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Bertram

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Nachdem er sich von Georg und Michel getrennt hatte, wanderte Bertram langsam, so gut es seine geschundenen Gliedmaßen zuließen, rheinabwärts.

Er wusste nicht, wo es hinging, niemals zuvor hatte er Straßburg verlassen. Aufgewachsen als Sohn eines einfachen, armen Kesselflickers, hatte er sich immer mit Gelegenheitsarbeiten am Leben gehalten. Die Arbeit bei Daniel Fischer war seine erste längerfristige Arbeit gewesen, beinahe ein Jahr lang hatte er es dort ausgehalten.

Der regelmäßige, wenn auch karge Lohn war ihm wichtiger gewesen als die ebenso regelmäßigen Schläge, besonders, als kurz nacheinander beide Eltern gestorben waren.

Jetzt hielt ihn nichts mehr in Straßburg, er wollte nur noch fort und Neues kennenlernen. Aber während er so dahinwanderte, begann er Daniel Fischer zu vermissen. Nein, nicht so sehr Daniel, den wollte er sein Lebtag nicht mehr wiedersehen, sondern dessen legendäre Biersuppe. Und je mehr der Hunger in seinen Eingeweiden wütete, desto mehr war Bertram sicher, dass diese Biersuppe das leckerste, köstlichste und wunderbarste Gericht war, das er jemals gegessen hatte.

Jeden Morgen vor Arbeitsbeginn hatte als Frühstück ein Topf davon über dem Feuer gehangen.

Nun sehnte er sich so danach, dass er gerne ein paar Schläge dafür in Kauf genommen hätte.

»Einen Esel muss man ja auch antreiben«, entschuldigte er sogar vor sich selber Daniels regelmäßige Unbeherrschtheiten.

Im nächsten Ort erbettelte er sich etwas zu essen, er hatte fast kein Geld, Fischers Lohn hatte nicht ausgereicht, um etwas zurückzubehalten. Die wenigen Pfennige, die er bei sich trug, hütete er daher wie einen Schatz.

Langsam verheilten seine Wunden, und er kam schneller voran, je besser er genas. Bei Worms lernte er während einer Rast einen kleinen, aber sehr muskulösen Mann kennen, der sich ihm als Emmerich vorstellte und der eine Reisegruppe anführte. Emmerich hatte sogleich erkannt, dass Bertram allein und ziellos unterwegs war, und fragte ihn, ob er mit ihnen reisen wolle. Bertram hatte kein Geld, aber Emmerich bot ihm sogar einen kleinen Lohn an, wenn er als Hilfe beim Tragen und zum Schutz bei Überfällen mitreiste.

»Kannst du mit Waffen umgehen? Du siehst jung, kräftig und geschickt aus. Je zahlreicher wir sind, desto sicherer sind wir vor Überfällen.«

Bertram bejahte und fragte:

»Wohin geht denn die Reise?«

»Wir haben zwei Kaufleute, die nach Trier möchten, von da geht es mit der restlichen Gruppe weiter nach Köln. Und der Weg von Worms nach Trier ist nicht ohne Gefahren.«

Bertram sagte sofort zu, das Angebot hatte auf den ersten Blick nur Vorteile für ihn, er war sicherer, nicht mehr allein, hatte Unterhaltung und verdiente sogar Geld auf der Reise.

Den gelegentlichen Spott über seine schiefe Nase, die in dem mittlerweile ausgeheilten Gesicht ziemlich deplatziert wirkte, überhörte er geflissentlich.

Auf dem Weg durch die Pfalz wurden sie immer wieder vor Räubern und Wölfen gewarnt. Nachdem sie Annweiler mit seiner mächtigen Burg Trifels passiert hatten, gerieten sie in den dichten Pfälzer Wald.

»Nun müssen wir achtgeben. Wir werden den Weg von Speyer über Saarbrücken nach Metz verlassen und weiter durch den Hunsrück in Richtung Trier reisen.«

So verlautbarte ihr Führer.

»Wir wären nicht die Ersten, denen hier ein Unglück widerfährt. Schon Richard Löwenherz wurde hier auf dem Rückweg vom Kreuzzug gefangen genommen und auf dem Trifels gefangen gesetzt.«

Bertram wusste zwar weder, was ein Kreuzzug, noch wer Richard Löwenherz war, aber spannende Geschichten vertrieben die Langeweile auf der Reise.

