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Kapitel 5

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Re-Evolution: 004

Der Heimflug nach Greenberry in Ohio dauerte nicht mal zwei Stunden. Mehrmals spürte Ben auf dieser Reise ein Kribbeln in seinem Körper, das ihm fast den Magen umdrehte. Er sah das Sonnenlicht kurz flackern, so wie Glühbirnen bei Störungen im Stromnetz. Einmal schaute er dabei Emma an, und ihre Augen verengten sich ebenfalls, also war er offenbar nicht der Einzige, der es bemerkte.

Am frühen Abend wurden sie von einem Taxi an ihrem Familienanwesen abgesetzt. Bens Mutter Cynthia war vor einigen Jahren gestorben und nun war Ben der Eigentümer. Das Grundstück sowie alle beweglichen und unbeweglichen Güter darauf gehörten nun ihm und natürlich seiner Ehefrau Emma.

Ben ließ die Taschen auf der Veranda auf den Boden gleiten und sah auf die Uhr. Zach, ihr sechs Jahre alter Sohn, hatte bei einem Freund übernachtet, aber es war vielleicht die letzte Kletterreise, die sie ohne ihn absolviert hatten, denn nächstes Mal wollten sie ihn mitnehmen. Sie hatten an der Kletterwand im Fitnessstudio bereits mit ihm geübt.

Zach würde nach dem Abendessen bei ihnen abgesetzt werden und Ben schaute jetzt nach Norden, in Richtung der Baumreihe, die das Anwesen begrenzte und überlegte, wie viel Zeit ihm noch für die letzte Aufgabe des Tages blieb. Denn Belle, ihre in die Jahre gekommene Labrador-Hündin, hatten sie bei ihren Nachbarn Frank und Allie untergebracht. Bei ihnen wurde sie stets überfüttert, durfte auf dem Sofa schlafen und wurde nicht mal angemeckert, wenn sie mit dreckigen Pfoten ins Haus kam und die Teppiche verschmutzte. Es war ein Wunder, dass sie danach überhaupt noch zurück zu Ben und Emma wollte, und vermutlich lag das auch nur daran, dass Zach ihr inoffizieller Hundebruder ohne Fell war.

Das Haus war groß und fühlte sich jetzt seltsam verlassen an. Emma hatte die Tür aufgeschlossen und die Taschen hineingeworfen.

»Holst du Belle ab? Schließlich wird sie die Erste sein, mit der Zach sich beschäftigt, wenn er wieder da ist … und nicht etwa mit uns!«

Er wusste, dass sie absolut recht hatte. »Tja, Kinder und ihre Hunde«, rief er nach drinnen, »die kommen immer an erster Stelle, Mama und Papa erst knapp auf Platz zwei.«

»Ich bereite in der Zeit auf jeden Fall schon mal etwas zu essen vor, bis du mit unserem vierbeinigen Fellknäuel zurückkommst.«

»Super.« Ben griff durch die offene Tür ans Schlüsselbrett und schnappte sich den Autoschlüssel. »Ich wünsche mir etwas, das sich auf Kaltes Tier reimt.«

»Altes Tier?« Sie lehnte sich in sein Blickfeld und grinste. »Kein Problem.«

Ben lachte und tänzelte die Stufen hinunter, dann machte er sich auf den Weg zur Garage.

Er startete den SUV, ließ den Motor einmal aufheulen und fuhr dann los. Die Grundstücke in der Gegend waren alle recht groß, von daher würde es bestimmt zwanzig Minuten dauern, zu Frank und Allie zu kommen, die eigentlich nur ein paar Meilen entfernt wohnten. Sie waren ein nettes Paar, etwas älter als Ben und Emma. Er war ein Ingenieur im Ruhestand und sie machte noch ein bisschen IT-Consulting. Ihre eigenen Kinder waren schon erwachsen und weggezogen, sodass das Haus inzwischen viel zu groß für sie war und sie etwas Langeweile hatten. Deswegen nahmen sie gerne jede Gelegenheit wahr, auf Belle oder Zach aufzupassen.

Ben fuhr die Einfahrt hinauf und folgte dem schmalen Weg zur Spitze des Hügels, wo ihr Bungalow stand. Komischerweise kam Belle nicht sofort auf ihn zu gerannt, als sie den Motor hörte, und auch nicht, als er aus dem Wagen stieg.

