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1.1 »Unter dem Stroh fließt Wasser«
ОглавлениеDie nächsten drei Tafeln sind durch ein Sprichwort miteinander verbunden, das in allen dreien zitiert wird: Unter dem Stroh fließt Wasser! Dieses Bild soll ausdrücken, dass der Schein trügt. Ebenso wenig, wie man sicher auf dem Stroh gehen kann, das auf einem langsam fließenden Bach liegt und einen festen Boden vortäuscht, soll Zimri-Lim den Bemühungen des Königs von Ešnunna, Frieden zu machen, trauen. Diese Texte erwähne ich hier, weil in ihnen der König eines fremden Volkes stellvertretend für dieses steht. Allerdings sprechen die Orakel das fremde Volk noch nicht einmal in der literarischen Fiktion an, in der die Fremdvölkersprüche der Bibel gehalten sind – denn wie sollen die fremden Völker denn an die prophetischen Orakel eines in Bethel agierenden Amos gekommen sein – sondern sie richten sich direkt an den König von Mari und seinen Hof. Als ein Beispiel dieser Texte sei ein Teil von ARM 26 197 zitiert:
Zeilen11-19 »Den Freundschaftsworten des Königs von Ešnunna ist nicht zu trauen! Unter dem Stroh fließt Wasser! Ich werde ihn in einem Netz, das ich ausspannen werde, fangen. Ich werde seine Stadt vernichten und sein Hab und Gut zerstören, wie ich sie noch nie zerstört habe!«14
Dagan, der Gott, der dieses prophetische Orakel gesandt hat, ist auch der Absender einer anderen Gottesbotschaft. In ARM 26 196 wird eine Nachricht von Dagan an Tišpak, den Nationalgott von Ešnunna, zitiert, die klarer nicht sein könnte:
Zeilen rev. 1’–3’ »[R]uft [Tišpak vor mich] und ich werde ihn richten!
Zeilen rev. 4’–9’ Sie riefen Tišpak vor mich, und Dagan sagte zu Tišpak: Von Šinam (oder: Šina) aus hast du über das Land regiert. Aber jetzt ist dein Tag gekommen! Du wirst Deinem Tag genau so wenig wie (die Stadt) Ekallatum entfliehen!«
Diese Nachricht aus der gleichen Zeit wie ARM 26 197 ist direkt zu Tišpak gesprochen. Der reale Adressat sowohl des Briefes als auch des Orakels ist allerdings nicht Tišpak, sondern natürlich Zimri-Lim. Dieses Orakel gleicht damit den Fremdvölkersprüchen des Alten Testaments in seiner literarischen Konstruktion, die fingiert an einen »fremden« Gott gerichtet ist, die dieser allerdings nie zu Gesicht bekommen wird.
Ešnunna, der verlängerte Arm Elams, versuchte mit Mari Frieden zu schließen. Dagan von Terqa ließ daraufhin Zimri-Lim die Nachricht zukommen, dass er, Dagan, Ešnunna vollständig zerstören werde, ein Friedensvertrag also nicht nötig werden würde. Als Vergleich, und historischen Beweis für seine Verlässlichkeit aus der nahen Vergangenheit, führt er Ekallatum an, das in einer Koalition zwischen Mari, Yamad und Babylon besiegt worden war.15
Wirwissen, dass Zimri-Lim wenig später einen Friedensvertrag mit Ibal-pi-El, dem König Ešnunnas, abgeschlossen hat, so dass er die prophetischen Warnungen entweder für weniger wichtig hielt, oder – und das erscheint mir wahrscheinlicher – auf anderen divinatorischen Wegen das göttliche Placet für den Vertrag bekommen hatte. Für die Lesenden, die mit Deuteronomium 13 und 18 daran interessiert sind, ob sich prophetische Orakel historisch bewahrheiten oder nicht, kann ich bestätigen, dass Ešnunna tatsächlich dem Erdboden gleichgemacht wurde – allerdings von Babylon, so dass wohl Marduk diese Ehre für sich beansprucht hätte.