»Weit gefährlicher als marodierende Raubritter sind jedoch die Wölfe hier in dieser Gegend!«

Emmerich prahlte mit seiner Reiseerfahrung.

»Wölfe sind böse, gierig und falsch. Sie sind alles das, was wir Menschen verachten. Sie sind Kreaturen des Teufels!«

Während einige aus ihrer Gruppe erschrocken drein­sahen, lachten zwei junge Männer über die Bemerkungen. Ihrem Gewand nach zu urteilen, kamen sie aus der Stadt und waren die beiden Kaufleute, die nach Trier wollten.

»Lacht nur, ihr Narren, das wird euch noch vergehen«, sagte Emmerich.

Das Lachen verging ihnen tatsächlich, als sie die ersten beiden Männer am Wegesrand fanden. Es war offensichtlich, dass hier Räuber am Werk gewesen waren. Sie hatten ganze Arbeit geleistet und nicht nur die Schädel der beiden eingeschlagen, sondern auch alle Kleidung geraubt.

Stunden später fanden sie die ersten Wolfsopfer. Eine ganze Familie, Vater, Mutter und drei kleinere Kinder, hatte sich anscheinend ohne Geleitschutz auf den Weg nach Trier begeben. Alle fünf waren von den wilden Tieren übel zugerichtet worden. Komplett ausgeweidet, Arme und Beine zerbissen und abgenagt, die Kleidung zerfetzt, konnte man lediglich an den Köpfen noch menschliche Gestalten erkennen.

Emmerich bekreuzigte sich und schickte sogleich ein Gebet an den heiligen Wolfgang, den Beschützer vor Wölfen.

Bertram war nicht der Einzige, der bei diesem Anblick vom Wagen sprang und sich erbrach. Auch die beiden vornehmen Städter spuckten nach Leibeskräften.

Emmerich, desgleichen Anblick scheinbar gewohnt, befahl rasch, eine Grube auszuheben und die Opfer zu bestatten.

»Sonst zieht es noch mehr dieser Bestien an.«

Ein kurzes Gebet, dann zogen sie weiter.

Der weitere Weg nach Trier verlief ohne besondere Vorkommnisse.

In Trier verließen die beiden Kaufleute die Truppe, ein Kaufmann sowie eine Familie mit vier Kindern stießen hinzu, die alle nach Köln wollten. Schließlich noch zwei Nonnen, die dies ohne Geleitschutz nicht zuwege brächten und die Emmerich aus Anstand, und weil dies so üblich war, umsonst mitreisen ließ.

Am Ende des ersten Tages machte die Gruppe Rast in Bitburg. Die Stadt hatte, wieder einmal, schwere Zeiten hinter sich, die Bevölkerung war durch Krieg, Hungersnot und Krankheiten auf weit unter 2.000 Einwohner reduziert worden, ganz langsam ging es jedoch wieder aufwärts.

Bitburg gehörte im Jahr 1468 zwar offiziell zu Luxemburg, war jedoch 14 Jahre zuvor gegen 500 rheinische Gulden an den Grafen Robert zu Virneburg verpfändet worden.

Luxemburg hingegen hatte seit geraumer Zeit durch die Heirat von Elisabeth von Luxemburg mit dem Habsburgerkaiser Albrecht II. dem österreichischen Haus Habsburg gehört, aber durch Ende dieser Linie und Vererbung auf den Herzog von Sachsen waren die Besitzverhältnisse sehr turbulent geworden.

Auch der Herzog von Burgund hatte nämlich mittlerweile Ansprüche auf Luxemburg angemeldet. Dieser Herzog nannte sich Karl der Kühne und wurde später gerne als letzter Vertreter feudalen Geistes gesehen, als ein Mann, dessen hervorstechende Tugend seine blinde Tapferkeit war.

Luxemburg hatte schon immer eine bedeutende Rolle für die burgundische Politik gespielt, da es ein wichtiges Bindeglied zu den niederländischen Besitzungen der Burgunder war, wie Brabant, Limburg und Holland. Auch Karl der Kühne verfolgte den ehrgeizigen Plan, Erwerbungen zu einem Burgund, das den Namen ›Königreich‹ wirklich verdiente, zusamenzufassen.

