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A 1.4 Das objektive Was im Erleben von … Zeit: Fluss und Struktur der Zeit A 1.4.1 Zur Idee der Zeit als Fluss: kontinuierliches Übergehen
ОглавлениеDas Erleben von … Zeit von der Zeit selbst her zu denken heißt – versuchsweise –, die Unmittelbarkeit zu rekonstruieren, in der sich die Zeit dem Erlebenden oder vielmehr im Erleben zeigt, d. h. eine egozentrische Denkperspektive einzunehmen. Aus dieser Perspektive erscheint dem Subjekt die Zeit als ein reines, qualitätsloses Übergehen von Einem zu einem immer wieder Anderen, d. h. als Übergehen nicht zu etwas Besonderem, sondern überhaupt zu Anderem: als abstrakte Form von Veränderung. Der russisch-französische Psychiater Minkowski spricht in diesem Zusammenhang unter Rückgriff auf die Zeittheorie Bergsons von Werden (vgl. Minkowski 1933, S. 26 ff.).
Greift man hier auf den etymologischen Sinn des philosophischen Fachausdrucks »transzendieren« zurück, der wörtlich nichts anderes meint als »übersteigen«, »übergehen«, kann dieses Werden auch als Transzendenz begriffen werden, allerdings als triviale Transzendenz des Seins (das als Zeit verstanden wird) im Unterschied zur gravialen, d. h. ethisch-existenziellen oder theologischen Transzendenz eines Jenseits des Seins. Transzendenz ist in diesem Sinne das Kennzeichen jeden Erlebens; d. h. dieses ist, weil es Zeiterleben ist, über das Erlebte je schon hinaus, hat es je schon transzendiert.
Diese Transzendenz, dieses Übergehen hat als solches zwei allozentrische Kennzeichen: Kontinuität, also auch Dauer, sowie Richtung. Es erschöpft sich nicht in dem, zu dem es übergeht; es ist Übergang ohne Unterbrechung oder Ende: unendliches, dauerndes Übergehen. Und es besitzt als solches eine Richtung (vgl. Minkowski 1933, S. 26 und S. 45 ff.). Denn es ist nicht Übergang von Einem zum Anderen und von diesem zurück zum Einen, sondern reines lineares Fortschreiten zu immer wieder Anderem, das als Späteres durch den Übergang vom Früheren, vom immer wieder Einen, dauernd abgetrennt wird.
Der Philosoph McTaggart hat die durch diesen linearen Trennungsprozess entstehende Reihe als »B-Reihe« klassifiziert und ihre Elemente folgendermaßen gekennzeichnet: Jede Position in der Zeit sei früher als einige und später als einige der anderen Positionen. Dabei sei ihre Unterscheidung permanent: Wenn eine Position jemals früher sei als eine andere, dann sei sie immer früher als diese andere (vgl. McTaggart 1908, S. 67). Das heißt, Eines und ein Anderes werden im Übergehen nicht nur linear positioniert, sondern auch fixiert. Man kann, wie es Heraklit sagte, nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Die Zeit ist dieser Fluss: kontinuierliches, stetiges Übergehen in eine Richtung.