Читать книгу Das Erbe des Bierzauberers - Günther Thömmes - Страница 20
Bertram
ОглавлениеWieder einmal war er verprügelt worden, wieder einmal verfluchte er sein Schicksal.
Zwei Tage lang hatte er jeweils zwölf Stunden lang mit einem nicht sehr scharfen Messer Eimer um Eimer voller Runkelrüben klein geschnitten. Kurze Pausen für ein karges Essen, das Dieter de Foro ihm mehr hingeworfen als -gestellt hatte, dann ging es weiter.
Als er fertig war, hatte er seinen Lohn eingefordert und nach weiterer Beschäftigung gefragt.
Hohnlachen und eine Tracht Prügel waren die Antwort gewesen.
»Soll ich dir den Rest deines Gesichts auch noch verunstalten? Reicht dir deine Nase noch nicht?«
Jetzt saß er am Straßenrand und weinte.
Mehr über die erneute Demütigung als über die Verletzungen.
Er konnte es einfach nicht glauben: Sogar ein Mitglied der städtischen Hochgerichtsbarkeit setzte sich über Recht und Anstand hinweg und verweigerte ihm seinen verdienten Lohn!
Dieter vom Markte war allerdings nicht so geschickt im Austeilen gewesen wie Daniel Fischer, und daher hatte er davonlaufen können.
Er war vom Pech verfolgt und wusste nicht, warum.
Während er sich in Selbstmitleid erging, erkannte er plötzlich mit glasklarem Blick, dass er einfach nicht wehrhaft genug war.
Emmerich hatte ihn zwar als Begleiter akzeptiert, er hatte seine Wehrhaftigkeit während der Reise jedoch nicht unter Beweis stellen müssen.
Er war kräftig, aber es fehlte ihm sowohl an Selbstbewusstsein als auch an ordentlicher Bewaffnung und Erfahrung im bewaffneten wie im unbewaffneten Kampf.
Ein Ruck ging plötzlich durch ihn, als er beschloss, dies zu ändern.
Das wenige, was er darüber wusste, hatte er von Emmerich gelernt.
Lange Zeit waren die Ritter das Maß aller Dinge in perfekter Bewaffnung gewesen. Mit Schwert, Schild und Lanze war ein guter Ritter praktisch unbesiegbar gewesen.
Dies hatte sich in letzter Zeit dramatisch geändert. Der Niedergang des Rittertums war nicht zuletzt auch neuen Waffen geschuldet. Langbogen und Armbrust konnten mit ihren schnell verschossenen Pfeilen und Bolzen auch stärkste Rüstungen durchschlagen. Ein geübter Bogenschütze konnte einen Ritter zur Strecke bringen, lange bevor dieser den Schützen attackieren konnte. Auch ein Verbot des Papstes für diese unritterlichen Waffen hatte nichts genützt. Es war weitgehend ignoriert worden.
Bertrams Entschluss stand fest: gute Waffen mussten her, bevor er sich wieder mit anderen Menschen einließ. Einen Dolch hatte er sich von dem Geld für Emmerichs Dienste bereits beschafft. Mittelgroß, mit schlanker Klinge, jedoch scharf geschliffen, mit einem schwarzen Griff aus Messing, den er mit Leder umwickelt hatte. In einem kleinen Futteral steckend, band er ihn sich jetzt an der Wade fest, bevor er seine Schnürstiefel – die andere Neuanschaffung von Emmerichs Lohn – darüberzog. Damit sollte im Notfall das Überraschungsmoment auf seiner Seite sein.
Eine mittelgroße Armbrust, die bräuchte er noch. Und Übung im Kampf.
Emmerich und seine Gruppe waren schon weitergereist. So gab er sein letztes Geld für einen Beutel mit Wegzehrung aus, dann verließ er Bitburg durch das Kölner Tor. Allein, voll Hass und zu allem entschlossen.
Er musste nicht lange warten, bis er ein Objekt zum Üben gefunden hatte. Hinter Nattenheim traf er auf einen Schäfer, der mit seiner kleinen Herde am Wegrand stand. Der mittelgroße, schwarzbraune Hund bellte ihn fröhlich an, nicht ahnend, wen er da anbellte.
