auch die sociale gehört und daß man jeder Erscheinung auf der Welt ihr gewisses Recht einräumen muß... Wahre sich die Regierung, daß es nicht zu einem Versuche der gewaltsamen Lösung komme, denn ein solcher muß notgedrungen durch gewaltsame, vernichtende Mittel unterdrückt und beseitigt werden.“ Seine Grundhaltung veranschaulicht er dann an vielen Erlebnissen und Erfahrungen auf den einzelnen Inseln.

Nach den allgemeinen statistischen Angaben über die Inseln, der Geschichte ihrer Eroberung, den Sitten und Gebräuchen der Urbewohner schildert er die Bodenkultur und die Bevölkerungsverhältnisse. „Die Bodencultur der canarischen Inseln wird durch das dortige Klima vorzugsweise begünstigt.“ Ausführlich beschreibt er den Anbau von Mais, Weizen, Roggen, Gerste, Alpiste, Gemüse, Kartoffeln, Erdbirnen, Kohl, Zwiebeln, Barilla, Nopal, Wein, Oliven, Mandeln, Pinien, Feigen, Palmen, Fruchtbäumen und die dazu erforderlichen Anlagen zur Bewässerung: „Wiewohl wir gesehen, wie kostbar das Wasser in den Canarien ist und verwertet wird, wie viele Bewässerungs- und Berieselungsanlagen für die Bodenkultur vorhanden sein, angelegt und unumgänglich unterhalten werden müssen, so bleibt doch in der Nivellierung und Regulierung dieser Anlagen, um daraus vollen Nutzen zu ziehen, noch viel zu wünschen übrig und es erscheint noch große Tätigkeit unerläßlich, sei es um noch unfruchtbar liegende Strecken in Kultur zu setzen, sei es um das Wasser ökonomischer und zweckmäßiger zu verteilen und endlich um neue Wasseradern aufzusuchen und Reservoire und Zisternen anzulegen.“ Und dennoch gab es nicht ausreichend Nahrungsmittel. „In armen Gegenden oder in schlechten Jahren wird das Mehl zum Gofio mit dem Mehle von gerösteten Farrenkrautwurzeln, oder mit dem Samen der Barilla und des dem letzteren verwandten Cosco gemischt... Häufig mussten die Bewohner ihre Zuflucht zu Brot nehmen, aus Roggenmehl und Farrenkrautwurzeln gemischt.“

Die „überhand nehmende Verarmung und Elend“ ward Veranlassung der spanischen Regierung „Versuche zu entsprechenden Veränderungen und Verbesserungen eintreten zu lassen... Da die vorhandenen Übel jedoch nicht allein in dem materiellen Leiden der Inselbewohner ihren Grund hatten, sondern auch in der geistigen und religiösen Erniedrigung und Verwahrlosung der Bevölkerung zu suchen waren, so vereinigten sich die weltlichen mit den geistlichen Oberbehörden, um über die zweckmäßigsten Mittel zur Abhilfe und Besserung der obwaltenden Verhältnisse nachzudenken und gemeinschaftlich oder gleichzeitig zu handeln.“ Minutoli gibt eine Darstellung des Bildungswesens. „Das Schulwesen auf den Canarien läßt noch sehr vieles zu wünschen übrig. Ein Schulzwang besteht nach den spanischen Gesetzen nicht.“ In Las Palmas besuchte er das neu eröffnete Priester-Seminar zur Heranbildung eines neuen Priesterstandes unter der Leitung der Jesuiten. Und es kamen ihm Zweifel: „. allein wenn man von den Schülern auf die Lehrer zurückblickt, wenn man von der Denk- und Handlungsweise dieser auf jene zurückzuschließen berechtigt ist, ... so muß man einem Jeden gestatten, über die Konsequenzen der fraglichen Maßregel seine eignen Gedanken zu hegen und daran die Besorgnis zu knüpften, daß der neuherangebildete Einfluß der anzustellenden Priester von der Kanzel herab sich nicht auf das Seelenheil und den Unterricht der Pfarrkinder, sich nicht auf die Familien beschränken, sondern je nach den eintretenden Verhältnissen und Umständen sich auch weiter auf Regierung und Thron erstrecken dürfte.“

„’Die jüngsten Schüler sind uns entschieden die liebsten’ sagte der Superior, sich freundlich blinzelnd die Hände reibend. ,Sie glauben nicht, wie weich und empfänglich das kindliche Gemüt und das kindliche Alter überhaupt ist und sich hingibt, ähnlich dem weichen und geschmeidigen Modellierton, der sich unter der Hand des Bildners nach allen Richtungen, zu allen Gestalten, drehen, formen und diese wiederum, wenn es sein soll, vernichten läßt.’“

Erwähnenswert fand Minutoli auch die Geschichte der Universität in Laguna: 1817 gegründet, 1823 suspendiert, 1825 wieder eröffnet, 1830 mit sämtlichen Landes-Universitäten wieder geschlossen, 1834 zum dritten Male eröffnet und 1845 definitiv aufgelöst. (1927 wurde die Universität wieder eingerichtet.)

