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Bear hielt am Bürgersteig, Tim wollte aussteigen, aber Bear packte ihn an der Schulter. Sie waren schweigend nach Hause gefahren. »Ich hätte dich aufhalten sollen. Mich einmischen sollen. Du warst gar nicht in der Lage, so eine Entscheidung zu treffen.« Er umklammerte das Steuerrad.

»Das ist nicht deine Aufgabe«, sagte Tim.

»Es ist meine Aufgabe, nicht nur herumzustehen, während mein Partner vielleicht irgendein Dreckschwein in einem kurzen Augenblick nur allzu verständlicher Wut erschießt. Du bist ein Bundesagent, nicht irgendein blöder Deputy.«

»Die Jungs haben sich einfach nur ein bisschen aufgeregt.«

Bear schlug mit den Handballen heftig gegen das Steuerrad; es war selten, dass er so wütend wurde. »Blöde Arschgeigen.« Seine Wangen waren feucht. »Blöde, gottverdammte Arschgeigen. Sie hätten dich nicht hineinziehen sollen. Sie hätten die Ermittlungen nicht in Gefahr bringen sollen.«

Tim wusste, dass Bear seine Trauer in Wut verwandelte und sie einfach auf das nächstbeste Ziel richtete, aber er wusste auch, dass er recht hatte. Tim reagierte lediglich auf die Worte, denn er ahnte, wenn er sich jetzt auf Gefühle einließe, würde er zerbrechen. »Es ist ja nichts passiert.«

»Es ist aber auch noch nicht zu Ende.« Bear wischte sich wütend über die Wangen. »Und wir wissen noch nicht einmal, was diese Idioten angestellt haben, bevor wir kamen, wie gut sie das Gelände gesichert haben. Sie haben ja nicht nach Komplizen gesucht. Sie wollten auch gar keine Anklage erheben. Es ist nicht so, als hätten sie auf jedes i-Pünktchen und jeden T-Strich für den Staatsanwalt geachtet. Sie haben schließlich nicht mit einem Verfahren gerechnet.«

»Aber jetzt müssen sie alles ordnungsgemäß erledigen. Nachdem wir da waren.«

»Na toll. Jetzt ist also nicht nur der Fall von ihrer Kompetenz oder eher dem grandiosen Mangel daran abhängig, sondern wir sind es auch.« Bear schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. »Tut mir leid, es tut mir leid. Du hast genug eigene Sorgen.«

Tim brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich seh mal besser nach meiner blöden Deputy-Frau.«

»Scheiße, so hab ich das doch nicht gemeint.«

Tim lachte, und Bear stimmte ein, sie wischten sich beide über die Wangen.

»Soll ich noch ... Kann ich reinkommen?«

»Nein«, sagte Tim. »Noch nicht.«

Bear parkte immer noch am Straßenrand, als Tim die Haustür hinter sich schloss. Im Haus war es dunkel und still. Jemand hatte zwei Löcher in die Wohnzimmerwand geschlagen, das Sperrholz war rissig gesplittert. Tim hatte Dray mit zwei ihrer Freundinnen zurückgelassen, die bei Ginnys Geburtstagsfeier hatten helfen wollen, war aber nicht überrascht, dass es jetzt still im Haus war. Wenn es Dray schlecht ging, wollte sie allein sein. Das hatte sie in einer Jugend mit vier älteren Brüdern und später in etwas mehr als sechs Jahren Polizeijob gelernt.

Er ging durch das kleine Wohnzimmer in die Küche. Die einfache Inneneinrichtung war über die Jahre durch Tims hohen Einsatz verbessert worden. Er hatte die Böden herausgerissen und Holzdielen in Fluren und Schlafzimmern verlegt, und er hatte die mit Messing überzogenen Kristalllüster durch versenkte Deckenstrahler ersetzt.

