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3.2 Damaskus in Jer 49
ОглавлениеDas Wort über Damaskus in Jer 49,23–27 ist vielleicht nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtheit der Fremdvölkerorakel in Jer 46–49, zum einen wegen seiner Kürze, zum anderen, weil es – anders als etwa das Stück über Ägypten, mit dem sich Christl Maier im vorliegenden Band auseinandersetzt –35 mit unterschiedlichen Begründungen immer wieder dem Grundbestand dieses Textbereiches abgesprochen wird. Ein Argument hierfür bietet etwa der Umstand, dass Damaskus weder in der Becherperikope Jer 25 genannt wird noch im Rahmen der Jerusalemer Gipfelkonferenz Erwähnung findet, von der in Jer 27,3 die Rede ist.36 Huwyler freilich findet auch hier, in Jer 49, protojeremianisches Gut aus der Zeit um 605.37 Man mag dieser Datierung und literarischen Zuordnung folgen oder nicht – für den Vergleich mit Jes 17 und die Themenstellung zum Verhältnis von Gerichtsprophetie und Fremdvölkerorakeln ist die Frage von »Originalität« oder »Deuterojeremianizität« des Abschnitts zunächst einmal weniger relevant.
Beim Blick auf den Text fällt zunächst einmal auf, dass in Jer 49, anders als in Jes 17, nicht futurisch bzw. im participium instans gesprochen wird, sondern im Perfekt. Hamat und Arpad sind beschämt, Damaskus ist schlaff geworden, die Stadt der Wonne ist verlassen. Futurische Aspekte kommen erst mit Vers 26 in den Blick, eingeleitet mit dem gerichtsworttypischen »darum« , gefolgt von Imperfekten und Waw-Perfekt (V. 27). Anders gesagt: Erst mit Vers 27 und 28 wird aus dem Stück tatsächlich ein Fremdvölkerorakel. Ohne diese beiden Verse haben wir eher eine Zustandsbeschreibung mit Elementen der Klage vor uns, wie besonders in V. 25 schon am Ausruf »wie« deutlich wird. Beide Verse, 27 und 28, die nun gewissermaßen hinter die nach 23–25 bereits eingetretene Verwüstung zurücktreten und die Zerstörung von Damaskus voraussagen, haben wörtliche und nahezu wörtliche Parallelen: Vers 27 entspricht Jer 50,30, und Vers 28 korrespondiert mit Am 1,4 und 1,14 – und überhaupt mit den Völkersprüchen in Am 1–2, in denen das Verbrennen von Palästen nicht weniger als siebenmal angekündigt wird. Richtungen von direkten Abhängigkeiten und Zitaten sind nicht immer leicht zu bestimmen. Hier aber dürfte der Fall relativ einfach liegen. In Jer 50, im Kontext des großen Babylonorakels, folgt die gerichtsprophetische Konsequenz des »darum« tatsächlich einem Schuldaufweis: Sie (Babylon) hat »stolz gehandelt wider JHWH, den Heiligen Israels« (Jer 50,29). V. 30 schildert, für ein Gerichtswort gattungstypisch, die daraus folgende Strafe. Im Fall von Jer 49,26 dagegen begründet der in Vers 23–25 beschriebene oder beklagte Zustand überhaupt nicht die mit »darum« eingeleitete Folge. Ähnlich verhält es sich mit Vers 27. Zwar hat das Verbrennen von Palästen auch bei Jeremia einen festen Sitz im Buch,38 aber in der vorliegenden, geradezu stereotypen Formulierung scheint die Wendung fest in Am 1–2 verankert zu sein und wurde wohl eher von dort nach Jer 49 importiert als umgekehrt.39
Die vorangehenden Verse 23–25 zeichnen sich nun durch zweierlei aus.
Einerseits wird auch in ihnen bereits zitiert oder zumindest auf andere Texte angespielt, und bei diesen Referenzstücken handelt es sich um Passagen aus dem Jeremiabuch: Vom »schlaff werden« der Hände und Schrecken angesichts einer unheilvollen Kunde ist neben Jer 49,24 auch die Rede beim König von Babylon in 50,43 und – nahezu wortgleich – von »uns«, den Judäern, in 6,24 – eine Verbindung, die durch den MT-Überschuss gegenüber LXX in 49,24b40 noch stärker ausgebaut wird. Auch der Duktus der Klage über Zerstörung mit anschließendem deutenden Gerichtswort, hier, in Jer 49, freilich im Zitat aus Jer 50 und Am 1, erinnert stark an den ersten Teil des Jeremiabuches, der sich mit dem »Feind aus dem Norden« befasst. Der Abschnitt in 49,23–25 wirkt also in der Tat »jeremianisch«.
