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5. Wandel 2. Es braucht neue Antworten auf Zeitgeist-Fragen

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Ob ein Prominenter als Testimonial erfolgreich wirkt, hängt weniger davon ab, wie sympathisch er ist oder welche Ähnlichkeiten er zur Marke aufweist. Entscheidend ist, ob er interessante Antworten auf brennende Fragen des Zeitgeistes geben kann. So wurden Karin Sommer für Jacobs Krönung und Herr Kaiser für die Hamburg-Mannheimer zu modernen Helden, weil sie es schafften, viele unterschiedliche Haltungen in einer Zeit zu vereinen, in der das Ausleben individueller Freiheiten immer wichtiger wurde. Auch die Knorr-Familie vermittelte durch die Zwillinge zwischen eher wertkonservativen Gemeinschaftsvorstellungen und den Individualinteressen innerhalb einer Familie. Und die Klementine zeigte, dass lästiges Waschen nicht im Widerspruch zur persönlichen Hautpflege stehen muss – und das war seinerzeit wirklich neu.


Abb. 6: Friedrich Liechtenstein inszeniert das Normale besonders supergeil

Die Reinform der neuen Individualkultur verkörperten der Marlboro-Cowboy und der Camel-Man. Mit Zigaretten dieser Marken konnte jeder ein wenig zum Rebell avancieren. Und nicht nur die tollen, auch die vermeintlich „dummen“ Seiten der Individualhelden konnten werblich genutzt werden, wie etwa bei Boris Becker in der AOL-Werbung: Wenn selbst Boris es schafft „drin zu sein“, dann wird der Schritt ins Internet schon nicht so schwer sein. Diese Botschaft von AOL kam erfolgreich beim Verbraucher an.

Diese klassischen Heldeninszenierungen haben heute ausgedient. Die gesellschaftlich-kulturelle Entwicklung in Richtung von immer mehr individuellen Freiheiten hat sich im Empfinden vieler Menschen verkehrt und ist zu einer Egokultur mit viel Kälte im Umgang miteinander geworden.

Beim Verbraucher stehen daher weniger Helden im Kurs, die durch individuelles Können aus der Mittelmäßigkeit herausragen als vielmehr Menschen, die der kalten Egokultur die Stirn bieten.

So sind als Werbebotschafter zum Beispiel Unternehmertypen angesagt, die sich nicht für ihre Erfolge feiern, sondern für Werte der Gemeinschaftlichkeit stehen. Zu solchen Werten zählen etwa das Bekenntnis zum Produktionsstandort Deutschland, das Einstehen für wichtig empfundene gesellschaftliche Werte und schlichtweg die gerne eingeräumte Akzeptanz, in Deutschland Steuern zu zahlen. In der Öffentlichkeit stehen Unternehmenslenker wie Claus Hipp, Ernst Prost (Liqui Moly) oder Wolfgang Grupp (Trigema) für diesen Typ des „freundlichen Patriarchen“, der Egointeressen hinter das Wohl der Gemeinschaft zu stellen weiß.


Abb. 7: Helden individueller Freiheit – Herr Kaiser, Klementine, Frau Sommer, Boris Becker und Marlboro-Cowboy

Ein noch viel weitergehendes Testimonial-Format ist mit Friedrich Liechtenstein für Edeka geschaffen worden. Der Starkult wird persifliert, indem er sich der Normalität quasi unterwirft: Obwohl weitgehend unbekannt, verhält sich Liechtenstein in der Edeka-Werbung in vielerlei Hinsicht so egomanisch wie ein Star. Er greift damit die Egokultur auf, in der jeder gerne ein Star sein möchte. Der Egokult wird hier jedoch ironisch eingesetzt, um am Ende schlichtweg die Produkte von Edeka begeistert zu verehren. Der ganz normale (Supermarkt-)Alltag wird „supergeil“ inszeniert. Damit wird das Prinzip der „Pröffentlichkeit“ mit seiner Vermengung von Starrummel und privater Anfassbarkeit ins Werbeformat transformiert.


Abb. 8: Markenbotschafter für mehr Mitmenschlichkeit – Claus Hipp, Ernst Prost und Wolfgang Grupp

Die Liechtenstein-Inszenierungen mögen aus Sicht von eher konservativen Kunden fehlplatziert wirken. Allerdings gab es auch schon früher nicht wenige, die der Klementine und Herrn Kaiser nichts abgewinnen konnten. Schließlich erfüllte Herr Kaiser nicht nur Träume vom eigenen Haus und Auto, sondern stand immer auch für den Spießertyp. Und die Klementine wirkte nicht gerade als Beschleunigerin weiblicher Emanzipation, sondern sagte Mutti klipp und klar, wie sie die Schmutzwäsche wieder porentief rein bekommt. Dennoch sorgten sie für genügend Reibungsfläche in der öffentlichen Diskussion, die zu einer Emotionalisierung und Vertiefung des Strebens nach Individualität führte.


Abb. 9: Kultische Verehrung eines Nobodies als Star, der sich für die Normalität von Edeka begeistert

Heute sind derartige Reibungsflächen kaum noch zu finden. Interessante Antworten auf brennende Fragen des Zeitgeistes werden zu wenig gegeben.

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