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Vorbei war ab jetzt die Zeit, in der ein Brautag ein außergewöhnliches Ereignis war. Die Brüder im Kloster waren durstig und Bier war ihr hauptsächlicher Durstlöscher. Dreimal in der Woche wurde hier gebraut und an den anderen Tagen musste Niklas sauber machen oder die Vorräte auffüllen.

Und als wäre dies alles nicht genug, wurde er zudem regelmäßig zur Aushilfe zu anderen Brüdern geschickt.

Unter anderem erfuhr er etwas über die verschiedenen Zeiten für die Aussaat von Getreide. Sein Vater hatte eigentlich Jahr für Jahr das gleiche Getreide angebaut und ein Drittel des Ackers immer brach liegen lassen. Hier lernte er, dass es sowohl Sommergetreide als auch Wintergetreide gab.

Im Frühjahr säte man aus, was als Pferdefutter und zur Bierherstellung verwendet wurde: Hafer und Gerste vor allem.

Und im Herbst säten die Brüder Roggen und Weizen, das waren die ›Brotsorten‹.

Nebenbei wurden kleinere Mengen Hirse und Emmer angebaut.

Die wenigen Male, die er mit draußen auf den Feldern war, dachte Niklas an zu Hause und er wurde etwas wehmütig. Aber das ging schnell vorbei.

Denn er hatte es gut getroffen. Bruder Thomas war ein erfahrener Brauer und zudem ein gemütvoller, demütiger Mensch. Er wurde selten wütend, sogar wenn Niklas einen groben Fehler machte. Gleichzeitig zeigte er Niklas eine ganze Menge Tricks und Kniffe, auf die er niemals von allein gekommen wäre.

Er kannte verschiedene einfache Handgriffe, mit denen man über einen Hebel einen Bottich in einen anderen ausleeren konnte, sodass es fast keine Arbeit war.

Er verwendete mehr verschiedene Kräuter als seine Mutter und wusste auch besser über deren Wirkungen Bescheid.

Zuweilen zeigte er ihm einige Kräuter etwas genauer und sagte Sachen wie:

»Dies wird Wermut genannt; wenn du es dem Bier beigibst, tötet es Würmer, vertreibt die Verstopfung, stärkt den Magen und bekämpft Gelbsucht und Wassersucht. Und schlafen kann man danach wie ein Bär im Winter.«

Thomas zerrieb ein Stück einer Rispe zwischen seinen Fingern und ließ Niklas daran riechen und schmecken. Der aromatische Geruch passte überhaupt nicht zu dem extrem bitteren Geschmack. Der Wermut brannte Niklas auf der Zunge und er wandte sich schaudernd ab.

Thomas lachte und sagte:

»Im Bier entfalten viele Kräuter ein anderes Aroma, als wenn du es direkt mit der Zunge schmeckst. Lass dich einmal überraschen.«

Zu jedem dieser Kräuter hatte er ein Sprüchlein parat, die Niklas teilweise von seiner Mutter her kannte.

»Wacholder zum Beispiel, das hängst du in einem Säcklein ins Bier, wenn es schon vergoren ist; er macht das Bier sehr gesund, vertreibt die Steine aus dem Körper und ist gut bei Leiden an Niere und Blase. Er wirkt auch gut wider Vergiftungen.«

Der würzig-süßliche Geruch erinnerte Niklas an daheim und er musste schlucken, weil ihn so etwas wie Heimweh überkam.

Thomas warnte ihn eindringlich davor, eine Zutat ohne weitere Prüfung zum Bier zu geben, nur weil sie vielleicht gut roch.

»Es gibt eine Menge Kräuter, welche die Sinne verwirren, den Rausch verstärken oder den Körper richtig vergiften. Also sei vorsichtig mit dem, was du zum Bier dazugibst! Wenn du lange genug bei mir bleibst, werde ich dir noch so einiges zeigen.«

Auch beim Essen erzählte er gerne über Kräuter und Pflanzen.

»Die Kräuter hingegen, die uns der Herrgott zum Essen geschenkt hat, wie Zwiebeln, Lauch, Knoblauch, Senf oder Petersilie, die lass in jedem Falle raus aus dem Bier! Es wäre eine Sünde, sie für einen anderen Zweck zu entfremden.«

Niklas beschloss bald, so schnell wie möglich alles über Kräuter und ihre guten und schlechten Wirkungen zu lernen.

