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ОглавлениеNach dieser interessanten und ungewöhnlichen Entdeckung konnten beide Brauer den Herbst nur mehr mit Ungeduld erwarten. In der Zwischenzeit brachte ein Händler weitere dieser Hopphopflanzen zum Kloster mit. Als die Brauzeit im Spätsommer endlich losging, brauten die beiden praktisch ausschließlich mit Hopfen, wie sie die Pflanze nannten.
Beinahe alle der Mitbrüder wollten gar nichts anderes mehr trinken, und sie lobten neben dem Geschmack des Hopfenbiers besonders dessen Bekömmlichkeit. Nicht, dass die bisherigen Biere nicht bekömmlich gewesen wären, aber der Hopfen machte die Zugabe anderer Kräuter und Wurzeln, die bisweilen seltsame Nebenwirkungen hervorgerufen hatten, überflüssig.
Einige wenige wünschten sich die althergebrachten Biere zurück, die einmal nach Lorbeer, ein andermal dafür eigentümlich nach Kümmel geschmeckt hatten. Nicht so sehr wegen des Geschmacks, sondern aus Furcht vor Veränderung.
»Wir sind ein Ort der Aufbewahrung. Und dazu gehört unter anderem, dass wir nicht immer neue Speisen und Getränke verkosten möchten. Lasst uns bitte beim Althergebrachten bleiben«, sagte zum Beispiel der Prior Karlmann gerne.
Doch sogar die ›Bewahrer‹ beugten sich bald der Mehrheit der Hopfen-Biertrinker.
Nur einmal ermahnte Abt Kilian seine Brauer, nicht zu viel Bier auszuschenken, da einige Brüder das morgendliche Gebet verschlafen hatten. Dies musste Bruder Thomas dann zum Leidwesen seiner Mitbrüder befolgen.
Dadurch, dass das Bier nun länger haltbar war, konnten sich die Brauer die Arbeit ganz neu einteilen. Mussten sie bis dahin immer dann Bier brauen, wenn ein Ende der Bestände in Sicht war, konnten sie jetzt in einem regelmäßigen Ablauf Bier herstellen, sogar etwas auf Vorrat produzieren, unabhängig davon, ob viel oder wenig getrunken wurde; dadurch geschah es nie wieder, dass kein Bier zur Verfügung stand. Das ganze Klosterpersonal war von dieser neuen Entwicklung sehr angetan.
Bis auf Bruder Ansgar von der Backstube. Er wurde von den Brauern immer mit ›Zeug‹ versorgt, das am Ende der Gärung im Bottich liegen blieb. Mit diesem Zeug konnte er die Brote auf bessere Art backen als ohne. Nachdem Bruder Thomas und Niklas jedoch mehr und mehr mit Hopfen brauten, beschwerte sich Bruder Ansgar darüber, dass er das Zeug nicht mehr zum Backen verwenden könne, weil es so bitter sei.
Äußerlich eher das Gegenteil von Thomas, überragte Ansgar Thomas um Kopfeslänge. Die Größe kam allerdings nur von den langen Beinen, sein Rumpf war eigentlich gedrungen. Die Kutte verhüllte dies aber gnädig. Ansgar war kräftig, ohne dick zu sein, sein kurzer, dicker Hals ließ den Kopf wie direkt auf die breiten Schultern aufgesetzt erscheinen. Niklas hatte das Gefühl, dass Ansgar immer an ihm vorbeisah. Seine eng beieinander sitzenden Augen schielten nämlich leicht. Er mochte ihn von Anfang an nicht.
Als Ansgar sich zum ersten Mal beschweren kam, brachte er einen seiner Gehilfen mit. Niklas stellte erfreut fest, dass es der Junge mit den schiefen Zähnen war, den er damals in Hahnfurt getroffen hatte und der ihm, wenn auch nicht bewusst, den Weg nach Urbrach gewiesen hatte. Seine Blässe hatte er immer noch nicht abgelegt, in der dunklen Kutte der Novizen wirkte er wie ein kleines Gespenst.
»Ich bin Niklas, erkennst du mich wieder?«, fragte er verlegen.
