Читать книгу Das Erbe des Bierzauberers - Günther Thömmes - Страница 19
Georg
ОглавлениеGeorgs Anfangslohn betrug zehn Pfennige am Tag. Damit hätte er nicht viel anfangen können, aber bei Fischer gab es zu essen, und er hatte sich von seinen, oder besser: Michels Ersparnissen noch vorher neu eingekleidet.
Eine einfache Hose für sieben Pfennige, für vier Pfennige ein Hemd, dazu 15 Pfennige für ein Paar Schuhe, die ersten seines Lebens. Fischer bestand darauf, dass bei der Arbeit mit den Biersteinen Schuhe getragen wurden. Trotzdem hatte er noch reichlich Münzen übrig, die er wieder zurück ins Versteck tat.
Daniel und Georg kamen überraschend gut miteinander aus. Oder war es, dass es Sonja, die länger geblieben war als nur eine Nacht, gelungen war, ihn zu zähmen? Seine Wutausbrüche und ebenso seine Prügelorgien blieben jedenfalls monatelang aus.
Wenn er auch Anfangs viel schimpfte, weil Georg keine Ahnung von der Brauerarbeit hatte, »Heiliger Himmel, einem Esel kann ich das leichter erklären. Dich anzuleiten ist eine Qual, womit habe ich das verdient? Die Via Dolorosa unseres gekreuzigten Heilands war ja ein Zuckerschlecken dagegen!« und dergleichen mehr, so merkte er doch bald, dass Georg schnell von Begriff war und er ihm das meiste nur einmal zeigen musste. Als ein Junge, der bereits in jungen Jahren dreimal Eltern oder Pflegeeltern verloren hatte, war dieser Kummer gewohnt und tat sich schwer, anderen Menschen zu vertrauen. So hatte Georg sich bereits früh eine gewisse Zähigkeit und Unempfindlichkeit angeeignet, die er jedoch gegenüber Daniel mit einer anhänglichen Loyalität paarte, die dem Charakter des selbst ziemlich raubeinigen Brauherrn ungemein entgegenkam. Langsam, ganz langsam, stieg Georg in den Rang eines Protegés von Daniel Fischer auf.
Da dieser als Einziger die Rezepturen kannte, durften weder Georg noch die anderen Mitarbeiter wirklich selber brauen. Aber die Handlangerdienste waren schwer genug.
Alle Arbeiten waren aufgeteilt, es gab niedere und höher gestellte Arbeiten, wobei die höher gestellten Arbeiten direkt mit den Rohstoffen zu tun hatten:
Das von Daniel vorher abgemessene Malz schroten und in den Maischbottich einmaischen.
Oder die von Daniel im stillen Kämmerlein berechnete Hopfenmenge hinzufügen.
Die niederen Arbeiten hingegen waren heiß und dreckig, und je heißer und dreckiger, desto niedriger.
Seit einigen Jahrzehnten war es in Straßburg üblich, nicht den Topf übers Feuer zu hängen, sondern es genau umgekehrt zu machen. Sobald der Braukessel bereit und mit allen Zutaten gefüllt war, versenkte man über hölzerne Kufen glühend heiße Steine darin und erhitzte so den Inhalt des Kessels.
Dies war enorm aufwendig, vor allem, da die Steine häufig zersprangen und somit nur ein einziges Mal verwendet werden konnten. Die Biere aber gerieten meist besonders aromatisch und süßlich, weil ein Teil des Malzextraktes am heißen Stein karamellisierte.
Georgs Aufgabe war es, die Steine zu erhitzen. Dazu wurde im Kamin ein wahres Höllenfeuer angefacht. Zwei ältere Gesellen bliesen mit einem Blasebalg Luft ins Feuer, während Georg mit einer Art langarmiger Riesenzange die Steine hineinlegte und wieder herausnahm. Er hatte das Gefühl, direkt in einem Ofen zu sitzen, die Flammenzungen leckten nach seinen Händen und seiner Kleidung, er troff vor Schweiß, und mehr als einmal hätte er sich um ein Haar schlimme Verbrennungen zugezogen. Nach getaner Arbeit war er krebsrot, seine Haut brauchte Stunden, um ihre normale Farbe wiederzuerlangen.
Sein Herr schickte ihn auch regelmäßig auf die Suche nach Biersteinen. Columban, der lahme und halbtaube Knecht, fuhr mit dem Eselskarren los, manchmal, bevor Georg aufgesprungen war. Der Knecht mochte ihn nicht besonders und zeigte dies deutlich. Dann musste Georg immer hinter dem Karren herlaufen und sich im Fahren daraufschwingen. Das war nicht ganz ungefährlich, trotz der langsamen Fahrt.
