Читать книгу PRIMORDIA 3 - RE-EVOLUTION - Greig Beck - Страница 19
Kapitel 12
Оглавление»Deswegen nennen wir es ein Zeit-Paradoxon«
Emma lehnte sich nach vorn. »Helen, du hast gesagt, dass wir etwas in der Vergangenheit gemacht haben, und wir damit die Regeln gebrochen haben … was soll das heißen?«
»Manche nennen es den Schmetterlingseffekt«, erklärte Helen.
»Du meinst, dass ein einziger Flügelschlag eines Schmetterlings eine Kettenreaktion auslösen kann, die zum Beispiel in einem Hurrikan endet?«, fragte Emma. »Meinst du diese komische Theorie?«
»Das kann man zwar so sagen, aber es steckt in Wirklichkeit eine mathematische Grundlage dahinter«, sagte Helen. »Sie kommt aus der Chaostheorie und wurde für Wettermodelle eingesetzt, um die Richtung von Tornados analysieren zu können. Man kann sie auf alles anwenden, das sich von einer Minute auf die nächste ändern kann, und dazu gehört natürlich auch die Zeit.«
Helen lehnte sich nach vorn und schnappte sich ihre Kaffeetasse, nahm einen Schluck und ließ ihre Hand wieder sinken, wobei sie allerdings weiter in das tiefschwarze Gebräu starrte. »Ich habe bereits einige Nachforschungen angestellt, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass etwas passiert ist.« Sie stellte die Tasse auf den Tisch.
»Es gibt viele Theorien, wie den Großvater-Effekt, Vorherbestimmung, Zeitschleifen und den sogenannten Femi-Effekt. Im Grunde genommen widersprechen sich einige dieser Theorien, und manche sagen sogar aus, dass es vollkommen egal ist, was jemand in der Vergangenheit macht, da es keine Auswirkungen auf die Zukunft hat. Andere sagen, man kann überhaupt nichts in der Vergangenheit ändern, dazu gehört zum Beispiel der Großvater-Effekt.«
»Man kann zum Beispiel nicht in der Zeit zurückreisen und seinen eigenen Opa töten«, sagte Drake, »denn wenn du das machen würdest, hättest du nie existiert und könntest ihn deswegen nicht töten, stimmt's?«
»Genau. Eine andere Theorie, die die Absurdität des Ganzen deutlich macht, ist die Unmöglichkeitsschleife.« Sie legte eine Hand auf Drakes Unterarm. »Sagen wir mal, eine alte Frau gibt einem jungen Mann eine Uhr. Er reist in der Zeit zurück und gibt der alten Frau, die dann noch ein junges Mädchen ist, die Uhr. Das Mädchen wird alt und gibt die Uhr irgendwann dem Mann. Aber wo ist die Uhr dann ursprünglich hergekommen?«
»Davon kriege ich ja jetzt schon Kopfschmerzen«, sagte Drake.
»Deswegen nennt man es ein Zeit-Paradoxon«, erwiderte Helen lächelnd. »Aber eines ist sicher: Irgendwas, das wir gemacht haben, oder das Andy vielleicht gemacht hat, hat unsere Version der Zeit verändert, und jetzt haben wir den Salat.«
»Es ist so, wie eine Reihe Dominosteine, die in der Vergangenheit angestoßen werden und nun bei uns ankommen.«
»Genau. Der erste Dominostein kann noch winzig klein gewesen sein, doch er kann einen etwas Größeren umstoßen und so weiter, bis wir schließlich bei riesigen Veränderungen landen.«
Drake legte die Stirn in Falten. »Okay, aber sagen wir mal, man tötet vor Hundert Millionen Jahren ein paar Tiere, fällt einen Baum oder isst ein paar Beeren und Nüsse. Wo ist das Problem? Ist ja nicht so, dass das dann die letzten ihrer Art sind.«
»Verstehst du es wirklich nicht?«, fragte Ben seufzend. »Das ist doch genau das Ding. Vielleicht vernichtest du genau die eine Pflanze, die ihrerseits eine Kettenreaktion begonnen hätte.«
Helen legte die Hände zusammen. »Genau so funktioniert der Domino-Effekt. Stell dir mal vor, du gehst hunderttausend Jahre zurück und isst eine Beere. Wenn du das nicht gemacht hättest, hätte vielleicht ein Käfer diese Beere gegessen und das hätte ihn vor dem Verhungern gerettet. Dann hätte diesen Käfer später ein Vogel gegessen, der ohne diese Mahlzeit keine Eier in diesem Jahr hätte legen können, und diese Eier hätten eine ganze Familie von Urmenschen ernährt.« Sie rieb sich die Stirn und fuhr fort. »Die Familie hungert daraufhin und bekommt in diesem Jahr kein Kind, dabei wäre dieses Kind ein großartiger Anführer geworden und hätte einen Stamm gegründet, der nun niemals existieren wird. Das könnte die gesamte Welt verändern.«
Ben strich sich durch die Haare. »Und jetzt multipliziere das mit Tausend, indem du hundert Millionen Jahre zurückgehst.«
»Genau«, sagte Helen leise. »Selbst durch winzige Eingriffe können gesamte Spezies aussterben und eine andere nimmt ihre Rolle ein. Daraufhin kann eine komplett alternative Zukunft entstehen.«
»Um Himmels willen«, flüsterte Drake und stand auf. Er überlegte. »Aber warum passiert das gerade jetzt? Es ist doch nichts von alldem passiert, als Ben dort war.«
Einen Moment lang schwiegen alle und hingen ihren eigenen Gedanken nach.
