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Schweigend fuhren sie zurück zu Dray, die Flasche schepperte leer über das Armaturenbrett. Tim wischte sich über den Mund, dann noch einmal.

»Sie sollte bloß um die Ecke bei Tess sein. Die Rothaarige mit den Zöpfen – zwei Blocks von der Schule entfernt, auf Ginnys Nachhauseweg. Dray hatte ihr gesagt, sie sollte dort nach der Schule hingehen, damit wir die Gelegenheit hatten ... du weißt schon, ihre anderen Freunde, die Geschenke. Sie zu überraschen.«

Ein Schluchzen quoll seinen Hals herauf, und er schluckte, drückte es hinunter.

»Tess geht auf eine Privatschule. Wir hatten eine Vereinbarung, wir und ihre Mutter. Die Kinder konnten ohne Vorankündigung zum Spielen kommen. Niemand wartete auf Ginny, niemand konnte sie vermissen. Wir sind in Moorpark, Bear.« Seine Stimme brach. »Moorpark. Man muss nicht davon ausgehen, dass etwas mit deinem Kind passiert, wenn es ein paar hundert Meter weit weg ist.« Tim verschwand irgendwo zwischen den schrecklichen Gedanken, es war eine kurze Pause von dem furchtbaren Schmerz, versagt zu haben – als Vater, als Deputy US Marshal, als Mann. Es nicht geschafft zu haben, das Leben seines einzigen Kindes zu schützen.

Bear fuhr weiter und sagte nichts, und Tim war ihm sehr dankbar dafür.

Bears Mobiltelefon klingelte. Er meldete sich und sagte etwas, eine Abfolge von Worten und Zahlen, die Tim kaum mitbekam. Bear klappte das Handy zu und stoppte den Wagen. Tim bemerkte einige Minuten lang nicht einmal, dass sie angehalten hatten, dass Bear ihn anschaute. Als er hinübersah, wirkte Bears Blick furchtbar ernst.

Tim durchbrach seine allumfassende Erschöpfung. »Was ist?«

»Das war Fowler. Sie haben ihn.«

Tim spürte ein Knäuel von Gefühlen, düster, hasserfüllt und ineinander verwoben.

»Wo?«

»Neben dem Grimes Canyon. Eine halbe Meile von hier.«

»Wir fahren hin.«

»Da gibt’s nur gelbes Absperrband zu sehen. Wir wollen die Verhaftung nicht behindern, den Tatort kontaminieren. Ich dachte, ich bringe dich zu Dray –«

»Wir fahren.«

Bear griff nach der leeren Flasche, schüttelte sie, stellte sie zurück auf das Armaturenbrett. »Ich weiß.«

Sie fuhren einen langen einsamen Weg entlang, Kies knirschte unter den Reifen, sie kurvten bis ins Herz des kleinen Canyons. Eine umgebaute, alleinstehende Garage, die zu einem Haus gehörte, das vor langer Zeit niedergebrannt war, ragte dunkel und ein wenig schief neben einigen Eukalyptusbäumen auf. Die schmierigen Seitenfenster ließen ein wenig gelbe Innenbeleuchtung herausschimmern. Regen und Alter hatten das Sperrholz von den Wänden gehoben, und die Garagentür verrottete in großen Stücken. An der Seite stand ein weißer Pickup mitten im Unkraut, frischer Schlamm an den Reifen und den Kotflügeln.

Ein Polizeiwagen parkte schräg auf dem überwucherten Betonfundament des einstigen Hauses, die Blinklichter angeschaltet. Wie auf allen anderen Wagen der Flotte war darauf MOORPARK POLICE zu lesen, obwohl alle Zweimannteams aus geliehenen Deputies von Ventura County bestanden. Daneben stand ein Zivilwagen, das Blinklicht aufs Dach gesetzt. Ohne das zugehörige Heulen wirkte das stetige Blitzen irritierend.

Fowler kam zu ihrem Wagen, hinter seiner Oberlippe steckte Kautabak. Er atmete schwer, sein Blick war scharf und leuchtend, er wirkte aufgeregt. Er ließ sein Holster aufschnappen, dann drückte er den Verschluss wieder zu. Die übrigen Detectives waren nicht zu sehen. Kein gelbes Absperrband, keine Tatortbegrenzung, keine Spurensicherung.