Hatten sie dann Biersteine gefunden, musste Georg sie hochwuchten und auf den Karren legen. Columban stand derweil daneben und grinste. In der Brauerei angekommen, musste Georg auch allein abladen. Viele der Steine waren ziemlich schwer, und mehr als einmal schmerzten ihm abends alle Knochen.
Auch Georg schätzte Daniels berühmte Biersuppe und freute sich jeden Morgen darauf. Und am Ende seines zweiten Jahrs in Straßburg, nachdem Georg in der Zwischenzeit ein fester Bestandteil von Fischers Brauerei geworden und auch im Rang der Arbeiten aufgestiegen war, wich Daniel von seiner ansonsten strengen Gewohnheit ab und verriet Georg das Biersuppenrezept:
»Du hängst einen Topf mit Bier übers Feuer, nimm am besten von dem dunklen, süßen, in einen anderen Topf schlägst du ein Dutzend Eier auf, legst ein großes Stück Butter dazu, etwas Milch und quirlst es mit kaltem Bier ab. Dann gießt du das heiße Bier zu den Eiern, ein wenig Salz und noch einmal quirlen. Dann nimmst du ein gutes Brot und richtest die Suppe auf diesem an. Du kannst die Suppe auch mit Zucker oder Zimt versüßen.«
Er hielt inne und steckte sich demonstrativ schmatzend die Finger in den Mund.
»So werden sich die Gäste die Finger schlecken und mehr von dieser Suppe verlangen.«
Monat für Monat ging ins Land, Daniel wurde ruhiger, je älter er wurde. Dafür sorgten nicht zuletzt auch Sonja und Adelheid. Sonja war in Straßburg geblieben, ihr vormaliger slawischer Stolz war einer treuen Ergebenheit für Daniel gewichen, seit sie durchschaut hatte, dass sie ihn dadurch eigentlich umso besser im Griff hatte. Adelheid und sie verstanden sich bestens. Adelheid war für die Küche zuständig, insbesondere für das Kochen der Eingeweide und Innereien, die, angerichtet mit Paradieskorn, Lorbeer und Langpfeffer, neben der Biersuppe zu den Spezialitäten der Fischer-Küche gehörten, Sonja für die Schankstube, beides jedoch unter Daniel Fischers Oberaufsicht.
Georg profitierte von dieser Entwicklung, indem Daniel ihn mehr und mehr in seine speziellen Brauergeheimnisse einweihte.
»Solltest du jemals von hier fortgehen und mir mit meinen eigenen Rezepturen Konkurrenz machen, werde ich dich windelweich prügeln!«, sagte er mehr als einmal, wenn Georg ihm wieder ein weiteres Geheimnis entlockt hatte.
Georg hatte, genau wie Sonja, Gefallen an der Stadt gefunden.
Dadurch, dass sie seit Langem nur dem Kaiser untertan waren und sonst niemandem, ließ es sich befreit und gut dort leben. Sogar der Stadtadel war entmachtet worden, die Zünfte dominierten, und wer ihnen nicht in die Quere kam, oder noch besser, ihnen angehörte, hatte ein gutes Auskommen.
Es gab drei Zünfte, die den Handel und das Gewerbe beherrschten:
Die Kaufleute und Bäcker waren zusammengeschlossen, ebenso die Fleischhauer, Loher und Schuhmacher.
Die dritte Zunft waren die Schmiede und Schröter. Die Schröter hatten die Aufgabe, abgefüllte Weinfässer aus den Kellern der Winzer zu ›schroten‹, auf Wagen durch die engen Gassen zu transportieren und auf die Rheinschiffe zu verladen.
Die Zünfte hatten am meisten von den ständigen Streitereien zwischen den Familien Müllenheim und Zorn profitiert und sich langsam, aber sicher starke Machtpositionen erarbeitet.
Die Zunft der Kaufleute und Bäcker war die älteste, vornehmste und bedeutendste Vereinigung. Ihr wurden später, nach dem Aufschwung des Braugewerbes durch die Frostkatastrophe von 1446, auch die Bierbrauer angeschlossen.
Für das Kind eines Straßburger Bürgers betrug der Eintrittsbeitrag zwölf Schillinge und ein Pfund Wachs, mit dem Kerzen für die verstorbenen Zunftmitglieder hergestellt wurden.
Der gleiche Eintrittspreis galt für Berufe, die einer Zunft neu hinzugefügt wurden, unabhängig von der Herkunft.
Neulinge von auswärts hatten in etablierten Berufen keine Möglichkeit, Mitglied zu werden. Verstoß gegen die Zunftregeln wurde hart bestraft, bis zu einer Mark kostete eine einfache Missachtung, wie zum Beispiel die Herstellung von Brot ohne entsprechende Erlaubnis.
Daniel besuchte die Zunftversammlungen regelmäßig, erzählte hinterher ausführlich davon und schimpfte über die Einfalt und Sturheit seiner Zunftgenossen.