Der Gruß des Schäfers wurde nicht erwidert. Wortlos ging Bertram auf den Hund zu, nahm seinen Dolch, packte den Hund am Hals und schnitt ihm kurzerhand die Kehle durch.
Blut spritzte, als das Messer weich durch das Fleisch des Hundes glitt, der Schreck ging ihm anfangs durch Mark und Bein, schließlich war es das erste Mal, dass er bewusst ein Lebewesen tötete, und dieses dazu noch ohne Grund.
Der Schäfer, ein älterer Mann, dessen Gesicht von einem großen Hut verdeckt war, schrie auf und ging, mit seinem Stab vor sich her fuchtelnd, auf Bertram los.
Bertram schlug ihm den Stab aus der Hand und trommelte mit den Fäusten auf den armen Schäfer ein, der gar nicht wusste, wie ihm geschah. Völlig überrascht von dem Angriff, versuchte er lediglich, sein Gesicht zu schützen, durch die Hiebe und Tritte ging er alsbald zu Boden.
Bertram hatte leichtes Spiel. Er ließ erst ab, als der Schäfer blutend und regungslos, aber noch lebend vor ihm im Gras lag.
Er setzte eine Grimasse auf, die er als diabolisch empfand, überlegte kurz, ob er auch noch ein Schaf massakrieren sollte, empfand das aber als seiner unwürdig und ging weiter seines Weges.
Seine erste Bewährungsprobe hatte er bestanden. Niemals wieder würde jemand ihn wehrlos finden und verprügeln. Plötzlich verwandelten sich der Hass und die Rage, die er eben noch auf alles Lebende empfunden hatte, in ein Triumphgefühl, wie er es noch niemals verspürt hatte. Herr über Leben und Tod zu sein, ein Leben nach seinem Belieben zu verlängern oder zu beenden, dieses Hochgefühl war unbeschreiblich.
Um vor eventueller Verfolgung sicher zu sein – vielleicht hatte der Schäfer ja einen Lehnsherren, der ihn zur Rechenschaft ziehen wollte –, verließ Bertram die Hauptstraße Richtung Köln und wollte sich nach Osten durchschlagen, in Richtung Kyllburg.
Nach einer Stunde Wegzeit fiel ihm ein, dass er in Bitburg noch etwas vergessen hatte, was der Erledigung harrte. Er ging zurück, um die Stadt herum, mischte sich am südlichen Stadttor, dem Trierer Tor, unauffällig unter das Volk und gelangte so in die in diesen ausnahmsweise friedlichen Zeiten weniger streng bewachte Stadt.
Das Brauhaus lag links vom Stadttor, lediglich zwei Türme weiter, hinter dem Hospital. Bertram wartete in einer dunklen Nische des Turms, bis er sicher war, dass der letzte Gast den ›Lüsternen Eber‹ verlassen hatte, dann schlug er zu.
Der Kampf, wenn man es überhaupt ›Kampf‹ nennen konnte, war kurz. Bevor Dieter verstanden hatte, dass er angegriffen wurde, steckte ihm Bertrams Messer schon bis zum Heft im Hals, sodass es hinten wieder herausfuhr. Er sprang mit einem Schrei auf, zog sich das Messer aus dem Hals und wollte damit auf seinen Widersacher losgehen. Bertram hatte mit einem sofortigen Tod gerechnet und war entsprechend überrascht über den anfänglichen Widerstand. Der dauerte indes nicht lange. Mit jedem Atemzug kamen große blutige Luftblasen aus der Kehle, Bertram hatte mit seinem Dolch Dieters Luftröhre angeschnitten. Der lag bald am Boden und röchelte, während seine Wunde weiterhin blutigen Schaum ausspuckte. Bertram stand mitleidlos grinsend über ihm und wartete in aller Ruhe ab, bis der Todeskampf des Brauherrn, der ihn um seinen Lohn geprellt hatte, vorbei war.