Bevor Tim aus dem Wagen steigen konnte, begann Fowler zu reden. »Gutierez und Harrison – sie sind von der Mordkommission – haben die Wagenspuren am Ufer identifiziert. Es sind wohl die Standards für Toyotas von ’87 bis ’89 oder irgend so ein Scheiß. Die Spurensicherung hat einen Fingernagel am Tatort gefunden ...«

Tim sackte in sich zusammen, und Bear legte ihm zur Unterstützung eine Hand auf den unteren Rücken, wo Fowler es nicht sehen konnte.

»... und da drunter war ein bisschen weißer Lack. Autolack. Gutierez hat damit was auch immer gemacht, hat es für einen Radius von zehn Meilen gecheckt, gab nur siebenundzwanzig Treffer, kaum zu glauben. Wir haben die Adressen aufgeteilt. Dies war unser dritter Stopp. Es gibt richtige Beweise. Der Typ hat es nach ein paar Sekunden schon zugegeben. So funktioniert das sonst nicht.« Er hustete einen einzelnen Lacher heraus, dann wurde er blass. Seine Hand griff wieder nach dem Holster, er öffnete und schloss die Lasche. »Teufel, Rack, tut mir leid. Ich bin bloß ... Ich hätte selbst kommen sollen, aber ich wollte mich an die Arbeit machen und dieses Dreckschwein kriegen.«

»Warum ist der Tatort nicht abgesperrt?«, fragte Tim.

»Wir, äh ... er ist noch hier. Drinnen.«

Tims Mund wurde trocken. Seine Wut zog sich zusammen, als wäre sie ein Fallschirm, den jemand durch einen Serviettenring ziehen wollte. Die Konzentration schien zu verhindern, dass er Kummer empfand. Bear glitt neben ihn, wie ein Wagen, der an der roten Ampel steht und im Leerlauf Vollgas gibt.

»Was ist mit der Spurensicherung? Habt ihr die überhaupt angefordert?«

Fowler konzentrierte sich plötzlich auf den Boden. »Wir haben euch angerufen.«

Er trat nach einem Grasbüschel, das unter seinen Füßen knirschte. »Ich weiß, wenn mein kleines Mädchen –« Er schüttelte den Gedanken ab. »Die Jungs und ich wollten ihn nicht davonkommen lassen.« Er ließ die Sicherung seines Holsters wieder aufschnappen, zog die Beretta heraus, hielt Tim die Pistole hin, Griff zuerst. »Für dich und Dray.«

Die drei Männer starrten auf die Pistole. Bear gab ein Geräusch von sich, das tief in seinem Hals steckenzubleiben schien und sich nicht in einen richtigen Laut verwandeln wollte. Fowlers Gesicht war immer noch rot angelaufen vor Erregung, eine Vene pulsierte wie ein Blinklicht auf seiner Stirn. Irgendwo im Durcheinander seiner Gedanken begriff Tim, warum Fowler Bear auf dem Handy angerufen hatte, nicht per Funk.

Bear rutschte nah an Tim heran, blickte aber in die andere Richtung, hielt Fowler den Rücken zugewandt. Er sah hinaus in die Dunkelheit des Canyons. »Was willst du hier, Rack?« Er spreizte die Finger, dann ballte er die Fäuste. »Als Vater? Als Stellvertreter des Gesetzes?«

Tim nahm die Pistole. Er stieg aus, ging zur Garage, und weder Bear noch Fowler folgten ihm. Er hörte Geräusche durch die verzogene Tür. Leise Stimmen.

Er klopfte zweimal, spürte das zerfaserte Holz rau unter seinen Knöcheln.

»Moment.« Die Stimme gehörte Mac, Fowlers Partner, einem weiteren von Drays Deputy-Kollegen. Schritte. »Platz da.«

Die Garagentür schwang mit quietschenden Federn auf. Unbeabsichtigt theatralisch trat Mac zur Seite und präsentierte Tim Gutierez und Harrison, die rechts und links neben einem dürren Mann auf einer zerschlissenen Couch saßen. Jetzt erkannte Tim die Detectives. Dray hatte mit ihnen zusammengearbeitet, als sie noch in Moorpark patrouillierten; die Mordkommission hatte ihnen wahrscheinlich diese Gegend zugeteilt, weil sie sich auskannten.