Auf dem Tresen stand Ginnys Geburtstagskuchen, noch ganz, die Oberseite voller Wachs. Dray hatte darauf bestanden, den Kuchen selbst zu backen, obwohl sie in der Küche nicht gut zurechtkam. Der Kuchen war ungleichmäßig, rechts höher als links, und die Glasur war mehrere Male in dem vergeblichen Versuch aufgetragen worden, sie glatt zu bekommen. Judy Hartley, ihre direkte Nachbarin, deren Kinder gerade ausgezogen waren, hatte angeboten, das Backen zu übernehmen, doch Dray hatte abgelehnt. Wie jedes Jahr an Ginnys Geburtstag hatte sie sich den Tag freigenommen, um über geliehenen Kochbüchern zu brüten, entschlossen und stur. Kuchen um Kuchen zog sie aus dem Ofen, bis sie einen zustande brachte, den sie für akzeptabel hielt.

Dray war nicht da, aber der Schrank, in dem sie den Schnaps aufbewahrten, stand offen. Eine Flasche No-Name-Wodka fehlte.

Tim ging leise durch den Flur zu ihrem Schlafzimmer. Das Bett, sorgsam aufgeschüttelt, war leer. Er sah ins Bad – auch kein Glück. Als Nächstes versuchte er es in Ginnys Zimmer, auf der anderen Flurseite. Dray saß im Dunkeln, die Zweiliterflasche zwischen den Beinen, der Schimmer einer Pocahontas-Nachtleuchte tönte eine Seite ihres Gesichts. Auf dem Teppich vor ihr lagen das schnurlose Telefon und ihr Palmpilot, dessen Hintergrundbeleuchtung noch glomm.

Ihr Gesicht war angespannt, verzerrt durch die Trauer. Vor drei Jahren hatte sie einen Fünfzehnjährigen geschnappt, der mit einem Arm voller Laptops aus einem Bürogebäude am Ventura floh. Er hatte mit einer vernickelten .22er auf sie geschossen, sie aber hatte ihn ihrerseits mit zwei Volltreffern erwischt. Als sie nach Hause gekommen war, hatte ihr Gesicht nicht ganz so schlimm ausgesehen wie jetzt. Sie neigte ihren Kopf leicht nach vorn, nachdenklich oder betrunken.

Tim schloss die Tür hinter sich, ging durchs Zimmer, ließ sich an der Wand neben ihr heruntergleiten. Er nahm ihre Hand, die schweißnass und fieberheiß war. Sie schaute nicht auf, drückte aber seine Finger, als wäre er alles, was sie noch am Leben hielte.

Er starrte Ginnys Bett an. Die Tapete, gelbe und rosafarbene Blumen, die jetzt in der Dunkelheit nur zu erahnen waren, hatte er genau so geklebt, dass das Muster auch über die Ecken des Zimmers hinweg fortgeführt wurde.

Tim dachte an Ginnys letzte Minuten im Leben, und dann fragte er sich, wo er um diese Zeit gewesen war. Er hatte seine Waffe in den Pistolensafe gelegt, als sie entführt worden war. Er hatte im Supermarkt rosa Kerzen gekauft, als sie zerstückelt wurde.

Dass er nicht wusste, wie Kindells Partner aussah, machte die Sache noch schlimmer, verhöhnte seine eingebildete Kontrolle über seine Welt. Die Vorstellung einer Partnerschaft war mehr als entsetzlich – zwei Männer, die gemeinsam ein Kind vernichteten, zwei Männer, die gemeinsam einen jungen Körper zerfleischten. Er sah Kindells Eierkopf vor sich und überlegte, ob es in der Hölle einen besonderen Ort für Kindermörder gab. Er stellte sich mögliche Qualen vor. Er war nie ein gläubiger Mensch gewesen, aber jetzt stahlen sich Gedanken aus den dunklen Ecken seines Hirns, aus den schattigen Winkeln, die dem Licht der Erkenntnis verborgen waren.