Er hielt inne und schaute sich um. Wahrscheinlich wird sie gerade wieder gefüttert, dachte er, denn nichts und niemand konnte Belle den Bauch von einem Snack abhalten.

Das Licht der Veranda ging nun an, die Vordertür öffnete sich quietschend und Frank trat mit einer Tasse Kaffee nach draußen und winkte.

»Hallo, Fremder!«

Ben lächelte und ging auf ihn zu. »Howdy, Frank! Schönen Abend.«

»Den habe ich«, antwortete Frank. »Kaffee? Bier?«

»Nein, danke«, antwortete Ben. Er schaute sich um und zog die Schultern hoch. »Wo ist denn das alte Mädel?«

Frank verzog das Gesicht. »Allie?«

Ben grinste. »Ja, klar.« Er ging die Stufen der Veranda hinauf und streckte ihm seine Hand entgegen, die Frank ergriff und schüttelte. »Willkommen zurück, Nachbar. Also, was kann ich denn nun wirklich für dich tun?« Er ließ Bens Hand los und wartete.

»Ähm, der Flohbeutel?« Ben wartete immer noch darauf, dass dieser merkwürdige Gag zu seiner Pointe gebracht werden würde. »Ihr müsst sie ja dieses Mal wirklich sehr verwöhnt haben, wenn sie sich überhaupt nicht rührt.«

Franks Mundwinkel wanderten weiter nach unten. »Ich verstehe nicht, was du meinst Kumpel.«

Ben mochte Frank, aber nach den Strapazen der Reise wollte er jetzt wirklich nur noch seinen Hund haben und nach Hause. »Belle, meinen Hund, kann ich sie jetzt bitte mitnehmen? Ich bin ein bisschen müde.«

»Dein was?« Frank trat ein Stück zurück, und in diesem Moment kam Allie an die Tür.

»Hallo Ben, willkommen zurück. Ist Emma auch da?« Sie schaute von einem der Männer zum anderen. »Alles in Ordnung bei euch?«

Ben nickte. »Ja, klar. Ich bin nur gekommen, um Belle abzuholen.«

»Belle? Wer ist Belle?«

Jetzt reichte es Ben. »Leute, der Witz zündet irgendwie nicht. Ich will wieder nach Hause. Danke, dass ihr auf sie aufgepasst habt, aber ich muss zurück sein, bevor Zach kommt.«

Franks Gesichtsausdruck wurde nun ernst. »Ich bin mir nicht sicher, was hier los ist, Ben, aber du redest verrücktes Zeug.«

»Belle!« Bens Verwirrung wandelte sich nun langsam zu Ärger. »Mein Hund.«

»Ben, hier gibt es niemanden namens Belle.« Franks Stimme klang nun ebenfalls gereizt und Ben spürte, wie sich das Klima des Gesprächs mehr und mehr wandelte. Er war sauer, aber ihm wurde auch klar, dass Frank keinen Spaß machte. »Mein Hund?«

»Was zur Hölle ist ein Hund?« Frank wandte sich an Allie: »Am besten, du gehst jetzt nach drinnen. Ich regle das schon.«

Allies Stirn lag in Falten, als sie Ben ein angedeutetes Lächeln zuwarf und dann im Haus verschwand, wobei sie die Tür hinter sich schloss.

Ben hatte das Gefühl, gerade in einer Folge von Twilight Zone mitzuspielen. »Mein Hund, Belle. Sie ist ein Labrador. Ihr habt auf sie aufgepasst.«

Frank kam einen Schritt nach vorn und legte seine Hand auf eine von Bens breiten Schultern. »Am besten, du fährst jetzt nach Hause. Ruh dich einfach mal ein bisschen aus.« Er führte Ben zu den Stufen. »Wir haben schon seit Monaten nicht mehr auf Zach aufgepasst, und garantiert nicht auf jemanden namens Belle.«

»Hör auf!« Ben zuckte zurück und drehte sich um. »Belle!«, rief er in Richtung des Hauses. Schnell ging er an Frank vorbei, der am Fuße der Treppe stehen blieb und ihm aufmerksam hinterherschaute.

»Belle!«, rief Ben erneut. Er legte seine Handflächen trichterförmig um den Mund: »Be-eeelle!« Aber es kam kein Hund angerannt.