Tims Blick wanderte durch den Raum, er sah einen Haufen blutiger Lappen; eine Kleinmädchen-Unterhose mit blutigen Fingerabdrücken blähte sich an der gegenüberliegenden Wand im Windzug; eine verbogene Eisensäge, deren Zähne nur noch Stümpfe waren. Er musste sich zwingen, das alles wahrzunehmen, das Unvorstellbare zu denken.

Er trat vor, seine Schuhe rutschten auf dem öligen Beton. Der Mann war glatt rasiert, er hatte sich dabei am Kinn geschnitten. Er saß vornübergebeugt, klemmte die Ellenbogen in seine Leistenbeuge, seine Hände waren mit Handschellen gefesselt. Seine Stiefel waren wie Bears voller Schlamm. Die beiden Detectives traten zur Seite, als Tim näher kam, und richteten ihre Kunstfaseranzüge.

Mac sagte mit tiefer Stimme über Tims Schulter hinweg: »Das ist Roger Kindell.«

»Siehst du ihn, du Wichser?«, fragte Gutierez. »Das ist der Vater des kleinen Mädchens.«

Der Blick des Mannes richtete sich auf Tim, zeigte aber weder Verständnis noch Reue.

»Dass so etwas in unserer gottverdammten Stadt passieren kann«, knurrte Harrison, als führte er ein vorangegangenes Gespräch fort. »Die Drecksäcke ziehen nach Norden. Sie kommen näher.«

Tim trat vor, bis sein Schatten über Kindells Gesicht fiel, er löschte das dämmrige Licht der nackten Glühbirne aus. Kindell saugte an seinen Zähnen, dann senkte er sein Gesicht in die Hände, massierte sich mit den Fingern den Haaransatz. Seine Stimme klang unscharf, er verschluckte Buchstaben, ein wenig guttural.

»Ich-hab schon-gesagt, ich war’s. Lass-mich allein.«

Tim spürte seinen Herzschlag bis in die Schläfen, den Hals. Kontrollierte Wut.

Kindell beließ sein Gesicht in seinen Händen. Schwarze Halbmonde zeichneten sich unter seinen Fingernägeln ab – getrocknetes Blut.

Harrison löste seine Arme, die er über Kreuz gehalten hatte, voneinander; Schweiß schimmerte auf seinem elfenbeinfarbenen Gesicht. »Sieh ihn an. Sieh ihn an, Junge.« Keine Reaktion. Blitzschnell stürzte sich der Detective auf Kindell, er packte ihn mit den Händen an Hals und Wangen, stieß ihm ein Knie in den Magen und bog seinen Kopf zurück, so dass er Tim anschaute. Kindells Atem blähte seine Nasenlöcher, sein Blick war trotzig.

Gutierez wandte sich an Tim. »Ich hab eine Unregistrierte.« Tim schaute hinunter auf die dargebotene Ausbeulung am Knöchel des Detectives, wo sein Hosenbein endete, eine miese Waffe, die man am Tatort umklammert von Kindells toten Fingern zurücklassen konnte. Gutierez nickte. »Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, mein Freund.«

Harrison ließ Kindell los, stieß seinen Kopf zur Seite, nickte Tim zu. »Du tust, was du tun musst.«

Mac hielt an der großen Öffnung der Garagentür Wache, er schaute vor und zurück und behielt die Dunkelheit im Blick, obwohl Bear und Fowler weniger als zwanzig Meter von ihm entfernt einen guten Ausblick auf die Straße hatten.

Tim wandte sich Kindell zu. »Lasst mich allein.«

»Alles klar, Mann«, sagte Gutierez. Er blieb neben Tim stehen und hielt ihm den Handschellenschlüssel hin. »Wir haben das Arschloch schon abgeklopft. Hinterlass bloß keine blauen Flecke an ihm.«

Mac drückte Tims Schulter, dann folgte er den beiden Detectives hinaus. Tim griff nach oben, packte den herunterhängenden Seilgriff der Garagentür, zog daran. Die Tür knirschte wieder, beschleunigte aber schnell und krachte zu. Kindell zwinkerte nicht einmal. Kalt wie ein Messer.

Er bemerkte die Beretta in Tims Hand, die auf den Boden zielte, und wandte den Kopf zur Wand, als wollte er sein Desinteresse kundtun. Sein Haar war kurz geschnitten, ein herausgewachsener Maschinenschnitt, der aussah wie Pelz. Tim stellte die Frage, bevor er darüber nachgedacht hatte. »Hast du meine Tochter getötet?«

Die Glühlampe gab ein eigenartiges Summen von sich. Die Luft schien Tim zu umschließen, feucht und schwanger mit dem Duft von Farbverdünner.

