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Ich stehe nicht auf Scherzkekse, Beileidsbekundungen oder Gaffer«, herrschte Tim ihn an. »Suchen Sie sich’s aus – der trauernde Vater, der blutdürstige Deputy Marshal. Sie haben ihn jetzt gesehen. Kehren Sie zurück in Ihre Redaktion, Ihren Rotary Club, Ihre Kirche, und erzählen Sie denen, Sie waren wirklich da.«

Er wollte die Tür schließen. Der Mann hob eine Faust, ohne Handschuh und knorrig vom Alter, und hustete hinein. In der Geste lag eine unglaubliche Fragilität, die Tim innehalten ließ. Der Mann sagte: »Ich teile Ihre Ablehnung gegen diese Menschen. Und noch gegen viele andere.«

Trotz des Regens, und obwohl sein Mantel um ihn herum flatterte, blieb der Mann still stehen, wie ein Privatdetektiv aus einem billigen Roman. Tim wusste, er sollte die Tür schließen, aber etwas in ihm erwachte, Neugier und gutes Benehmen zugleich, und er hörte sich fragen: »Warum kommen Sie nicht herein und trocknen sich ab, bevor Sie nach Hause fahren?«

Der Mann nickte und folgte Tim ins Haus, kommentarlos schritt er über die heruntergefallenen Bücher und Bilder hinweg. Tim setzte sich auf das Sofa, den Mann positionierte er auf dem gegenüberstehenden Zweisitzer. Der Besucher nahm seinen Hut ab, rollte ihn wie eine Zeitung zusammen und hielt ihn mit beiden Händen.

Sein Gesicht war vom Alter gezeichnet und offensichtlich ausgesprochen intelligent. Zwei lebendige blaue Augen inmitten grob geschnittener Gesichtszüge. Sein Haar war grau meliert und sorgfältig kurz geschnitten. Er verfügte über den eingefallenen Körperbau eines einstmals kräftigen Mannes, der rapide gealtert war. Seine Hände raspelten, als er sie aneinander rieb; er versuchte, die Kälte aus seinen kräftigen Fingern zu vertreiben. Tim schätzte ihn auf Ende fünfzig.

»Nun?«

»Ah, ja. Warum bin ich hier? Ich bin hier, um Ihnen eine Frage zu stellen.« Der Mann hörte auf, seine Hände aneinander zu reiben und sah auf. »Was hielten Sie von zehn Minuten allein mit Roger Kindell?«

Tim spürte, wie sein Herzschlag rasant zunahm. »Wie heißen Sie?«

»Das ist jetzt nicht wichtig.«

»Ich weiß nicht, was Sie hier für Spielchen spielen, aber ich bin ein Federal Deputy.«

»Ein ehemaliger Federal Deputy. Und auch das tut nichts zur Sache. Dies« – die Geste seiner Hände schloss den Raum um sie herum ein – »ist bloß ein spekulatives Gespräch. Nicht mehr. Sie planen kein Verbrechen und geben auch keines in Auftrag. Die Frage ist rein hypothetisch. Ich verfüge weder über die Möglichkeit noch den Willen, irgendetwas umzusetzen.«

»Keine Tricks mit mir. Ich habe kein Problem mit Grausamkeit, aber ich hasse Tricks. Und glauben Sie mir, ich kennen jeden, den es gibt.«

»Roger Kindell. Zehn Minuten.«

»Ich denke, Sie sollten besser gehen.«

»Zehn Minuten allein mit ihm. Jetzt, da Sie Zeit hatten, nachzudenken. Ihre Ehe ist in Schwierigkeiten ...«

»Woher wollen Sie das wissen?«

Der Mann schaute auf die Laken und Kissen, die sich neben Tim auf dem Sofa stapelten, dann fuhr er fort. »Sie haben Ihre Arbeit verloren ...«

»Wie lange haben Sie mich beobachtet?«

»... und der Mann, der Ihre Tochter ermordet hat, ist freigekommen. Nehmen wir einmal an, Sie könnten ihn jetzt in die Hände bekommen. Roger Kindell. Was halten Sie davon?«

