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Das seltsame Porzellanspiel
ОглавлениеEine andere seltsame Begebenheit verband ich mit meiner Tante Hilde. Sie war eine Freundin einer Freundin meiner Mutter und war Zahnärztin in Dresden. Ihre Praxis stand noch.
Als die Straßenbahnen wieder fuhren, besuchte ich sie, unangemeldet – und ganz allein.
Ich war damals gerade mal acht Jahre alt und hatte natürlich nicht an das Geld für eine Fahrkarte gedacht. Ich fuhr einfach, ohne zu bezahlen. Jeder wähnte mich irgendwo zu Hause, keiner wusste, dass ich einfach auf Reisen gegangen war.
Die Fahrt war beeindruckend.
In Dresden stand nichts mehr, man fuhr durch riesige Schuttberge und sah meilenweit nur Ruinen. Es war ein morbides Szenario. Unwirklich, aber doch grausam real.
An den Wänden der zerstörten Häuser waren immer noch Tapeten zu sehen. Manchmal war da ein schmales Fußbodenstück, das noch intakt war, manchmal standen da auch ein Stuhl oder ein Bett in schwindelnder Höhe.
Überall an diesen gespenstischen Wänden hatte man Suchlisten angebracht.
Suchlisten überall.
Mit all diesen niederschmetternden Eindrücken hatte ich langsam die Motivation verloren. Ich hatte plötzlich keine Lust mehr, meine Tante zu besuchen und meine Zähne anschauen zu lassen. Als ich dann in ihrer Praxis stand, wunderte sie sich, glaube ich, sehr über mich. Vor allem, als ich mich kurz darauf wortlos und unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg machen wollte.
Abermals ohne einen Pfennig Geld.
Doch meine Tante schritt ein. Sie nahm mich an die Hand und sagte: „Wir gehen jetzt zu meiner Freundin, trinken Tee und essen Kuchen. Du brauchst eine Aufmunterung.“
Tante Hildes Freundin war Bibliothekarin.
Sie wohnte in einem alten romantischen Winzerhaus mit einem Garten in Hanglage. Dort stand eine riesige Linde, um die man eine Bank gebaut hatte. Ihr Mann war Maler und mir gefielen seine Bilder. Ihre Tochter Ingrid war ein bisschen älter als ich, trotzdem verstand ich mich auf Anhieb gut mit ihr.
Vor allem das lichtdurchflutete Eckzimmer mit den großen Fenstern hatte es mir angetan. In unmittelbarer Nähe standen ein Bücherregal und ein Tisch mit Stühlen. Die eigentliche Attraktion in diesem Zimmer aber war ein Spiel, das mir Ingrid zeigte.
Es befand sich in einem kostbaren Holzkasten und war ganz aus Porzellan.
Ähnlich einem Puzzle bestand es aus bemalten Quadraten und Dreiecken, die mit wunderschönen, filigran gearbeiteten Blumenmotiven verziert waren.
Man konnte dieses Puzzle in allen möglichen Formen zusammensetzen, jedes Mal entstand ein neuer wunderschöner Garten. Manche Stücke waren schon etwas abgegriffen, es muss schon sehr alt gewesen sein.
Viele Jahre später erzählte mir Tante Hilde, dass meine Spielkameradin in ein Kloster gegangen sei. Sie habe das Gelübde abgelegt und sei sehr jung gestorben. Auf meinen Wunsch erkundigte sich meine Tante bei Ingrids Mutter, was denn aus dem Porzellanspiel geworden sei, ob sie es vielleicht noch hätten.
Ingrids Mutter war sehr erstaunt über diese Frage und erklärte, dass sie noch nie solch ein Spiel besessen hätten. Ich beschrieb es ihr daraufhin ganz genau. Es war alt, ich vermutete, es stammte mindestens aus dem 18. Jahrhundert, die Glasur war matt, mit kleinen Kratzern versehen und Goldverzierungen, die schon abblätterten.
So vielen Menschen hatte ich schon von diesem wunderbaren Spiel erzählt. Die gesamte Familie wurde befragt und jeder Einzelne beteuerte immer wieder, dass ein solches Spiel niemals im Hause gewesen sei. Ich fragte daraufhin sogar in Meißen nach, da ich mir ziemlich sicher war, dass das Spiel aus Meißner Porzellan gefertigt worden war.
Doch auch dort wusste man nichts von solch einem Spiel.
Gottlinde mit Freundin
Eines Nachts träumte ich von meiner Freundin Ingrid. Zusammen spielten wir mit dem Porzellanspiel, doch sie war kein Kind mehr, sondern bereits eine Nonne. Ich fragte sie, woher sie das Spiel denn hätte und sie erklärte mir, dass sie es in einer anderen Welt gefunden habe und für mich in unsere hineintransformiert hatte.
„Was für ein wundersamer Zauber“, hörte ich mich noch sagen, dann wachte ich auf.