Nachdem Albrechts Nachfolger, Kaiser Friedrich III., schließlich die 500 Gulden bezahlt hatte, gehörte Bitburg de facto wieder zum Habsburgerreich. Ruhe war dennoch nicht eingekehrt, nur die unmittelbare Kriegsgefahr schien einstweilen gebannt.

Die Nonnen konnten im Hospiz der dortigen Stiftkirche St. Maximin übernachten, die anderen Reisenden suchten einen Gasthof auf. Auf ihre Frage nach guter, preiswerter Kost und gutem Bier wurde ihnen Flügels Brauergasthof der ›Feiste Römer‹ in der Petersgasse3 empfohlen.

»Seit über 100 Jahren gibt es hier das beste Bier der Stadt!«, lobpreiste ihr Gastgeber die Schenke.

Bertram spitzte die Ohren.

Das war das erste Mal, dass er wieder in die Nähe einer Brauerei kam.

Vielleicht gab es dort Arbeit für ihn.

Auf dem Weg zum ›Römer‹ kamen ihnen bereits einige stark schwankende Gestalten entgegen, vor der Tür lagen links und rechts zwei im Rinnstein.

»Das Bier hier scheint recht stark zu sein«, lachte Emmerich.

Als sie in den gut gefüllten Römer eintraten, genossen sie erst einmal die Wärme, den Lärm und den Geruch nach Essen und Bier, der dort herrschte. Auf der Reise hatten sie bislang wenig Lobenswertes erlebt, was die Verpflegung betraf.

Immer nur Weizenbrot, Hafergrütze, dünnes Bier und etwas Gemüse, das war sättigend, aber nicht wirklich ein Genuss.

Emmerich ließ sich nicht lumpen und lud Bertram ein.

»Du bist ein guter Begleiter, sollst dich auch einmal satt essen.«

Von seinen Ersparnissen hätte Bertram nicht einmal die vier Pfennig ausgegeben, die ein großer Krug Wein oder ein Laib Brot kostete. So aber langte er zu.

Das Bier war köstlich, aber doch etwas dünner, als Bertram es von Straßburg her gewohnt war; braun und schäumend stand es im Krug. Sie merkten schnell, dass das ›Römerbier‹, entgegen ihrer ersten Prognose, nicht so stark war und tranken eines mehr.

Zu essen gab es eine Spezialität des Hauses: Laganum, dünn ausgerollte Teigfladen, die in mehreren Schichten abwechselnd mit Gemüse und Käse belegt und im Ofen gebacken wurden.

»Mensch, die sind ja gastfreundlicher als das Haus Abrahams!«

Emmerich war hellauf begeistert, genau wie alle anderen.

Das war das Raffinierteste, was alle jemals gegessen hatten.

»Ich esse ja sonst am liebsten eher grobes Fleisch, das hält Leib und Seele zusammen. Aber dies hier ist einfach köstlich!«

Bertram versuchte, sich an den anderen Tischen umzuhören, bevor er den ›Römer‹-Praxator direkt um Arbeit anfragen wollte.

Das war leicht, weil alle, durch das gute Bier befeuert, lautstark redeten und der Lärmpegel ständig stieg. So hörte er, dass man in den Städten, die in der Nähe zu Frankreich lagen, leichter die Bürgerrechte erhielt.

»In Frankreich hat es in den letzten 100 Jahren die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft, durch Hunger und Pest«, ereiferte sich einer.

»Auch hier in Eifel und Moselland gab es viele Tote«, so ein Zweiter.

»Wir haben aber seit 20 Jahren keine Missernte mehr gehabt«, ergänzte ein dritter Zecher. »Die neuen Methoden wie das, was die Bauern ›Drei-Felder-Wirtschaft‹ nennen, verhelfen ihnen zu besseren Ernten.«

»Und die neuen Mühlentechniken erst. Da geraten das Brot und das Mehl viel besser«, fuhr der Erste fort.

»Die Städte füllen sich wieder«, kam der Zweite zurück zum Thema. »Und wer was kann, der kann hier leicht Bürger werden.«

Das lag für Bertram zwar in weiter Ferne, er war viel zu jung und hatte zu wenig Geld, aber in einer aufstrebenden Stadt gab es sicher Arbeit für ihn.

3 siehe ›Der Bierzauberer‹.

Das Erbe des Bierzauberers

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