Das Gesetz vom 17. März 1852 zur Trennung der Zivil-Verwaltung der Kanaren bringt er im Wortlauf in deutscher Übersetzung und wendet sich dann auch den Kommunal-Anstalten zu.

„Wenn im Allgemeinen der Umfang und die Ausstattung der Communal-Anstalten zunächst durch die Mittel der Gemeinde bedingt und da, wo solche beschränkt sind, oder nach den bestehenden Lokalverhältnissen fast ausschließlich nach bestimmten Richtungen hin verwendet werden müssen - nicht mehr als das Notdürftige erwartet werden kann, so ist doch andererseits zur zweckmäßigen Verwendung des Gemeinde-Vermögens oder zur Beschaffung außerordentlicher und freiwilliger Beiträge und Opfer, Gemeinsinn, Talent, Energie und Ausdauer notwendig, um seiten des Magistrates dasjenige zu beschaffen oder herzustellen, was den Anforderungen des Orts und der Zeit entspricht.

In dieser Beziehung tritt auf den canarischen Inseln eine im Allgemeinen nicht zu verkennende Lauheit und ein Mangel an Gemeinsinn zur Förderung gemeinnütziger Unternehmungen störend und unangenehm entgegen. Hat diese Gleichgültigkeit auch wesentlich in den hohen landesherrlichen Abgaben, in dem Mißverhältnisse der Besteuerung überhaupt ihren Grund, so liegt der Mangel an Willfährigkeit andererseits auch in dem Egoismus und dem Neide einzelner Communen und Inseln, welche lieber auf Vorteile und Bevorzugungen selbst verzichten, als dazu beitragen wollen, daß solche gleichzeitig ihren Nachbarstädten und Inseln zu Teil werden. Es ist dieser Mangel an Einigkeit trotz der Einheit der Interessen auf den Canarien sprichwörtlich geworden. Eine jede Insel möchte die erste, wichtigste, reichste und bevorzugteste des Archipelagus sein; eine jede von ihnen beneidet die übrigen in ihren Fortschritten und den dadurch erreichten Vorteilen und wenn solche auch nur dem Fleiße und der Anstrengung der Beteiligten zuzuschreiben sind. Auf jeder einzelnen Insel besteht nicht ein Wettstreit, aber eine Eifersucht und Bitterkeit zwischen den Hauptorten im Innern und den Hafenpunkten über die Wichtigkeit, Wohlhabenheit und Bevorzugung der einen vor den andern; und diese Eigentümlichkeit geht in ihrer Konsequenz so weit, daß man behauptet, es gebe auf den Canarien keine Insel und auf den Inseln keine Stadt und in den Städten keinen Grundbesitzer der nicht mit seinen Nachbarn in mindestens einem Prozesse verwickelt wäre.“

Bei dem Mangel an Gemeinsinn wird Minutoli an seine Zeit in Posen gedacht haben, an seine Vereinsgründungen.

„Was die Industrie auf den canarischen Inseln anbelangt, so kann der Stand derselben im allgemeinen nicht befriedigen. Der Kunstfleiß ist gering. Es fehlt an Speculationsgeist, Talent und Erfahrung.“ Er empfiehlt, „die unter ihrem schönen Himmel gedeihenden mannigfachen Naturprodukte in der den Lokalverhältnissen entsprechenden Weise zu verwerten“ und gibt dazu an den Wein, die Seide, Südfrüchte, Mandeln und die Fischerei, als eines Industriezweiges, „welcher in seiner eigentlichen Bedeutung bisher noch nicht richtig erkannt und ausgebeutet, sondern leider in hohem Grade vernachlässigt ward“.

