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Eine günstige Gelegenheit zum Fragen ergab sich am nächsten Brautag. Niklas ging wie immer zum Maischbottich, um die zerkleinerten Malzkörner hineinzuschütten. Er tat so, als entdecke er das Zeichen zum ersten Mal, und fragte Thomas ganz arglos:

»Wer war denn eigentlich der Zimmermann, der als Zeichen seiner Arbeit hier drin den sechszackigen Stern hinterlassen hat?«

Thomas schaute ernst, zu ernst, wie Niklas fand, und sagte:

»Ich weiß nicht, ob ich dir das schon sagen kann. Es kann sein, dass du bereit bist, aber ich muss noch einmal darüber schlafen. Wenn ich über Nacht zu dem Entschluss komme, dich in dieses Symbol einzuweihen, musst du mir ewiges Stillschweigen versprechen.«

Niklas spürte, wie sein Herz bebte!

Noch ein Geheimnis!

Er antwortete sofort, ohne lange nachzudenken:

»Sicher doch. Was immer das Geheimnis ist, bei mir ist es gut aufgehoben.«

Er schlief unruhig in dieser Nacht und dachte voller Hoffnung an den nächsten Tag.

Sie trafen frühmorgens im Brauhaus ein, doch Thomas nahm ihn gleich mit in die Bibliothek.

»Hier können wir zur Not nachlesen, falls dir nicht ausreicht, was ich dir an Wissenswertem zu diesem Zeichen erklären kann. Aber nun sag mir bitte, ob du ein solches Hexagramm, wie der sechszackige Stern auch heißt, schon einmal gesehen hast?«

Niklas erzählte von seiner Mutter und von dem jüdischen Geldverleiher.

Thomas hielt die Hände vor seinen Bauch, dessen Konturen durch die Kutte gut zu erkennen waren, dann wackelte er mit seinem fast kahlen Kopf hin und her.

»Ich glaube, du hast da etwas verwechselt. Bist du sicher, dass der Stern von deiner Mutter sechs Zacken hatte? Ich vermute, dass sie einen Fünfzack, ein Pentagramm, über die Tür gehängt hat. Dieses Pentagramm ist ein Zeichen des Aberglaubens, eines der ältesten überhaupt. Andere Namen dafür sind Drudenfuß, Nornenstapfe oder Maarfuß. Wenn du später einmal die Namen Signum Sanitatis oder Pentakel hören solltest, auch die sind gleichbedeutend mit dem Pentagramm. Damit du nicht denkst, ich wüsste dies alles auswendig: Die Frist von einer Nacht habe ich gebraucht, um noch einmal alles nachzulesen, was ich dir heute erzählen möchte.«

Er holte tief Luft und fuhr fort:

»Das Pentagramm war bei den alten Griechen ein Symbol für Gesundheit und Kraft, später zusätzlich für Vernunft, Denken und den Wahrheit suchenden Geist.

Die fünf Zacken stehen für die fünf Elemente: Feuer, Wasser, Luft, Erde und Geist.

Auf dem Kopf stehend, war es jedoch immer ein Symbol für Schwarze Magie und Hexerei.

Und hier hat sich wahrscheinlich deine leichtgläubige Mutter zu einem Aberglauben verleiten lassen.

Sie glaubte wohl, damit böse Geister von eurem Haus fernhalten zu können. Diese dummen Aberglauben sind sogar in heutigen, christlichen Zeiten leider noch weit verbreitet.

Aber in jedem Falle ist das Pentagramm kein Symbol Gottes und der Kirche, im schlimmsten Falle ist es ein Zeichen des Teufels. Also, halte dich davon fern und achte genau darauf, es nicht zu verwechseln.«

Bruder Thomas legte eine kurze Pause ein, trank einen Schluck Bier aus dem Krug, den er mitgebracht hatte, und fuhr weiter fort:

»Das Zeichen, bei welchem dein Vater wohl abfällig ›Jude‹ gesagt hat, ist dieser Sechszack. Lass mich dir erklären, welche Verbindung das Judentum mit unserem Maischbottich hat.

Dieses Zeichen ist uralt, wahrscheinlich älter als das Pentagramm. Es wurde überliefert von den Stämmen der Semiten, aus deren Reihen ja der König David hervorging.

Daher wird das Hexagramm auch Davidstern genannt. Überliefert ist ebenso, dass der Stern im Siegelring König Salomos eingeschnitten gewesen war. Die zwölf Stämme Israels werden durch die zwölf äußeren Ecken des Sterns symbolisiert.«

Niklas gähnte verstohlen, er verstand nicht, was hier so geheimnisvoll sein sollte. Er wollte keine Bibelstunde, er wollte ein großes Geheimnis erfahren – und nun dies!

