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I. Gesamtschau: Protestantismus und Weimarer Republik 1.Staatsumbruch: Wirkungen und Folgen

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Die Unterzeichnung des Waffenstillstands im Wald von Compiègne durch die deutsche Delegation am 11. November 1918 besiegelte die deutsche Niederlage und das Ende des Ersten Weltkriegs. Zusammen mit der damit einhergehenden Revolution, die das Ende der Monarchie bedeutete, markierte es eine epochale Zäsur in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Der politische Zusammenbruch des Kaiserreichs hatte die große Mehrheit der Deutschen, zumal die evangelischen, völlig unvorbereitet getroffen. Weite bürgerliche Kreise betrachteten wie paralysiert, was sich nach den als quälend empfundenen letzten Kriegsmonaten innerhalb kürzester Zeit auf den Straßen und in den politischen Machtzentren an umstürzlerischer Energie entlud und neue politische Realitäten schuf. Die Abschaffung der bis dahin gültigen Werte und Normen wurde insbesondere auf evangelischer Seite als Kulturschock erlebt. Im Protestantismus hatte sich in seiner 400-jährigen Geschichte eine besondere Bindung an die politischen Gewalten entwickelt. Unter dem Vorzeichen des landesherrlichen Kirchenregiments war die Nähe von Thron und Altar als evangelisches Proprium kultiviert worden. Wehmütig betrauerten weite evangelische Kreise jetzt den Verlust des Kaisertums. Die vom Geist des Idealismus getragenen Grund lagen der europäischen Kultur waren im Kanonendonner des Ersten Weltkriegs und im fatalen Einsatz neuartiger Kriegstechnologie zerborsten. Für kühle Analytiker kam das weniger überraschend, für die meisten jedoch vollzog sich der Zusammenbruch einer ganzen Weltordnung. Was nun folgte war das, worüber vor dem Weltkrieg einige Intellektuelle debattiert hatten: die Moderne. Jetzt wurde sie zum Faktor des all täglichen Lebens. Auch oder gerade der Protestantismus war davon herausgefordert.

Die vierzehn Jahre, die die erste deutsche Demokratie Bestand hatte, waren für das protestantische Christentum durchgängig von dieser Herausforderung gekennzeichnet. Zahlreiche Gründe erschwerten nach 1918 den Zugang zur Weimarer Republik: die tiefen Traditionsbindungen an das Kaiserreich, die nun verfassungsmäßig festgeschriebene Religionsneutralität des Staates sowie die da durch bedingte Konfrontation des Einzelnen mit konkurrierenden Weltanschauungen. Insbesondere der schon bald einsetzende politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Modernisierungsschub wurde in weiten Teilen des protestantischen Bürgertums im Modus einer umfassenden ›Kulturkrise‹ wahrgenommen, für die der aufklärerische Rationalismus und Liberalismus des 19. Jahrhunderts verantwortlich gemacht wurde. Die Moderne identifizierte man eher als diabolische Bedrohung denn als begrüßenswerten Fort schritt. In einer den Aufbruch scheinbar domestizierenden christlichen Traditionsbindung (göttliche Ordnungen, Wort Gottes) fanden weite Teile des Protestantismus einen neuen vermeintlich sinnstiftenden Zusammenhalt abseits einer demokratischen Verständigung. Unbestritten gilt in der kirchen- ebenso wie in der allgemeingeschichtlichen Historiographie längst, dass die Weimarer Jahre zwischen Kriegsende 1918 und Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in einer genetischen Verschränkung mit den folgenden zwölf NS-Jahren gedeutet werden. Die Weimarer Jahre bilden den historischen ebenso wie den kirchenhistorischen Ermöglichungsgrund für den folgenden Abschnitt der NS-Jahre.

Das Verhältnis von Evangelischer Kirche und Weimarer Republik verlief nicht konstant, sondern entwickelte sich insgesamt sehr unterschiedlich [Wollstein, 7–22]. Nach den ersten Jahren der Erschütterung folgte in der Mitte der zwanziger Jahre die Phase einer respektablen Besinnung. Der Königsberger Kirchentag 1927 kann als Ausdruck eines Kurses kooperativer Loyalität zwischen Staat und evangelischer Kirche gelesen werden. Die Phase der relativen Stabilisierung der Weimarer Republik fand 1929/30 ein plötzliches Ende, als sich die politische Situation im Gefolge der Weltwirtschaftskrise dramatisch zuspitzte und die Schlussphase der Deformation seinen Lauf nahm. Die zerbrechende Demokratie fand einen Reflex in einem Protestantismus, der mehrheitlich die destruierende Entwicklung ebenso eng und fördernd begleitete, wie der »nationale Aufbruch« in der Folge von ihm lautstark mitbegrüßt wurde.

Die katholische Kirche in Deutschland erlebte das Ende des Ersten Weltkriegs ebenfalls als Zäsur, allerdings zeigte sie sich bei Kriegsende von den Krisensymptomen weniger getroffen als der Protestantismus. Der Katholizismus hatte sich mit der Zentrumspartei in den Kulturkampfwirren des 19. Jahrhunderts politisch auf gestellt und sich mit seinem antimodernistischen Rigorismus kulturell gegen den vermeintlichen Zeitgeist in Stellung gebracht. Gegenüber dem Liberalismus und der politischen und gesellschaftlichen Moderne hatte man sich nachhaltig als Gegenkraft formiert. Die zentrale päpstliche Leitung der Weltkirche blieb im Kern stabil. Dazu kam, dass die Konkordatspolitik Pius XI. 1929 in Gestalt der Lateranverträge mit dem italienischen Staat ein erfolgreiches Ende nahm; die Wirkungen strahlten von Rom stabilisierend bis in den deutschen Katholizismus hinein. Überhaupt erhielt der Katholizismus im Laufe der Weimarer Jahre ein neues Gewand. Die »Katholische Aktion« von Laien sowie die dynamische katholische Jugendbewegung, die liturgische Bewegung und die Bibelbewegung und das wieder Fahrt aufnehmende Ordensleben vitalisierten die katholische Kirche zumindest in Ansätzen trotz ihrer starren antimodernistischen Haltung.

Das Ende des Ersten Weltkriegs markierte eine Epochenschwelle, die angesichts der grundlegenden Verschiebung der politischen Koordinaten hin zum parlamentarisch verfassten demokratischen Staat die Kirchen, insbesondere die evangelische, nach innen und außen zu einer umfassenden Neujustierung herausforderte.

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