Читать книгу Der Bierzauberer - Günther Thömmes - Страница 20
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ОглавлениеDer Weg nach Freising verlief einfach und ohne Schwierigkeiten. Zuerst hielt er sich auf der alten Handelsstraße von Nürnberg in Richtung Wien. In Neumarkt wandte er sich nach Süden und überquerte die Altmühl bei Bilingriez (Beilngries).
Es war April, die gute Reisezeit hatte angefangen. Die Strafen für Räuber, die sich an Geistlichen oder Ordensmitgliedern vergriffen, waren erheblich höher als jene für Überfälle auf einfache Leute. Somit konnte man sich in einer Kutte ziemlich sicher fühlen, zumal bekannt war, dass die Ordensbrüder immer mit wenig Geld und ansonsten nur mit dem Notwendigsten unterwegs waren.
Die weitere Strecke führte durch das ziemlich sichere Gebiet der Grafen von Moosburg.
Nach fünf Tagen klopfte er an die Pforte des Klosters Weihenstephan, übergab den Brief von Abt Kilian und fragte nach dem Vorsteher. Man ließ ihn ein paar Stunden warten, ehe er eintreten durfte.
Als er dem Abt endlich gegenüberstand, wusste er, dass sehr viel von dieser ersten Begegnung abhing. Der Abt war ungefähr doppelt so dick wie Kilian, nur etwas kleiner. Die wenigen kurzen, blonden Haare, die ihm die Tonsur gelassen hatte, fielen fast gar nicht auf, sodass er beinahe glatzköpfig wirkte. Aber eine dicke, fleischige Nase und ein großer Mund mit erstaunlich vielen und weißen Zähnen verrieten eine gewisse Lebensfreude. Der Mann, wiewohl Abt, schien gerne zu lachen.
Er stellte sich vor mit dem Namen Arnold, »wie der Abt Arnold, der dem Bischof Engilbert von Freising seinerzeit das Brau- und Schankrecht abgehandelt hat. Wir hier im Kloster Weihenstephan haben bereits seit über 200 Jahren die Erlaubnis zum Bierbrauen!«
Arnold hielt den Brief in der Hand.
»Sag mir bitte, warum du zu uns gekommen bist!«
Niklas erzählte seine Geschichte und vom Tode Thomas’. Zusätzlich betonte er noch seine eigene Liebe zum Bierbrauen sowie den guten Ruf, den sich das Kloster Weihenstephan in den letzten 200 Jahren erworben hatte.
»Weißt du, dass wir bei den Benediktinern nach etwas anderen Regeln leben als bei den Zisterziensern? Die Unterschiede sind zwar gering, dennoch sollte dir bewusst sein, dass wir eine andere Ordensgemeinschaft sind.«
Niklas bejahte und gab wieder, was er über die Benediktiner wusste. Das meiste hatte ihm Thomas beigebracht, als er in den Anfängen seiner Zeit in Urbrach stand.
Arnold holte aus:
»Wir Benediktiner haben einige der ältesten und berühmtesten Klöster im ganzen Land gegründet. Klöster wie Benediktbeuren oder Tegernsee sind schon 500 Jahre alt. Es gibt jedoch auch neuere Gründungen wie das Schottenkloster in Würzburg.
Wir Weihenstephaner gehen eigentlich auf den heiligen Korbinian zurück. Das war ein Wanderbischof, der im Jahre 720 auf den Nährberg kam und dort eine Mönchszelle neben der Stephanuskirche errichtete.«
Er lächelte und ergänzte:
»Was unser Korbinian neben seinen heiligen Taten für Tollkühnheiten vollbrachte, erfährst du vielleicht ein andermal.«
Dann fuhr er fort:
»100 Jahre später gründete dann Bischof Hitto unser Kloster. Benediktiner sind erst seit 1021 hier in Weihenstephan. Die Mönche, die vorher hier waren, haben damals alles mitgenommen und wir haben praktisch wieder ganz von vorne angefangen.«
Weiter erklärte er Niklas:
»Nur die Brautradition, nach der du hier in Weihenstephan suchst, ist älter als die Benediktiner. Sogar unsere Vorgänger, die Kanoniker, hatten, aller Askese zum Trotz, bereits Bier hergestellt und gar kein schlechtes, wie uns überliefert wurde.«
Jetzt wedelte Arnold mit dem Brief in der Hand.
