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Homer: Mord und Totschlag, dazu Hammelkeule mit Fladenbrot

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 Homer (2. Hälfte 8. Jahrhundert v. Chr.) ist der erste Dichter des Abendlands. „Alle Literatur, die nach ihm kam, stand in seinem Bann“ (Latacz 1430). Manche Forscher vermuten mehrere Autoren hinter seinen Werken.

Bei Hesiod steht Zeus für eine mehr oder weniger moralische Weltordnung. Nicht so bei dem älteren Homer: Dessen Götter und Menschen leben in einem Dickicht aus Hinterhalt, Lüge und Betrug. Doch Homer fragt auch, wie wir uns durch dieses Dickicht zur Wahrheit durchschlagen können. Nicht nur deshalb lohnt es sich für Sinnsuchende, dem Altmeister der dichterischen Illusion für eine Weile auf den Leim zu gehen.

Wie kann es sein, dass die Welt von einem Gott regiert wird, wo es doch in ihr so ungerecht zugeht? Dieses Problem hat die Frommen vieler Jahrhunderte in Verlegenheit gebracht. Homer hätte abgewunken: Ein Gott regiert, trotzdem geht es nicht gerecht zu auf der Welt? Stimmt. Aber was ist daran so sonderbar?

Bei Homer lügen und betrügen die Götter, dass es eine Pracht ist. Der Oberste aller Götter, Zeus, macht da keine Ausnahme: In Homers „Ilias“ verspricht er den Griechen für die nächste Schlacht einen triumphalen Sieg – aber nur, um sie in eine vernichtende Niederlage zu locken. In Homers „Odyssee“ erfreut sich die Göttin Athene an den raffinierten Lügengespinsten ihres Schützlings Odysseus. „Schon als Kind hast du Verstellung und erdichtete Worte geliebt“, bemerkt die inkognito Reisende augenzwinkernd, als er einmal ausgerechnet ihr etwas vorflunkern will. „Aber genug davon. Wir kennen beide diese Kunst.“

Eine Kunst ist die Lüge in der Tat. Schließlich braucht es Verstand und Geschicklichkeit, um die Unwahrheit glaubhaft zu machen. Athene hat es vorgemacht: Um den trojanischen Prinz Hektor endlich zur Strecke zu bringen, verwandelte sie sich in seinen Bruder und lockte ihn mit falschen Versprechen in einen aussichtslosen Kampf.

Wenn Götter und Helden lügen, warum sollte es ausgerechnet der göttlich inspirierte Dichter nicht tun? Da wäre er schlecht beraten. Schließlich hat er sich weit mehr vorgenommen als die getreue Wiedergabe nüchterner Tatsachen. Wenn Homer seinen Gesang anstimmt, dann will er in den Menschen die höchste Freude wecken, zu der sie fähig sind: „Ich kenne im Leben nichts Besseres“, lässt er seinen Odysseus schwärmen, „als wenn beim Fest im Schloss die Gäste den Liedern des Sängers lauschen, während die Tische von Gebackenem und Fleisch gefüllt sind und der Schenke fleißig den Wein schöpft“ (Od 9,3–11).

Homer will Verse dichten, die so herrlich sind, dass sie einer verwöhnten Gästeschar besser schmecken als Hammelfleisch, Fladenbrot und griechischer Wein. Da darf er nicht zimperlich sein, wenn seine Musen schwindeln, um ihm ihre schönsten Pointen und überraschendsten Wendungen zuzuspielen.

So überlässt sich Homer seinen aus Täuschung und Wahrheit gewobenen Geschichten – und wird darüber zum Entdecker einer dichterischen Kausalität, die seine Zuhörer mit geradezu naturgesetzlicher Zwangsläufigkeit fesselt.

Wer sich nicht schämt zu lügen, kann erzählen was er will? Das gilt nur für Dilettanten. Nicht dafür hängt Homer die Wahrheitsfrage tiefer, dass er sich in die Beliebigkeit flüchten kann. Sondern er befreit sich vom Diktat der Tatsachen, um den Gesetzen der Dramaturgie zu folgen.

In der Ilias geht es streng folgerichtig zu. Alles was geschieht, ist Teil einer Kausalitätskette. Jedes Ereignis ist eine Kraft, die auf die Entwicklung der Handlung einwirkt. Wie wohlproportioniert dies alles aufeinander abgestimmt ist, kann nur fühlen, wer die Ilias liest. Eine Zusammenfassung kann bestenfalls eine Ahnung vermitteln.

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