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3. Gedanken zum Wasserkreislauf-Lehren/Lernen im Anthropozän

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Unsere Wahrnehmung hat sich durch die Hypothese des Anthropozäns für die Komplexität der Welt geöffnet – es ist daher nicht die Welt, die komplexer geworden ist, uns ist nur die Komplexität der Welt ein Stück bewusster geworden. Der „Denkrahmen“ (Sippl & Scheuch 2019) des Anthropozäns erlaubt (und erfordert) es, von einfach zu lernenden und einfach zu vermittelnden Inhalten in der Bildung mit eindeutigen Antworten wie richtig/falsch, ja/nein usw. fortzuschreiten und sich komplexeren Inhalten hinzuwenden, die eine abwägende Begründung im Sinne von „sowohl ... als auch“, „es kommt darauf an ...“ oder „mehr oder weniger ...“ erfordert und dies möglichst früh in der schulischen Bildung. Die Umsetzung so grundlegend neuer Sichtweisen beim Lehren/Lernen im Anthropozän fordert einiges, von Lehrenden wie Lernenden:

• Offenheit für verändertes Denken und ein Einlassen auf ein denkendes Erforschen auf noch nicht vorgespurten Wegen. Sowohl bei der Vorbereitung, als auch im Unterricht.

• Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheit und Nicht-Wissen – das dürfte für Lehrende eine größere Herausforderung sein als für Schüler*innen, denn letztlich fordert es die Lehrenden dazu auf, ihren inneren Standpunkt, von dem aus sie ihre Lehre betreiben, von „wissend“ zu „denkend erkunden“ zu verändern.

Für die konkrete – und im besten Fall interdisziplinäre – Umsetzung zum Modell des Wasserkreislaufs im Unterricht können folgende Überlegungen hilfreich sein:

• In unteren Jahrgangstufen kann das Modell des Wasserkreislaufs zur Erklärung der prinzipiellen Annahmen über Wasser genutzt werden. Bereits hier kann auf die lokalen Erfahrungen zurückgegriffen werden, z.B. die zunehmenden Dürrejahre in unseren Breiten, flankiert mit Starkregenereignissen und anderen extremen Wetterlagen, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein „Modell“ handelt, das einer regionalen Anpassung bedarf.

• In höheren Jahrgangstufen kann das Modell des Wasserkreislaufs dazu dienen in Gruppen zu erarbeiten,

• wie Wissen (z.B. in Form von Modellen) kontextgebunden entsteht und somit auch eine beschränkte Gültigkeit hat (zeitlich, örtlich).

• welche Aspekte in dem Modell berücksichtigt und welche Erfahrungen im Umgang mit Wasser ausgeblendet werden.

• welche sozialen Konsequenzen mit dieser Form des Wissens einhergehen, inwiefern durch Modelle und Theorien soziale Wirklichkeit geschaffen wird und z.B. soziale Ungleichheit, Machtunterschiede usw. manifestiert/verstärkt/abgebaut/... werden.

• welche Alternativen es geben könnte, Wasser und unseren Umgang damit in einem Modell darzustellen.

• ...

Ein kleines Gedankenexperiment mag helfen, sowohl die zeitliche Dimension geologischer Zeiträume, als auch das Wunder frischen Trinkwassers sowie die Verbundenheit von uns Menschen mit der Welt spürbar zu machen: Wir haben oben gelernt, dass der globale Wasserkörper seit Anbeginn der Erde nahezu unverändert ist und ca. 3.200 Jahre benötigt, um einmal vollständig durch den Wasserkreislauf zu gehen. Wassermoleküle scheinen extrem persistent zu sein, d.h. es ist wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Wassermoleküle von heute die gleichen Wassermoleküle sind wie bereits seit Anbeginn des Wassers auf unserer Erde. Zieht man den Aspekt mit ein, dass Wasser der Hauptbestandteil der Flüssigkeiten der meisten lebenden Organismen ist, kann man ferner davon ausgehen, dass jeder Wassertropfen Teil von Lebewesen gewesen ist (vgl. Fishman 2011, Maxwell & Yates 2012). Nehmen wir zum Beispiel die Dinosaurier: In den mehr als 180 Millionen Jahren ihres Bestehens als dominierende Tiergruppe auf der Erde hat der globale Wasserkörper den Wasserkreislauf mehr als 60.000 Mal durchlaufen. Damit können wir sicher sein, dass das gesamte Wasser auf der Erde im Laufe der Zeit durch mindestens ein Paar Dinosaurier-Nieren und selbstverständlich auch durch viele andere Verdauungssysteme geflossen ist. Vor dem Hintergrund dieses Gedankenexperiments könnten Sie als Lehrende mit Ihren Schüler*innen gemeinsam einen Schluck Wasser trinken, und damit reines, farbloses, durchsichtiges, geschmackloses, geruchloses recyceltes Dinosaurierpipi zu sich nehmen. Was macht das mit Ihnen? Das Zulassen des Gefühls von verschränkter Wasser-Materie und Wasser-Bedeutung könnte eine andere Art und Weise ermöglichen, unserem Sein in dieser Welt einen Sinn zu geben: nämlich Teil der Weltprozesse zu sein, anstatt sich getrennt von ihnen zu empfinden. Prosit!

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