Drays Stimme, ruhig, heiser vom Weinen, riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich war hier allein, heute Abend, ich hab hier mit Trina und Joan und der verfluchten Judy Hartley gesessen. Die anderen Kinder haben wir nach Hause geschickt und auf die positive Identifikation gewartet. Wir haben die Verwandtschaft angerufen, damit sie es nicht von ... oder lesen ...« Sie hob erschöpft die Hand, Haarsträhnen fielen ihr in die Augen. Sie nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. »Fowler hat angerufen.«

»Dray ...«

»Warum bist du nicht zu mir zurückgekommen?«

Er hätte nicht gedacht, dass seine Trauer noch Raum für Scham ließ, aber hier war sie, ungebrochen. »Es tut mir leid.«

Er empfand die Entfernung zwischen ihnen als einen körperlichen Schmerz in seinem Magen. Er erinnerte sich, wie er sich in sie verliebt hatte, absolut und erschreckend schnell. Keiner von ihnen hatte je gelernt, als Erwachsener etwas zu brauchen. Beide waren in der Kindheit enttäuscht worden, immer wieder, wenn sie sich auf jemanden verließen – aber da saßen sie dann, klammerten sich mit beständiger Aufmerksamkeit aneinander, redeten halbe Nächte durch und schmiegten sich vor den blau flackernden, stumm geschalteten Fernseher aneinander. Sie fuhren quer durch die Stadt, um sich zum Mittagessen zu treffen, weil sie es nicht von morgens bis abends ertrugen, den anderen nicht zu berühren. Jeder Augenblick der ersten Monate strahlte hell und klar – wie er mit der linken Hand steuerte und schaltete, damit er seine Rechte nicht aus ihrer nehmen musste, im Auto, nach dem Essen, nach einem Film, nach einem Abendspaziergang am Strand; das leise Geräusch, das sie von sich gab, wenn sie lächelte, knapp unterhalb eines Lachens, das Gefühl in ihrem Gesicht, wenn sie nach einem Kompliment errötete – wie feine Nadelstiche, erklärte sie –, dann musste sie die Wangen oberhalb ihres Grinsens mit den Fingerspitzen massieren, bis er schließlich begann, diese Aufgabe zu übernehmen. Erst letzte Woche hatte er sie zu einem Engtanz an sich herangezogen, als Elvis abends im Fernsehen wiederholt wurde. Ginny hatte so getan, als müsste sie sich übergeben, und war in ihr Zimmer gelaufen.

Und jetzt saß er mit seiner Frau im selben Zimmer, konnte sie aber kaum wahrnehmen in der Dunkelheit, die sich dicht um sie gelegt hatte, voll Schmerz und Schrecken und endloser Trauer.

Er mühte sich, Worte zu finden und die Verbindung aufrechtzuerhalten. »Er hat uns angerufen. Wir waren drei Meilen weit weg. Ich musste hinfahren, nachsehen.«

»Okay. Also bist du gefahren.«

Er atmete tief durch. »Und er hat gestanden.«

Sie versuchte, es sanft klingen zu lassen, aber er konnte ihre Frustration hören. »Tim, du bist der Vater des Opfers. Du wurdest illegalerweise an den Tatort gerufen, um einen Rachemord zu begehen. Erklär mir bitte, was es hilft, dass er es dir gestanden hat.« Sie stellte die Flasche schwungvoll auf den Boden. »Dieser Mann hat unsere Tochter entführt und getötet. Er hat sie zerfleischt. Und du bist zu ihm gefahren, du hast den Tatort gefährdet, die Verhaftung, und dann hast du ihn gehen lassen.«

»Ich glaube, er hatte einen Komplizen.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Davon hat Fowler nichts gesagt.«

»Kindell sagte, er hätte sie nicht töten sollen, als hätte es eine vorherige Vereinbarung zwischen ihm und jemand anderem gegeben.«

»Vielleicht hat er auch nur sagen wollen, dass er sie nicht töten wollte. Oder dass er wusste, dass es verboten ist.«

»Vielleicht. Aber dann hat er sich auf jemand anderes bezogen – einen Er – und sich plötzlich unterbrochen.«

»Und warum beschäftigen sich Gutierez und Harrison nicht damit?«

»Sie wussten nichts davon.«

»Und jetzt überprüfen sie es?«

»Das sollten sie besser tun.«

Ginnys Nachttischwecker gab ein leises Klingen von sich, weil eine volle Stunde erreicht war; das Geräusch traf Tim hart und unerwartet, mitten ins Herz. Drays Gesichtszüge schienen auseinander zu fallen. Sie nahm schnell einen weiteren Schluck aus der Flasche. Einen Augenblick lang hatten sie so getan, als wären sie nicht betroffen, als wären sie bloß zwei Polizisten, die sich über einen Fall unterhielten.

