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2 Definition und Klassifikation Hans-Christoph Steinhausen
ОглавлениеDie für ADHS charakteristischen Kernmerkmale der Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung und Impulsivität stellen zwar keine Krankheitseinheit dar, können andererseits aber gemäß dem nosologischen Denken der Medizin aufgrund ihrer Verknüpfung als psychiatrisches Syndrom betrachtet werden. Entsprechend hat sich in der psychiatrischen Klassifikation des Störungsbildes eine Reihe von Bezeichnungen herausgebildet, von denen der Begriff des »Hyperkinetischen Syndroms« mit der ICD-9 international über lange Zeit große Verbreitung gefunden hat. Mit dem Erscheinen der ICD-10 ist er durch die Bezeichnung »Hyperkinetische Störungen« ersetzt worden. In Nordamerika wurde unter dem Einfluss der Diagnostic and Statistical Manuals (DSM), dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (APA), seit den 1980er Jahren der Begriff der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) etabliert.
Dieser stärker an den Verhaltensmerkmalen orientierte Begriff hat sich international in der Zwischenzeit trotz der für die Krankenversicherer noch verbindlichen Klassifikation nach der ICD-10 stärker durchgesetzt als die in diesem System enthaltenen Bezeichnung der Hyperkinetischen Störung (HKS). Tatsächlich wird mit ADHS die verhaltensorientierte Definition der Störung besser zum Ausdruck gebracht, während die Hyperkinetische Störung eigentlich eine spezielle neurologische Bewegungsstörung impliziert. In Wirklichkeit liegt bei den betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aber eine allgemein erhöhte Unruhe vor. Mit der ICD-11 ist die Bezeichnung sinnvollerweise in Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung geändert worden.
Kasten 2.1: Forschungskriterien für hyperkinetische Störungen gemäß ICD-10
G1. Unaufmerksamkeit: Mindestens sechs Monate lang mindestens sechs der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder:
1. sind unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten
2. sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrechtzuerhalten
3. hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird
4. können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen oppositionellem Verhalten oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden)
5. sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren
6. vermeiden ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die häufig geistiges Durchhaltevermögen erfordern
7. verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z. B. für Schularbeiten, Bleistifte, Bücher, Spielsachen und Werkzeuge
8. werden häufig von externen Stimuli abgelenkt
9. sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich.
G2. Überaktivität: Mindestens sechs Monate lang mindestens drei der folgenden Symptome von Überaktivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder:
1. fuchteln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen
2. verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird
3. laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend
4. ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen entspricht dem nur ein Unruhegefühl)
5. sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei leisen Freizeitbeschäftigungen
6. zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontakt oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind.
G3. lmpulsivität: Mindestens sechs Monate lang mindestens eines der folgenden Symptome von Impulsivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder:
1. platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist
2. können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen
3. unterbrechen und stören andere häufig (z. B. mischen sie sich ins Gespräch oder Spiel
4. anderer ein)
5. reden häufig exzessiv ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren.
G4. Beginn der Störung vor dem siebten Lebensjahr
G5. Sitautionsunabhängigkeit: Die Kriterien sollten in mehr als einer Situation erfüllt sein z. B. sollte die Kombination von Unaufmerksamkeit und Überaktivität sowohl zuhause als auch in der Schule bestehen oder in der Schule und an einem anderen Ort, wo die Kinder beobachtet werden können z. B. in der Klinik. (Der Nachweis situationsübergreifender Symptome erfordert normalerweise Informationen aus mehr als einer Quelle. Elternberichte über das Verhalten im Klassenraum sind z. B. meist unzureichend.)
G6. Die Symptome von G1. – G3. verursachen deutliches Leiden oder Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit.
G7. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für eine tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84), eine manische Episode (F30), eine depressive Episode (F32) oder eine Angststörung (F41).