»Vielleicht … äh …« Ben zog die Schultern hoch. »Vielleicht hat es etwas mit Schlüsselmomenten zu tun. Vielleicht waren die Dinge, mit denen ich interagiert habe, alle nicht wichtig … also kein Schlüssel für unseren Zeitstrahl.«
»Anders kann ich es mir auch nicht erklären«, stimmte ihm Helen zu. »Manche Spezies, und bestimmte Tiere, sind entscheidend für unsere Zeitebene. Vielleicht hat man tausendmal Glück, oder auch hunderttausendmal, aber dann isst du die eine Beere oder tötest den einen Vogel, der wirklich wichtig gewesen wäre.« Sie schaute auf. »Der ein Schlüsselmoment in unserer Geschichte gewesen wäre.«
»Na toll«, presste Drake hervor. »Okay, ich habe aber noch eine Frage. Warum betreffen uns diese Veränderungen hier in den USA, wenn wir doch in Südamerika waren?«
»Das sind auf jeden Fall globale Effekte«, erklärte Helen. »Mal abgesehen von der Verschiebung der Kontinentalplatten, waren die Meeresspiegel in den vergangenen hundert Millionen Jahren viel niedriger. Es gab Landverbindungen zwischen Afrika, Asien, Europa und uns. Tiere und Pflanzen konnten sich daher hin- und herbewegen.«
»Wir müssen uns wahrscheinlich einfach an die Veränderungen gewöhnen«, meinte Emma. »Vielleicht ändert sich ja auch einiges zum Guten. Vielleicht werden wir Menschen weniger kriegerisch, vielleicht wird es weniger Krankheiten geben, bessere Nahrung … wir müssen einfach abwarten und schauen.«
Helens Augen wurden glasig. »Oder wir hören vielleicht einfach auf, zu existieren.« Sie lächelte Emma müde an. »Eine neue Krankheit könnte entstehen, oder ein neues Raubtier. Oder vielleicht entscheiden wir uns, niemals unsere Bäume zu verlassen.«
»Wir könnten auch komplett verschwinden«, warf Drake ein. »Unsere menschliche Rasse könnte sich vor unseren Augen auflösen. Eine Person nach der anderen.«
»Dann sind wir vielleicht die einzigen Menschen auf der Welt, denen das auffällt«, sagte Ben missmutig. Erneut spürte er, wie ein Kribbeln durch seinen Körper lief und verzog das Gesicht. Er sah, wie Drake und Helen sich ansahen, und Emma legte ihm eine Hand auf die Schulter, bevor alles für eine Sekunde dunkel wurde.
»Oh Gott, schon wieder!« Emmas Griff wurde fester, sodass es Ben beinahe wehtat.
»Ja, ich habe es auch gespürt.« Drake richtete sich auf. »Was ist denn dieses Mal passiert? Was ist verschwunden, oder was ist dazu gekommen?«
Emma sah Ben an und er schaute zurück … sie dachten offenbar an das Gleiche. Sofort sprang Emma auf und rannte zur Treppe.
»Zach?« Sie nahm drei Stufen auf einmal »Zach?«
Ben stand auf, starrte in Richtung der Treppe und merkte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er schickte ein stummes Gebet zum Himmel.
»Was denn?«, erklang jetzt eine gedämpfte Antwort aus dem Kinderzimmer. Ben atmete aus und bemerkte erst jetzt, dass er unwillkürlich die Luft angehalten hatte. Langsam setzte er sich wieder hin.