Bis Dieter vom Markte am nächsten Mittag in seinem Brauhaus gefunden wurde, mit durchgeschnittener Kehle und den Mund voller Rübenschnitzel, hatte Bertram die Stadt schon wieder verlassen und war auf dem Weg nach Süden.
Dieters Tod wurde zu Protokoll genommen, besonders die Rübenschnitzel wurden vermerkt. Das Protokoll ging an alle Hochgerichtsbarkeiten in der Umgebung mit der Bitte, den Täter nach Bitburg zu überstellen, sollte er gefasst werden.
Mord und Totschlag kamen häufiger vor, als es der Obrigkeit lieb war, aber an Adligen doch eher selten. Da musste mit aller Macht ein Exempel statuiert werden.
Nach einem weiteren Tag erreichte Bertram das Moseltal und war dem Bitburg-Luxemburgischen Herrschaftsbereich bereits wieder entronnen.
Er folgte der Mosel flussabwärts. Was er brauchte, Essen oder Geld, stahl er unterwegs. Es war leichter, als er anfangs gedacht hatte.
Einen Fehler jedoch machte er: Er vergaß, dass er aufgrund seines entstellten Gesichts leichter zu beschreiben war als andere. Da die Wunden verheilt waren und sogar die Nase nicht mehr schmerzte, dachte er meist gar nicht mehr daran. Gelegenheit, in einen Spiegel zu schauen, hatte er keine.
Kurz vor Cochem machte er Rast in einer Schankstube. Der Raum war beinahe leer, lediglich zwei andere Männer verspeisten gerade eine riesige Fleischportion mit einem großen Krug Wein. Bertram sah das üppige Gepäck der beiden, dann hörte er interessiert mit.
Die beiden waren unterwegs zu den Herren von Eltz auf der gleichnamigen Burg. Die Burg Eltz lag im Tal der Elz, die das Maifeld von der Vordereifel trennt.
Der ältere der beiden war der Wortführer, und offensichtlich waren sie Kaufleute in Sachen Bewaffnung. Sie führten Gerätschaften mit sich, die Bertram niemals als Waffen erkannt hätte.
Nach einem weiteren Krug Wein kam Bertram mit ihnen ins Gespräch und gab sich als Brauerbursch auf Wanderschaft aus. Ganz gelogen war das ja nicht.
Der ältere der Kaufleute stellte sich als Bredelin vor, der jüngere, »mein Sohn, der mein Geschäft übernehmen und jetzt lernen soll«, hieß Eberwin.
Ohne großes Nachfragen erzählte Bredelin.
Sie kamen aus Nürnberg, waren in Trier gewesen und jetzt eigentlich auf dem Heimweg. Eine Kundschaft hätten sie noch unterwegs zu besuchen, die Eltzer Herrren.
»Die Burg Eltz ist schon über 300 Jahre alt, wird aber gerade ausgebaut. Und da haben wir neue Waffen im Angebot.«
Bertram schaute interessiert, als Eberwin eines der seltsam anmutenden Geräte in die Hand nahm.
»Das ist eine Hakenbüchse. Hier in der Moselgegend oder im Luxemburgischen nennt man sie ›Arkebuse‹. Das sind ganz neue Arten von Verteidigungswaffen. Die möchten wir den Eltzern verkaufen.«
Bertram hatte keine Vorstellung, wie diese Waffen funktionieren sollten, und gab das auch unumwunden zu.
»Ich kann es dir nicht vorführen, es ist zu aufwendig und zu gefährlich hier drinnen, aber glaube mir, die Wirkung ist verheerend«, erklärte Bredelin.
Nachdem Bertram kein klares Ziel hatte, versuchte er, sich so bei den beiden anzubiedern, dass sie ihn zur Gesellschaft mitreisen ließen.
