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3. Der Protestantismus und die Demokratie

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Evangelische Theologen hielten die Weimarer Republik und ihre demokratische Verfassung nicht nur für das Ergebnis des verräterischen, gewaltsamen Sturzes der Monarchie und damit der von Gott gesetzten Obrigkeit, sondern auch für ein Produkt ›westlich-liberalen‹ Denkens und des Einflusses der Sieger von Versailles. Die demokratische Staatsform traf auf eine protestantische Staatsethik, die mit den politischen Kategorien der Neuzeit wie Verfassung, Gewaltenteilung, Parlamentarismus und Volkssouveränität nichts anfangen konnte. Eine »veritable Theologie der Demokratie, die sich den Erfordernissen der pluralistischen Kultur und den Ansprüchen der parlamentarisch-demokratischen Verfassungsrealität stellte« [Nowak, Geschichte, 214], war dann auch unter den zahlreichen neuen theologischen Entwürfen nach 1919 nicht zu finden. In dem von Begriffen wie Krise, Gemeinschaft, Autorität und Ordnung geprägten, aufklärungskritischen oder -feindlichen Denken vieler Theologen spielte der Mensch als autonom handelndes, verstandesgeleitetes Individuum nur eine untergeordnete oder negative Rolle. Der protestantische Vorbehalt gegenüber demokratischer Volksherrschaft blieb während der Weimarer Republik weitgehend erhalten. 1922 qualifizierte der Herausgeber des Kirchlichen Jahrbuchs für die evangelischen Landeskirchen Deutschlands, Johannes Schneider, in Geringschätzung der Massen die Demokratie als »Tyrannis des Mobs« ab [Schneider, 386]. Unter den evangelischen Theologen war es nur die kleine Gruppe der Liberalen, darunter Adolf von Harnack, Martin Rade, Otto Baumgarten, Ernst Troeltsch und Hermann Mulert, die sich aus Vernunft oder Überzeugung in der und für die Demokratie engagierten. Die liberalen ›Vernunftrepublikaner‹ mahnten die kirchlichen Protestanten, die Realitäten anzuerkennen und sich konstruktiv mit der neuen politischen Ordnung auseinanderzusetzen. Die Anhänger der Dialektischen Theologie schwächten hingegen die protestantischen Demokraten, indem sie alle aktuellen zeitlichen Bezüge der christlichen Offenbarung zurückwiesen und ein grundsätzlich dialektisches Verhältnis der Theologie zur bürgerlichen Kultur sowie einem modern-aufklärerischen Staatsbewusstsein betonten. Den wenigen Religiösen Sozialisten ging die Weimarer Demokratie hingegen politisch und sozial nicht weit genug. Die Mehrheit der evangelischen Pfarrerschaft wiederum lehnte die ungewohnte demokratische Staatsform innerlich ab und fühlte sich in ihrem Unbehagen durch die politischen und ökonomischen Krisen der Weimarer Republik immer wieder aufs Neue bestätigt. Ähnliches galt für den Kern des protestantischen Sozialmilieus, bestehend aus ›altem Mittelstand‹ sowie bäuerlichen und adeligen Familien, das Vorbehalte gegenüber dem modernen, säkularen Staats- und Gesellschaftssystem hegte.

Die konservativen evangelischen Kirchenleitungen fanden hingegen aus institutionellen Eigeninteressen zu einem pragmatischen Verhältnis zur Republik und kooperierten mit dem demokratischen Staat in praktischen Fragen. Dies galt insbesondere für die Stabilisierungsphase der Republik zwischen 1924 und 1930. Der Jurist Hermann Kapler, der seit 1925 Präsident des preußischen Oberkirchenrates war und damit auch an der Spitze des 1922 gegründeten Deutschen Evangelischen Kirchenbundes stand, vertrat eine staatsloyale Linie. Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark, schrieb 1927 in seinem programmatischen Bestseller »Das Jahrhundert der Kirche« in distanziert-neutraler Haltung, dass die evangelische Kirche grundsätzlich »jede Staatsform bejahen und in jeder Staatsform ihren Dienst ausrichten« [Dibelius, Jahrhundert, 237] könne. Einen distanziert-neutralen Kurs fuhr die evangelische Kirche auch im sogenannten Flaggenstreit von 1926. Dieser Konflikt schwelte seit dem Wechsel vom Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreiches zu Schwarz-Rot-Gold in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 führte er zum Sturz des bürgerlichen Kabinetts unter Hans Luther (DVP). Luther hatte die alten Farben Schwarz-Weiß-Rot für die außereuropäischen Auslandsvertretungen zugelassen. Die meisten evangelischen Amtsträger lehnten es seit 1919 ab, an nationalen Feiertagen die kirchlichen Gebäude mit der schwarz-rot-goldenen Reichsflagge zu beflaggen und sich auf diese Weise mit der Republik zu identifizieren. Stattdessen bürgerte sich eine evangelische Flagge ein: ein violettes Kreuz auf weißem Grund. Im Kontext des eskalierenden Flaggenstreits erklärte der Deutsche Evangelische Kirchenausschuss am 9. Dezember 1926 das violette Kreuz auf weißem Grund zur offiziellen Kirchenfahne für den Deutschen Evangelischen Kirchenbund, mit der auch am Verfassungstag beflaggt wurde. Als symbolischer Akt der Loyalität lässt sich hingegen der Umstand deuten, dass sich die evangelische Kirche am 11. August 1929 auf Initiative von Kapler mit Gottesdiensten an den Feierlichkeiten zum zehnten Verfassungstag der Republik beteiligte.