Georg hatte bald herausgefunden, dass es schwierig, wahrscheinlich sogar unmöglich werden würde, hier in Straßburg ein eigenes Brauhaus auf die Beine zu stellen, auch wenn dies in noch so weiter Ferne lag.
Also versuchte er zu lernen, in seiner karg bemessenen freien Zeit das Leben zu genießen und zusammen mit Fafnir Straßburg zu erkunden.
Dominiert wurde die Stadt vom Münster. Das Liebfrauenmünster war angeblich eines der höchsten Gebäude auf der ganzen Welt, zumindest der Nordturm!
Als ein Monument aus rosa Vogesensandstein strebte es dem Himmel entgegen: der ganze Stolz der Straßburger, die nicht müde wurden zu betonen, dass der Bau des Münsters von Bürgergeldern und nicht vom Bischof oder vom Domkapitel finanziert worden war.
Oftmals stand Georg am Münsterplatz, der nicht weit von Fischers Brauerei war, und bewunderte nicht die prächtigen Bürgerhäuser, sondern die eintürmige Kirche und ihre charakteristische asymmetrische Form, obwohl er diese Gedanken nicht in Worte fassen konnte.
Er fragte sich, wie weit entfernt dieser Turm zu sehen sei, »vielleicht sogar über das Rheinufer hinweg«.
Grundsätzlich waren die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Brauhandwerk nicht nur in Straßburg, sondern in jeder Stadt des Reiches außergewöhnlich hoch gesteckt. Die beiden wichtigsten Voraussetzungen fehlten Georg von Anfang an: der Nachweis der ehelichen Geburt – sein Nachname ›Esposito‹ dokumentierte dies sogar anschaulich – und der Besitz des Bürgerrechts. Daniel ignorierte dies, obwohl ihm im Gegensatz zu Georg dieser Makel bewusst war, und setzte sich über die alten Regeln hinweg, indem er Georg mehr und mehr in seine Geheimnisse einweihte.
Vor der großen Elsässer Frostkatastrophe war das Recht, ein Brauhaus zu errichten und zu führen, nur an einflussreiche und wohlhabende Bürger, die auch Grundstücksbesitzer waren, verliehen worden. Da diese Brauherren ihr Privileg jedoch in der Regel nicht selber nutzten – ihre städtischen Ämter ließen dies nicht zu –, sondern die Arbeit von Lohnknechten und Gesellen ausführen ließen, hatte sich aus diesen ein ebenfalls privilegierter Berufsstand herauskristallisiert: der der Braumeister, denen es sehr bald gelungen war, ihren Berufstand streng abzuschirmen und gegen Neulinge von außerhalb zu verteidigen.
Nach der Katastrophe waren die Regeln etwas aufgeweicht worden, weil mehr guter Nachwuchs benötigt wurde, als die eigenen Reihen hergaben.
Daniel Fischer war jedoch auch hier die Ausnahme, weil er nicht bei einem Straßburger Brauherr gearbeitet hatte, sondern sich gleich mit eigenen Mitteln sein eigenes Brauhaus errichtet hatte. Seine Kenntnisse hatte er von einigen nützlichen Reisen, die er als junger Mann unternommen hatte. Er kam insofern nicht aus dem eigenen Nachwuchs, hatte sich aber mittlerweile den Respekt der anderen Brauer erworben.
Der aber nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruhte, weswegen Daniel auch nicht daran dachte, eine Erlaubnis zu Georgs Ausbildung einzuholen.
Je mehr Zeit verging, je besser Georg das Bierbrauen beherrschte, desto mehr sah er in Georg den Sohn, den er wohl niemals selber zeugen würde können. So hatte ihm eine Wahrsagerin vor Jahren prophezeit. Und ein Medikus, den er aufgesucht hatte, hatte diese Diagnose bestätigt. Sonja schien es egal zu sein, er hatte ihr gegenüber seine Bedenken jedoch noch nicht geäußert.
Georg lernte viel in dieser Zeit. Viele Menschen aus ganz Europa besuchten Straßburg, darunter Pilger und Wallfahrer, Kaufleute und Ritter, aus Frankreich, sogar aus Spanien und den Niederlanden kamen sie an den Rhein. Daniel hatte ihm einmal erzählt, dass in den letzten 100 Jahren in der Diözese Straßburg über 30 neue Wallfahrtsorte entstanden waren, darunter mehr als die Hälfte Marienheiligtümer mit sogenannten Hostienwundern.
»Sollen die Narren doch kommen und ihr gutes Geld bei uns lassen«, hatte der wenig fromme Brauherr oft genug gelästert.
Das Völkergemisch, das sich in der Schankstube drängelte, die fremden Sprachen und der Anblick fremd aussehender Menschen boten Georg viele Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Er nutzte sie redlich.