»Nürnberg ist eine große Stadt. Da gibt es sicher Arbeit für mich.«
»Dann komm mit uns. Wir haben einen kleinen Wagen, nur für unser Gepäck und unsere Ware, neben dem wir hergehen. Da ist gute Gesellschaft immer passend. Und ich verspreche dir, wenn wir in Nürnberg angelangt sind, weißt du alles über die neuen Waffen. Auch wenn es dir beim Bierbrauen nicht hilfreich sein wird.«
Am nächsten Tag schon besuchten sie die Burg Eltz. Imposant und gewaltig reckte sie sich auf einem 70 Meter hohen Felsen aus dem Tal des kleinen Elzflüsschens empor, das sie von drei Seiten umfloss. Die Lage war gut gewählt, einerseits abseits der großen Straßen und nicht leicht zu finden oder zu erobern, andererseits an der Verbindung zwischen Mosel und den fruchtbaren Gegenden des Eifeler Maifeldes. Lediglich eine schwere Auseinandersetzung hatte die Burg Eltz in ihrer Geschichte durchstehen müssen: die sogenannte ›Eltzer Fehde‹ von 1331 bis 1336. Dabei ging es um einen politischen Streit der Eltzer Herren mit dem Erzbischof und Kurfürsten Balduin von Trier. Balduin belagerte schließlich die Burg, und die Eltzer ergaben sich, bevor die Burg zerstört werden konnte. Seither waren die Eltzer Lehensleute des Trierer Erzbischofs.
Bredelin und Eberwin hatten hier gleich drei Kunden. Seit über 200 Jahren lebten auf der Burg Eltz drei Linien der Eltzer in einer sogenannten Ganerbengemeinschaft5. Die Linien waren benannt nach den drei Brüdern Elias, Wilhelm und Theoderich, die die Stammesteilung damals beschlossen hatten.
Sie traten ein durch die auf drei Pfeilern ruhende gewölbte Vorhalle, durch die sich die Hoffront der Häuser öffnete.
Als die Herren von Eltz sich zur Begrüßung näherten, schickte Bredelin Bertram fort.
»Geh, setz dich irgendwo hin und warte, bis wir unser Geschäft erledigt haben.«
Bertram tat, wie ihm gesagt wurde, setzte sich aber noch nahe genug, um Bredelins Vorstellung mitzuerleben.
Zuerst wurden Neuigkeiten ausgetauscht, die fahrende Kaufleute immer reichlich mit sich führten und die in einer etwas abgelegenen Burg gerne gehört wurden.
Besonders die politische Lage, Kriege und Eroberungen wurden am liebsten kolportiert.
»Die Türken stehen schon in Bosnien, nach Wien ist es nicht mehr weit«, war eine der neuesten Schreckensmeldungen.
»Dafür zahlen es die Portugiesen den Arabern heim und belagern Tanger. Die Stadt wird bald in Christenhänden sein.«
»Und der englische König Heinrich VI. wurde im Tower zu London von seinem Rivalen Eduard, der sich jetzt als König ›der Vierte‹ nennt, ermordet.«
Schließlich war der Informationspflicht Genüge getan, die Vorstellung begann.
Eberwin nahm eine der sechs Hakenbüchsen, die sie mit sich führten, und Bredelin begann mit seinem Vortrag.
»Hochverehrte Herren von Eltz. Gewiss habt Ihr schon gehört von der Erfindung des Freiburger Franziskanermönchs Bertholdus Niger, obwohl dessen Erfindung bisweilen auch anderen klugen Köpfen zugeschrieben wird. Bertholdus hatte für ein Experiment in einem Mörser Salpeter, Schwefel und Kohle zerstampft. Den Mörser stellte er, zusammen mit dem Stößel, in einen Ofen und verließ seine Kammer. Kurz darauf erfolgte eine heftige Explosion. Alles war in die Luft geflogen. Der Stößel steckte sogar so fest in der Decke, dass er nicht einmal durch Berühren mit Reliquien der heiligen Barbara herausgezogen werden konnte.«
Er trank einen Schluck Wein, der ihm gereicht worden war.
»Dies geschah vor über 100 Jahren und ist wohl bekannt. Nun, resultierend aus dieser Erfindung, welche ›Schwarzpulver‹ genannt wurde, entstanden neue Waffen. Und die neueste Verteidigungswaffe möchten wir Euch vorstellen.«
Eberwin hielt die beinah acht Kilogramm schwere Büchse triumphierend über den Kopf, während Bredelin fortfuhr.