Dray wischte sich mit dem Ärmel ihres Sweatshirts die Tränen von den Wangen, sie hatte ihn wie ein kleines Mädchen über ihre Hand gezogen. »Also ist der Tatort nicht ordnungsgemäß gesichert worden, und nun besteht auch noch die Möglichkeit, dass der Mörder nicht der einzige Mörder ist.«

»Das stimmt leider so ungefähr.«

»Du bist noch nicht einmal wütend.«

»Das bin ich. Aber Wut bringt nichts.«

»Was bringt denn etwas?«

»Das versuche ich herauszufinden.« Er schaute sie nicht an, aber er hörte sie einen weiteren Schluck aus der Flasche nehmen.

»Deine ganze Ausbildung – Spezialeinsätze, Kampftraining, FLETC –, ausgerechnet du solltest wissen, wie man unter Druck richtig entscheidet. Du hättest wissen müssen, dass du dort nicht hingehörst, Timmy.«

»Nenn mich nicht Timmy.« Er stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Hör mal, Dray, wir sind jetzt beide kaputt. Wenn wir so weitermachen, bringt uns das auch nichts.«

Tim öffnete die Tür und ging hinaus. Drays Stimme folgte ihm in den kühlen Flur. »Wie kannst du nur so ruhig sein? Als wäre sie bloß ein weiteres Opfer, jemand, den du nie gekannt hast.« Tim blieb im Flur stehen, den Rücken zur offenen Tür. Er drehte sich um und kehrte zurück. Dray hatte die Hand über den Mund geschlagen.

Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, hin und her, er wartete darauf, dass der Atem in seiner Brust wieder zur Ruhe kam.

Als er schließlich sprach, war seine Stimme so leise, dass sie kaum zu hören war. »Ich verstehe, wie ärgerlich du bist, am Boden zerstört. Das bin ich auch. Aber sag so etwas nie wieder.« Sie ließ die Hand sinken. Ihr Blick war voller Entsetzen. »Es tut mir leid«, sagte sie.

Er nickte und verließ vorsichtig das Zimmer.

Im Schlafzimmer drehte Tim das Zahlenschloss des Pistolensafes, dann holte er eine SigSauer P226 neun Millimeter des Sondereinsatzkommandos heraus, die von ihm bevorzugte .357 Smith & Wesson, eine mächtige Ruger .44 Mag und zwei Fünfzigerschachteln neun Millimeter und .44. Für die .357 – seine Dienstwaffe – hatte er eine größere Auswahl an Munition; er entschied sich für Wad Cutter – Geschosse mit flachem Kopf, die saubere Löcher in die Zielscheibe stanzen – statt für die kupferummantelten oder die Hohlspitz-Patronen. Seine Dienststelle gab die Smith & Wesson mit Zehnzentimeterlauf aus, denn sie wurde oft verdeckt getragen.

Als er in Ginnys Zimmer zurückkehrte, hatte Dray sich noch nicht gerührt. »Es tut mir so leid«, wiederholte sie. »Wie konnte ich das nur sagen.«

Er kniete sich hin, legte seine Hände auf ihre Knie, küsste sie auf die Stirn. Die Haut war feucht. Ihr ganzes Gesicht roch nach Alkohol. »Schon gut. Wie geht noch das Sprichwort mit den Steinen und den Glashäusern?«

Sie schürzte die Lippen, nicht ganz ein Lächeln. »Wirf nicht mit Glashäusern, wenn du in einem Stein lebst?«

»Irgendwie so.«

»Du musst schießen gehen.« Es war keine Frage, sondern ein Vorschlag. Er nickte. »Willst du mitkommen?«

