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Die Küstenlinie
ОглавлениеDie gegenwärtige Küstenlinie Europas mit ihrem vertrauten Umriss ist eine verhältnismäßig junge Erscheinung und vor allem stets abhängig vom Verlauf der Strandlinie. Bereits geringe Veränderungen im Niveau der Strandlinie können in tiefliegenden Bereichen wie z.B. den Niederlanden, Südostengland und der Ostseeküste bedeutende Auswirkungen auf den Umriss des Kontinents haben. Solche Veränderungen haben sich nachweislich seit dem Ende der jüngsten Eiszeit zugetragen, sind also aus verhältnismäßig junger geologischer Vergangenheit. Während der letzten 10.000 Jahre ist das Niveau der Strandlinien in Nordeuropa um mehrere zehn Meter gestiegen, was anhand der gehobenen Strände Schottlands und Skandinaviens gut nachvollzogen werden kann (Grafik 1.2, Abbildung 1.2). Dies wird in Kapitel 9 besprochen.
Da große Mengen Wasser während des Höhepunkts der Eiszeit in den Eisschilden gebunden waren, befanden sich weite Teile des Nordseebeckens und des Ärmelkanals oberhalb des Meeresspiegels, der ungefähr 120 Meter tiefer lag als heute. Frühe Menschen konnten leicht vom angrenzenden Festland zu Fuß nach England gelangen (Grafik 1.3). Noch vor gut 10.000 Jahren lag zwischen Ostengland und Dänemark ein großes Landgebiet, als Doggerland bezeichnet, das von mesolithischen Jägern besiedelt wurde, wie im Torf gefundene Feuerstein- und Knochenwerkzeuge zeigen.
Präzise Höhenmessungen der letzten Jahrzehnte belegen ein kontinuierliches Bewegungsmuster für Nordeuropa: Schottland und Skandinavien werden um einige Millimeter im Jahr gehoben (Schottland bis zu fünf Millimeter, Skandinavien bis zu 15 Millimeter), während die Gebiete weiter im Süden, einschließlich Südostengland und die Niederlande, in vergleichbarer Größenordnung absinken. Es ist zu vermuten, dass diese Bewegungen durch den langsamen Ausgleich der Kruste auf das Abschmelzen der nordeuropäischen Eiskappe hervorgerufen werden.
Andere Küstenveränderungen aus jüngster geologischer Vergangenheit, für die es historische Belege gibt, sind die Folge von Erdbeben oder vulkanischer Aktivität. Das gilt besonders für die Mittelmeerküste. Die Säulen des Serapistempels bei Pozzuoli in der Bucht von Neapel, beschrieben von Charles Lyell in seinen Principles of Geology im Jahr 1837 (Abbildung 1.3), sind ein klassisches Beispiel für Veränderungen des Meeresspiegels. Die Löcher von Bohrmuscheln in diesen Marmorsäulen zeigen, dass der Tempel unter den Meeresspiegel abgesunken und dann wieder aufgestiegen war. Diese Bewegungen schrieb Lyell der vulkanischen Aktivität zu.
Ein weit spektakuläreres Beispiel betrifft die Flutung des Mittelmeerbeckens, die sich als plötzliches, vermutlich katastrophales Ereignis vor ungefähr fünf Millionen Jahren ereignete, nachdem die schmale Landbrücke in der Straße von Gibraltar durchgebrochen war. Vor diesem Ereignis war das Mittelmeer ein Binnenmeer, in dem sich Salze ablagerten. Vor 5,33 Millionen Jahren wurden diese Salze dann plötzlich von marinen Sedimenten überlagert. Ein vergleichbares, jedoch viel jüngeres Ereignis verursachte die plötzliche Flutung des Schwarzmeerbeckens vor etwa 7600 Jahren, die manche für die weitverbreiteten Mythen der Sintflut verantwortlich machen.
Grafik 1.2 Nacheiszeitliche Hebung von Skandinavien. Höhenlinien in Metern für die Niveaus der Strandablagerungen. Die Form der Hebung deutet einen Dom an, dessen Zentrum den mächtigsten Bereich der Eisdecke kennzeichnet. Nach Zeuner (1958).
Grafik 1.3 Doggerland. Rekonstruktion der Küstenlinie von Britannien und Nordwesteuropa vor ungefähr 10.000 Jahren. Die große Landmasse von Doggerland verbindet Britannien mit Festlandeuropa. Früherer Rhein und frühere Themse münden direkt in den Ärmelkanal. Verändert nach einer Karte von Max Naylor, Wikipedia.
Abbildung 1.2 Gehobener Strand, dahinter ein früheres Meereskliff, Hebriden, Nordwestschottland. © George Bernard/Science Photo Library.
Die Beispiele zeigen, dass Vertikalbewegungen der Erdoberfläche in Relation zum Meeresspiegel vor (geologisch gesehen) relativ kurzer Zeit vorkamen und von Ort zu Ort verschiedene Ursachen hatten. Dabei kommen Meeresspiegelschwankungen allein als Ursache nicht in Frage, sondern der Untergrund selbst hat sich relativ zum Meeresspiegel nach oben oder nach unten bewegt. Auch langsame Horizontalbewegungen können nachgewiesen werden: Über einen Zeitraum von mehreren Jahren haben wiederholte genaue GPS-Messungen ergeben, dass der Alpidische Gebirgsgürtel um bis zu zwei Millimeter im Jahr zusammengeschoben wird.
Damit ist leicht zu erkennen, dass es in Europa auch noch in geologisch jüngster Zeit Krustenbewegungen gab, von denen manche erhebliche Änderungen der Küstenlinien bewirkt haben. Das Ziel dieses Buches ist es, solche tektonischen Prozesse in die ferne geologische Vergangenheit zu übertragen und daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie Europa entstanden ist.