»Ihr braucht Euch in Zukunft nicht mehr allein auf Kriegsmaschinen wie Katapulte oder Schleudern zu verlassen. Auch Armbrüste oder Langbögen gehören der Vergangenheit an. Wir arbeiten in Nürnberg Hand in Hand mit einer Gießerei, einer Schmiede und einer Schleiferei. Dazu kommt noch feinste Drechslerarbeit für die Hölzer. Diese Hakenbüchsen haben ein Luntenschloss und werden von vorne geladen. Sie sind bestens geeignet, von einer Burgmauer herab auf einen Angreifer zu schießen.«
Einer der drei Herren von Eltz, deren Namen Bertram nicht verstanden hatte, hatte Eberwin die Büchse aus der Hand genommen und wog sie nun, fachmännisch begutachtend, in seinen Händen.
»Das ist das Beste, Leichteste und Durchschlagendste, was es derzeit an schießenden Verteidigungswaffen gibt!« Bredelin redete sich in eine regelrechte Euphorie.
»Seht Ihr diesen Haken?« Er zeigte auf einen eisernen Haken unter dem Lauf der Arkebuse.
»Damit könnt Ihr die Büchse auf der Mauer oder an einem Ast fixieren, um den Rückstoß aufzufangen. Und der ist enorm, glaubt mir, genauso wie die Geschwindigkeit der Geschosse.«
Dass die Treffsicherheit ab zehn Metern Entfernung rapide abnahm, verschwieg er wohlwissentlich.
»Wie schießt man damit?«, ergriff der erste Eltzer das Wort.
»Ganz einfach! Zuerst nehmt Ihr ein Zündkraut. Das ist ein nicht gekörntes Schwarzpulver. Und dann werde ich unsere neue Entwicklung vorstellen. Bislang wurden die Hakenbüchsen mit einem Luntenschloss ausgestattet. Damit konnte man bereits während des Abdrückens zielen und dadurch genauer schießen als mit den früheren Modellen. Es gab aber viele Nachteile: Man musste eine brennende Lunte mitführen, die Lunte am Schloss ständig korrigieren, und konnte nicht zuletzt bei Feuchtigkeit nicht schießen. Und bei starkem Wind wurde das Pulver aus der Pfanne geweht. Daher waren diese Büchsen bei Wind und Regen nutzlos. Mit unseren neuen Büchsen hingegen könnt Ihr Euch bei jedem Wetter verteidigen. Unsere Nürnberger Handwerker haben dieses ›Radschloss‹ neu entwickelt.«
Er ging zur Büchse, zeigte auf den Mechanismus, die Büchse ging von Hand zu Hand. »Seht dieses Zahnrad aus Eisen, das durch die Zündpfanne greift. Ihr dreht es mit einem Schlüssel an der Achse, dadurch wird diese Kette gespannt, die sich um seine Achse windet.
Am anderen Ende befindet sich die Schlagfeder. Durch Auslösen des Hahns wird die Feder gelöst, der Hahn, auf dem ein Stück Schwefelkies liegt, schlägt Funken in der Pulverpfanne, und der Schuss geht los.«
Eberwin schritt zur Demonstration.
Bertram verfolgte mit großer Spannung, was da kommen sollte.
»Habt Ihr ein Objekt, auf das ich schießen soll?«, fragte Eberwin.
Auf einen knappen Befehl eines Eltzers hin brachte ein Bursche einige größere, flaschenähnliche Pflanzen, die wie ein Gemüse aussahen, die Bertram aber völlig unbekannt waren.
»Ah, Churpizze, die sind hervorragend zur Demonstration geeignet«, rief Bredelin aus.
Sie hängten einen Churpiz an einem Seil vom Galgen herab, der im Hof stand.
Bredelin schickte mit warnenden Gesten die Herren von Eltz in sichere Entfernung, während Eberwin derweil umständlich die Arkebuse von vorne lud, die Pulverpfanne füllte, das Radschloss spannte, zielte – und abdrückte.