»Ich muss hier noch eine Weile sitzen und ins Nichts schauen.«

Er wollte sie noch einmal auf die Stirn küssen, aber sie legte den Kopf in den Nacken und drückte ihre Lippen auf seine. Ihr Kuss war heiß und trocken und wodkadurchtränkt. Hätte er in sie hineinkriechen und dort leben können, er hätte es getan. In der Garage standen Tims silberner M3 BMW und seine Werkbank. Tim warf seine Waffen in den Kofferraum und ließ den Motor an, vorsichtig umrundete er Drays Blazer, der in der Auffahrt stand. Er fuhr an den Rand der Stadt, dann ein paar hundert Meter über einen kleinen Feldweg.

Er ließ den Wagen mit laufendem Motor auf einer kleinen Lichtung stehen und richtete die Scheinwerfer nach unten, bis sie ein Kabel erleuchteten, das sich zwischen zwei Pfählen spannte, etwa einen Meter fünfzig über dem Boden. Tim holte einen Stapel Ziele, eine Mischung farbiger Transstars und alter B-27, und hängte sie an das Seil. Dann hockte er sich in den Dreck, schob die Sig-Magazine ein, bereitete die Schnelllader für die Revolver vor. Sechs Patronen steckten in der zylindrischen Basis jedes Schnellladers, die Spitzen ragten auf wie Fänge, der Abstand passte zu den Einstecklöchern in der Revolvertrommel.

Er zielte mit dem linken Auge, war aber Rechtshänder, deshalb zog er aus einem hochsitzenden Holster auf der rechten Seite. Schulterholster sah die Polizei nicht so gerne, denn über Kreuz zu ziehen war immer ein Risiko für den Schützen, aber Tim zog sowieso lieber direkt aufwärts. Er fand, über Kreuz zu ziehen brauchte zu viel Zeit. Schulterholster wurden nicht ohne Grund Witwenmacher genannt. Er begann mit der Sig, schoss ein paar schnelle Kombinationen auf zehn Meter, um sich aufzuwärmen. Dann ging er zurück auf zwanzig. Dann dreißig.

Er schoss bemerkenswert genau, hatte in Kursen über städtische Guerilla-Einsätze geübt und dann im Malibu-Labyrinth an der Glynco weitergemacht. In dem sehr passend benannten Schießstand gibt es hochfahrende und schwingende Ziele, auf die sich angehende Deputies bei Blitzlichtgewitter, lauter Musik und irren Schreien mit echter Munition stürzten. Die Stimmung dort ist so aggressiv und die Umgebung so surreal, dass erwachsene Männer manchmal weinend herauskommen. Draußen müssen sich die Deputies dann gegen Schauspieler zur Wehr setzen, die Gesetzesbrecher spielen; einer war einmal ein bisschen zu gründlich mit Tim geworden – er hatte ihn in den Unterarm gebissen, so dass Tim ihn k. o. geschlagen hatte. Sein Atem bildete Wolken in der kalten Februarnachtluft, Tim schoss und schoss. Als er alle Neunmillimeterpatronen verbraucht hatte, sattelte er auf seine .357 um und trat auf einen Betonabsatz in etwa zehn Metern Entfernung.

Er stand in einem modifizierten Weaver, einer vorgebeugten Schussposition, die Füße schulterbreit auseinander, das linke Bein vorn. Die Umgebung passte zu seiner Stimmung – der nackte Boden und die Steine, die beiden Scheinwerferkegel, die sich durch die Nacht brannten, nur ein klein wenig Licht in einem unendlich trostlosen Universum. Die Papierziele im Licht, schwebende weiße Rechtecke, wippten wie Früchte an einem Baum. Die Leere der Dunkelheit öffnete sich um ihn herum wie ein ausgenommenes Tier, er starrte ins Nichts. Und alles, was zurückstarrte, war eine Reihe augenloser, zweidimensionaler Zielscheiben, die an einem Seil vor sich hin flatterten.