»Nun zu dir. Ich habe vorab, bevor ich deinen Brief gelesen habe, von Bruder Thomas’ Unfall und den Schuldvorwürfen gegen dich gehört. Ebenso von diesem fragwürdigen Gottesurteil und wie du daraus hervorgegangen bist. Ich verlasse mich dennoch lieber auf meinen persönlichen Eindruck als auf diese Art von Urteil. Und mein erster Eindruck ist, dass du kein Mörder bist. Außerdem sollst du ein guter Brauer sein.
Ich denke, wir werden dich in unserer Mitte willkommen heißen. Du weißt, dass unser Kloster nicht so von Glück gesegnet ist wie Urbrach. Unsere Mauern sind immerhin bereits zweimal abgebrannt.
Die Klostergebäude wurden von den Ungarn im zehnten Jahrhundert zweimal komplett zerstört. Und wir haben aufgrund von Missernten und Hungersnot mehrmals nicht brauen können.
Zudem ist unser Bruder Joachim, der zusammen mit Bruder Peter für die Brauerei zuständig war, am Schwarzen Tod gestorben. Es war schon die zweite Seuche in der Gegend in den letzten 20 Jahren. Bruder Joachim hatte wohl in Freising die Seuche bekommen.
Er war unser Botengänger zum Hof des Herzogs. Nachdem wir ihn aber schnell isoliert und keine weiteren Opfer zu beklagen hatten, hoffen wir, dass Gott mit uns wieder versöhnt ist. Du kannst also versuchen, Bruder Joachims Posten zu übernehmen. Ich hoffe, dass es dir auch sonst gelingt, dich in unseren Tagesablauf einzufügen. Du wirst bei uns erst zwei Wochen in Klausur gehen müssen, bevor wir dich in unsere Gemeinschaft aufnehmen.«
Die Klausur verging rasch, weil die Brüder auf ihn warteten und er immer wieder Besuch von ihnen bekam. Er unterhielt sich dabei mit ihnen durch die geschlossene Tür.
Einer hieß Leonhard und war laut eigener Aussage der Kellermeister. Er erzählte gerne und viel von der Geschichte des Klosters und kannte viele Anekdoten über Bier und Wein. Er machte Niklas mit der Legende vertraut, dass der heilige Korbinian vor langer Zeit einen Bären, der sein Saumross vor dem Pflug gerissen hatte, mit eigener Hand bändigte, ins Zaumzeug einspannte und mit ihm weiterpflügte.
»Wenn du später einmal im Hospiz vorbeischaust, da hängt eine Steinfigur von Korbinian mit dem Bären von der Decke«, erzählte Leonhard, lachte aber und ergänzte:
»Was der wohl für ein stärkendes Bier getrunken hatte und wie viel davon?«
Niklas stimmte ins Lachen ein und sagte: »Ich will mein Bestes geben, um uns alle mit stärkendem Trunk zu versorgen.«
So kannte Niklas schon einige Namen, als die Tür sich endlich für ihn öffnete.
Er fügte sich schnell in die Gemeinschaft ein, die Mitbrüder waren freundlich und halfen Niklas immer, wenn er etwas wissen musste.
Einige Brüder lästerten sogar über Bruder Peter und sagten, vielleicht könne er, Niklas, ja endlich einmal für trinkbares Bier sorgen. Die Biere von Peter schmeckten zumeist entweder verbrannt oder zu süß und dann bekamen alle Durchfall.
Niklas erkannte wieder einmal, wie die Qualität eines Bieres wirklich wichtig sein konnte für den Tagesablauf einer größeren Gemeinschaft.
