Читать книгу Von Homer zu Jesus - Gregor Bauer - Страница 22
Die Götter sind nicht besser als wir
ОглавлениеWie der grundanständige Hesiod wohl über die Homerische Kultur der Lüge gedacht hat? Übernommen hat er sie jedenfalls nicht. Bei Hesiod hat die Überlegenheit des Herrschergottes Zeus bereits mit Moral zu tun (Schönberger 151). Bei Homer ist sie noch rein körperlicher Natur. „Ich bin der Mächtigste, ich zeigs euch!“, protzt er vor den versammelten Göttern des Olymp. „Auf, machen wir Kettenziehen! Ich ziehe auf der einen Seite im Himmel, und ihr zieht alle zusammen auf der anderen Seite auf der Erde. Dann versucht mal, mich vom Himmel auf die Erde zu ziehen. Keine Chance! Aber wenn ich will, ziehe ich euch alle zusammen hoch. Dann zappelt ihr alle an meiner Kette. So stark bin ich!“
Bei Homer klingt das natürlich viel majestätischer (Il 8,18–27). Nicht umsonst haben ihn die Griechen noch Jahrhunderte später wegen seiner erhabenen Sprache über alle anderen Dichter gestellt. Aber deshalb bleibt Homers Zeus doch ein Kraftmeier, den man besser nicht frontal angeht. Wer ihm missfällt, dem könnte es ergehen wie der Schuld: Zeus hat sie vom Olymp geschleudert mit dem Schwur, sie nie mehr zurückkehren zu lassen – Schuldbewältigung auf Olympisch (Il 19,126–131).
Für unbesiegbar halten die Götter ihren Göttervater freilich nicht. Überrumpeln lässt er sich allemal. So lockt ihn seine Frau Hera, von Aphrodite mit Liebreiz ausgestattet, in ein Liebesnest, wo ihn schließlich der Schlaf überwältigt. Damit hat Poseidon freie Hand, von Zeus unbemerkt den Griechen gegen die Trojaner beizustehen.
Derartige Kriegshändel gehören neben Liebesaffären und ausufernden Saufgelagen zu den bevorzugten Beschäftigungen der Götter. Von den Menschen unterscheiden sie sich zwar durch ihre überlegenen Fähigkeiten: Sie sind schneller und stärker, sie können fliegen, sich verwandeln und unsichtbar machen, sie sind unsterblich und frei von Sorgen – wenigstens solange sie sich nicht ernsthaft mit Zeus anlegen. Aber charakterlich haben sie den Menschen nichts voraus. Wie man von einem kindischen Erwachsenen sagt: „Der wird nie erwachsen“, so könnte man von den olympischen Göttern sagen: „Die werden nie Götter.“ Wie die Menschen sind sie eitel, parteiisch, launisch und nachtragend. Tag für Tag denselben irdischen Vergnügen hingegeben, ist ihre Unsterblichkeit ohne Transzendenz.
Da diese Götterhorde in sich zerstritten ist, kann man sich als Mensch durchaus einige Frechheiten gegen Götter herausnehmen, solange man andere Götter auf seiner Seite hat. Ungefährlich ist das allerdings nicht: Götter, die sich zurückgesetzt fühlen, können sich bitter rächen. Aber man kann Glück haben. So lästert Achill dem Flussgott Skamandros, weil der die Leichen seiner ermordeten Verehrer tragen muss: „Fleißig geopfert habt ihr ihm ja“, verhöhnt er die Toten, „aber genützt hat es euch nichts, als ich euch abgemetzelt habe!“ (Od 21,130ff). Daraufhin versucht der Strom zwar, Achill zu ersäufen. Aber der weiß, dass ihm ein anderer Tod bestimmt ist. Und tatsächlich helfen ihm Poseidon und Athene aus der Patsche.