Aber was wohl das Interessanteste am Brauen mit Bruder Thomas war: Hier wurden keine Laibe mehr gebacken, um den ›Bierteig‹ herzustellen. Bruder Thomas mischte das Getreide direkt mit dem Wasser. Es wurde nur vorher zerstoßen, in einem großen Mörser, den er nach einiger Übung zu bedienen lernte.

Als Niklas beim ersten Mal vorlaut anmerkte, das könnte nach seiner Erfahrung nicht funktionieren und sauer werden, da lachte sein Meister und sagte:

»Lassen wir es doch einfach darauf ankommen.«

Es klappte nicht nur vorzüglich, das Bier war sogar sehr viel besser als alles, was sich Niklas vorher hatte vorstellen können. Es war nicht mehr so trüb und matschig wie das Bier, das er von zu Hause her kannte. Im Vergleich zu diesem hier hatte das Bier seiner Mutter regelrecht erdig-muffig gerochen und geschmeckt.

Dunkelbraun, aromatisch-süß duftend, stand es hier im Bottich und roch einfach verlockend.

Obwohl das Aufreißen der Brotlaibe entfiel, lernte er, dass man als Brauer letzten Endes immer mit Hitze zu tun hat und deswegen gelegentlich verbrannt wird. Die heiße Maische lief ihm manchmal über die Hand oder die Hose; besonders beim Umfüllen von einem Bottich in den nächsten passierte dies häufig. Nach ein paar Monaten hatte Niklas Hornhaut und dicke Schwielen an den Händen. Eine Folge sowohl der Verbrennungen als auch der harten körperlichen Arbeit.

Im Lauf der ersten Wochen erkannte Niklas dann, dass das Getreide keine einfache Gerste war. Es sah aus wie Gerste, nur etwas dunkler, roch wie Gerste, jedoch war etwas anders.

Dann fiel ihm auf, dass der Zugang zum Getreideboden immer abgesperrt war. Was mochte dort Geheimnisvolles vorgehen? Auf sein Fragen und Drängen wich Bruder Thomas immer aus:

»Der Tag kommt noch früh genug, an dem ich dich darin einweihen werde.«

Wann dieser Tag kommen würde, darüber schwieg er sich aus.

So vergingen die ersten Monate und der erste Winter ging vorbei. Die Mönche tranken fleißig Bier und gelegentlich schaute einer von ihnen im Brauhaus vorbei und sprach ein Lob aus.

Das konnte allerdings daher rühren, dass das Bier zur Fastenzeit und zur Vorweihnachtszeit stärker eingebraut wurde, da im Kloster die Fastenregeln nur für feste Nahrung galten.

Thomas war auch hier nicht um Antwort verlegen:

»Eine der ältesten Regeln unseres Klosterlebens ist ›Liquida non frangunt ieuneum – Flüssiges bricht das Fasten nicht‹. Das hat uns Brauer immer beliebt gemacht.«

Und gefastet wurde viel im Kloster. Zu den regelmäßigen Fasttagen kamen noch außerordentliche Fastenzeiten hinzu, die vom Abt angekündigt wurden. Bestimmte Heiligentage oder ein Gedenken an einen Märtyrer. Niemand durfte bis nach der Messe essen oder trinken, Fleischgenuss war auf jeden Fall untersagt, auf den Feldern und in den Gärten durfte nicht gearbeitet werden.

Es gab harte Bußen für Vergehen gegen die Fastenregeln, die schlimmsten waren jahre- oder sogar lebenslange Abstinenz von aller Nahrung außer Wasser und Brot. Die Abstinenz von Bier aber wäre für die meisten Mönche am tragischsten gewesen. Daher schlug nur selten einer über die Stränge.

Thomas wusste, dass dies nicht überall so war.

