Читать книгу Märchen - Группа авторов - Страница 16
1.4 Undine (Friedrich de la Motte Fouqué, 1811)
ОглавлениеMit Friedrich de la Motte Fouqués Undine (1811) rückt ein etwa zehn Jahre später entstandenes, in diesem Fall unbestrittenes »Kunstmärchen« in das Blickfeld. Fouqué adaptierte darin Motive aus einer Schrift von Paracelsus über die Elementargeister (Liber de Nymphis, Sylphis, Pygmaeis et Salamandris, et de caeteris spiritibus) von 1591. Im Zentrum der Handlung steht die titelgebende Protagonistin, die dem Wasserreich entstammt und zunächst als launisch-eigensinniges Mädchen eingeführt wird, das einem Fischerpaar als Kind zugelaufen war. Ähnlich wie in Tiecks Der blonde Eckbert entsteht auch zu Beginn dieses Novellenmärchens eine Erzählsituation, die durch den späten Besuch eines Gastes – in diesem Fall ein dem »magischen« Wald entflohener Ritter namens Huldbrand – hervorgerufen wird. Um den nächtlichen Gast zu unterhalten und von der Exzentrik Undines genervt, erzählt der Fischer davon, wie das Mädchen zu ihm gekommen war (Zweites Kapitel). Die Intradiegese erklärt Undines Herkunft zwar nicht gänzlich, enthält aber erste Hinweise auf deren enge Verbundenheit mit dem Wasser. Zudem erzeugt der offenbar unmittelbar aufeinanderfolgende Tod der Fischertochter und das Zulaufen des Mädchens vom Wasser her eine Spannung, die bereits auf den »Kardinalpunkt im problematischen Verhältnis zwischen Mensch und Elementargeist« (Mayer/Tismar 2003, S. 74) hindeutet: die Seele. Dass Undine nur durch die geschlechtliche Verbindung mit einem Mann zum Menschen werden kann, dieses Dasein aber zudem an die eheliche Treue des Gatten gebunden bleibt, markiert den tragischen Knoten der Handlung.
Mit weiteren erzählerischen Einschüben, die zunächst vom Ritter selbst, dann von Undines Perspektive aus erfolgen, wird die Verflochtenheit der Erzählebenen noch gesteigert. Hinzu tritt eine Person, welche die literarisch typische Konstellation eines zwischen zwei Frauen stehenden Mannes noch verschärft. Huldbrands Verhalten entspricht denn auch der erwartbaren, aber den Entwicklungsprozess Undines unterminierenden Reaktion. Hatte sich diese auf der Burg des Ritters zu einer »liebende[n], leidende[n] Frau« entwickelt, versichert sich Huldbrand im Stillen wiederholt seines Selbstmitleids: »Das kommt davon, wenn gleich sich nicht zu gleich gesellt, wenn Mensch und Meerfräulein ein wunderliches Bündnis schließen.« (Fouqué 1979, S. 619) Dass sich diese Beteuerung zu einer Art self- fulfilling prophecy entwickelt, täuscht nicht darüber hinweg, dass die Sphärentrennung von Erden- und Wassermenschen letztlich fiktional transzendiert wird durch den schicksalhaften Einbruch des Wunderbaren in die Handlungswirklichkeit. Ob der Sieg, den die metaphysische Nemesis dabei davonträgt, als romantisches Aufbäumen vor dem (poetischen) Realismus interpretiert werden kann oder ihm vielmehr eine eigene literarische Tiefendimension zugesprochen werden muss, hängt nicht zuletzt davon ab, welcher Perspektive – der literaturgeschichtlichen oder der rezeptionsästhetischen – man den Vorzug geben möchte. Von Tiecks Kunstmärchen hebt sich Fouqués Undine durch das hochkomplexe Hintereinanderschalten von mehreren Binnenerzählungen ab, die alle Hauptcharaktere (Fischer, Ritter Huldbrand, Undine) zu Wort kommen lassen und ihre jeweiligen Perspektiven und Erfahrungen mit metaphysischen, »verwunderlichen Schatten« (Fouqué 1979, S.566) und Mächten wiedergeben. Die Lektüre dieses virtuosen Textes bei hochgradiger, allegorischer Verdichtung bleibt dennoch spannungsreich, da ihn Fouqué in insgesamt neunzehn Kapitel gliedert, die jeweils einen Zwischentitel enthalten – und den LeserInnen sowohl Orientierung verschaffen als auch das Interesse am Fortgang der Handlung erhalten.