Er pfiff so laut er konnte. Nichts. Das ergab doch alles keinen Sinn. Die Hündin war gut erzogen, und sobald sie Bens Stimme hörte, kam sie eigentlich sofort zu ihm gerannt.

Ben wirbelte herum. »Der Spaß ist aus, Frank. Wo ist mein gottverdammter Hund?«

Frank war fünfzehn Jahre älter und bestimmt zwanzig Kilo leichter, aber er baute sich jetzt vor Ben auf, so gut es ging. »Junge, ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Du machst meiner Frau Angst und ich bin inzwischen echt sauer. Fahr nach Hause und beruhige dich. Und zwar jetzt sofort.«

Ben ging ein paar Schritte, die Hände in die Hüften gestemmt, dann riss er die Arme in die Luft. »Scheiß drauf.« Er machte sich eigentlich am meisten Sorgen darüber, wie Zach darauf reagieren würde.

Er eilte zu seinem Wagen zurück, stieg ein, ließ den Motor an und rammte seinen Fuß aufs Gaspedal. Dreck und Kieselsteine wirbelten durch die Luft, als er das Auto drehte und auf das Tor zuraste.

Auf dem Weg nach Hause kreisten seine Gedanken wie wild umher. Er wusste, dass er Belle dort abgesetzt hatte. Er hatte gesehen, wie Frank ihr durch das Fell gestrichen hatte, und wie Allie ein Leckerli in das Maul des begeisterten Hundes hatte fallen lassen. Er wusste nicht, was für ein komisches Spiel sie spielten, aber er würde es herausfinden.

Wütend murmelte er auf der Fahrt vor sich hin. Wenn es sein müsste, würde er nachts mit einer Taschenlampe wiederkommen. Schließlich war er ein versierter Spurenleser und außerdem äußerst hartnäckig.

Zurück auf seinem Grundstück hielt er mit quietschenden Reifen vor dem Haus, stieß mit der Schulter die Autotür auf und joggte dann die Stufen hinauf, wobei er immer noch vor sich hin murmelte. Plötzlich kam ihm ein Gedanke und er blieb abrupt stehen. Vielleicht war Belle ja weggelaufen und es war ihnen zu peinlich gewesen, das zuzugeben. Ben drehte sich um und formte mit den Händen einen Trichter um seinen Mund.

»Belle!« Er wartete ein oder zwei Sekunden und schrie dann erneut: »Be-eeelle!«

Emma kam nach draußen und streckte ihm eine Flasche Bier entgegen. »Was ist denn los?«

Ben wandte sich ihr zu. »Das wüsste ich auch nur allzu gerne.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar, wobei er wieder dieses merkwürdige Kribbeln in seiner Magengrube spürte. »Irgendwas ist komisch.« Er seufzte. »Belle … du kennst Belle doch, oder?«

»Äh, ja?« Sie drückte ihm das Bier in die Hand. »Was ist denn mit ihr?« Sie legte die Stirn in Falten.

»Scheiße, ich weiß es nicht.« Er verzog das Gesicht. »Ich habe sie doch bei Frank und Allie abgesetzt, oder?«

»Natürlich hast du das.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Wo ist sie denn?«

»Sie haben gesagt, sie hätten sie nicht.« Ben schnaubte verächtlich. »Um genau zu sein, haben sie sogar gesagt, sie hätten noch nie im Leben von ihr gehört.« Obwohl er es nicht wollte, wurde seine Stimme immer lauter. »Sie haben außerdem gesagt, sie wüssten nicht, was ein gottverdammter Hund ist.«

»Das ist doch komplett irre, du musst dich verhört haben«, sagte sie.

»Nein, ich habe mehrfach nachgefragt – keine Belle, kein Hund.« Er blickte fragend in Richtung Himmel.

»Das ist doch Blödsinn, dann fahren wir eben noch mal zusammen zu ihnen.« Sie überlegte kurz. »Moment, ich hole schnell ein Foto von ihr.«

Sie nahm ihm das Bier wieder aus der Hand und verschwand im Haus. Ben wartete, wobei das ungute Gefühl in seinem Bauch sich immer weiter ausbreitete. Plötzlich fragte er sich, ob ihm jemand einen Streich spielen wollte, von dem alle wussten, bis auf ihn. Jetzt fehlte nur noch die Auflösung am Ende.