»Die menschliche Spezies ist ein Frosch, der im Kochtopf sitzt, und das Wasser wird immer heißer«, sagte Helen gerade. »Aber genau wie der Frosch bemerkt sie gar nicht, wenn die Temperatur um ein paar wenige Grad steigt.«
»Aber was ist schlimmer?«, fragte Drake. »Es gar nicht zu bemerken, dass die Welt immer gefährlicher wird, und ein Mensch nach dem anderen ausgeknipst wird? Oder so wie wir zu sein, und es aus irgendeinem Grund mitzukriegen, was sich alles verändert?«
»Für uns ist es auf jeden Fall am gefährlichsten«, erwiderte Helen, »denn wir wissen ja nicht mal, was sich genau verändert. Denk mal an den Kronosaurier.«
Drake nickte. »Oh ja, und ich habe dir noch nicht mal von den vogelfressenden Riesenquallen erzählt.«
Emma kam mit einem erleichterten Gesichtsausdruck die Treppe herunter. Sie setzte sich neben Ben und verschränkte ihre Hände mit seinen.
»Was machen wir denn jetzt?«
»Wir können gar nichts machen«, sagte Ben.
»Bist du dir sicher?«, fragte Drake. »Klar, heutzutage können wir nichts machen … aber es ist ziemlich genau neun Jahre und acht Monate her, dass wir auf diesem verdammten Plateau waren.«
»Das bedeutet«, stieg Ben ein, »Primordia kehrt in vier Monaten wieder zurück, und dann ist das Portal auch wieder geöffnet.«
»Die Tür in die Vergangenheit, mit deren Hilfe wir verhindern können, dass sich noch mehr verändert.« Drake lehnte sich zurück.
»Nein«, sagte Emma nachdrücklich. »Auf keinen Fall. Wir sind letztes Mal nur um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen. Das machen wir bestimmt nicht noch einmal. Warum sollten wir auch?«
»Wegen Andy«, antwortete Helen. »Was immer er dort auch anstellt, er darf nicht damit weitermachen.«
»Nein«, wiederholte Emma, dieses Mal noch nachdrücklicher. »Da mache ich nicht mit.«
»Ich gebe dir recht«, sagte Ben. »Du bleibst hier.« Er holte tief Luft. »Aber es macht mir genauso eine Höllenangst, gar nichts zu unternehmen, denn damit wird die Welt für unseren Sohn immer gefährlicher. Deshalb muss ich gehen, um dieser Sache ein Ende zu bereiten … was auch immer diese Sache überhaupt ist.« Er lächelte, doch in seinen Augen spiegelte sich nicht einmal ein Funken Freude wider. »Abgesehen davon ist das ja quasi schon mein zweites Zuhause, nicht wahr?«
Drake stöhnte. »Es war meine Idee, also wenn du Schützenhilfe brauchst …« Er presste seine Augenlider zusammen und betete. Sag Nein, sag Nein, sag Nein.
»Danke, Kumpel«, sagte Ben und lehnte sich nach vorne, um ihm auf die Schulter zu klopfen. Drake öffnete die Augen, hielt ihm eine Faust entgegen und Ben schlug dagegen. »Abgemacht.«
Ben schaute Drake ernst an. »Wir holen Andy zurück, oder zumindest halten wir ihn davon ab, weiterzumachen mit dem, was er tut.«
»Hey!« Helens Augen blitzten auf. »Was soll das denn heißen? Was habt ihr vor?«
Die beiden Männer tauschten einen weiteren Blick aus, denn sie wussten beide ganz genau, was das heißen sollte. Ben räusperte sich. »Wir überzeugen ihn, mitzukommen. Selbst, wenn wir ihn dafür fesseln und nach Hause schleifen müssen.«
»Wirklich?« Helens Augen verengten sich. »Das glaube ich euch nicht.«
»Tja, dann komm doch einfach mit.« Drake hob angriffslustig sein Kinn.
»Ernsthaft?« Helen verzog das Gesicht. »Willst du damit unsere Beziehung wieder aufflammen lassen? Indem du mich in eine prähistorische Welt mitnimmst, wo alles nur darauf aus ist, mir die Eingeweide rauszureißen? Oh, und dann hast du auch noch angedeutet, meinem Bruder etwas antun zu wollen.«
Drake grinste. »Scheint so, als wären meine Kenntnisse im Flirten etwas eingerostet.«
Helen starrte ihn einen Moment lang böse an, doch dann musste sie lachen. Ben und Emma fielen mit ein.
