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II. Protestantismus und Politik 1. Die protestantischen Traumata von 1918/19: Kriegsniederlage, Revolution und Versailler Friedensvertrag

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Die Jahre 1918 und 1919 waren für die mehrheitlich nationalkonservativen Protestanten im Deutschen Reich voll von traumatischen Erfahrungen:

Ende September 1918 gaben die deutschen Militärs den Krieg verloren, von dem sich der deutsche Protestantismus 1914 eine ›religiöse Erneuerung‹ und eine ›nationale Wiedergeburt‹ der Deutschen erhofft hatte. Unentwegt wurde in theologischer Überhöhung des Nationalismus für die ›gerechte Sache‹, für den deutschen expansiven Siegfrieden gepredigt und gebetet. Eine militärische Niederlage war für die Mehrheit der evangelischen Christen unvorstellbar.

Anfang November 1918 brachte die Revolution kriegsmüder Soldaten und Arbeiter jenen monarchischen Obrigkeitsstaat zu Fall, mit dem sich der Protestantismus vollständig identifiziert und den er legitimiert hatte. Kaiser Wilhelm II., oberster Bischof (summus episcopus) aller evangelischen Kirchen auf preußischem Territorium und bisheriger Garant einer deutschprotestantischen ›Leitkultur‹, dankte ab. Mit dem Ende des preußisch-deutschen Kaiserreichs gerieten alle politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Sicherheiten des deutschen Protestantismus ins Wanken. Man wähnte sich schutzlos gegenüber der Bedrohung durch die ›gottlose‹ Sozialdemokratie, den Bolschewismus und den Katholizismus.

Am 9. November wurde die Republik ausgerufen. Es folgten gewalttätige Auseinandersetzungen, als die radikale Linke eine sozialistisch-proletarische Räterepublik durchzusetzen versuchte. Die blutigen Kämpfe erzeugten im deutschen Protestantismus Ängste vor einem Umsturz nach dem Muster der russischen Oktoberrevolution, die von brutalen Christenverfolgungen begleitet gewesen war. Bis Frühjahr 1919 entschieden jedoch die Anhänger einer parlamentarischen Demokratie den Machtkampf für sich – auch dank eines Paktes der SPD-Führung mit den extrem gewalttätigen Freikorps. Die Staatsgründung war dadurch mit drastischer Gewalterfahrung verbunden.

Bereits am 3. Februar 1918 hatte der Berliner Oberhof- und Domprediger Bruno Doehring in einer Predigt im Berliner Dom als Reaktion auf die Januarstreiks die sogenannte Dolchstoßlegende vorweggenommen: Die Streikenden seien dem im Felde siegreichen deutschen Heer mit der Mordwaffe in den Rücken gefallen. Später deutete er die Kriegsniederlage als Strafe Gottes für das Fehlverhalten des deutschen Volkes an der Heimatfront. Die ›Dolchstoßlegende‹ wurde von der protestantischen Presse eifrig verbreitet und entwickelte sich zu einem zentralen Bestandteil der nationalprotestantischen Agitation gegen die Weimarer Republik. Für den ›Verrat‹, ohne den eine deutsche Niederlage nicht denkbar schien, machte man Kommunisten, Juden‚ die Sozialdemokraten sowie die übrigen Parteien der Weimarer Koalition verantwortlich.

Am 28. Juni 1919 wurde im Schloss von Versailles ein Friedensvertrag unterzeichnet, der sich als schwere Hypothek für die junge Weimarer Republik erweisen sollte. Der Vertrag sah u. a. Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen vor. Insbesondere die These von der Alleinschuld der Deutschen am Ausbruch des Krieges verletzte nationalkonservative Protestanten zutiefst in ihrem nationalen Ehrgefühl. Hatte man den wesentlich härteren Diktatfrieden von Brest-Litowsk Anfang März 1918 noch mit Dankgottesdiensten begleitet, so ordneten die Kirchenleitungen nun einen Trauersonntag an, der am 6. Juli mit Trauergeläut und -ansprachen begangen wurde. Zum Jahrestag des ›Versailler Diktats‹ 1929 empfahl der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss die Veranstaltung von Trauertagen, an denen Flaggen mit Trauerflor gehisst, die Glocken geläutet und liturgische Gottesdienste gefeiert werden sollten. Die Überwindung des Vertragswerks wurde zu einem emotionsgeladenen Dauerthema im Protestantismus. Liberale Protestanten sprachen sich für den Vertrag aus, setzten außenpolitisch auf internationale Verständigung und warnten vor einer engstirnigen Revisionspolitik. Die Nationalprotestanten blieben jedoch bei ihrem Revisionismus und erklärten ›Versailles‹ zugleich verantwortlich für alle wirtschaftlichen und politischen Krisen der Folgejahre. Die in nationalprotestantischen Kreisen so bezeichnete ›Kriegsschuldlüge‹ belastete auch die weltweiten ökumenischen Beziehungen des deutschen Protestantismus. In der Ära der auf Ausgleich setzenden Stresemannschen Außenpolitik (1923–1929) stimmte der Kirchenausschuss seinen Ökumenekurs mit dem Auswärtigen Amt ab und richtete seine Anstrengungen auf eine unparteiische Klärung der Kriegsschuldfrage. Später kehrte er jedoch zu einem konfrontativen Kurs zurück.

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