Seine rechte Hand fuhr herab, durchbrach die perfekte Ruhe, packte die Pistole. Kaum war der Lauf aus dem Leder gefahren, drehte er ihn, stieß ihn vorwärts, seine linke Hand flog bereits darauf zu, packte die rechte, wo sie den Griff hielt. Er zielte schon, während er noch die Arme streckte. Er drückte den rechten Arm durch, den linken hielt er ein wenig gebeugt. Der Abzug drückte genau gegen die Mitte seines rechten Zeigefingers, so dass er nicht nach oben rechts oder unten links verriss, und er betätigte den Double-Action-Abzug schnell und gleichmäßig, er erwartete keinen Rückstoß, verspannte die Hand nicht zu sehr. Der Revolver bellte, und durch den Brustkorb des Transstar wurde ein Loch gestanzt, genau in der Mitte. Er schoss noch fünf Mal in schneller Folge, hatte das Ziel nach jedem Schuss fast sofort wieder im Visier. Das Kordit stieg noch auf, da drückte er schon den Hebel an der linken Seite mit dem Daumen nach vorn, so dass die gut gefettete Trommel herausklappte. Mit der linken Hand holte er den Schnelllader aus seiner Bauchtasche, während er den Revolver nach hinten kippte, die Patronenhülsen hagelten wie Messingregen in den Dreck. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung richtete er die Pistole nach unten und füllte die Trommel, die sechs neuen Patronen glitten mühelos an ihren Platz. Er schoss noch sechs weitere Runden, bis die fünf Ringe des Transstar aussahen wie Schweizer Käse, bevor der leere Schnelllader in den Dreck fiel.

Die Wad Cutter, die perfekt dazu geeignet waren, Löcher in Papier zu stanzen, hinterließen befriedigende Öffnungen.

Gedankenlos wiederholte er den Vorgang, er verlor sich darin, er destillierte seine Wut in die präzisen Ausbrüche der Kugeln und presste sie heraus. Die Wut verließ ihn langsam, wie Wasser, das aus einer Wanne ablief, und als sie verschwunden war, versuchte er, die verbleibende Trauer ebenfalls zu formen und zu verschießen, es gelang ihm aber nicht. Er wechselte das Schießen aus dem Stand mit Bewegungsübungen ab, er schoss, bis seine Handgelenke schmerzten, bis seine Handflächen rau vom Rückstoß waren.

Dann lud er lange, schlanke .44 in die Ruger und schoss damit, bis das dünne Häutchen zwischen Daumen und Zeigefinger zu bluten begann.

Als er kurz nach Mitternacht nach Hause kam, war das Haus leer. Die Wodkaflasche stand auf Ginnys Fußboden, halb leer, die einzige Spur von Dray. Ihr Blazer stand immer noch in der Auffahrt, die Haube kühl.

Tim fuhr sechs Blocks zu McLane’s, dem halbauthentischen irischen Pub, der Macs Vater gehörte, und parkte zwischen den Crown Vics und Buicks. Die schwere Eichentür gab nach. Von ein paar Ausdauertrinkern und den Deputies und Detectives hinten am Billardtisch abgesehen, war der Laden leer. Jede Menge Schnauzbärte. Alte Polizei-Blinklampen hingen über den Regalen mit dem Schnaps. Eine typische Bullenbar. Der Barkeeper, ein Schönling mit hochgekrempelten Ärmeln, schaute vom Gläsertrocknen auf. »Tut mir leid, Mann, wir haben zu.«

Tim kümmerte sich nicht um ihn und ging an der Bar entlang auf die Männer weiter hinten zu. Mac, Fowler, Gutierez, Harrison, fünf andere. Dray stand zwischen ihnen, vorgebeugt, den Unterarm ausgestreckt, den Finger anklagend erhoben. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihre Uniform angezogen, obwohl vorgeschrieben war, dass Polizisten nicht in Dienstkleidung trinken durften. Vom Alkohol verstärkt trugen die Stimmen weit.

»... wagen, meinen Mann in so eine Situation zu bringen. Zumindest hättet ihr mir – eurer Kollegin – anständigerweise Bescheid sagen können.«

»Wir dachten, er käme damit klar«, sagte Fowler.