Er hatte es mit Bruder Thomas in Urbrach gleich zu Beginn so gut getroffen, dass ihm niemals der Gedanke gekommen war, es könnte anderswo schlechter gehen. So trat er zum ersten Arbeitstag in der Brauerei mit Hintergedanken über Bruder Peter an, die nicht freundlich waren.
Es sollte zunächst ganz anders kommen.
Peter begrüßte ihn freundlich. Er war von durchschnittlicher Statur, seine Tonsur zeigte Reste von roten Haaren und im Gesicht zeigten sich Sommersprossen. Als er den Mund öffnete, waren einige Zahnlücken sowie zwei völlig schwarze Zähne zu sehen. Niklas erschrak, wurde durch die freundlichen Worte jedoch schnell wieder abgelenkt.
Beim ersten gemeinsamen Brauen von Niklas mit Bruder Peter nahm dieser aus einem Korb ein paar Dolden und setzte sie dem Sud zu. Niklas stockte der Atem. »Woher kennst du das Geheimnis der Hopfenpflanze?«, fragte er Peter.
Dieser lachte und sagte: »Da ist hier kein Geheimnis hinter. Wir Brauer von Weihenstephan verwenden Hopfen seit fast 500 Jahren. Sogar zu einer Zeit, als das Kloster noch gar kein Braurecht hatte, wurde in einem Garten in der Nähe des Klosters Hopfen angebaut. Der Besitzer bringt uns seither den Zehnten und den Rest kauft das Kloster zum Bierbrauen.
Ich persönlich mag den Hopfen allerdings nicht so, er macht das Bier bitter. Daher braue ich immer einen Sud nach der alten Gruitart und für die Brüder, die es bitter mögen, einen Hopfensud. So haben wir es immer hier gehalten. Es gibt einige Kräuter, die ich viel lieber im Bier mag. Diese Hopfenpflanze hat keine Zukunft beim Bierbrauen.«
Niklas wollte widersprechen, besann sich jedoch eines Besseren. Eines Tages, dachte er bei sich, werde ich dir zeigen, wie man ein perfektes Bier macht.
Zuerst musste er jedoch lernen, sich in Weihenstephan einzuleben. Die Zahl der Gebäude nahm beinah wöchentlich zu; sich da als Neuling zurechtzufinden, war gar nicht einfach. Die Brauerei war nicht so neu und komfortabel wie die in Urbrach.
Das kann ja noch werden, dachte sich Niklas. Wenn ich erst einmal lange genug hier bin, werde ich zeigen, was ich gelernt habe.
Besonders angetan hatte es ihm die Buchmalerwerkstatt, die über die Grenzen des Landes hinaus bekannt war. Immer wieder, wenn er den Mönchen zusah, wie sie, über die Buchdeckel gebeugt, wundervolle Malereien erzeugten, war er fasziniert von der Exaktheit der Zeichnungen, der Fülle der Farben und der Stärke des Ausdrucks.
Wäre ich kein Brauer, wäre das meine Berufung, dachte er sich gelegentlich.
Danach schimpfte er mit sich selber:
»Dummkopf, du hast den schönsten Beruf auf der ganzen Welt. Was willst du noch mehr?«
Sogar die Geschichte Weihenstephans musste er lernen.
Er erfuhr, dass das Kloster seit 1145 seinen Abt frei wählen konnte, nachdem Papst Eugen ihnen das Recht dazu verschafft hatte. Auch die wechselseitigen Besitzverhältnisse waren interessant. Über die Grafen von Scheuern war das Kloster in die Hände der Wittelsbacher gelangt. 1255 hatten diese es jedoch an die Landshuter Herzöge verkauft und dadurch dem Zugriff des Freisinger Bischofs entzogen. Abt Arnold und seine Mitbrüder wurden nicht müde, diese ungewöhnliche Unabhängigkeit immer wieder zu betonen.
Innerhalb kürzester Zeit fühlte sich Niklas sehr wohl in der Weihenstephaner Klostergemeinschaft. Er bemerkte schnell, dass er den Habitus der älteren Mönche annahm, ja sogar nachahmte und in Gesten und Sprache schon bald ein bis dahin nicht gespürtes Selbstbewusstsein an den Tag legte.