»Du Arsch.« Helen wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Okay, ich bin mit dabei, aber nur, weil ich weiß, dass dann die Chance größer ist, dass er mit zurückkommt.«
»Okay …« Drake hob die Augenbrauen. »Sicher? Eigentlich hatte ich das gar nicht ernst gemeint.«
Helen zuckte mit den Schultern. »Ohne mich wärst du dort doch schon nach einer Minute tot. Außerdem habe ich mir überlegt, wenn wir nichts unternehmen, wird unsere Welt, oder sagen wir mal, unsere Zeitebene, bestimmt ebenso tödlich werden wie die späte Kreidezeit.«
Emma lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie schüttelte den Kopf und ihre Augen wurden feucht. »Sorry, ich kann das nicht.«
Ben rutschte näher an sie heran und legte seine Arme um sie. »Ich weiß, und das ist auch vollkommen in Ordnung. Du musst dich um Zach kümmern. Du musst seine Gegenwart sichern und ich seine Zukunft, und dazu muss ich nun mal leider in die Vergangenheit.«
Emma nickte, doch dann hielt sie inne. »Vielleicht kommt Andy ja von selbst zurück, wenn sich das Portal öffnet.«
»Vielleicht. Eventuell kommen ja auch gar keine weiteren Veränderungen mehr«, entgegnete Drake.
»Nein, er wird nicht von selbst zurückkommen«, sagte Helen. »Aber ich wette, seine wissenschaftliche Neugier wird ihn zu dem Plateau zurückführen, um die Öffnung des Portals zu beobachten. Dem wird er bestimmt nicht widerstehen können.«
Ben nickte. »Er wird dort sein, und wir auch. Wir schnappen ihn uns und dann hauen wir ab.«
»Ich organisiere ein paar Gerätschaften«, sagte Drake. »Dieses Mal werde ich auch sichergehen, dass sie genug Durchschlagskraft haben.«
»Um Himmels willen, Jungs.« Emma schüttelte den Kopf. »Vergesst ihr dabei nicht etwas?«
Sie warteten ab, während Emma verächtlich schnaubte. »Ben, du warst dreißig Jahre alt, als du zum ersten Mal da rein bist. Jetzt bist du fünfzig. Ich weiß, dass ihr viel trainiert und fit seid, aber wenn du eines weißt, dann doch, dass das Überleben auf dem Plateau die härteste Herausforderung ist, die die Welt zu bieten hat.«
Ben lehnte sich zurück. »Ich habe ja auch nicht vor, mich lange dort aufzuhalten. Das können wir uns auch gar nicht erlauben.«
»Also brauchen wir Hilfe.« Drake rieb sich das stoppelige Kinn, was ein raues Geräusch erzeugte. Schließlich nickte er. »Ich kenne ein paar Leute, die können uns mit Muskeln und Feuerkraft aushelfen, aber das wird nicht billig werden.«
»Keine gute Idee«, erwiderte Helen. »Wisst ihr noch, was letztes Mal passiert ist? Niemand glaubt uns doch diese Geschichte mit dem Portal in die Urzeit, und deshalb kann sich auch niemand richtig darauf vorbereiten.« Sie wandte sich jetzt an Drake. »Oder hast du Emma damals etwa wirklich geglaubt, als sie dir das Ganze erzählt hat?«
»Nein«, gab Drake zu. »Selbst jetzt kann ich es immer noch kaum glauben. Obwohl, die letzten paar Tage haben die Erinnerungen dann doch ziemlich aufgefrischt.«
Ben rieb sich die Stirn. »Ich denke, wir haben keine andere Wahl. Es geht schließlich um den Fortbestand der Menschheit, auch wenn das außer uns offenbar niemand weiß.« Er wandte sich an Helen. »Sorry, aber was wir hier vorhaben, ist wichtiger als unser Überleben oder das Überleben anderer Leute, die aus freien Stücken mitkommen.«
Ben lächelte Emma schief an. »Ich weiß, du verstehst das. Unterm Strich ist es doch so: Selbst, wenn wir nicht zurückgehen, holt die Vergangenheit uns irgendwann sowieso ein. Sie ist hinter Zach her, und hinter allen anderen Kindern.«
Emma schien daraufhin dahinzuschmelzen und nahm seine Hand. »Stimmt, es tut mir leid. Bringt Andy zurück, rettet unsere Welt und auch die Zukunft.« Sie hob das Kinn. »Aber lasst mir eine verdammt große Knarre hier.«