»Ben?«

Er eilte ins Haus und sah Emma am Kamin sitzen, die Arme auf den Sims gestützt. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Weg! Einfach weg!«

Ben trat an ihre Seite und schaute sich um. Auf dem Kaminsims standen die üblichen Gegenstände. Kleine Vasen, ein bunter Stein, den Zach mal gefunden hatte und ein paar Bilder in silbernen Rahmen. Es gab ein Foto von seiner Mutter, seinem Vater, Emmas Eltern, ein paar Aufnahmen vom Haus zu verschiedenen Jahreszeiten, und diverse Schnappschüsse von Zach. Doch das war alles. Insgesamt waren es acht Bilder, so wie immer. Ben neigte den Kopf nach vorn. Eines der Bilder war anders. Wie in Trance machte er mit steifen Gelenken einen Schritt nach vorn. Auf dem Foto sah er Zach nach einem Football-Spiel. Er grinste außer sich vor Freude, weil er den letzten, entscheidenden Touchdown geschafft hatte. Auf der einen Seite lag sein Helm auf dem Boden, und auf der anderen … nichts.

»Wo ist Belle?« Er hob den Bilderrahmen an. »Er hatte seine Hand doch auf ihrem Kopf, und sie saß genau da!« Er zeigte mit dem Finger auf den leeren Rasen.

Emmas Mund öffnete und schloss sich, doch es kamen keine Worte heraus. Sie schaute ihn einfach nur verwirrt an.

Ben hielt sich das Bild ganz nah vor das Gesicht und suchte nach Spuren einer Bildretusche. Das musste doch ein Trick sein. Langsam schüttelte er den Kopf.

»Was zur Hölle ist hier los?« Er schaute Emma an, die inzwischen ganz blass war. Plötzlich weiteten sich ihre Augen und dann rannte sie in die Küche. Er hörte, wie Schubladen und Schranktüren geöffnet und geschlossen wurden und alle möglichen Dinge herumklapperten. Ben folgte ihr.

»Es ist alles weg.« Sie schaute ihn an und hob die leeren Handflächen. »Ihre Fressnäpfe, ihr Futter, die Spielsachen – alles weg.« Emma schüttelte den Kopf. »Es ist so, als hätte sie nie existiert.«

»Genau wie Frank gesagt hat«, murmelte Ben. »Er hat gefragt: Was ist ein Hund?«

»Das kann doch nicht sein.« Emma nahm ihm das Bild aus der Hand und kniff die Augen zusammen.

Plötzlich spürte Ben einen schweren Verlust, als wäre sein Haustier gerade gestorben. »Aber sie hat doch gelebt.« Er schaute Emma hilflos an. »Was passiert gerade mit uns?« Dann lächelte er schwach. »Wenigstens siehst du es genauso.«

»Beziehungsweise sehe ich es genauso nicht.«

»Mom, Dad?«

Sie schaute Ben erschrocken an. »Zach ist da. Was sagen wir ihm denn jetzt bloß?«

Ihr Sohn kam in die Küche geschossen, dann wirbelte er noch einmal herum und rief zur Tür hinaus: »Bis bald, Tim! Danke, Mrs. Abernathy, tschüss!«

»Danke, Angie«, rief auch Ben und hörte die Mutter von Zachs Freund einen Gruß durch die immer noch offene Tür erwidern, dann schloss sie diese von außen.

Zach grinste sie freudestrahlend an, seine halblangen, schwarzen Haare hingen ihm in die grünen Augen. Er schoss nach vorne, um Emma zu küssen und Ben zu umarmen. Er bemerkte gar nicht, wie mitgenommen sie waren, und eilte zur Speisekammer, um sich einen Keks zu holen. Dann kam er zurück und lächelte sie kauend an, bis er bemerkte, dass etwas nicht stimmte und innehielt.

»Was ist denn los?«

Ben schaute kurz zu Emma. Beide warteten darauf, dass der andere etwas sagte, doch Ben wusste, dass es sich nur noch um Sekunden handeln konnte, bis Zach nach seinem Lieblingstier fragte, also ergriff er das Wort.

»Zach, wir glauben, dass Belle vielleicht weggelaufen ist.«

Zach legte die Stirn in Falten. »Wer?«

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