Die Wirkung war erstaunlich: ohrenbetäubender Lärm, Qualm und ein Eberwin, den der Rückstoß an die Wand einige Meter hinter ihm drückte.
Das Seil schwankte im Wind, vom Churpiz war nichts mehr zu sehen, außer einigen schmierigen Flecken an den Wänden des Innenhofes, einige Meter weit vom Galgen entfernt.
Höflicher Applaus der drei Herren von Eltz.
Bredelin und Eberwin verneigten sich kurz wie Künstler nach einer Darbietung und nahmen kurz darauf huldvoll die Bestellungen entgegen.
Bertram war tief beeindruckt. Das verheerende Resultat dieses Schusses übertraf alles, was er sich bisher unter einer Handwaffe hatte vorstellen können.
Es folgte ein üppiges Mittagessen, auch Bertram wurde eingeladen, allerdings nur, um mit dem Gesinde zu essen. Dennoch, die Küche von Eltz war gut und deftig, er trank sogar einen Moselwein, der mit Milch und Honig vermischt war.
Dann, mit leichterem Gepäck, verließen die drei die Burg. Fünf der sechs Büchsen waren gleich gegen bare Münze dagelassen worden. Eine wollten die Nürnberger Kaufleute behalten, »falls sich unterwegs noch ein Kunde ergibt, dem wir es vorführen möchten«.
Bei Koblenz trafen sie auf den Rhein, jetzt wusste Bertram wieder ungefähr, wo er sich befand. Das verhasste Straßburg lag stromaufwärts, Nürnberg glücklicherweise Richtung Osten.
Bredelin und Eberwin waren prächtiger Laune, eine gute Bestellung, reichlich Vorauszahlung, da konnten sie es sich leisten, großzügig zu sein. Sie luden Bertram zum Essen ein.
Der Weg ging entlang der Lahn, durchs Nassauische in Richtung Limburg. Viel Wald, nur wenige Menschen begegneten ihnen, Siedlungen waren noch seltener. Sie mussten im Wald übernachten. Die Nürnberger Kaufleute waren aber auch darauf vorbereitet.
»Wenn man wie wir dauernd auf Reisen ist, findet man nicht immer ein Gasthaus«, sagte Bredelin lachend, während Eberwin das Feuer anzündete.
Bertram nutzte die Gelegenheit, sich noch einmal ausführlich die Vorzüge der Hakenbüchse demonstrieren zu lassen.
»Kann man damit auch jagen?«
»Das Wild ist zu weit weg und wittert uns zu schnell, das dürfte schwierig sein. Die Büchse ist besser zur Verteidigung aus der Nähe geeignet.«
Tage später fand man die beiden Kaufleute im Wald. Bredelin war die Kehle mit einem scharfen Dolch durchschnitten worden, offensichtlich im Schlaf.
Eberwin war nicht mehr wiederzuerkennen. Eine gewaltige Explosion aus nächster Nähe hatte seinen Kopf weggerissen und seinen Oberkörper zerfetzt. Auch ihn hatte der Tod offenbar im Schlaf überrascht.
Geld fand man keines bei ihnen, auch keine Waffe, kein Pulver und keine Munition.
Von Bertram fehlte jede Spur.
Die letzten Menschen, die die beiden lebend gesehen hatten, berichteten von einem jungen Mann in ihrer Begleitung. Einem Mann mit entstelltem Gesicht, genauer gesagt, einer extrem schiefen Nase. Die Beschreibung deckte sich auch mit der, die der Schäfer bei Nattenheim seinem Vogt gegeben und die dieser an den Hof des Trierer Kurfürsten weitergereicht hatte. Auch hier wurde ein Protokoll erstellt und an verschiedene Städte gesandt. Als dieses in Bitburg ankam, erinnerte man sich auch hier an einen Burschen mit schiefer Nase, der im Brauhaus ›Zum lüsternen Eber‹ gesehen worden war.
5 Eine Ganerbengemeinschaft war nach altdeutschem Erbrecht das gemeinsame Familienvermögen, vorwiegend Grundbesitz, über das die Ganerben nur gemeinsam verfügen konnten.