»Weil er ein Mann ist?«

»Nein, weil, du weißt schon, die Militärausbildung.«

»Militärausbildung, genau. Deshalb hat er keine Gefühle.« Sie drehte sich ein wenig und sah die Detectives an, sie schwankte betrunken. »Was habt ihr über den Komplizen herausgefunden?«

Gutierez, der vorne stand, redete mit ihr wie ein Politiker – die Hände beruhigend gespreizt, Herablassung verkleidet als onkelhafte Beruhigung. »Wir überprüfen das. Aber im Gegensatz zu deinem Mann halten wir die Hinweise für nicht so aussagekräftig.«

»Der Konspirationstheoretiker«, murmelte jemand.

Fowler bemerkte Tim zuerst, dann wandten sich auch die anderen um, alle außer Dray. »Ich sag euch was.« Dray sprach undeutlich. »Ihr könnt mich verarschen, solange ihr wollt. Aber wenn ihr noch einmal etwas gegen meinen Mann sagt, schlag ich euch allen die Zähne ein.«

Der Barkeeper war jetzt hinter der Bar hervorgekommen, er folgte Tim, aber Mac winkte ihn weg. »Schon okay, Danny. Er gehört zu uns.«

»Tut er das?«, fragte Gutierez leise. Zwei der Deputies betrachteten Tim und flüsterten dann miteinander.

Tim wandte sich nur an seine Frau. »Komm mit, Dray. Lass uns nach Hause fahren.«

Dray bemerkte ihn endlich, tat einen Schritt, verlor das Gleichgewicht, setzte sich. Mac legte einen Arm um sie, um sie zu halten, seine Hand auf ihrer Schulter. Die anderen rückten auf ihren Stühlen näher an sie heran. Mac hob die freie Hand zu einer beruhigenden Geste. »Hey, Tim. Alles klar, oder? Wir dachten, es wäre gut für sie, jetzt rauszukommen, wenn man ...«

»Schnauze, Mac.« Tims Blick löste sich nicht von Dray. Ihr Kopf kippte zur Seite. Mit geschlossenen Augen neigte sie den Kopf auf ihre Handfläche. Tim biss die Zähne zusammen, seine Mundwinkel zuckten. »Andrea, lass uns bitte gehen.«

Sie wollte sich erheben, schaffte es aber nur, sich schwer auf den Tisch zu stützen.

Fowler nahm ein leeres Schnapsglas hoch, hielt es wie ein Fernglas vor das Auge und betrachtete Tim. »Nächstes Mal, wenn sich jemand für dich einsetzt, respektierst du es vielleicht«, nuschelte er. »Tito und ich haben für dich was riskiert, Mann.«

Mac nahm seinen Arm von Drays Schultern und erhob sich. Mac sah mühelos gut aus, sein Haar ein wenig verwuschelt, ein paar Bartstoppeln auf den Wangen – im Vergleich dazu war Tim bloß Bemühen und Disziplin.

»Jungs, wir hatten alle eine lange Nacht«, beschwichtigte Mac.

»Lassen wir es gut sein.«

»Ja, lassen wir es gut sein mit unserem großen Anstandswauwau«, pflichtete ihm Harrison bissig bei.

Gutierez kicherte. Tim warf ihm einen Blick zu. Ermutigt durch die Erwartungen der anderen und das Leergut auf dem Tisch vor sich, starrte Gutierez zurück. »Denk mal drüber nach, mein Freund. Deiner Frau geht’s hier gut. Wir kümmern uns um unsere Leute.«

Dray murmelte ärgerlich vor sich hin.

Tim wandte sich um und ging zur Tür. Hinter sich hörte er Stimmen.

»... gut im Weglaufen ...«

»... besser immer weiter ...«

Tim erreichte die Tür und schob den Riegel vor, der metallisch klickte. Es wurde still in der Bar. Er ging wieder am Tresen entlang, die paar verbliebenen Trinker schauten ihm von ihren Hockern aus nach.

