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Johannas große Liebe und ein Traum

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Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit eine Gesangsausbildung absolviert. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, in einem früheren Leben eine berühmte Sängerin gewesen zu sein. Tatsächlich hatte Johanna eine wunderschöne Stimme. Doch das Singen war nur eines ihrer vielen Talente. Sie war sehr intelligent und hatte praktisch das Jurastudium und das Seemannspatent mit ihren Brüdern gemacht. Ich bin mir sicher, dass sie die Prüfungen auch selbst hätte ablegen können. Doch obwohl die Frau seit der Jahrhundertwende endlich auch studieren durfte, war es dennoch unüblich. Das Klischee, dass die Frau an den Herd gehöre, war noch zu fest in den Köpfen verankert. Das galt auch für meine Großmutter. Johanna ging nach Bad Elster und wurde Krankenschwester. Zudem war meine Mutter äußerst kreativ, sie malte und schrieb Gedichte.

Bald hatte sie auch einen glühenden Verehrer. Er hieß Willy. Er war ein attraktiver, braungebrannter sportlicher Mann mit blondem Haar, blauen Augen und einem sympathischen Lachen.

Sein Vater war nach Südamerika ausgewandert und besaß dort eine große Plantage. Willy war nach Deutschland gekommen, um neue Farmgeräte zu kaufen. Bald verband die beiden mehr als nur Freundschaft. Willy war fest entschlossen, meine Mutter zu heiraten. Sie war die Liebe seines Lebens.

Johanna sollte mit ihm nach Südamerika gehen. Er wollte erst ein Haus für sie bauen, dann sollte sie nachkommen. In der Zwischenzeit wollten sich die beiden schreiben.

Meine Mutter wartete, bekam aber keine Post. Sie schrieb Willy, bekam aber nie eine Antwort. So ging es Tage, Monate, ein Jahr. Irgendwann gab sie unter Tränen auf. Während dieser Zeit träumte sie immer wieder von einer Frau, die ihre Briefe zerriss. Obwohl meine Mutter sonst jeden Traum zu deuten wusste, diesen einen konnte sie sich seltsamerweise nicht erklären.

Zerriss diese Frau ihre Briefe, weil sie die neue Frau an Willys Seite war? War meine Mutter ihm inzwischen gleichgültig, weil er diese andere Frau liebte?

Es schien alles drauf hinzudeuten. Sich aufzudrängen war Johanna fremd, dazu war sie viel zu stolz. Erst als sie längst verheiratet war, sollte sie Willy wiedersehen.

Sie erzählte mir und der ganzen Familie oft von ihrer enttäuschten Liebe und was Willy damals zu ihr gesagt hatte. Er habe sie gefragt, warum sie nie seine Briefe beantwortet und ihn gleich vergessen habe. Er habe so lange gehofft und gewartet.

Vollkommen außer sich hatte meine Mutter entgegnet:

„Natürlich habe ich dir geschrieben, du hast niemals geantwortet. Ich habe von dir und einer Frau geträumt, deshalb war ich mir sicher, du hättest mich vergessen. Die Frau hatte lange dunkle Haare, blaue Augen und Grübchen – und sie zerriss all meine Briefe.“ Willy war daraufhin leichenblass geworden und hatte geantwortet:

„Die Beschreibung trifft genau auf meine Frau zu. Nachdem ich so viele Jahre vergeblich auf ein Zeichen von dir gehofft hatte, dachte ich, du hättest jemand anderen gefunden.“


Johanna mit Rosen

Willy stellte seine Frau, die damals seine Haushälterin gewesen war, zur Rede, und siehe da, sie hatte die Post meiner Mutter abgefangen und vernichtet. Sowohl Willy als auch Johanna waren inzwischen verheiratet.

Der Mann an der Seite meiner Mutter hieß Johannes – und die Geburtstage der beiden lagen genau vier Tage auseinander.

Das Lied der Liebenden

Immer wenn der Mond dunkle Täler beglänzt und der Wind silberne Pappeln bewegt, gehn die Liebenden der Welt in ihr eigenes Land.

Wandern mit lächelnd erhobenem Gesicht an blauen Weihern vorbei, wo im Gebüsch der Vogel Nacht zärtlich sein Lied verströmt.

Dann stehen sie still und atmen – süßer denn je schwillt der Duft der Dolden des Baumes, und das helle Band langer Straßen von innen tut sich hoffnungsvoll auf.

Wenn dann die Sterne im Kranz lächelnd den Liebenden leuchten, sind sie der Welt entrückt, im eigenen Land.

Johanna Tiedtke

Ein Leben in zwei Welten

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