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A 1.6.2 Die Übernahme des Todes durch die Anderen: existenzielle und soziale Verantwortung

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Wenn aber der Tod das der erlebbaren Zeit gegenüber ganz Andere ist, wie kommt dann die Gewissheit des Todes zustande? Das einzelne Subjekt kann sich ja des Todes nicht selbst versichern, in keinem Erleben und deshalb auch in keinem Vorlaufen, Erwarten oder Antizipieren. Es kann sich des Todes nur durch andere Subjekte versichern. Oder anders gesagt: Der Tod ist immer der Tod der Anderen. Es sind die Anderen, die verstorben sind, aber es sind auch die Anderen, die immer wieder Anderen, die zurückbleiben und weiterleben. Die scheinbar absolute Grenze des Todes ist in ihnen immer wieder aufs Neue aufgeschoben. Sie, die Anderen, sind, buchstäblich, der Aufschub des Todes.

Das aber bedeutet: Der Tod ist kein subjektives Ereignis – als subjektives ist er vielmehr ein am Ende unaufschiebbares Nicht-Ereignis –, sondern ein intersubjektives: ein zwischen den Subjekten aufschiebbares Ereignis. In ihm, diesem intersubjektiven Ereignis, wird sich der Mensch seiner subjektiven Endlichkeit, seiner Sterblichkeit bewusst. Aber der Schock dieser Endlichkeit wird im Erleben des Todes eines Anderen zugleich auch gemildert – durch die Übernahme des Todes des Anderen durch Andere: durch das gemeinschaftliche Gedenken und die Solidarität der Zurückbleibenden mit den Trauernden und die gesellschaftliche Minimal-Verpflichtung der anderen Anderen, die stets zukünftige Kette des Sinns nicht abreißen zu lassen.

Genau in dem Moment, in dem die triviale Transzendenz der Zeitsynthese durch das ganz Andere unterbrochen wird, die Synthese zusammenbricht, zeigt sich also die Möglichkeit einer gravialen Transzendenz, die im intersubjektiven Ursprung der Todesgewissheit gründet. Das triviale Übergehen von Einem zum Anderen erhält einen neuen, gravialen Sinn: den der Übernahme des existenziellen Sinns des Einen durch die Anderen, der Konstitution eines symbolischen Bandes, durch das der Stab der existenziellen Verantwortung an Andere weitergegeben wird. Genau hierin liegt der Kern aller sozialen Verantwortung, die durch den Tod in die eigene existenzielle Verantwortung hineinragt und so selbst zur existenziellen wird.

Existenzielle und soziale Verantwortung können also, kraft des Todes, nicht voneinander getrennt werden: Es ist am Ende das Faktum des Todes, das das soziale Band knüpft: das sichere Faktum des individuellen, aber auch das unsichere des allgemeinen Todes, des Todes der Menschheit. Denn für den allgemeinen Tod gilt mutatis mutandis das Gleiche, was auch schon für den individuellen Tod gilt: Seine Tragik könnte nur gemildert werden, wenn er von Anderen – oder mindestens einem Anderen – übernommen würde. Die Möglichkeit einer solchen Übernahme kann jedoch nicht gewusst werden; an sie kann man nur glauben. Philosophie ginge in Theologie über.

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