Kindell wandte ihm wieder sein Gesicht zu. Er hatte gleichmäßige Gesichtszüge, aber eine ungewöhnlich flache, hohe Stirn. Seine Hände lagen beisammen in seinem Schoß. Er sah nicht so aus, als würde er die Frage beantworten wollen.

»Hast du meine Tochter getötet?«, wiederholte Tim.

Nach einer längeren Pause nickte Kindell einmal langsam.

Tim wartete, bis sein Atem sich beruhigt hatte. Er spürte, wie seine Lippen zitterten, er kämpfte dagegen an. »Warum?«

Wieder dieser eigenartige Rhythmus der Worte, als spräche er in Zeitlupe. »Weil-sie so sch-schön war.«

Tim zog den Schlitten der Beretta durch und drückte eine Patrone in die Kammer. Kindell stieß ein gedämpftes Schluchzen aus, Tränen traten in seine Augen. Das erste Anzeichen von Gefühl. Er schaute trotzig hoch zu Tim, selbst als ihm der Rotz aus der Nase lief und sich auf seiner Oberlippe sammelte.

Tim hob die Pistole. Seine Hände zitterten vor Wut, deswegen brauchte er einen Augenblick, bis er in der Lage war, auf Kindells große Stirn zu zielen.

Bear lehnte an seinem Truck, die kräftigen Arme überkreuzt, und schaute die anderen vier Männer an.

»Man legt sich nicht mit der Familie eines Deputys an«, sagte Gutierez. Dann nickte er Bear zu, um ihn einzuschließen. »Oder eines Marshals.«

Bear nickte nicht zurück.

Fowler mischte sich ein. »Denen ist inzwischen alles egal. Die kapieren gar nichts mehr.«

»Das ist die verdammte Wahrheit«, bekräftigte Gutierez.

»Wie der Typ, der mit dem Sarin-Nervengas in den Kindergarten marschiert ist. Ezekiel oder Jedediah oder so.« Harrison schüttelte den Kopf. »Das hat alles keinen Sinn mehr. Nichts.«

»Wie geht’s Dray?«, fragte Mac. »Alles okay?«

»Sie ist hart im Nehmen«, antwortete Bear.

»Das kannst du laut sagen«, sagte Fowler.

Dann wieder Gutierez. »Es wird ihr besser gehen, wenn Rack ihr die Neuigkeiten überbringt.«

»Kennst du Tim gut?«, wollte Bear wissen.

Der Detective verlagerte sein Gewicht von einem Schuh auf den anderen. »Ich habe viel von ihm gehört.«

»Warum überlässt du seinen Spitznamen dann nicht denen, die ihn kennen?«

»Hey, komm schon, Jowalski«, ging Mac dazwischen. »Tito hat’s nicht so gemeint. Wir stehen auf derselben Seite, wir hier.«

»Tun wir das?«, fragte Bear.

Sie warteten, sie sahen die geschlossene Garagentür an, sie wappneten sich gegen einen Schuss in der Stille. Die Grillen zirpten und erfüllten die Luft mit einem nervösen Lärmen.

Mac wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn, obwohl es eine kühle Nacht war. »Ich frage mich, was er da drinnen macht.«

»Er wird ihn nicht erschießen«, sagte Bear.

Die anderen schauten Bear erstaunt an. Fowler grinste herausfordernd. »Glaubst du nicht?«

Bear bewegte sich unzufrieden, dann legte er die Arme wieder über Kreuz, als wollte er seine Haltung einfrieren.

»Und warum wird er das nicht tun?«, fragte Gutierez.

Bear betrachtete ihn mit offenem Missfallen. »Weil er sich nicht euch Deppen für den Rest seines Lebens ausliefern wird.«

Gutierez wollte etwas sagen, bemerkte dann aber Bears angespannte Unterarme und klappte den Mund wieder zu. Die Grillen machten immer weiter. Die Männer versuchten, den Blickkontakt untereinander zu vermeiden.

