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A 1.3 Zum Status des Zeiterlebens: seine zeitliche Relativität
ОглавлениеFragen wir nach dem Erleben von … Zeit, dem Zeiterleben, so tritt eine Eigentümlichkeit zutage: Die Zeit, die wir erleben, kommt uns in unserem Erleben, anders z. B. als der Raum, immer schon zuvor (vgl. Theunissen 1991, S. 43 f.). Denn es gibt im Erleben von … Zeit eine diesem Erleben selbst nicht zugängliche Zeit … des Erlebens, und zwar im doppelten Sinne: einmal im Sinne des Geschehens des Zeiterlebens als eines epistemischen Vorgangs, der in einem Zeitfenster bzw. nach einem spezifischen Zeitmuster verläuft, und sodann auch in dem einer Geschichte des Zeiterlebens, in die jeder besondere Akt dieses Erlebens immer schon integriert ist.
Das heißt, für die vorliegende Darstellung ist nicht nur die Zeit ein Phänomen – sie ist je schon erlebte Zeit –, sondern auch ihr Erleben ist ein Phänomen – es ist je schon zeitliches Erleben. Denn es gibt kein Zeiterleben, das nicht selbst bereits durch das (zeitliche) Geschehen und die (zeitliche) Geschichte des Zeiterlebens bestimmt wäre. Insofern müssen wir aber auch zwischen zwei Formen der Zeitanalyse unterscheiden: derjenigen, die sich entweder dem Geschehen oder der Geschichte des Zeiterlebens, und derjenigen, die sich dem Zeiterleben als solchem, das heißt dem Erleben von … Zeit selbst zuwendet.
Im ersten Fall handelt es sich um eine wissenschaftliche Analyseform: um eine psychologische oder neurowissenschaftliche bzw. chronobiologische, wenn es um das Geschehen des Zeiterlebens (vgl. Pöppel 1989; Brukamp 2009), und um eine geschichts- bzw. kulturwissenschaftliche, wenn es um die Geschichte des Zeiterlebens geht (vgl. Dux 1992; Kaempfer 1991, 1996). Beide sind durch das Problem der Zirkularität belastet. Jede wissenschaftliche Analyse setzt nämlich bereits ein bestimmtes, geschichtlich konstituiertes Erleben von … Zeit voraus: im Falle der Psychologie oder der Neurowissenschaften das wissenschaftlich »objektive« Zeiterleben und im Falle der Geschichtswissenschaften die in diesem Erleben fundierte Vorstellung einer geschichtlichen Zeit.
Im zweiten Fall handelt es sich um eine philosophische Analyseform: Sie wendet sich dem Zeiterleben im vollen Bewusstsein der genannten Zirkularität zu. Das philosophische Denken weiß, dass es nur mit dem Phänomen, nur mit dem Für-sich, nicht mit dem An-sich der Zeit zu tun hat: dass ihm die Zeit »objektiv«, als natürliche und geschichtliche, je schon zuvorgekommen ist. Aber es reflektiert dieses Zuvorkommen, das heißt, es ist selbst nicht wissenschaftliche Analyse von Geschehen und Geschichte des Zeiterlebens, aber es anerkennt deren Zeit-Modus: als den einer im Erleben von … Zeit selbst nicht erlebbaren Zeit, die dieses Erleben gleichwohl bestimmt (vgl. Theunissen 2001; Kupke 2011).