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Mit dem Tod Friedrichs II. im Jahre 1250 endete die 200-jährige Herrschaft der Staufer. Die Stauferzeit hinterließ eine vielfältige und großartige Kultur, im Deutschen Reich wie im übrigen Europa.

In Paris und Bologna öffneten die ersten Universitäten. Franz von Assisi und Dominikus gründeten bedeutende Orden.

Nach Friedrich II. führte der schon lange andauernde Kampf zwischen Papst und Kaiser zu einer Schwächung beider Ämter und zum sogenannten ›Interregnum‹, der kaiserlosen Zeit, von 1256 bis 1273. Danach wurde Rudolf von Habsburg deutscher König.

Zunächst entfaltete das Papsttum nach dem Ende der Staufer im Glauben an den Sieg über alle weltlichen Gewalten seine allumfassende Machtfülle. Dem Reichtum der Kirche stand jedoch in weiten Teilen Europas eine unvorstellbare Armut des einfachen Volkes gegenüber.

In dieser Zeit des Wandels und des Aufbruchs wurde im Jahre 1248 in dem kleinen fränkischen Dorf Hahnfurt, etwa 40 Kilometer von Nürnberg entfernt, der kleine Niklas als Sohn des unfreien Bauern Michael geboren. Weder Michael noch seine Frau, die Bauerntochter Elisabeth, nahmen von den politischen und kulturellen Umwälzungen sonderlich Kenntnis. Seit die Hohenzollern im Jahre 1192 Burggrafen von Nürnberg geworden waren, hatte lediglich der Herr gewechselt, die Umstände der einfachen Leute waren gleich geblieben. Hart war das Leben, der ständige Kampf ums tägliche Brot, die Abgaben an Obrigkeit und Klerus.

Die andauernden Bemühungen, die Familie zu ernähren, ließen die Menschen vorzeitig altern. Niklas’ Vater sah mit 34 Jahren aus wie ein alter Mann, der Rücken gebeugt, das Gesicht voller Sorgenfalten. Auch die Mutter hatte innerhalb von zwölf Jahren viel von dem verloren, weshalb Michael damals um ihre Hand angehalten hatte. Die einstmals vollen, rosigen Backen hatten schon einiges von ihrer Frische verloren. Und schmaler waren sie ebenfalls geworden.

Sieben Geburten, die beiden Erstgeborenen überlebten das erste Jahr nicht, hatten nicht nur im Gesicht Spuren hinterlassen.

Niklas’ Geburt war von Vorzeichen umwölkt, die Sonne verfinsterte sich zur Zeit der Niederkunft seiner Mutter; die plötzliche Dunkelheit drinnen, dazu Blitze, Sturm und Donner draußen vor der Tür, verwandelten die Stube, in der Elisabeth das Kind zur Welt bringen sollte, in ein mitternächtliches Panoptikum, obwohl es heller Tag war. Und auch er machte nicht den kräftigsten Eindruck, als seine Mutter ihn nach der Geburt und nachdem die Sonne wieder schien, auf den Arm nahm.

Michael hatte befürchtet, dass schon wieder eine schnelle Nottaufe, mit Wasser anstatt mit Milch oder Bier, fällig würde, jedoch Elisabeth gab ihm den Jungen und flüsterte mit mütterlicher Intuition:

»Ich glaube an diese Vorzeichen. Der Junge kommt durch, er soll Niklas heißen. Ich möchte, dass er in einer Woche getauft wird.«

Kinder wurden schnell, innerhalb von zehn Tagen nach der Geburt, getauft, um sie von der Sünde der Erbschuld zu befreien. Und Elisabeth und Michael glaubten, dass getaufte Kinder bessere Überlebenschancen hatten als ungetaufte. Sollten die Feen doch andere neugeborene, ungetaufte, noch namenlose Kinder rauben; aber nicht ihren Niklas.

Elisabeth sollte recht behalten, und nach kurzer Zeit war klar, dass der Junge kräftig genug war, um zu überleben. Als wäre mit Niklas’ Geburt der Bann gebrochen worden, gab es bei den nächsten Entbindungen keine Nottaufen mehr. Regelmäßig kam so jedes zweite Jahr ein gesundes Kind zur Welt: Matthias, Elisabeth, Ruth und Adelheid.

Niklas wuchs die ersten sechs Jahre in einem Elternhaus auf, das ihn so gut behütete, wie es möglich war. Einerseits die Angst der Eltern, dass ihnen das erste Kind, das überlebt hatte, durch Unfall oder Krankheit wieder genommen werden würde.

Auf der anderen Seite waren die Eltern viel zu sehr mit dem täglichen Existenzkampf beschäftigt. Michael und Elisabeth mühten sich nach Kräften, die ständig hungrigen Mäuler zu stopfen. Da boten sich Niklas natürlich viele Gelegenheiten zu Streichen und Abenteuern, kleinen Schlägereien mit anderen Jungen und allerlei sonstigen Unternehmungen.

Diese unbeschwerte Zeit fand mit Niklas’ sechstem Geburtstag ein Ende. Um diese Zeit war aus dem schmächtigen, um ein Haar notgetauften Kind ein aufgeweckter Junge geworden. Er war zwar nicht der Größte und Kräftigste, hatte sich aber durch zahllose Raufereien mit anderen Kindern eine Zähigkeit zugelegt, die den anderen Respekt einflößte.

Und seine wachen Augen, seine Stupsnase, seine verstrubbelten Haare signalisierten jedem: Bitte nicht unterschätzen!

Da die Mutter gerade das dritte Kind zur Welt gebracht hatte und diesmal sehr schwach auf den Beinen war, musste Niklas im Haushalt mit anfassen und der Mutter alle Arbeiten abnehmen, die er erledigen konnte.