Der preußische Generalkonsul für Spanien wusste aus Erfahrung - 1834 wurde der Deutsche Zollverein gegründet - dass durch den Wegfall von Zöllen der Handel und der Verkehr gefördert werden. Durch ihre abgelegene Lage waren die Kanaren auf Schiffsverkehr angewiesen. So zitiert er auch das Gesetz vom 11. Juli 1852, durch welches die Häfen der kanarischen Inseln zu Freihäfen erklärt wurden und hofft: „Es ist inzwischen ein Jahr vergangen und wenn es auch längerer Zeit bedarf, um sich ein umfassendes Urteil über die fortschreitende Entwickelung eines ausgedehnteren Handelsverkehrs und darüber zu bilden, ob die erwarteten Vorteile eingetreten sind oder eintreten werden; worin dieselben eigentlich bestehen und wenn solche zunächst zu statten kommen - so muß man einstweilen die vorhandenen Tatsachen entgegen nehmen und das Weitere der Zukunft anheim stellen.“

Danach lässt Minutoli noch drei Kapitel folgen, zwei schwierige: ,Die Gründe der Verarmung und Entvölkerung’, ,Maßregeln der Regierung zur Förderung des Wohlstandes der canarischen Inseln und seine Beurteilung dieser Maßregeln’ und ein weinseliges: ,Schluß’.

Es fällt ihm schwer: „Mit einem Gefühl der Wehmut geht der Verfasser zu dem Inhalte dieses Abschnittes über. Die Extreme berühren sich vielfach im Leben.“ Und man liest nicht leicht über diese Zeilen: „Das Schicksalsbuch läßt Menschen im Überfluß leben und andere in der Not verkommen. Ist es aber eine Ironie des Weltschicksals, oder sind es warnende Fingerzeige von oben - wenn der Reichtum sich neben dem Elende, wenn der Überfluß sich neben der äußersten Entbehrung bettet, wenn an den Palast sich die Erdhütte anlehnt? Geht nicht so schnell und gleichgültig bei dem Unglücklichen vorüber! Beruhigt Euch nicht mit dem Gedanken, daß ihr ja an seinem Elende nicht schuldig seit! Disputiert euch nicht vor, daß andere berufen seien, der Armut unter die Arme zu greifen und rühmt Euch nicht der Pfennige, die ihr dem Bettler mißmutig hinwerft! Es gibt viele Unwürdige; aber der Hunger tut weh und Bitten wird vielen schwer; und wir haben immer noch genug um Elenden abgeben zu können und wir sind berufen, wir alle ohne Unterschied, ein jeder in seiner Weise, um darüber nachzudenken und dazu beizutragen, die Not des Einzelnen zu lindern und die Lage ganzer notleidender Klassen, je nach unseren Mitteln und Kräften bessern zu helfen.“

„Man kann es nur aufrichtig beklagen, wenn die vernachlässigte Volkserziehung viele Begriffe unentwickelt und unklar gelassen und den Glauben an Hexen und böse Geister bewahrt hat. Gegen den bösen Blick vergräbt man noch heute Bockshörner an Weinbergen; hängt den Pferden Amulette an die Stirnriemen, oder zieht die Beinkleider verkehrt an. Auf den Jahrmärkten kann man immer noch solche Amulette öffentlich kaufen und jede Ortschaft hat ihren Animero oder Geisterbanner.“

Als weiteren Grund für die Verarmung der Bevölkerung nennt er den Tagelohn, der in Naturalien entrichtet wird, in barem Geld nur ausnahmsweise auf den Lande. Auf Fuerteventura hatte er einen überaus reichen Gutsbesitzer kennen gelernt: „’Diese [Arbeiter] verlangen mehr, als ich zu geben gewohnt bin und dabei verlangen sie noch einen Teil des Tagelohn in barem Gelde’. ,Nun’, sagte ich, ,das scheint mir nicht ganz so unbillig; da der Tagelohn so äußerst gering, das Getreide billig und den Palmaer Arbeiter die Verwertung des Lohngetreides nur mit Opfern möglich sein wird. Übrigens steht ja die geringe Mehrausgabe auch in gar keinem Verhältnisse mit dem Werte der nach der Arbeit zu erwartenden Cochenille-Ernte’. ,Das weiß ich sehr wohl’, erwiderte er. ,Aber das ist mir ganz gleichgültig. Ich gebe nicht mehr und ich bezahle nicht anders, als mein Vater und Großvater getan. Und ehe daß ich einen Cuarto (ein Dreier) zum Tagelohn zulege, oder bar zahle, mag die ganze große schöne Cactusplantage unbenutzt bleiben. Ich kann es aushalten.’“