»Aber glaube mir, draußen auf dem Land und in den Städten, sogar in anderen Klöstern, geht es in der Fastenzeit nicht so ruhig zu wie bei uns. Der Erzbischof und Kurfürst von Trier hat erst kürzlich verlautbaren lassen: ›Ist ein Priester so betrunken, dass er die Psalmen nur noch lallt, soll er zwölf Tage von Brot und Wasser leben. Ist ein Mönch so voll, dass er speit, soll er 30 Tage Buße tun. Ist ein Bischof so besoffen, dass er in die Hostie kotzt, muss er 90 Tage büßen.‹ Dieser Spruch hat schnell die Runde durch das ganze Reich gemacht. Und da ist etwas dran!«

In dieser Zeit geschah es zum ersten Mal, dass Niklas einen Krug zu viel trank. Sie hatten den ganzen Tag hart gearbeitet und am Ende einen Sud zur Gärung bereitgestellt. Erschöpft saßen sie im Brauhaus. Niklas griff aus alter Gewohnheit, so alt eine Gewohnheit bei einem Zwölfjährigen sein kann, nach einem Krug Bier und stürzte ihn in einem Zug herunter. Gleich noch einen zweiten. Er hatte nur vergessen, dass das Bier viel stärker war als das, was er normalerweise trank.

Innerhalb von wenigen Minuten fing alles an, sich zu drehen, er konnte nicht mehr richtig sprechen und sein Kopf schien zu explodieren. Bruder Thomas sah richtig besorgt aus. Er brachte ihn sogleich in die Schlafkammer.

Am nächsten Tag ging es Niklas nicht gut und noch einige Tage lang musste er mit Thomas’ mildem Spott leben.

Der Winter war lang und kalt und ideal zum Bierlagern. Es gab Eis in Hülle und Fülle und im Bierkeller des Klosters wurde nicht ein Eimer Bier sauer.

Niklas fühlte sich im Brauhaus wie zu Hause.

Dann kam das erste Frühjahr. So langsam musste sich Niklas damit vertraut machen, dass nun die problematische Zeit für die Brauer kam. Je wärmer der Sommer, desto schwieriger wurde die Lagerung des Bieres. In einem normalen Haushalt war es kein Problem, kleinere Mengen herzustellen und kühl zu lagern. Im Kloster wurden jedoch solche Mengen gefordert, dass sich Niklas beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie sie dies im Sommer bewerkstelligen sollten. Bruder Thomas war mit diesem Problem natürlich längst vertraut.

Es hatte schon Jahre gegeben, da war das Bier so schnell sauer geworden, dass sein eigener Ruf ernsthaft darunter gelitten hatte. Mittlerweile war er jedoch erfahren und angesehen genug, dass er lieber gar keines als ein saueres Bier ausschenken ließ.

Als die Tage wärmer wurden und eine neue Fastenzeit vor der Tür stand, wurde wieder mal ein starkes Bier gebraut. Dieses Mal lag es nicht nur in der Fastenzeit begründet. Es war schon lange bekannt, dass ein stärkeres Bier besser haltbar ist als dünnes. Warum, das wusste niemand, dennoch wurde das Wissen genutzt, um die warme Jahreszeit so gut als möglich zu überbrücken.

Bis in den Juni hinein konnte das Bier manchmal reichen, dann gab es schlimmstenfalls drei Monate ohne Bier. Dieses Mal wurden gleich fünf Bottiche hintereinander gebraut, weil es vorläufig das letzte Bier war und noch vergären sollte, bevor es zu warm wurde.

Bruder Thomas mischte für jeden der fünf Bottiche eine andere Kräutermischung zurecht. Auch er wollte manchmal etwas Neues ausprobieren.

»Hier, riech einmal daran!«, forderte er Niklas auf.

Niklas öffnete das Säcklein, das er ihm hinhielt, und nahm ein paar Kräuter heraus. Sie hatten einen sehr intensiven, aromatischen Geruch und einen harzigen, leicht bitteren Geschmack, der ihn an Weihrauch erinnerte.

»Wieso tust du Weihrauchkraut ins Bier?«, fragte Niklas erstaunt.

»Es riecht nur so ähnlich wie unser Weihrauch, ist aber tatsächlich nur einfacher Rosmarin«, erwiderte Thomas. »In den ersten Bottich hängen wir ein Säcklein davon. Ein Bier, damit versetzt, stärkt Herz und Hirn, erquickt die Lebensgeister. Ich habe festgestellt, dass viele unserer Brüder, wenn sie melancholisch werden, nach einem Trunk Rosmarinbier schnell wieder voller Tatendrang sind.«

Niklas roch an den Zutaten für den nächsten Sud.