Andererseits bedienen sich die drei Verse gerade bei den Schlüsselbegriffen einer Terminologie, die im Jeremiabuch entweder auf den Bereich der Völkersprüche beschränkt oder überhaupt singulär ist: »Sich zur Flucht wenden«, im Hifil mit etwa findet man innerhalb des Alten Testaments ausschließlich in Jer 46,5.21; 49,8.24. In Vers 23 »schwanken« Hamat und Arpad mit der Wurzel , die bei 17 alttestamentlichen Gesamtbelegen in Jer nur hier vorkommt, ebenso wie das an dieser Stelle gebrauchte Wort für »Furcht«, 41 dem man sonst vor allem im Ezechielbuch begegnet.42 (Bei V. 23bβ mag es sich um eine explikative Glosse zum »Meer« nach Jes 57,20 handeln.)43 In Vers 25 schließlich wird Damaskus als »Festung meiner Wonne« bezeichnet. ist nun ebenfalls im Jeremiabuch ausschließlich an dieser Stelle zu finden. Der Konkordanzbefund weist für dieses Wort einen gewissen Verwendungsschwerpunkt im Jesajabuch aus.44 Dort hat man sie in Jes 24; 32; 60; 62; 65 und 66, also zum einen zu Beginn der sogenannten Jesajaapokalypse, zum anderen im Bereich tritojesajanischer Fortschreibungen und schließlich in Weherufen von Kapitel 32, die aufgrund der verwendeten aramaisierenden Verbformen in 32,11 ebenfalls »eher auf nachexilische Zeit schließen zu lassen«45 scheinen. Im Zusammenhang mit einer Stadt, etwa in Jes 32,13 f., wird sonst in der Regel von Zion / Jerusalem gebraucht, wie beispielhaft in Ps 48,3: »Wonne der ganzen Erde«, das ist der Zion.46 Wenn in Jer 49,25 nun Damaskus aus der Perspektive JHWHs »Festung meiner Wonne« genannt wird, so bedeutet dies, dass ein Epitheton der Gottesstadt für die syrische Metropole Anwendung findet.
Die Beobachtungen anhand von lediglich fünf Versen, speziell zum Vokabular aus sehr selten begegnenden Lexemen, bilden gewiss eine zu schmale Basis, um weitreichende Schlüsse etwa für die Fremdvölkerorakel im Jeremiabuch insgesamt zu ziehen. Was lässt sich aber zur Fragestellung des vorliegenden Aufsatzes sagen?
1. Die beiden Zitate in Vers 26 und 27 laden einerseits dazu ein, sie literarkritisch abzutrennen.47 Andererseits sind sie es, die aus dem – ebenfalls zitierenden – Klagetext der Verse 23–25 allererst prophetische Rede machen.
2. In dem Nebeneinander von zunächst unbegründeter – und unprophetischer – Klage über die durch den Feind aus dem Norden herbeigebrachte Katastrophe und ihrer gerichtsprophetischen Begründung liegt ein Charakteristikum der poetischen Stücke in Jer 4–10. Dort ist es möglich und sinnvoll – das haben Christoph Levin,48 Karl Friedrich Pohlmann49 und jüngst Sarah Köhler50 gezeigt –, die Klage von der Anklage literarkritisch zu trennen, die Beschreibung des desolaten Zustandes von der gerichtstheologischen Deutung seiner Ursache zu scheiden und zu unterscheiden. Hier, in Jer 49,23–27, scheint mir dies zumindest schwieriger zu sein.
3. Das Wort über Damaskus greift in der Sache wie terminologisch dezidiert auf die jeremianischen »Gerichtsklagen« zurück – gebraucht aber andererseits, soweit sich das anhand der schmalen Beleglage sagen lässt, auch eher nicht-jeremianisches Vokabular,51 gerade bei zentralen Begriffen wie »Furcht«, »Flucht« oder »Freude«.
4. Verglichen mit der oben herausgearbeiteten altorientalischen Standardsituation von Fremdvölker thematisierenden Orakelsprüchen stellt sich das Setting in Jer 49 anders – und komplizierter – dar. Es handelt sich nicht um einen Gegensatz zweier Parteien, deren einer der Sieg über die andere verheißen wird, sondern es liegt eine Dreierkonstellation vor. Der Vertreter einer Gruppe antizipiert oder konstatiert als ein Werk seines Gottes die Niederlage einer zweiten im Konflikt mit einer dritten Partei. Das hat durchaus eine andere Pragmatik als etwa Jes 17,1b.3.
5. Aus all dem zusammen meine ich schließen zu können, dass die Verfasser von Jer 49,23–27* die Gerichtstexte des ersten Buchteils bereits als Gerichtstexte kannten und – nun aber nicht auf Juda, sondern auf Damaskus bezogen – fortschrieben. Mit Blick auf Damaskus verläuft der gedankliche Weg in Jer 49 somit dem in Jes 17 entgegengesetzt. Er entspricht eher der eben skizzierten ersten forschungsgeschichtlichen Variante: Fremdvölkerorakel werden aus der Gerichtsprophetie heraus entwickelt. Das als göttliche Strafe gedeutete Unheil, das Israel, das Gottesvolk, getroffen hat, wird auch die anderen Völker ereilen. Der Unterschied zu den vorhin angesprochenen neuassyrischen Feindorakeln wie auch zum Kern des Damaskuswortes in Jes 17 liegt im gerichtsprophetischen , »darum«. Dass Damaskus als Feind Judas besiegt werden wird, bedarf in Jes 17 seitens des judäischen Staatsgottes keiner Begründung – im Jeremiabuch, in dem wir über die Beziehung zwischen Juda und Damaskus zu babylonischer Zeit überhaupt nichts erfahren, ist die Kategorie eine andere. Wie Jerusalem wird es der Stadt ergehen – und dieses Wie impliziert auch das Warum: Es handelt sich um ein Strafgericht.