»Scheiß drauf. Ich hol ihn raus.« Bear stieß sich vom Truck ab. Neben ihm sah sogar Mac klein aus. Bear tat einen Schritt in Richtung der Garage, dann blieb er abrupt stehen. Er senkte den Kopf und schaute zu Boden, erstarrt zwischen dem Weg nach vorn und zurück.

Tim zielte mit der Beretta auf Kindells Kopf, er stand still und steif, der Schattenriss eines Schützen aus Stahl. Nach einem Moment begann sein Schussarm zu zittern. Seine Augen wurden feucht, zwei Atemzüge erschütterten seine Schultern. Mit einer plötzlichen, überraschenden Sicherheit wusste er, dass er Kindell nicht töten würde. Seine Gedanken lösten sich von der Gegenwart, kehrten zu seiner Tochter zurück. Eine Trauer, so allumfassend, selbstsüchtig und niederschmetternd, dass sie die Grenzen seines Herzens zu sprengen drohte, übermannte ihn. Sie traf ihn mit voller Wucht, wie nichts, was er je empfunden hatte. Er senkte die Waffe und krümmte sich, er stemmte die Fäuste auf die Oberschenkel, als die Gefühle ihn überfluteten.

Als er bemerkte, dass er immer noch mühevoll atmete, richtete er sich auf, so gut er konnte. »Warst du allein?«

Wieder der Kopf: hoch, runter, hoch.

Gnadenlose Krämpfe in Tims Brust zwangen ihn, sich vornüber zu beugen wie ein arthritischer alter Mann. Seine Stimme klang rau, schwach und verständnislos: »Du hast einfach entschieden ... entschieden, sie zu töten?«

Kindell zwinkerte und fuhr sich mit den gefesselten Händen über das Gesicht, wie ein Eichhörnchen, das sich putzte. »Ich sollte sie nicht töten.«

Tim richtete sich augenblicklich auf, seine Haltung festigte sich. »Was heißt ›sollte‹?« Keine Antwort. »War jemand bei dir?«

»Er hat nicht –« Kindell unterbrach sich, er schloss die Augen. »Er wer? Er hat nicht was? Hat jemand dir geholfen, meine Tochter zu töten?« Seine Stimme zitterte vor Wut und Verzweiflung. »Antworte mir, verdammt noch mal. Antworte mir!«

Kindell blieb still, er scherte sich nicht um Tims Fragen, die Ovale seiner geschlossenen Augenlider sahen aus wie venendurchzogene Eier.

Das Garagentor öffnete sich mit einem Knall, das Licht fiel auf das Unkraut am Boden. Kindell taumelte heraus, Tim stieß ihn vor sich her, jetzt waren seine Hände hinter dem Rücken gefesselt. Tim ging hinter ihm, die Kette zwischen den Handschellen gepackt. Er zog daran, so dass Kindells Arme in die Luft ragten. Kindell schnitt eine Grimasse, gab aber keinen Laut von sich.

Bear und die anderen sahen stumm zu, wie sie näher kamen. Kindell stolperte und ging zu Boden, er fiel auf Knie und Brust. Sein Grunzen klang wie ein Bellen.

Kindell mühte sich aufzustehen. Er zeigte keine blauen Flecke oder andere Zeichen von Bestrafung. »Du A’schlo’. Du v’dammte’ A’schlo’.«

»Halt besser den Mund«, fuhr Tim ihn an. »Im Augenblick bin ich noch dein bester Freund.«

Bear atmete aus, ein tiefes Brummen, bei dem er die Wangen aufblies.

Fowler starrte Tim an wie eine Frau, die einen Korb bekommen hat. Gutierez und Harrison sahen ebenso unzufrieden aus.

»Können wir miteinander reden?«, fragte Fowler, die Muskeln um den Mund angespannt.

Tim nickte, dann ging er mit den drei Männern ein paar Schritte weg von Mac und Bear.

»Er ist ein gottverdammter Wichser«, zischte Fowler.

Tim sagte: »Allerdings.«

Fowler spuckte einen braunen Strahl ins Unterholz. »Du willst solche Arschlöcher in unserer Stadt frei rumlaufen lassen?«

Tim sah ihm genau in die Augen, bis Fowler wegschaute.