Sobald dabei der Reiz des Neuen verschwunden war, was nicht lange dauerte, langweilte er sich schnell. Dann empfand er alle Arbeiten als mühsam und er fiel jeden Abend nur noch todmüde ins Bett. Die für einen kleinen Jungen sehr anstrengende Arbeit, die vielen Handreichungen für die Mutter hatten ihm schnell jeden Gedanken an Unsinn ausgetrieben.

Sein größter Trost in dieser Zeit war, dass er zu klein war, um mit dem Vater aufs Feld zu gehen. Insgeheim graute ihm schon vor diesem Tag, den sein Vater auf seinen zwölften Geburtstag datiert hatte. Nicht nur, weil dann der Ernst des Lebens beginnen würde.

Es war auch Brauch, dass die Väter ihre Söhne am zwölften Geburtstag hinaus aufs Feld führten. Dort zeigten sie ihnen die Begrenzungssteine der Felder, damit die Jungen sich den Standort merkten. Denn immer wieder versuchten die Bauern, sich gegenseitig die Steine zu versetzen und so ihr Land unrechtmäßig zu vergrößern.

Und damit der Sohn den Standort niemals vergaß, gab es anscheinend nur ein probates Mittel: Er wurde dort nach Strich und Faden verdroschen. Man erinnerte sich an den Ort einer Tracht Prügel besser als an einen einfachen Begrenzungsstein!

Die einzigen echten Abwechslungen, auf die er sich im Alltag freuen konnte, waren die Brautage. Seit ihn seine Mutter zum ersten Mal zum Backen und Brauen eingespannt hatte, waren dies immer seine liebsten Tage.

Niklas empfand das Brauen stets als eine Art Belohnung, da er im Gegensatz zu seinen Geschwistern schon richtig arbeiten musste. Vom ersten Zuschauen bis jetzt, fünf Jahre später, hatte ihn seine Mutter mehr und mehr Anteil nehmen lassen an der Bierherstellung.

Zuletzt durfte er alles Mehl, das er und sein Bruder von der Mühle zurückbrachten, sogar allein messen, er durfte den Teig anrühren und den Ofen heizen. Das Schönste war aber immer, die frischen, heißen Brotlaibe aus dem Ofen zu holen.

Nur das Formen der Laibe und das Mischen und Kochen der Bierkräuter ließ sich die Mutter nicht nehmen. Niklas war sicher, nach fünf Jahren ›Brau-Erfahrung‹ schon alles viel besser als seine Mutter zu wissen.

Er redete sich immer heimlich ein, dass er allein ein noch viel besseres Bier brauen könnte, wenn man ihn nur ließe. Sogar die Bierkräuter würde er anders und ohne Frage besser komponieren. Doch, so machte er sich Mut, seine Zeit würde kommen. Wenn da nur nicht die Drohung wäre, bald mit aufs Feld gehen zu müssen. Nur noch ein Jahr, dann war Schluss mit der Hausarbeit, dann freilich auch mit den Brautagen.

Dann würde es ernst werden mit der Arbeit, die sie zusätzlich für ihren Gutsherrn verrichten mussten: Dung ausbringen, Schafställe bauen und decken, den Mühlenteich reinigen, Zäune errichten, Waschen und Scheren der Schafe, Pflügen, Eggen und vieles mehr.

Dazu kam die Arbeit am eigenen Garten, am windschiefen Haus und auf dem kleinen, ihnen gehörenden Feld.

Gegen Ende des Herbstes bekamen sie vom Gutsherrn immer ausreichend Holz gestellt, um Haus und Zäune zu reparieren und damit auf den Winter vorzubereiten. Der Rest wurde als Brennholz eingelagert. Es gab also das ganze Jahr über zu tun.

Matthias, sein jüngerer Bruder, kümmerte sich mit der Mutter seit drei Jahren um den ärmlichen, kleinen Gemüsegarten, die paar Hühner darin sowie das Schwein, das sie sich leisten konnten und mit Essensabfällen, Nüssen und Eicheln ernährten.

Da auch er später mit aufs Feld sollte, hatte Michael schon bestimmt, dass Elisabeth, die jetzt acht Jahre alt war, im nächsten Jahr Niklas als Brauhelfer ablösen und dann ebenfalls irgendwann die Mutter beim Backen und Brauen einmal ganz ersetzen sollte. Diese Tätigkeiten waren seit eh und je Frauensache, die Männer kümmerten sich um die richtige Arbeit.

Anteil an der Bierherstellung nahmen sie lediglich, wenn die Resultate schlecht oder sauer waren, und dann auch nur in Form von Wutausbrüchen.

Dass Niklas überhaupt beim Brauen helfen durfte, war nur der körperlichen Schwäche seiner Mutter zuzuschreiben. Anfangs hatten ihn die anderen Kinder, sogar sein kleiner Bruder, verspottet, weil er Mädchenarbeit verrichten musste. Allerdings, je mehr ihm die Arbeit Spaß machte, desto mehr ignorierte er die hämischen Bemerkungen der anderen.

Er als Ältester würde eines Tages die Arbeiten des Vaters komplett übernehmen müssen, so war es vorgesehen. Insgeheim hoffte er noch auf einen Ausweg, tatsächlich waren die Chancen aber mehr als schlecht. Schließlich wusste jeder, dass Männer kein Bier brauten und es in Zukunft auch nicht tun würden. Wenn es das geben sollte, hätten seine Mutter oder sein Vater ihm bestimmt schon davon erzählt.

Der Bierzauberer

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