Der Junge schüttelte zuerst den Kopf, dann besann er sich und grinste:
»Mein Name ist Bernard. Ich bin der Bäckergehilfe.«
»Und ich der Brauergehilfe«, erwiderte Niklas stolz.
»Hört auf, hier Reden zu schwingen«, fuhr Ansgar dazwischen, »ich habe ein ernstes Wort mit Thomas zu reden.«
Thomas ließ sich jedoch schnell überzeugen, dass die Brote wirklich nicht so gut schmeckten, und versprach Ansgar, in Zukunft gelegentlich einen Bottich nach alter Machart zu brauen.
Für dieses Bier verwendeten sie aber lediglich die bereits ausgelaugten Treber eines normalen Bieres anstatt frisches Getreide. Dadurch wurde das Bier dünn, farblos und labberig.
»Anderswo nennt man dieses Bier Convent, das ist für die Armen und Pilger«, lachte Thomas. »Zum Brotbacken hingegen ist das Zeug daraus genau richtig.«
Niklas hoffte in den kommenden Wochen, Bernard ab und zu einmal zu treffen, jedoch der volle Tagesablauf und die viele Arbeit ließen das nicht zu. Nur beim gemeinsamen Gebet sah man sich gelegentlich.
Das hopfenlose Bier nannten sie Gruit. Diesen Namen hatte Thomas einmal einen reisenden Mönch sagen hören, der zu Besuch im Kloster weilte. Erst später sollte Niklas lernen, dass man unter Gruit in jeder Region etwas anderes verstand. In jeder Region wuchsen andere Kräuter, die sich als Bierwürze eigneten, und so hatte jeder Brauer, wie schon seine Mutter, sein eigenes Gemisch. Eines freilich war allen Gruitbieren gemeinsam: Sie wurden nach alter Machart, ohne Hopfen, hergestellt.
Eines Tages sagte Niklas zu Bruder Thomas:
»Wenn ich einmal größer bin, in ein paar Jahren, dann werde ich diese Hildegard von Bingen besuchen. Sie scheint viel zu wissen, was uns nutzen kann. Ist es weit nach Bingen?«
Thomas fing an zu lachen und erwiderte:
»Es ist nicht nur weit bis nach Bingen, etwa zehn Tagereisen, sondern du kämst auch viel zu spät. Die edle Hildegard ist schon lange tot. Die Menschen verehren sie dennoch fast wie eine Heilige.«
Niklas bat um ein paar Geschichten aus dem Leben von Hildegard. Thomas erzählte, was er wusste. Und das war nicht wenig.
»Wir haben in unserer Bibliothek ein paar Aufzeichnungen und Briefe über sie. Hildegard wurde sehr alt, über 80 Jahre. Sie war Leiterin des Klosters auf dem Rupertsberg bei Bingen und gründete weitere Klöster. Sie schrieb viel, ihre Werke sind sehr bedeutend nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Wissenschaft und die Medizin. Sie schrieb neben Gesängen und Visionen auch über die Heilkraft von Pflanzen, Tieren und Steinen. Ihre Bücher ›Physica‹ und ›Causae et Curae‹ sind in jedem Kloster vorhanden. Zum Fasten hatte sie eine gänzlich andere Einstellung als einige unserer Brüder; obwohl sie gelegentlich gerne Bier trank, schätzte sie das Fasten, weil es ›Türen nach innen öffnet‹.
Was für uns Brauer interessant ist, ist die Tatsache, dass sie als eine der Ersten über diese Hopphopflanze geschrieben hat, der sie diesen Namen gegeben hat. Sie starb nach einem großen Leben im Jahre 1179, also vor 82 Jahren. So, das sollte reichen. Mehr weiß ich im Moment nicht. Wenn du mehr wissen willst, schau in unserer Bibliothek nach.«
Niklas nahm sich das fest vor, kam allerdings in den nächsten Wochen nicht mehr dazu. Das Thema Hopfen beschäftigte ihn nicht weiter; der Gebrauch dieser Pflanze wurde zur Selbstverständlichkeit. Dies sollte noch einige Jahre so bleiben, zumindest, solange er in Urbrach war.