Sowohl staatspolitische Pragmatik als auch antidemokratische und antiliberale Ressentiments waren in den Vorträgen auf dem zweiten offiziellen Deutschen Kirchentag zu finden, der im Juni 1927 im ostpreußischen Königsberg abgehalten wurde. Erstere Haltung zeichnete den Vortrag des 78-jährigen, konservativ-bürgerlichen ›Vernunftrepublikaners‹ Wilhelm Kahl aus. Der Staats- und Kirchenrechtswissenschaftler sprach sich in seiner Rede über »Kirche und Vaterland« für die Loyalität der Christen gegenüber der Weimarer Republik aus. Der Systemumsturz sei durch göttliche Geschichtsführung erfolgt und der Weimarer Staat folglich legitimiert. Der junge Erlanger Theologieprofessor Paul Althaus gab hingegen unter dem Titel »Kirche und Volkstum« allen im Protestantismus der Zeit vorhandenen Antipathien gegenüber dem demokratischen Staat Ausdruck. ›Volk‹ war für ihn wie für andere evangelische Theologen in der Weimarer Republik, »zum neuen ethischen Bezugspunkt der Theologie« [Scholder, 125] geworden. »Volk« wurde zu einer »politisch-theologischen Utopie« [Trauthig, 384] fern der bestehenden Gesellschaftsordnung. In der Rede des Neokonservativen war von »schmerzliche[r] Entartung«, »Zersetzung zur Masse« sowie »Entwurzelung und Entheimatung« [Althaus, Kirche, 8] die Rede. Dagegen setzte er das »Volkstum«, der »Mutterschoß arteigenen geistig-seelischen Wesens« [ebd., 7]. Die am Ende des Kirchentages mit großer Mehrheit verabschiedete »Vaterländische Kundgebung« versuchte mit staatsethischer Neutralität beiden gerecht zu werden: Sie verband den konservativen Vaterlandsgedanken einschließlich seiner Forderung nach biblisch-lutherisch gebotener Staatsloyalität mit einem jungkonservativen, antirepublikanischen Volkstumsgedanken. Im Unterschied zum Vorentwurf enthielt die Endfassung keinen Passus mehr, in dem das rechtmäßige Bestehen der Weimarer Staatsform unterstrichen wurde. Indem sie aber die Loyalität gegenüber dem bestehenden, d.h. dem demokratischen Staat für alle Kirchenglieder zur Gewissenspflicht erklärte, erregte die Kundgebung dennoch die Kritik nationalistischer Theologen. Sie wollten dem Satz: »Sie [die Kirche] will, dass jedermann um des Wortes Gottes willen der staatlichen Ordnung untertan« sei [Vaterländische Kundgebung, 7], nicht zustimmen.

Eine tiefe Abneigung empfanden viele Protestanten insbesondere gegenüber der Parteiendemokratie und dem Parlamentarismus. Lutherische Theologen wie Emanuel Hirsch und Paul Althaus bekämpften die parlamentarische Demokratie als kompromisslerisch und geißelten den Eigennutz partikularer Parteiinteressen. Viele Theologen und Kirchenführer nutzten auch das Stereotyp vom ewigen Parteienhader. Sich selbst verstanden die Kirchenleitungen hingegen als ›über den Parteien‹ stehend. In dieser Position sahen viele Protestanten auch ihren ›Ersatzkaiser‹, den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Für die Wahl des Monarchisten, Militaristen und evangelischen Christen Hindenburg ergriffen protestantische Verbände, die Mehrheit der Kirchenpresse und viele evangelische Pfarrer 1925 beherzt Partei. Die DNVP hatte den ›Kriegshelden‹ im zweiten Wahlgang gegen den von der SPD unterstützten Zentrumspolitiker Wilhelm Marx aufgestellt, woraufhin der Evangelische Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen die Wahl zu einem Kampf der Konfessionen erklärte. Demokratische Protestanten wie Otto Baumgarten oder Adolf von Harnack, die sich für Marx aussprachen, wurden entsprechend hart attackiert.

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