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4. Fazit und Ausblick
ОглавлениеDas bisherige Anthropozän ist gekennzeichnet durch gigantische Eingriffe des Menschen ins Erdsystem, darunter der enormen Übernutzung der Erdressourcen, des Einbringens geologisch relevanter Hinterlassenschaften, welche als Technosphären-Sedimente die ganze Erde überziehen, durch Aushebeln natürlicher Kreislaufsysteme, durch extreme Veränderungen der Lebewelt, durch menschengemachten Klimawandel, Versauerung der Meere und Meeresspiegelanstieg.
Gleichzeitig birgt das Konzept des Anthropozäns durch seinen inter- und transdisziplinären systemischen Blick einen wesentlichen Ansatz zur Problemlösung und zum Erzielen einer gerechten, sozialen und nachhaltigen Zukunftsfähigkeit der Menschheit. Die Analyse des heutigen Anthropozäns sowie der Prozesse, die dazu geführt haben, macht auch klar, dass Lösungsbereitschaft und Lösungsansätze von der politischen „top-down“-Ebene, aber auch von einer „bottom-up“-Bewegung von Gruppen, Vordenkern und Protestgruppen aus zivilgesellschaftlichen Bereichen notwendig sind, was allein allerdings nicht genügt. So bedarf es einer zusätzlichen, starken und konstruktiv aufeinander zugehenden gesamtgesellschaftlichen Kooperation von Wissenschaften, innovativen Wirtschaftsbereichen, Entrepreneuren, dezidierten Behörden und Ämtern sowie vieler weiterer gesellschaftlicher Gruppen, welche gute Ideen „von unten“ aufgreifen, erproben und ggf. hochskalieren, was „von oben“, also von der Politik zugelassen und befördert werden müsste.
Dies kann allerdings dauerhaft nur gelingen, wenn auch die Bildungssysteme entsprechende Voraussetzungen früh schaffen und der Jugend von heute umfangreiche Zukunftskompetenzen mit auf den Weg geben. Auch hierfür erscheint das Potenzial des Anthropozän-Konzepts als disziplinübergreifender, analytischer und lösungsorientierter Bildungsansatz sehr groß. Die analytische Konzeptebene umfasst die immensen anthropogenen Auswirkungen auf das Erdsystem sowie auf die geologisch-stratigraphische Sedimentabfolge in einem inter- und transdisziplinären Kontext. Dies macht die immensen anthropogenen Auswirkungen auf das Erdsystem in ihrer gegenseitigen Bedingtheit und Wechselwirkung verständlich. Gerade in Zeiten von weit verbreiteten Verkürzungen, Populismen, Fake News und verschwörungstheoretischen Bewegungen stellt eine Befassung mit dieser integrativen Analyse eine wesentliche Daten- und Faktengrundlage zu objektiven Betrachtungen dar. Basierend auf dieser Analyse lassen sich zusätzlich neue Erzählweisen, integrative, vernetzte Denkweisen, experimentelle und partizipative Lernformate sowie unterschiedliche und miteinander „verhandelbare“ mögliche, wünschbare und visionäre Zukunftsszenarien ableiten (konsequentiale Metaebene des Anthropozän-Konzepts). Solche Formate können sowohl im Fächerunterricht als insbesondere auch im fächerübergreifenden, projektbasierten Unterricht gewinnbringend eingesetzt werden und dabei helfen, fundierende und zielbildende psychische Ressourcen zusammenzubringen und zu stärken und damit Sinnkonstruktionen zu unterstützen.
Der extrem breite Themenkatalog des Anthropozäns kann in Teilen gut im fachspezifischen Unterricht gelehrt und gelernt werden. Der vorliegende Beitrag ist also keinesfalls ein Plädoyer für den Abbau des Fachunterrichts. Ähnlich wie die Erdsystemwissenschaften heute eine Integration quasi aller Disziplinen aus Natur-, Technik-, Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften benötigen und erreichen, benötigt allerdings auch die Bildung für die Zukunft im Anthropozän zusätzlich zum fachspezifischen Unterricht viel mehr Querverbindungen, fächerübergreifende Kooperation und projektbezogenen Unterricht sowie eine weitere Stärkung offenen Denkens und der Kommunikationsfähigkeit. Dazu erscheint es überaus sinnvoll, in fächerübergreifendem und projektbasiertem Unterricht die notwendigen systemischen Verbindungen zu schaffen. Dies kann allerdings nicht allein auf dem Rücken der Lehrkräfte abgeladen werden, sondern dazu bedarf es umfassender weiterer Unterstützung etwa durch die Erstellung von Lehrmaterialien, durch verbesserte Ausrüstung der Schulen für Werkstattprojekte und digitale Projekte, weitere Kooperationen mit Universitäten, Hochschulen, Behörden, Firmen und Museen sowie auch teilweise Änderungen in der Hochschulausbildung der Lehrkräfte. Ein Ziel sollte sein, Schulen auch zu Werkstätten für Zukunftsideen und -konzepten zu machen. Durch derartiges wechselseitiges Lehren und Lernen zum Verständnis des heutigen und zur Gestaltung des zukünftigen Anthropozäns kann der Blick auf die Zukunft geweitet und offengehalten, und damit die notwendige Zukunftskompetenz (Future Literacy) – bzw. vielleicht exakter „Zukunftsfähigkeitskompetenz“ – des einzelnen und der ganzen Gesellschaft enorm befördert werden.52