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Stefan Neuhaus Über die allmähliche Verfertigung der Märchen beim Erzählen Zur Entstehung der Gattung bei den Brüdern Grimm und E.T.A. Hoffmann
ОглавлениеDie Gattung Märchen entsteht mit den Kinder- und Hausmärchen (1812/15) der Brüder Grimm und den Märchenerzählungen E.T.A. Hoffmanns. Im Rahmen einer »Archäologie« (vgl. Foucault 1981) lässt sich der Prozess der Naturalisierung der Gattung nachvollziehen. Die Kinderund Hausmärchen als prototypische »Volksmärchen« werden als Beitrag zum national-kulturellen Diskurs lesbar. Der politische Kontext der Zeit wirkte auf die Entstehung der Texte massiv ein, ohne dass die von Wilhelm Grimm stark schematisierten Texte selbst diese Spuren auf den ersten Blick zeigen. E.T.A. Hoffmann verwendet in Der goldne Topf von 1814 zum ersten Mal konsequent einen Dualismus von fiktionaler Realität und Wunderwelt, auch dieses Konzept wird gattungsbildend: für das sogenannte Kunst- oder Wirklichkeitsmärchen.
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Das abgewandelte Zitat im Titel (Heinrich von Kleist Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, entstanden vermutlich 1805/06, Erstdruck von 1878) soll auf den Konstruktionscharakter nicht nur aller Gedanken, sondern auch aller Gattungen hinweisen. Am Beispiel der Gattung Märchen soll versucht werden zu zeigen, wie sehr unser »kulturelles Gedächtnis« (vgl. Assmann 2002) von Konzepten geprägt ist, die vergleichsweise jung sind. Generell gilt, »[…] daß die Wahrnehmung, die Einspeicherung und der Aufruf von Erinnerungen kulturellen Schemata folgt« (Welzer 2005, S. 160). Der Prozess der Naturalisierung des Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenen kulturellen Schemas oder Konzepts »Märchen« soll im Rahmen des gegebenen Umfangs eines solchen Beitrags nachvollzogen werden. Auch wenn es, mit Michel Foucault gesprochen, kein Außerhalb des Diskurses gibt (vgl. Foucault 2000, S. 25), so können doch im Rahmen einer (von ihm so benannten) »Archäologie« (Foucault 1981) die Voraussetzungen des Diskurses offen gelegt werden, um zu einer größeren Freiheit im Umgang mit den Gegenständen zu gelangen.