Und noch einen Grund: „Der Grundbesitz auf den canarischen Inseln ist mit geringen Ausnahmen unter dem Adel der Provinz geteilt... Verpachtungen kleiner Parzellen finden am häufigsten statt. Sie werden immer nur auf einige Jahre geschlossen... Die Medianeros oder Halbmeier sind im Grunde nichts als Knechte und es ist dafür gesorgt, daß die Pachtbedingungen so lästig sind und ihnen nebenbei durch den Verpächter oder vielmehr dessen Unterbeamte so willkürliche und drückende Verpflichtungen auferlegt werden, daß sie sich auf die Dauer nicht erhalten können und nur die Zahl der Notleidenden und Auswanderer vermehren. In guten Jahren können diese Familien bestehen. Die guten Jahre gehören aber auf den Canarien, mindestens auf den östlich belegenen Inseln, zu den Ausnahmen; und da in schlechten Jahren dem Pächter gar nichts bleibt, nicht einmal das Notwendigste zum mageren Leben und zur neuen Saat, so muß er dann entweder mit Weib und Kind den Hof verlassen, oder er macht noch einen eben so bedenklichen Versuch, durch Entnehmen von Vorschüssen seinen unfehlbaren Ruin vorzubereiten. Die kurze Pachtzeit; der häufige Wechsel der Pächter; die wegen Mangel an hinreichender Düngung auch nun unvollkommene Bestellung des Ackers; das Unbestelltbleiben vieler Parzellen, alles dies wirkt natürlich auf Bodencultur und Rente nachteilig - während gleichzeitig die Pächter darüber zu Grunde gehen.“

Zum Gesetz zur Förderung eines freieren Handelsverkehrs vom Juli 1852 lagen Minutoli „über den Schiffsverkehr, über den Wert der Importation und über den Tabaks-Consume im Hafen von Santa Cruz de Tenerifa bis zum 10. Oktober 1853 amtliche Notizen vor“, die eine Steigerung des Schiffsverkehrs nachwiesen.

„Die von der Regierung angeordneten und eingeleiteten Maßregeln zur Belebung des Ackerbaues und der Industrie, wie solche oben angeführt sind, werden sich als sehr zweckmäßig bewähren. Insbesondere steht in der überhand nehmenden Cochenillezucht und Fischerei eine Quelle bedeutender Einnahmen den Inseln zu Gebot und hierdurch wird ein bedeutender Verkehr mit dem Auslande unterhalten werden... Weniger kann bei der Lage der Dinge von der Besserung und Ausdehnung der Communal-Anstalten erwartet werden, so lange die Armut der Gemeinde und Überbürdung mit Abgaben einen scheinbar gegründeten Vorwand zur Aufrechthaltung des jetzigen Standes der Dinge abgeben werden... Ähnlich gestaltet es sich mit dem Bestreben, der geistigen Verarmung und dem sittlichen Verfall durch die Heranbildung eines tüchtigen Priesterstandes entgegen zu wirken.“

„Zu den im Übrigen zur Beförderung eines freieren Verkehrs beitragenden Mitteln, gehört die größere Frequenz von Reisenden, welche teils aus Interesse für die Naturschönheiten und Naturwissenschaften, teil aus Gesundheitsrücksichten, teils zur Anknüpfung von irgend welchen Verbindungen, die Inseln mittelst der erleichterten Kommunikationsmittel besuchen.“

„Trotz solcher vielleicht verbreiteten Ansichten, darf man die Hoffnung auf Erfolg nicht aufgeben. Wenn bei den reichen Grundbesitzern die Überzeugung immer mehr werktätig werden muß, daß ihr eigener Vorteil mit dem materiellen Wohlbefinden und mit dem guten sittlichen Zustande ihrer Arbeiter wesentlich verknüpft ist, wenn die Regierung den Gegenstand von der richtigen Seite aufzufassen und mit der notwendigen Geschicklichkeit und Nachdruck durchzuführen weiß; denn ich wünsche nur, daß es ihr klar werde, wie der gegenwärtige Zustand ein unbilliger und unhaltbarer ist, wie ohne seine Abhülfe die erwarteten Resultate nicht allein nicht zu erreichen, sondern in ihrer Allgemeinheit ganz unmöglich sind.“

Zum Schluss seines Werkes: „Es war ursprünglich meine Absicht auf einigen Bogen ein Kapitel einzuschalten, ausschließlich bestimmt, um meinen Lesern eine Schilderung der über alle Beschreibung hinausreichenden, unendlich schönen, ich möchte sagen, paradiesischen Natur zu geben und in der Schilderung die Einfachheit, Herzlichkeit und gewiß nirgends übertroffene Gastfreiheit der Bewohner der canarischen Inseln zu verweben... Allein ich mußte mir sagen, daß der Stoff zu mächtig ist.“ Minutoli beschränkt sich dann darauf, zu beschreiben, was er beschreiben wollte.

