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2. Fremde Völker in der neuassyrischen Prophetie
ОглавлениеEs gibt zwar Hinweise darauf, dass Propheten auch in dem Jahrtausend zwischen der altbabylonischen Zeit und dem neuassyrischen Reich aktiv waren, aber diese Hinweise sind spärlich.26 Überlieferte prophetische Orakel gibt es keine. Die finden sich erst in neuassyrischer Zeit wieder, dafür umso zahlreicher.27 Im Großen und Ganzen ähneln sich die beiden Korpora im Hinblick auf fremde Völker sehr. Andere Völker werden literarisch als Reflexionsflächen gebraucht, um die Stärke der eigenen Götter aufzuzeigen, sind aber nur sehr selten erwähnt. Dass die genannten Staaten im 1. Jahrtausend andere sind, liegt an der unterschiedlichen politischen Situation. Ägypten war in altbabylonischer Zeit weder Bedrohung noch Verheißung. Für Asarhaddon und Assurbanipal hingegenwaren Feldzüge gegen Ägypten von großer Bedeutung. Wie Stefan Maul für das neuassyrische Herrscherhaus herausgearbeitet hat, war der neuassyrische König quasi Agent Assurs auf Erden, der das Chaos bekämpft und es durch eine pax oder ordo Assyriaca ersetzt.28
Die meisten prophetischen Sprüche aus neuassyrischer Zeit, die fremde Völker überhaupt erwähnen, tun dies im Zuge dynastischer Versprechen. SAA 9 2.3 spricht von fremden Ländern nur insofern, als dass sie Asarhaddon und seinen Nachkommen in einem klassischen dynastischen Versprechen als Eigentum zugesagt werden:
Zeilen ii 11‘–16‘ »Ich werde dich in deinem Palast beschützen. Furcht und Zittern werde ich dich überkommen lassen. Dein Sohn und Enkel werden vor Ninurta die Königsherrschaft ausüben. Ich werde die Grenzen der Länder hinwegfegen und sie (= die Länder) dir geben.«
In diesem Text sind die anderen Länder eigentlich nicht weiter wichtig. Es geht lediglich darum, dass Ištar von Arbela dem Königshaus ihren generationsübergreifenden Beistand zusagt. Weitere Beispiele hierfür lassen sich in SAA 9 2.5 und SAA 9 3.2 leicht finden.
Die Zusage in 9 2.4, in der Ištar von Arbela die Botschafter der Länder im Osten, Nordosten und Norden Assyriens zu bestimmen verspricht, erscheint ähnlich:
Zeilen 11‘–15‘ »Bleib hier, Asarhaddon. Ich werde die Abgesandten des elamitischen und mannäischen Königs aussuchen. Ich werde die Tafeln des urartäischen Königs versiegeln. Ich werde die Hacken vom (melidischen König) Mugallu beschneiden. Zeilen 16‘–17‘ Wer ist (jetzt) einsam und verlassen? Fürchte Dich nicht! Du, Asarhaddon, König von Assur bist unter meinem Schutz.«
Die Göttin lässt Asarhaddon wissen, dass sie ihn innen- wie außenpolitisch unterstützen wird. Wie im Falle der altbabylonischen Prophetien ist auch hier keinerlei Anzeichen dafür, dass diese Nationen das Chaos vertreten, das der neuassyrische König als Stellvertreter Assurs, Ninurtas und Ištars zu bekämpfen hatte. Die ausländischen Mächte sind nicht autonom, sondern werden, ebenso wie Assyrien selber, von Ištar kontrolliert. Das heißt, dass Ištar (und das neuassyrische Pantheon) hier den theologischen Herrschaftsanspruchnicht nur über Assyrien selber, sondern auch den Rest der bekannten Welt erhebt in einer Weise, die sonst eher unüblich ist.
Zeilen 8–11 in dem längeren Text SAA 9 7, der an Asarhaddons Sohn Assurbanipal gerichtet ist, gehen in eine ähnliche Richtung:
Zeilen 8–11 »[…die König]e der Länder sagen zu einander: [›Kommt! Lasst uns] zu Assurbanipal gehen. Der König hat Zeugen29 […] haben unsere Väter und Vorväter eingesetzt.30 […] Jetzt soll er zwischen uns entscheiden!‹«
Die Herrscher der anderen Länder sagen hier übereinstimmend, dass Assurbanipal zwischen ihnen richten solle – und erkennen damit eben nicht nur seine Richterschaft, sondern auch seine Hoheit überhaupt an. In den nächsten beiden Zeilen wird diese explizit gemacht:
Zeilen 12-13 »[Mullis]su hat gesagt: ›[Du wirst] über [die König]e der Länder [herrsc]hen! Du wirst ihnen ihre Grenzen zeigen, du wirst ihnen die [We]ge, die sie ziehen, zuweisen.‹«
Die beiden folgenden Orakel auf SAA 9 7 sind bemerkenswert. Zuerst folgt ein Spruch, der den Kimmerern Vernichtung im Stile Elams zusagt (Zeilen 14–16). Dieser erinnert strukturell stark an ARM 26 196, wo ja auch ein »fremder« Feind mit Vernichtung bedroht wird, und als Garant wird ein Feind angeführt, der bereits vernichtet wurde (also quasi ein Geschichtsbeweis).