Eigentümlich und kampferartig, zugleich blumig, konnte er sich nicht entscheiden, ob er diesen Geruch mochte oder nicht.

»Den zweiten Bottich versetzen wir mit Lavendel, dieser wird anders auch Schwindelkraut genannt. Diese Pflanze kennst du wahrscheinlich nicht, sie kommt aus dem fernen Andalusien zu uns. Sie stärkt das Haupt, das Mark im Rücken und die Nieren. Es ergibt ein köstliches Bier und beugt vor gegen Schlag, Gicht und Lähmungen. Es beruhigt und fördert den Schlaf.«

Das nächste Kraut kam Niklas bekannt vor. Das starke und entfernt an Thymian erinnernde Aroma liebte er, ebenso den leicht brennenden, süßlichen Geschmack.

»Majoran kam aus dem fernen Indien und wir haben es von den Arabern bekommen. Mittlerweile pflanzen wir es in unse­rem Gewürzgarten an. Das geben wir zum dritten Bottich. Majoran vertreibt Schwindel und macht ein gutes Gedächtnis, außerdem hilft es bei Beschwerden von Galle und Milz.«

Der vierte Bottich wurde mit Schlehen versetzt, mit der Begründung, dass ein erfrischendes Schlehenbier in der Hitze des Sommers den Durst am allerbesten lösche.

Niklas konnte sich nicht vorstellen, wie der frische, zarte, mandelartige Duft der Schlehen zu dem süßen Bier passen würde; auf der anderen Seite hatte Thomas bislang immer recht behalten.

Aber bevor er alle Kräuter dazugab, rief er Niklas hinzu und zeigte ihm ein Kraut, welches dieser noch niemals gesehen hatte.

Es war ein kleiner, grüner Zapfen, mit kleinen Blättern, die wie Dachziegel angeordnet waren.

Bruder Thomas erklärte, was es mit der Pflanze auf sich hatte:

»Diese Pflanze hat mir letzten Monat einer unserer Händler mitgebracht. Ich glaube, es ist die gleiche Pflanze, über deren Wirkungen vor einigen Jahren die berühmte Hildegard von Bingen bereits geschrieben hat. Sie soll, wenn mitgekocht, eine beruhigende Wirkung haben und bei vielen verschiedenen Leiden vortrefflich wirken. Riech nur einmal an der Dolde.«

Niklas roch und war zuerst erschrocken über die harsche, intensive Bittere, die dieser Pflanze entströmte, Minuten später hatte er das Aroma noch in der Nase, empfand es dann aber als angenehm.

»Hildegard von Bingen nannte dieses Kraut Hoppho. Lass uns den fünften unserer Bottiche mit diesem Hopphokraut versetzen. Wenn es Gutes bewirkt, dann werde ich mehr davon beschaffen.«

Alle Bottiche wurden fertiggestellt und vergoren. Dann kamen sie in den auch um diese Jahreszeit kühlen Keller. Zuerst waren die Mitbrüder von dem Getränk mit der neuen, seltsamen Bittere nicht angetan. Aber Bruder Thomas hatte ihnen schon des Öfteren neue Rezepturen mit Erfolg schmackhaft gemacht.

Nach einer Weile tranken sie es genauso viel wie das Altbekannte. Der Sommer kam schneller als erwartet und der Keller wärmte sich entsprechend rasch auf. Eines Tages stellte Niklas fest, dass das erste Bier aus den fünf Bottichen verdorben war.

Das zweite folgte gleich danach. Bruder Thomas gab bekannt, dass die Biersaison fürs Erste beendet war und wies Niklas an, den Inhalt aller Bottiche wegzuschütten.

»Aber ein Bottich ist noch nicht verdorben«, sagte er.

Bruder Thomas wollte nichts hören und beharrte darauf, dass Niklas alles Bier wegschütten sollte. Erst als Niklas seinen Einwand wiederholte, schauten sie beide genauer hin. Ein Bottich war einwandfrei, kein Sauergeschmack, kein Belag obenauf. Bruder Thomas war sichtlich verwirrt.

»Ich habe keine Erklärung dafür. Außer, dass unser Herrgott uns etwas länger unser gutes Bier gönnt. Welcher Bottich ist denn dieser?«

Niklas schaute nach und sagte:

»Es ist der mit dem Hopphokraut.«

Der Bierzauberer

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