Tim spürte, wie sich etwas in ihm löste, Wut freisetzte. »Was halte ich davon? Ich würde liebend gern Kindells Gesicht zu Matsch prügeln, aber ich bin kein Dorfpolizist, der auf brutale Gerechtigkeit aus ist, oder ein Hinterland-Deputy, der nicht weitergucken kann als bis zum Ende seiner Kanone. Ich will die Wahrheit darüber erfahren, was mit meiner Tochter passiert ist, ich will nicht bloß brutale Rache. Ich bin es müde, mit ansehen zu müssen, wie einerseits Leute, die dazu da sind, für Gerechtigkeit zu sorgen, die Persönlichkeitsrechte niedertrampeln und sich andererseits Verbrecher und Dreckschweine hinter genau diesen Rechten verstecken. Ich bin wütend, dass ein System, für das ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe, ausgerechnet bei mir versagt – und weil ich weiß, dass es keine bessere Alternative gibt. Und ich bin Leute wie Sie leid, die bohren und fragen und kritisieren und nichts zu bieten haben.«

Der Mann lächelte nicht ganz, aber sein Gesicht nahm doch eine Form an, die zeigte, dass Tims Antwort ihm gefiel. Er legte eine Visitenkarte auf den Couchtisch zwischen ihnen, dann schob er sie mit zwei Fingern zu Tim herüber wie einen Pokerchip. Als Tim sie hochnahm, erhob sich der Mann vom Sofa. Auf der Visitenkarte stand kein Name, nur eine Adresse in Hancock Park in schlichten schwarzen Buchstaben.

Tim legte die Karte wieder hin. »Was ist das?«

»Wenn Sie Interesse haben, dann kommen Sie morgen Abend um sechs zu dieser Adresse.«

Der Mann ging zur Tür, Tim eilte ihm hinterher. »Wenn ich Interesse an was habe?«

»An einer Alternative.«

»Ist das so ein Selbsthilfemist? Oder eine Sekte?«

»Großer Gott, nein.« Der Mann hustete in ein weißes Taschentuch, und als er seine Hand sinken ließ, bemerkte Tim Bluttröpfchen auf dem Stoff. Schnell steckte der Mann das Taschentuch ein. Er erreichte die Eingangstür, wandte sich um, streckte Tim seine Hand hin. »War mir ein Vergnügen, Mr. Rackley.«

Als Tim seine Hand nicht schüttelte, zuckte der Mann die Achseln, trat hinaus in den Regen und verschwand schnell in der Dunkelheit.

Tim gab sich alle Mühe, das Wohnzimmer aufzuräumen. Er stellte die Bücher zurück ins Regal, reparierte ein zerbrochenes Brett mit Holzleim und Klemmen, dann schloss er die Löcher in der Wand mit Rigipsplatten, die er präzise zuschnitt und einsetzte. Sein Rücken fühlte sich nach dem Kampf mit Dray verdreht an, also schnürte er sich eine Weile kopfüber in die Hängeschuhe in der Garage, die Arme wie eine Fledermaus vor der Brust überkreuzt. Er wünschte sich, er könnte über eine Stadt hinwegschauen statt auf den ölfleckigen Garagenboden. Er hakte sich von Drays Klimmzugstange los, dehnte seinen Rücken, dann ging er wieder ins Haus und saugte die Glassplitter auf; er saugte zweimal, um ganz sicherzugehen, dass er alle wegbekam. Obwohl er versuchte, die Visitenkarte auf dem Couchtisch zu ignorieren, war er sich die ganze Zeit ihrer bewusst.

Schließlich kehrte er an den Tisch zurück und stand davor, er betrachtete die Karte. Er riss sie entzwei und warf sie in den Mülleimer unter der Küchenspüle. Dann schaltete er die Lichter aus, saß da und starrte in den Garten. Der Regen verwandelte den Rasen in Matsch, verteilte Palmblätter darauf, sammelte sich zu schwarzen Pfützen.

Dray sagte kein Wort zu ihm, als sie Stunden später nach Hause zurückkehrte, und er wandte sich nicht nach ihr um. Er war nicht einmal sicher, ob sie ihn in der Dunkelheit gesehen hatte. Ihre Schritte hallten schwer und unregelmäßig durch den Flur.

Tim saß noch ein paar Minuten da, dann erhob er sich und holte die zerrissene Visitenkarte aus dem Mülleimer.

Die Scharfrichter

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