In DIE CANARISCHEN INSELN, IHRE VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT gibt Minutoli für seinen Aufenthalt dort das Jahr 1853 an. Er besuchte La Palma, auf der er viel Elend sah, „häufig müssen die Bewohner ihre Zuflucht zu Brot nehmen, das aus Roggenmehl und Farrenkrautwurzeln gemischt ist“.

Teneriffa: Der ganze gegen Norden und Westen belegene Teil besitzt einen Überfluß an Wasser, fördert die reichlichsten und edelsten Früchte, Pflanzen, Weine und Bäume... Auf dieser Insel haben sich Waldungen erhalten, welche als Eigentum der Gemeinden mehr forstwirtschaftlich behandelt werden müßten. Leider sind aber Bäume edler Art, welche früher in großer Menge auf der Insel vorhanden waren, wie Cedern und Palmen, canarische Fichten und Drachenbäume, fast gänzlich verschwunden.

Gran Canaria: Wald- und Gebirgslandschaften habe ich in reicher Auswahl in meiner Mappe gesammelt. Das Hauptblatt ist das Doramas-Gebirge und der schönste Punkt da oben - die Hacienda der Generalin Morales, gegenüber Moya. Eine entzückend schöne Besitzung. Die würdige und ausgezeichnete Dame hatte mich in liebenswürdigster Weise bestimmt, auf meinen Exkursionen ihr Sommerpalais im Gebirge auf einige Tage zu besuchen.

Fuerteventura: Auf dieser Insel, wo die Bewässerung nur mittelst solcher Bebedores und einiger wenigen gegrabenen Brunnen möglich ist, aus denen in Ermangelung von Pumpen und andrer mechanischer Hilfsmittel das Wasser mit der Hand herauf gezogen werden muß, würden Wasserleitungen, Reservoire und Ziehbrunnen sich als sehr zweckmäßig bewähren.

Lanzarote: Der Mangel an Wasser ist aber noch größer. Eine Reihe von Notjahren haben auch zur Entvölkerung und Entmutigung der Bewohner so sehr beigetragen, daß die Fortschritte immer verhältnismäßig gering sind.

Ob er auf Gomera und Hierro war, lässt sich aus seinen Angaben nicht feststellen.

Gomera: Das Terrain ist bergig. Die Waldungen gehören den Gemeinden. An Wasser ist ein großer Überfluß, jedoch sind die Wasserläufe meistens im Privatbesitz und deshalb die Bewässerungsanlagen mangelhaft und oft die benachbarten Grundstücke benachteiligend.

Hierro: Es fehlt dieser Insel, welche zusammt Gomera großenteils zu den Besitzungen des Marquis Belgida San Juan gehört, ganz an fließendem Wasser und Zisternen-Wasser allein gibt den Bedarf für Menschen und Vieh. Kaum der vierte Teil der Insel befindet sich in noch dazu mangelhaftem Kulturzustande. Ein Dritteil besteht aus Heide und Busch, der Rest aus unfruchtbaren Gebirgen und Schluchten. Gute Erde, aus Schlacken und Lavaasche bestehend, ist nur in geringer Menge vorhanden. Wenn es ab und zu regnet, gedeihen Cerealien, Gemüse und Baumfrüchte gut. Die Trauben von Hierro sind die vorzüglichsten auf den Canarien. Die Ackergerätschaften befinden sich in der allerersten Kindheit und die Stiere tragen nicht einmal ein Joch, sondern ziehen mit der Brust an zerlumpten Strickgeschirren den alten römischen Pflug.

1858 hielt Minutoli den Aufbau der preußischen Handelsmissionen für abgeschlossen und kehrte nach Berlin zurück um es auf königlichem Extrawunsch wieder nach Persien verlassen zu müssen. Ende 1859 reiste er als Ministerresident mit seiner Begleitung nach Teheran. Am 10. Mai 1860 wurde er vom Schah von Persien empfangen.

Am 5. November 1860 starb Freiherr Julius von Minutoli auf einer Inspektionsreise in der Nähe von Schiraz.

DIE KANARISCHE FIBEL

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