»Gedulde dich noch kurz, bald wirst du den Zusammenhang verstehen«, versprach Thomas.

»Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Davidstern zum Zeichen des jüdischen Glaubens. Da die Juden bestimmte Berufe ausüben dürfen, die Christenmenschen verboten sind, ist es einfach, dies mit dem Davidstern anzuzeigen. Zu diesen Berufen gehört unter anderem, Geld gegen Zinsen zu verleihen, was guten Christenmenschen zum Glück untersagt ist. Solltest du also einmal Geld brauchen, was Gott verhüten möge, musst du lediglich nach diesem Stern suchen.«

Niklas stand die Ungeduld ins Gesicht geschrieben.

»Warte, gleich bin ich so weit«, sagte Thomas. »Das Hexagramm wird ebenfalls seit langer Zeit als Symbol gegen böse Dämonen verwendet. Dies ist natürlich genauso Aberglauben, aber immerhin keine schwarze Magie. Und damit wären wir am Ende der ersten Lektion. Die diente eigentlich nur dazu, dir zu zeigen, was das Hexagramm in der Brauerei n i c h t ist. Verstehst du?«

Niklas schüttelte enttäuscht den Kopf. Er verstand überhaupt nichts. Nicht mit einem Wort hatte Bruder Thomas ihm erklärt, wie das Zeichen in den Bottich gekommen war, und nichts von dieser Lektion hatte nach einem Geheimnis geklungen.

Thomas lachte und sagte:

»Sei nicht unglücklich, wir sind ja noch nicht fertig. Jetzt kommt der spannende Teil:

Vor etwa 400 Jahren wurde in den ersten Klöstern zum ersten Male Bier gebraut. Was diese Brüder ›Bier brauen‹ nannten, unterschied sich stark von allem, was bis dato als Bier bekannt war.

Und natürlich gab es auch damals schon gute und schlechte Brauer. Ebenso gab es Brauer, die ihr Wissen aus eigenem Antrieb erweiterten, und Brauer, die ihr Wissen lieber von anderen stahlen. Innerhalb weniger Jahre entstand ein Zirkel von Klosterbrauern, die untereinander neue Erkenntnisse, Erfahrungen und Erfindungen austauschten und die sich mit einem Eid vor dem allmächtigen Gott verpflichtet hatten, immer nur das bestmögliche Bier zu brauen und niemals Bier mit neuen Kräutern oder Wurzeln zu versetzen, ohne dass man sie vorher an der eigenen Person ausprobiert hatte.

Auf diese Weise wollte man sich von denen absondern, die Bier als vulgäres, billiges Gesöff betrachteten oder deren Bier so schlecht war, dass die Brauer eine Gefahr für die Menschen darstellten.

Und damit man erkannte, wer zum Zirkel dieser ›Reinen Brauer‹ gehört, brauchte es ein geheimes Zeichen. Aus irgendeinem Grund, frag mich bitte nicht warum, fiel die Wahl auf das Hexagramm.

Ich habe sagen hören, der Stern stehe für unsere wichtigen Brau-Elemente: Die Erde, auf der wir beim Brauen stehen, das Wasser, welches ein wichtiger Teil des Bieres ist, die Luft, die das Bier gären macht und das Feuer, das uns die Würze kocht. Die beiden anderen Zacken symbolisieren angeblich unsere beiden Rohstoffe:

Das Korn, aus dem die Essenz des Bieres kommt, und die Kräuter, beziehungsweise heute der Hopfen, der dem Bier die Würze gibt.

Ich weiß nicht, ob es stimmt. Aber an diesem Stern kannst du erkennen, ob ein Brauer unserem Ethos verpflichtet ist.

Solltest du später in deinem Leben einmal andere Brauhäuser besuchen, schau im Maischbottich nach, ob du das Hexagramm findest.«

Dann sah er Niklas mit feierlicher Miene an und nahm ihm das Gelöbnis ab, zu den ›Reinen Brauern‹ zu gehören.

»Dieser Eid bindet dich ein Leben lang.«

Niklas versprach, immer fest zu dieser Verpflichtung zu stehen, obwohl er nicht ahnen konnte, auf wie viele Proben diese Standfestigkeit in seinem weiteren Leben noch gestellt werden würde.

Der Bierzauberer

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