Er erreichte die Deputies und wandte sich zur Bar, weg von ihnen. Er nahm seine Smith & Wesson ab, die immer noch im Holster steckte, und legte sie auf den Tresen. Seine Geldbörse mit der Marke folgte, seine Jacke hängte er ordentlich auf die Lehne eines Stuhls. Er krempelte seine Ärmel hoch, auf beiden Seiten zwei Mal.

Als er sich wieder umwandte, waren die Deputies ein wenig nüchterner geworden. Er kam auf Gutierez zu. »Steh auf.«

Gutierez rutschte auf seinem Stuhl herum, lehnte sich zurück, und versuchte lässig und sorglos auszusehen, aber das gelang ihm nicht. Tim wartete. Niemand sagte etwas. Ein anderer Deputy nahm einen Schluck Bier, stellte seine Flasche mit einem leisen Poltern wieder auf den Tisch. Gutierez schaute schließlich weg.

Tim zog seine Jacke wieder an, steckte seine Waffe und seine Marke ein. Er ging um den Tisch, aber Dray erhob sich bereits. Sie stützte sich schwer auf ihn, 135 Pfund Muskeln und Ausrüstung.

Er legte seinen Arm um ihre Hüfte und führte sie zur Tür.

Er entkleidete sie wie ein Kind, kniete sich hin, um ihr die Stiefel auszuziehen, während sie sich auf seine Schultern stützte. Dann deckte er sie zu, aber sie schob das Laken zur Seite. Sie schwitzte. Er küsste sie auf die feuchte Stirn.

Sie schaute zu ihm auf, ihr Gesicht faltenfrei und jung in der Dunkelheit. Ihre Stimme zitterte. »Wie hat er ausgesehen?«

Tim sagte es ihr.

Er wischte ihre Tränen weg, eine Wange mit einem Daumen, dann die andere.

»Erzähl mir, was passiert ist. In der Garage. Alles.«

Er berichtete ihr davon, er kämpfte selbst mit den Tränen, wischte die ganze Zeit über ihre weg.

»Ich wünschte mir, du hättest ihn getötet«, sagte sie.

»Dann hätten wir keine Chance mehr auf die Wahrheit.«

»Aber er wäre tot. Fort von diesem Planeten. Ausgelöscht.« Mehr Tränen, als Tim wegwischen konnte. Sie nahm seine Hand, drückte sie mit beiden Händen, ließ ihre Tränen über ihre Schläfen auf das Kissen rinnen. »Ich bin wütend. So wütend. Auf alles. Alle.«

Sein Hals schnürte sich zu, er räusperte sich, laut.

»Gehst du schlafen?«, fragte sie.

»Ich glaube nicht.«

Sie lag einen Moment da, dann schlug sie die Augen wieder auf. »Ich auch nicht.« Sie lächelte müde.

»Ich schau ein bisschen Fernsehen. Ich will mich nicht herumwälzen und dich wach halten.« Er strich ihr zärtlich das Haar aus den Augen. »Wenigstens einer von uns sollte ein bisschen schlafen.«

Sie nickte. »Okay.«

Er lag auf der Wohnzimmercouch wie in einem Sarg, angezogen, Hände über der Brust verschränkt. Er starrte an die Decke und versuchte, die neue Wirklichkeit seines Lebens zu erfassen. Er konnte die Größe seines Verlustes nicht begreifen. Er stürzte in die Dunkelheit, ohne eine Vorstellung von der Tiefe zu haben. Nick at Nite berieselte ihn in hypnotischen Abständen mit Lachern aus der Dose. Er blendete alles außer diesem Geräusch aus. Es gibt immer noch Gelächter, dachte er. Wenn ich mich daran erinnern muss, kann ich diese kleine Kiste anschalten, dann ist es da.

Gegen drei Uhr nachts weckte ihn Dray, sie war zum Sofa gekommen, sie zog ihre Decke hinter sich her. Sie legte sich auf ihn und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals.

»Timothy Rackley«, sagte sie, die Stimme sanft und verschlafen.

Er streichelte zärtlich ihr Haar, dann hob er es an und rieb ihren weichen Nacken. Sie schliefen eng umschlungen in einer ruhelosen Umarmung.

Die Scharfrichter

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