Als Nächstes folgt dann wohl das unklarste neuassyrische Orakel überhaupt. Auch die antiken Adressaten verstanden es wohl nicht genau, enthält es doch die Frage, was es bedeutet, und erinnert damit an die Fragen Gottes an Amos. Es enthält außerdem zwei uns unverständliche Worte: allalatti und enguratti. Sie verweisen wohl auf Insektenarten, denen gleich Ištar von Arbela Ägypten überfallen und wieder verlassen will:
Zeilen rev. 3-5 »allalatti enguratti! Du fragst: ›Was heißt hallalatti enguratti?‹ allalatti werde ich nach Ägypten gehen, enguratti es wieder verlassen!«
Dem Kontext nach muss die Göttin Ägypten in beeindruckender Weise überfallen und es ausgebeutet hinterlassen. Welche Insekten hier genau gemeint sind muss unklar bleiben, aber es scheint mir aufgrund der Metaphorik nicht unwahrscheinlich, dass es sich um Heuschreckenarten handelt, ähnlich, wie es in Joel 1 beschrieben ist. Parpola versteht allalatti als von allulāya (»Hundertfüßler«) abgeleitetes Adverb, aber auch er lässt das zweite Adverb, enguratti, unübersetzt. Bei von Soden ist hallulāya noch als Maulwurfsgrille übersetzt, was meinem Verständnis näher kommt. Allerdings sind diese Arten von Termini schwer genau zu erfassen.31
Ištar sagt Asarhaddon ihren Beistand bei einem Sieg über Ägypten zu. Wieder geschieht dies ohne jeglichen Hinweis darauf, dass Ägypten entweder die Chaosmächte vertrete oder ein sonstig geartetes Verbrechen begangen habe. Wie bereits angedeutet ist dies in den historischen Inschriften der neuassyrischen Könige anders. Da wird ein Vorwand gebraucht, um in den Krieg zu ziehen. Aber auch Crouch stellt fest, dass Asarhaddon, anders als Sargon und Sanherib, kosmologische Anspielungen seltener gebraucht. Und trotzdem spricht auch Asarhaddon in seinem Bericht über die Ägyptenfeldzüge davon, wie er einer Sturmflut gleich über Ägypten herfällt. Das akkadische Wort für die Flut, das hier benutzt wird, ist abūbu, das auch im Enūma eliš und in Texten über Ninurta vorkommt, und das von Maul und anderen als Anspielung darauf verstanden wird, dass der neuassyrische König hier die Rolle Marduks und Ninurtas übernimmt, das Chaos zu besiegen.
Solche Anspielungen sind in den prophetischen Texten allerdings nicht zu finden. Es mag sein, dass das auf das Genre zurückgeht, und die uns überlieferten Prophetensprüche weniger literarischen Ursprungs sind, aber da zumindest einige der relevanten Texte aus den Sammeltafeln stammen, und da auch in altbabylonischen Prophezeiungen literarische Anspielungen vorkommen, scheint mir das keine gute Lösung zu sein. Stattdessen geht es hier um einen anderen theologischen und politischen Aspekt; nicht der Zusammenarbeit zwischen Gott und König, sondern göttlicher Unterstützung soll Ausdruck verliehen werden, so dass Asarhaddon selber gar nicht zum Zuge kommt.
Ein weiterer Text, SAA 9 2.3 ii 21’–27’, lässt sich auf eine ähnliche Art und Weise erklären, wenn auch auf wesentlich komplexere Art und Weise. Weiter oben haben wir Zeilen 11’–16’ betrachtet. Die späteren Zeilen enthalten einen Prophetenspruch, in dem Ištar von Arbela Asarhaddon auffordert, den Gottesdienst der Götter aus dem Esagila-Tempel in Babylon wieder aufzubauen. Nachdem Sanherib Babylon zerstört und die Götterstatuen aus dem Esagila entfernt hatte, legte Asarhaddon viel Energie an den Tag, Babylon wieder aufzubauen. Sanheribs Tod im Feld wurde auch als Bestrafung für die Sünde der Zerstörung Babylons verstanden. Ob Lā-dāgil-ilī und Ištar von Arbela mit diesem Orakel dazu beigetragen haben, muss ungewiss bleiben. Allerdings ist das Interesse Ištars am rechtmäßigen Kultus von Marduk und den anderen Göttern Babylons schon etwas Besonderes. Anders als in dem gerade zitierten Spruch 511 9 2.4 wird hier nicht die Kontrolle über andere Völker angenommen, sondern Sorge um das Wohlergehen ihrer Götter:
Zeilen ii 21’–27’ »Preise mich! Nimm diese meine Worte aus Arbela zu Herzen! Die Götter Esagilas darben in böser und schlimmer Wildnis. Sende ihnen sofort zwei Brandopfer. Schicke ihnen deine Friedensgrüße!«
Diese etwas unerwartete Fürsorge ist so zu erklären: Sanheribs Tod im Feld wurde mit dessen Zerstörung und Entführung der Götter aus Babylon erklärt. Er ist also, so das altorientalische Verständnis, für sein Fehlverhalten bestraft worden. Der reale Wiederaufbau Babylons war also nicht nur Altruismus, sondern auch Sorge um das eigene Wohlergehen. Außerdem muss für Arbeiten an Tempeln normalerweise das Wohlwollen der Götter eingeholt werden, ein generelles altorientalisches Muster, das Victor Hurowitz auch für biblische Tempelbauten aufgezeigt hat.32 Ein direkter Befehl der dynastischen Göttin, wie er hier gegeben ist, ist bei der Wiedereinführung des Kultus dabei durchaus hilfreich.