»Was soll der Scheiß, Rackley? Wir haben dir einen Gefallen getan.«

Gutierez strich sich mit Daumen und Zeigefinger den Schnauzbart glatt. »Dieser Kerl hat gerade deine Tochter umgebracht. Wie kann es sein, dass du ihn nicht umlegen willst?«

»Ich bin keine Geschworenenjury.«

»Ich wette, Dray sieht die Sache anders.«

»Da hast du wahrscheinlich recht.«

»Jurys sind Scheiße«, sagte Fowler. »Ich traue den Gerichten nicht.«

»Dann zieh nach Sierra Leone.«

»Hör mal, Rackley –«

»Nein, du hörst mal zu.« Fünf Meter entfernt horchten Bear und Mac auf. »Hier läuft eine Ermittlung, die ihr möglicherweise mit eurer Gier, die Sache zu Ende zu bringen, in die Scheiße geritten habt.«

Harrison legte die Arme über Kreuz und beugte sich vor. »Die Sache ist glasklar.«

»Er hat sie nicht allein umgebracht.«

Gutierez stieß die Luft durch zusammengebissene Zähne aus. »Was soll das denn heißen?«

»Es hat noch jemand damit zu tun.« Tims Hand zuckte, er klopfte mit dem Daumen auf seinen Oberschenkel.

»Das hat er uns nicht gesagt.«

»Tja, dann sieht es so aus, als wärt ihr am Ende mit euren Detective-Tricks.«

Bear kam herüber, seine Stiefel quietschten, er ließ Mac bei Kindell. Er schaute die anderen mit gerunzelter Stirn an und stellte sich schützend neben Tim. »Alles in Ordnung?«

»Dein Kumpel hier will Dinge kompliziert machen, die nicht kompliziert sind.« Gutierez starrte Tim an. »Du stellst dich an.«

»Das stimmt.«

»Woher willst du wissen, dass jemand anders damit zu tun hat?« Gutierez nickte mit dem Kopf zu Kindell, der immer noch flach auf dem Boden lag. »Was hat er gesagt?«

»Er hat nichts Eindeutiges erzählt.«

»Nichts Eindeutiges«, sagte Harrison. »Eine Eingebung, was?«

Bears Stimme wurde so tief, dass Tim sie in seinen Knochen spürte. »Du passt besser auf, was du sagst, nach dem, was er heute durchgemacht hat.«

Harrisons Grinsen verschwand sofort.

»Genau deswegen töten wir Menschen nicht ohne Verfahren.«

Tim betrachtete die drei Männer. »Ruft die Spurensicherung. Startet die Ermittlungen, sammelt Beweise.«

Fowler schüttelte den Kopf. »Was für eine Scheiße. Kindell hat uns reden gehört. Wie wir die Sache geplant haben.«

Gutierez hob abwehrend die Hände. »Schon gut. Wir gehen jetzt einfach ganz normal vor. Wenn dieses Arschloch sich bei der Verteidigung ausheulen will, steht sein Wort gegen unseres.« Er blickte Tim und Bear an. »Sind wir einer Meinung?«

Tim überlegte, ob er Gutierez davon in Kenntnis setzen sollte, dass das Letzte, worauf er in dieser Nacht Kraft zu verschwenden gedachte, Gutierez’ Angstzustände waren, aber er wollte sich ihm gegenüber keine Blöße geben.

Hinter ihnen half Mac Kindell auf die Beine.

»Ihr wart nie hier«, erklärte Harrison. »Wir halten zusammen, egal was passiert.«

Bear stieß ein verächtliches Grunzen aus. Sie gingen zurück zu den Autos, ihr Atem kristallisierte in der kalten Luft.

»Du bist ein verdammtes Glücksschwein«, sagte Gutierez zu Kindell, der endlich wieder auf den Beinen stand. Er stieß ihm einen Finger knapp unterhalb der Schulter in die Brust. »Hast du mich gehört? Ich hab gesagt, du bist ein verdammtes Glücksschwein.«

»Lass-mich in ’uhe.«

Bear ging um seinen Truck herum, stieg ein, ließ den Motor an.

Mac räusperte sich. »Tim, Mann, es tut mir so leid ... alles. Überbring Dray mein Beileid. Es tut mir wirklich leid.«

»Danke, Mac«, sagte Tim. »Ich werd’s ihr sagen.«

Er stieg zurück in den Truck, und sie fuhren davon, ließen die vier Deputies und Kindell zurück, die in der dunklen Nacht immer wieder von hellblauen Blitzen beleuchtet wurden.

Die Scharfrichter

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